Progstars Galore

Interview: Transatlantic & Roine Stolt

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Transatlantic (Bild: 2019 © Toby Photography / Tobias Andersson / www.tobyphoto.se)

Mit Gitarrist Roine Stolt (The Flower Kings), Bassist Pete Trewavas (Marillion), Sänger/Keyboarder Neal Morse (Spock‘s Beard) und Schlagzeuger Mike Portnoy (Dream Theater, The Winery Dogs) verfügen Transatlantic über ein schier endloses Potential an künstlerischen Fähigkeiten und beruflichen Erfahrungen. Die Truppe hat sich einem zeitlosen Progrock mit farbenfrohem Songwriting verschrieben und lässt sich von den auf hektische Kürze geeichten Radioformaten nicht beeinflussen. Ein Konzept, das seit mehr als 20 Jahren funktioniert, mit der neuen Scheibe ‚The Absolute Universe‘ aber eine nochmalige Steigerung erfährt.

Denn das Album erscheint mit den Untertiteln ‚The Breath Of Life‘, ‚Forevermore‘ und ‚The Ultimate Edition‘ in drei unterschiedlichen Formaten. Das Besondere daran: Die beiden erstgenannten Veröffentlichungen sind unterschiedliche Versionen desselben Albums, die sich jedoch weitestgehend voneinander unterscheiden, sowohl kompositorisch und textlich, als auch produktionstechnisch. Es handelt sich also durchaus um individuelle Produkte mit recht wenigen Übereinstimmungen. In der ‚The Ultimate Edition‘ bekommt man dann beide Ausführungen mit zusätzlichem Material in einer dicken Box.

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Auch deshalb haben wir die beiden Saitenvirtuosen Roine Stolt und Pete Trewavas kontaktiert, um dieses doch recht ungewöhnliche Werk (oder sollte man besser den Plural verwenden: diese ungewöhnlichen Werke?) aus unterschiedlichen Perspektiven zu begutachten. Das Interview mit Pete Trewavas erschien in der Ausgabe 04/2021.

(Bild: 2019 © Toby Photography / Tobias Andersson / www.tobyphoto.se)

INTERVIEW

Roine, laut deines Bandkollegen Pete Trewavas votierten du und Mike Portnoy für die längeren Versionen der Songs, Neal Morse und Pete für die kürzeren.

Das ist richtig. Man muss dazu sagen, dass die langen Versionen diejenigen waren, die wir in Schweden aufgenommen und so arrangiert haben, wie sie ursprünglich geschrieben wurden. Nachdem einige Monate vergangen waren, in denen wir – jeder bei sich – an den Feinheiten und Details der Nummern gearbeitet hatten, meldete sich plötzlich Neal. Er sagte: „Ich hab‘s mir nochmal in der Gesamtheit angehört. Mein Eindruck ist, dass alles viel zu lang geworden ist. Wir sollten Edits der Songs machen und sie zeitlich einkürzen.“ Daraufhin überprüfte jeder noch einmal die Stücke und versuchte, sich ein eigenes Bild davon zu machen, ob das Material tatsächlich zu lang ist. Mein Gefühl sagte mir, dass die langen Versionen einen sehr natürlichen Flow haben und total harmonisch klingen. Deswegen votierte ich gegen eine Kürzung.

Mike war der gleichen Meinung, während Neal und Pete der Ansicht waren, kürzere Edits der Stücke würden dem Gesamteindruck guttun. Am Ende lief es dann darauf hinaus, was es jetzt geworden ist: ein Gesamtkunstwerk, wie man es in der Geschichte der Rockmusik noch nicht erlebt hat.

Hast du eine Erklärung dafür, weshalb dir die längeren Versionen generell besser gefallen haben?

Ich habe immer schon eher lange Songs geschrieben. Allerdings nie mit Vorsatz, sondern immer aus der Intuition heraus. Ich entwerfe Songs nicht am Reißbrett, sie entstehen spontan und ohne Plan. Alles kommt auf natürliche Weise zustande. Fakt ist, dass wir in diesem Fall Material für weit mehr als nur ein neues Album hatten, sondern so viele Songs, dass wir mühelos ein Doppelalbum daraus machen konnten. Für mich fühlt es sich generell falsch an, wenn man einen langen Song zusammenkürzt. Edits haben mir noch nie gefallen.

Hat diese Flut an Ideen auch etwas mit der zunehmend größer werdenden Erfahrung von Transatlantic zu tun?

Ja, ganz sicher sogar. Man darf ja nicht vergessen, dass wir älter geworden sind. Die erste Transatlantic-Scheibe wurde schon vor 21 Jahren veröffentlicht. Jeder von uns Vieren hat sich weiterentwickelt, seine handwerklichen Fähigkeiten, seine Musikalität, das Songwriting. Alles ist im Vergleich zu 1999 besser geworden.

