Systemkritiker

Interview: Jeff Berlin

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(Bild: Matthias Mineur)

Auch wenn man es auf den ersten Blick nicht vermuten würde: Mit Jeff Berlin lässt sich trefflich streiten. So ruhig und ausgeglichen der 66-jährige Amerikaner äußerlich wirkt, so verbissen und dogmatisch kann er im Detail sein. Vor allem dann, wenn es sich um einen seiner Haupttätigkeitsbereiche handelt, den Bass-Unterricht.

Die Kehrseite der Medaille: Seitdem sich Berlin öffentlich zu seiner Meinung nach ungenügenden Unterrichtsmethoden äußert, entlädt sich über ihm zeitweise ein regelrechter Shitstorm. Dabei ist der Standpunkt des Ausnahmemusikers durchaus interessant, und seine Argumentation nicht so einfach von der Hand zu weisen.

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Wir haben uns mit Jeff Berlin getroffen und uns seine Sichtweisen angehört. Aber natürlich wollten wir auch etwas über sein geplantes Jack-Bruce-Tribute-Album erfahren, an dem er zurzeit arbeitet.

Interview

Jeff, im Unterschied zu unserem letzten Treffen vor ca. sechs Jahren wirkst du heute deutlich entspannter und zufriedener. Offenbar hat dein Leben eine erfreuliche Entwicklung genommen.

Ein entscheidender Wendepunkt in meinem Leben war die Psychotherapie, die ich im Alter von 60 Jahren gemacht habe. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich mit mir und der Welt im Unreinen, es schmerzte, ich war in Zwietracht mit meinem Leben, mir fehlte die Fähigkeit, Frieden mit der Welt zu schließen. Als ich es mit 60 nicht mehr aushalten konnte, fand ich eine großartige Psychologin, die zu mir sagte: „Du musst dich mit deinem Schmerz auseinandersetzen.“ Normalerweise läuft man davon, wenn etwas wehtut, aber ich setzte mich damit auseinander und kam aus dieser Zeit als friedvollerer und glücklicherer Mensch hervor. Eigentlich so, wie ich eigentlich schon hätte sein sollen, bevor ich eine Familie gründete.

Hatte dieser Gesundungsprozess auch Einfluss auf deine Musik?

Und ob! Ich spiele heute friedvoller, leidenschaftlicher, meine Songs klingen fließender und harmonischer. Seit der Psychotherapie ist so viel passiert, ich fühle mich heute als besserer Musiker und Mensch als jemals zuvor.

Dabei stehst du schon seit den 70ern im Rampenlicht und wirst gefeiert.

Das stimmt, ich habe mit Bill Bruford gespielt, Allan Holdsworth, Tony Williams, John McLaughlin, Al Di Meola, den Brecker Brothers, Etta James, der Average White Band. Die Liste ist lang, denn ich gehörte zu einem erlauchten Kreis. Von jedem der Genannten konnte ich etwas lernen, am meisten allerdings von Bill Bruford. Bill war schon damals ein erfahrener Musiker, der genau wusste, wie man das Publikum erreicht. Außerdem zeigte er mir eine völlig andere Musikerethik. Ich war es gewohnt, die Zeit im Studio als Job zu betrachten. Er dagegen sieht Musik als etwas Größeres an, etwas Spirituelles, das man nicht so einfach aus den Kleidern schüttelt, wenn die Uhr abgelaufen ist. Bill ist bis heute mein wichtigster Lehrer, wenn es um den wahren Geist von Musik geht.

Seit einigen Jahren ist dir deine Tätigkeit als Musiklehrer zunehmend wichtiger geworden. Gibt es dafür eine Initialzündung?

Ich habe ja schon in den späten 70ern unterrichtet, aber erst kurz vor meiner Therapie kam ich an den Punkt, dass ich diese Tätigkeit ausweiten wollte.

Weil du mit vielen Unterrichtsformen nicht einverstanden bist.

Exakt. Die Botschaft vieler Kurse im Internet ist richtig, die Art der Präsentation aber meiner Ansicht nach fehlerhaft. Mittlerweile bin ich diesbezüglich entspannter und äußere mich sachbezogen, aber vor meiner Therapie war ich wütend darüber. In den späten Siebzigern hatten alle großen Bassisten einen ähnlichen theoretischen Background wie ich, der Violine von der Pike auf gelernt und anschließend Musik studiert hat.

Durch die Beatles kam ich dann zum Bass und wurde zum Autodidakten. Und damit sind wir beim Punkt: Es gibt für mich nur zwei Wege zum Musiker: als Autodidakt oder als Schüler einer grundlegenden Musiklehre, ich wiederhole: einer grundlegenden Musiklehre! Als ich feststellen musste, dass viele Bass-Unterrichtsangebote den Schülern nicht weiterhelfen, entschied ich mich zum Handeln.

Was kritisierst du an den besagten Unterrichtsformen?