Natürlich wirkt sich so etwas auf das jeweils neueste Material aus. Im Laufe der Jahre versteht man immer besser, worauf es beim Komponieren ankommt, welche Art von Texten wirklich bedeutende Aussagen transportieren können. Nach so vielen Jahren haben wir einfach ein noch konkreteres Bild von Transatlantic vor Augen. Man erkennt deutlich den jeweiligen Stil der vier Beteiligten und auch den typischen Sound dieser Band.

Das liegt nicht zuletzt an unserer Arbeitsweise, in dem jeder die anderen ergänzt. Pete und Neal haben oft Ideen für gute Refrains, während Mike und ich zumeist diejenigen sind, die dazu passende Strophen entwickeln. Alles greift ineinander, wie ein Rädchen ins andere.

Kann man Transatlantic eigentlich mit deiner Haupt-Band The Flower Kings vergleichen?

Ja und nein. Die Flower Kings starteten ja bereits 1994, als ich, ehrlich gesagt, noch überhaupt nicht einschätzen konnte, inwieweit es einen Markt für diese Art Musik gibt. Das erste Album verkaufte sich nur so okay, doch von da an stiegen die Verkaufszahlen von Veröffentlichung zu Veröffentlichung. Wir konnten deshalb auf Tour gehen, spielten nicht nur in Europa, sondern auch in Asien oder Südamerika. Das alles lag bereits hinter mir, als ich 1999 Mitglied von Transatlantic wurde. Damals wusste ich bereits, wie groß das Interesse der Fans für diese Musik ist.

Und natürlich wurden wir von Beginn an darin auch von unserer Plattenfirma InsideOut bestärkt. Das Label hat immer schon unseren musikalischen Ansatz verstanden und unterstützt, wodurch wir die Möglichkeit bekommen haben, auf Tournee zu gehen. Dies wiederum hat dazu geführt, dass Transatlantic-Fans aus ganz unterschiedlichen Musiksparten kamen, von Rock und Metal sogar bis hin zu Anhängern eher avantgardistischer Klänge.

Da wir gerade beim Rückblick sind: Hast du damals die gleichen Gitarren wie heute eingesetzt?

Nein. Zu Beginn spielte ich auf einer Ibanez in Strat-Form, die ich noch heute besitze, auch wenn ich sie nur noch gelegentlich verwende. Danach hatte ich einen Deal mit Parker Guitars – der bis heute Bestand hat. Deren Gitarren habe ich fast fünf Jahre nahezu ausschließlich gespielt. Dann bin ich zu einer Fender Telecaster und einer Stratocaster zurückgekehrt, die allerdings sehr umfangreich modifiziert sind. Vor allem die Bünde wurden gegen True-Temperament-Frets ausgetauscht, ebenso wie bei meiner Guild-Sixstring und meiner zwölfsaitigen Seagull-Acoustic. Außerdem spiele ich noch immer meine alte Gibson Les Paul Gold Top, dazu eine alte Gibson ES-175, die einen wunderbar progressiven Ton hat, und eine ES-335. Nicht zu vergessen meine Mahalo-Ukulele.

Fender Custom Shop Stratocaster
Gibson ES-175
1953er Gibson Les Paul
Gibson ES-335

Wie hältst du es heutzutage mit Amps? Röhre oder Plug-Ins?

Eigentlich stand ich immer schon auf traditionelle Röhren-Amps. Mit ‚Paradox Hotel‘ gab es zwar mal ein Album, bei dem ich ausschließlich Plug-Ins verwendet habe. Aber heute würde ich so etwas nicht mehr machen. Deswegen gibt es auf ‚The Absolute Universe‘ auch nur Röhren-Amps. Den Großteil der Gitarrenparts habe ich mit einem Orange TH30 und einer 4x12er Orange-Box mit Celestion-Speaker eingespielt.

Mesa Boogie Transatlantic TA-30, Orange TH-30, 2×12 Orange Cabinet (Bild: Roine Stolt)

Ein Teil der Sounds kommt aus einem Mesa/Boogie-Amp, der lustigerweise die Typenbezeichnung Transatlantic 30 trägt. Hinzu kam ein Victory-Tube-Preamp. In meinem kleinen Homestudio gibt es eine ganze Reihe unterschiedlicher Boxen: Marshall, Fender, aber eben auch die von Orange mit den Celestion-Speakern, die für mein Gefühl zu dieser Produktion am besten passte.

Sind in deinem Studio alle Boxen durchgehend mikrofoniert?