Dass sie nicht die Grundlagen lehren. Man kann auch keine Sprache ohne Buchstaben lernen oder ein Wiener Schnitzel braten, ohne die Grundkenntnisse des Kochens zu kennen. Ich weiß, dass viele Basslehrer und Musikschulen mich nicht mögen. Sie halten mich für grausam und gemein, weil ich Schülern sage, dass sie bei diesen Lehrern und Schulen nichts lernen können. Dabei bin ich weder grausam noch gemein, ich greife diese Lehrer und Schulen ja nicht persönlich an.

Jeff Berlin und Don Alder live auf dem Guitar Summit (Bild: Matthias Mineur)

Ich behaupte auch nicht, dass die Eigentümer der Tabakindustrie schlechte Menschen sind. Ich sage nur, dass ihr Produkt fehlerhaft ist. Die meisten Bass-Schüler haben keinerlei Kenntnisse von Musiktheorie. Wie also sollen sie etwas verstehen, wovon ihnen die Grundkenntnisse fehlen? Ich besitze diese Kenntnisse in Musiktheorie, und deshalb weiß ich, dass das, was viele Basslehrer lehren, den meisten Studenten nicht weiterhilft.

Deiner Meinung nach kann man das Bass-Spielen also nicht auf völlig unterschiedliche Weisen lernen?

Ich stelle mal die Gegenfrage: Wie viele Methoden gibt es, Deutsch zu lernen? Die Antwort lautet: eigentlich nur eine! Alle jungen Schüler bekommen vom Schulamt ein inhaltlich ganz ähnliches Buch zur Verfügung gestellt, anhand dessen man lernt zu schreiben und zu lesen. Du selbst hast es von Gesetzes wegen mit dem richtigen Basismaterial gelernt, sodass du als Journalist heute in der Lage bist, Artikel in Musikzeitschriften zu verfassen. Ein anderer Schüler ist vielleicht in Sport oder Politik interessiert und möchte darüber schreiben. Aber ihr alle habt die gleichen Grundlagen von Schreiben und Lesen bekommen. Wenn du mich also fragst, ob es nicht unterschiedliche Weisen gibt, mit denen man Bass-Spielen lernen kann, antworte ich: Es gibt leider viel zu viele Angebote, ausgedacht von Bassisten, denen die meisten theoretischen Grundlagen fehlen.

Das Problem ist, dass Erwachsene keine Lust haben, sich mit Theorie auseinanderzusetzen, und sich daher an ihrem Instrument auch nicht verbessern. Also komme ich und sage: Wenn du besser werden willst, lerne Musik von der Pike auf! Wenn du das nicht machst, wirst du nicht besser werden! Dies sind ja nicht meine Regeln, dies sind die Regeln des Lebens. Das Problem ist, dass viele Lehrer selbst kein Grundwissen haben. Autodidakten können fabelhafte Musiker sein und fabelhafte Menschen sowieso, aber für mich sind sie nicht qualifiziert, Musik zu unterrichten. Und weil sie selbst kein theoretisches Grundwissen haben, erfinden sie Hilfsmittel, um das zu kaschieren, Metronome, Computer-gesteuerte Rhythmus-Programme. Es gibt Basslehrer, die behaupten, dass der Groove das Allerwichtigste ist.

Was ist deiner Meinung nach das Allerwichtigste?

Noten! Und ich kann es dir beweisen. Denn bevor man grooven kann, braucht man etwas, wozu man grooven kann. Ist doch logisch! Nur Lehrer, die kein musikalisches Grundwissen besitzen, behaupten, dass Groove das Wichtigste ist. Sie sagen: „Vernachlässige den Groove nicht nur wegen der Noten!“ Die Wahrheit ist: Niemand verliert wegen Noten seinen Groove. Denn jeder, der Notenkenntnisse hat, ist ja perfekt vorbereitet, wenn er zu spielen beginnt. Die erwähnte Groove-Regel gibt es gar nicht, schlimmer noch: Mit dieser These werden Bassschüler auf die falsche Fährte gelockt. Jeder kann sich selbst Rocksongs beibringen, das sieht man ja immer wieder. Aber nur dann, wenn ein Lehrer auch erklären kann, wie ein G-Moll-Akkord aufgebaut ist, wie sich ein Es-Moll-Akkord zusammensetzt, kann er seinen Schülern etwas beibringen, was sie allein niemals gelernt hätten.

Bei dir fängt Unterricht also immer mit Notenkenntnissen an?

Ja, denn Noten sind die Grundlage für die Kunstform Musik. Hör dir das mal an (spielt auf seinem Bass die ersten Töne der Deutschlandhymne), und jetzt spiele ich es mit den gleichen Tonabständen aber falschen Noten (spielt die Hymne und baut falsche Töne ein). Was ist das Problem: Das Timing war richtig, aber die Töne stimmten nicht.

Jeff Berlin mit seinem Cort-Rithimic-Bass, mit Erle-Korpus und Bartolini-Custom-Soapbars-Pickups (Bild: Matthias Mineur)

Aber wenn das alles so logisch und nachvollziehbar ist, was du anprangerst, weshalb wirst du dann so harsch kritisiert?