Während einer Produktion ist das der Fall, dann sind alle Mikrofone sorgfältig eingemessen und bleiben in ihrer Position. Wenn ein Projekt beendet ist – und ich zum Beispiel auf Tournee gehe – wird ein Teil der Mikrofonie wieder abgebaut. Ich habe ja auch ein Akai-MPK-261- Keyboard und ein Mellotron M400, die ebenfalls durchgängig im Arbeitsmodus sind, wenn ich an einem neuen Album arbeite. Hinzu kamen als digitale Setups ein Arturia-Analogue-Synth-Plug-In mit Oberheim-, Moog- und YamahaCS80-Sounds, ein Spectrasonics-Keyscape, und ein Ethno World 5.

Mit welchen Mikrofonen hast du auf ‚The Absolute Universe‘ gearbeitet?

Für die Gitarren hatte ich ein Neumann TLM 103, für die Gesänge ein Telefunken AK47 Mk2.

Welche Pre-Amps kamen zum Einsatz?

Ein Avalon VT 737SP und ein Millennia NSEQ 2, die ich mit HighEnd-Kabeln von Vovox verbunden habe.

Wie hast du die Gitarrensignale aufgenommen? Inklusive der Effekte, oder alles möglichst trocken?

Zweiteres. Das Signal ging so clean wie möglich durch den Preamp und von da in meinen Apple Mac Tower mit OS Catalina v10.15.1 und Logic Audio Pro 10.5. Die Effekte habe ich erst anschließend hinzugefügt.

Von welchen Effekten sprechen wir?

Vor allem von einem Dunlop Cry Baby 95 Wahwah, einem Dunlop-Volume-Pedal, einem Strymon-Capistan-Delay und von einigen Keeley-Overdrive-Pedalen.

(Bild: Roine Stolt)

Gibt es eigentlich eine generelle Lektion, die du als erfahrener Musiker von dieser aufwendigen Produktion lernen konntest?

Man lernt von jeder neuen Produktion. In diesem Fall war es die Gewissheit: Ich kann meinem Bauchgefühl trauen. Mitunter muss man seiner eigenen Intuition folgen und sich nicht so sehr um die Ratschläge anderer kümmern. Denn nicht jeder „gute Ratschlag“ ist wirklich gut. (lacht) Das bedeutet natürlich nicht, ich wäre beratungsresistent und würde mir die Meinung von Freunden und Kollegen nicht anhören. Aber ‚The Absolute Universe‘ hat mir gezeigt, dass ich mich auf mich selbst verlassen kann.

Was in einer meinungsstarken Allstar-Besetzung wie der von Transatlantic sicherlich auch notwendig ist, oder?

In der Tat! Bei Transatlantic gibt es vier gleichstarke Charaktere, so dass jeder für seine Ideen und Visionen einstehen und kämpfen muss. Da geht es dann nicht nur um kompositorische Belange, sondern auch darum, wie die Songs gemischt werden, wie meine Gitarren klingen, meine Stimme, meine Orchestrationen. Auf ‚The Absolute Universe‘ habe ich mich mehr als jemals zuvor für diese Dinge eingesetzt und mich nicht beirren lassen.

Das bedeutet: Bei früheren Transatlantic-Produktionen warst du dir deiner Position noch unsicherer?

Ja, das kann man so sagen. Aber ich vermute, dass dies nicht nur für mich, sondern auch für meine drei Kollegen gilt. Wir mussten uns erst einmal kennenlernen, bevor sich jeder komplett aus der Deckung gewagt hat. Aber über die Musik haben wir uns mittlerweile untereinander sehr gut kennengelernt und wissen, wie die jeweils anderen ticken.

Diese innere Kommunikation dürfte bei deiner eigenen Band The Flower Kings vermutlich deutlich einfacher sein.

Ja, das ist sie natürlich auch. The Flower Kings ist meine Band, und auch wenn dies wie ein Widerspruch klingt: Sie funktioniert noch demokratischer als Transatlantic. Dort sind vier verschiedene Egos, die miteinander kämpfen. Wenn man mit Transatlantic arbeitet, hat man das Gefühl, man läuft permanent bergauf, nie bergab. (lacht) Aber natürlich sind auch mit Transatlantic die Endresultate fantastisch, eben weil hier vier starke Charaktere um die aus ihrer Sicht besten Lösungen kämpfen. Man kann beide Bands nicht eins zu eins miteinander vergleichen, aber in beiden Fälle gibt es am Ende stets tolle Resultate.

Vielen Dank Roine, für das spannende und ehrliche Gespräch!

(Bild: 2019 © Toby Photography / Tobias Andersson / www.tobyphoto.se)

(erschienen in Gitarre & Bass 03/2021)

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