Weil ich meine Kritik offen artikuliere. Es gibt unter Bassisten einen Ehrenkodex: Du musst immer freundlich sein, du darfst niemanden kritisieren – was eigentlich absurd ist, weil die Leute im Internet mich sehr rigoros und sogar polemisch kritisieren. Ich werde nie polemisch, ich bleibe immer freundlich, sage aber: Das System ist fehlerhaft und deshalb werden die Schüler nicht besser. Und da ich der Einzige bin, der das offen ausspricht, habe ich offenbar einige Menschen sehr wütend gemacht. Dabei habe ich Recht. Ich bin nicht Martin Luther King, und auch nicht Mahatma Gandhi, auch sie wurden dafür gehasst, dass sie kranke Systeme kritisiert haben.

OK, Botschaft verstanden! Da wir dieses Problem heute nicht mehr lösen können, würde ich gerne noch kurz zu etwas Erfreulicherem kommen: Es heißt, dass du an einem Jack-Bruce-Tribute-Album arbeitest.

Das stimmt. Jack war mein Freund und mein Vorbild, der erste und großartigste Bassist meines Lebens. Ich war zutiefst erschüttert, als er starb. Deshalb habe ich einige seiner Songs, nicht nur Cream-Nummern, neu arrangiert und daraus spezielle Versionen gemacht. Ich hasse Coversongs, ich finde, die Welt hat häufig genug ‚Sunshine Of Your Love‘ mit dem Downbeat auf eins und drei gehört. Deshalb gibt es bei mir neue Versionen alter Stücke. Ich bin mit dem Resultat außerordentlich glücklich, und ich bemühe mich zurzeit sehr darum, Brian May und Jeff Beck ins Boot zu bekommen. Alex Lifeson hat bereits einen Song für mich eingespielt. Ich werde auch Ringo Starr und Sting bitten, denn sie alle sind Jack-Bruce-Bewunderer und würden mit ihrer spielerischen Klasse das hohe Niveau der Stücke veredeln. Ich stehe bereits mit ihnen allen in Kontakt und arbeite an meinem großen Ziel.

Was sind die offenkundigsten Unterschiede zwischen den Originalen und deinen Neuinterpretationen?

Nun, zunächst einmal gibt es nur eine Cream-Nummer auf der Scheibe, aber die beinhaltet sieben Jack-Bruce-Kompositionen. Also anstatt eine neue Version von ‚Sunshine Of Your Love‘ zu spielen, umfasst meine Komposition ‚Sunshine Of Your Love‘, ‚Swlabr‘, ‚Politician‘, ‚White Room‘, ‚As You Said’ und zwei, drei weitere Nummern. Es ist eine Cream-Hommage. Die Idee dazu stammt von Giles Martin, dem Sohn von George Martin.

Ansonsten hast du dir vornehmlich die etwas ungewöhnlicheren Stücke seiner Karriere vorgenommen?

Ja. Die Solid-Rock-Tunes. Jack war ein ungewöhnlich vielseitiger Musiker, und ich musste darauf achten, dass ich dieses Album nicht nur für mich alleine, sondern für alle seine Anhänger mache. Ich vermute, dass zwei Dinge passieren werden: Fans von Jack Bruce werden die Scheibe lieben, Puristen dagegen nicht, weil ich mich nicht eng genug an die vorgegebene Form der Songs gehalten habe. Aber auch für die zu erwartende Kritik bin ich vorbereitet. Ich glaube an meine Idee und deren Umsetzung, ich bin sehr stolz auf das Album.

Wie weit bist du mit der Produktion?

Die Basictracks sind fertig. Ich habe die Keyboards, ein paar Gitarrenparts und natürlich alle Bässe gespielt.

Mit deinem Cort-Jeff-Berlin-Rithimic-Bass?

Richtig. Der Rithimic-Bass plus ein Mark Bass-Amp mit JB-Players-School- und Jeff-Berlin-Cabinets sowie per D.I., und für ein paar andere Passagen ein kleiner Peavey Amp mit zwei 10“-Speakern, die sehr hell und nasal klingen. Mein Produzent hat sie ein wenig dunkler klingen lassen und mit dem Markbass-Amp und dem D.I.-Signal gemischt.

Mark Bass Combo Head 2 (Bild: Matthias Mineur)

Wird auch Gesang zu hören sein?

Darauf kannst du dich verlassen!

Mit welchen Sängern?

Ich hätte gerne Stevie Winwood und Sting. Zugesagt hat bereits Alex Ligertwood, der im vergangenen Jahr mit uns auf Tour war, ein großartiger Sänger. Ich habe bei Brian Auger angefragt, aber der hat bislang nicht mal geantwortet. (lacht) Aber ich werde noch einige andere anschreiben. Zurzeit suchen wir eine geeignete Plattenfirma, bislang habe ich alles aus eigener Tasche bezahlt.

Letzte Frage: Wird es dazu auch eine Tournee geben?

Ja, ganz sicher sogar! Und zwar schon im kommenden Jahr. Auch in Deutschland, denn Jack hat Deutschland geliebt.

Jeff, vielen Dank für das nette Gespräch, viel Erfolg mit deinem Jack-Bruce-Projekt!

(erschienen in Gitarre & Bass 12/2019)

 

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Jeff is completly right,

    i am guitar teacher, my expierences are the same,
    he does not need a theterapy, the other
    people are crazy

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