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The Temperance Movement: Die Geheimnisse des grandiosen Studiosounds

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The Temperance Movement
(Bild: Rob Blackham Earache Records)

Wer es noch nicht wusste: The Temperance Movement gehören zweifellos zu den aufregendsten englischen Rockbands der Gegenwart. Ihre zwei ersten Veröffentlichungen ‚The Temperance Movement‘ (2013) und ‚White Bear‘ (2016) haben Erinnerungen an die großen Taten der Rolling Stones oder Black Crowes geweckt, nicht einmal die üblichen Lobeshymnen britischer Medien waren in diesem Fall übertrieben. Seit wenigen Wochen ist ihr drittes Album ‚A Deeper Cut‘ in den Geschäften und begeistert nicht nur durch ein erneut exquisites Songwriting, sondern auch durch eine überaus lebendige, dynamische und wunderbar ausgewogene Produktion.

Diese nochmalige Steigerung ist umso erstaunlicher, da eine ernsthafte Bandkrise mit zwei signifikanten Umbesetzungen noch keine zwei Jahre zurückliegt. Darüber und über die Geheimnisse ihres grandiosen Studiosounds sprachen wir bei einem Konzert im Hamburger ‚Knust‘ mit den Gitarristen Paul Sayer (PS) und Matt White (MW) sowie Bassist Nick Fyffe (NF). Natürlich begutachteten wir bei dieser Gelegenheit auch ihr sorgsam zusammengestelltes und hochwertiges Bühnenequipment.

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interview

Bei unserem letzten Treffen vor zwei Jahren gab es ernsthafte Probleme in der Band. Zwischenzeitlich hatte man sogar den Eindruck, dass ihr vor dem Aus stehen könntet. War die Situation tatsächlich so dramatisch?

PS: Wenn man mehrere Bandmitglieder verliert, sieht es für die Öffentlichkeit immer so aus, als ob das Projekt generell in Frage gestellt würde. Für uns Musiker war dies jedoch nie der Fall. Natürlich kommt bei Personalwechseln immer ein Prozess in Gang, bei dem man Wunden lecken und Hürden überspringen muss. Denn wenn sich in einer Gruppe die Besetzung ändert, kann man nicht sofort im gleichen Tempo weitermachen. Die 2016er Tour war trotzdem großartig, weil ein befreundeter Schlagzeuger einsprang, den wir seit vielen Jahren sehr schätzen. Insofern hat er die Tour gerettet, ohne allerdings der Richtige für eine feste Mitgliedschaft zu sein.

Paul Sayer
Paul Sayer (Bild: Mineur)

Matt, du bist zwischen zwei Albumproduktionen eingestiegen. Du konntest die Band also mit ihrem alten Material kennenlernen, bevor du gefordert warst, selbst Ideen einzubringen. Welche Ziele hast du in dieser Phase entwickelt?

MW: Ich hatte den Vorteil, dass ich die Band schon seit ihrer Gründung kenne, denn wir alle stammen aus der gleichen Musikszene in London. Mit Nick habe ich jahrelang zusammengespielt, bevor er bei The Temperance Movement eingestiegen ist. Ich hörte immer wieder Geschichten von ihnen und war ein wenig neidisch, da ich auch gerne dazugehört hätte. Als sich dann die Chance bot, habe ich natürlich zugegriffen und mich mächtig ins Zeug gelegt, um die Band von mir zu überzeugen.

Vor meiner ersten Audition habe ich drei Tage lang ununterbrochen ihre Songs gehört und das Material gelernt. Anschließend habe ich mir Lukes Parts angeeignet und sie ein wenig mit meinem Stil gemischt, um eine eigene Handschrift zu hinterlassen, ohne die Gruppe zu ruinieren. Irgendwie hat‘s funktioniert, wie es scheint. Das Tolle ist die enorm große Freiheit, die jeder in dieser Band hat. Es geht darum, alles auszuprobieren und möglichst viel Spaß zu haben. Zu deiner Frage: Ich wollte unbedingt die Entwicklung der Band mitgestalten und Songs zum nächsten Album beisteuern.

Matt White
Matt White (Bild: Mineur)

Hast du das Ziel erreicht?

MW: Ja. Alle Bandmitglieder sind an der kreativen Arbeit beteiligt. Das Meiste entsteht als komplette Band im selben Raum. Ich finde, es ist die kreativste Art zu arbeiten, denn so kann jeder Ideen beisteuern und man kommt zu Ergebnissen, die einer alleine nicht hätte liefern können. Und genau das war mein Ziel: die bestmöglichen Songs zu komponieren.

Wusstest du bei deinem Einstieg, dass es zwischen euch auch kompositorisch harmoniert?

MW: Nein, man kann sich da nie sicher sein. Man kann lediglich Ideen anbieten und schauen, ob sie auf Interesse stoßen. Bei einigen Ideen war dies der Fall, bei anderen dagegen nicht. Also nimmt man das, was auf Konsens stößt und arbeitet in diese Richtung weiter. Ich freue mich, dass einige meiner Ideen auf dem Album gelandet sind.

Nick, wie ist die Situation für dich, nachdem ihr euren Gitarristen und euren Schlagzeuger ausgetauscht habt? Hat sich viel verändert?

NF: Nein, denn der Enthusiasmus und die Liebe zur Musik sind gleich geblieben. Wie Matt bereits erwähnt hat: Man hat hier sämtliche Freiheiten und darf alles ausprobieren. Deshalb macht es so viel Spaß, speziell auf der Bühne, wenn man die Songs intensiv spielt und sieht, mit wieviel Leidenschaft Matt und Paul bei der Sache sind. Oder wenn Simon mitten im Song ein bestimmtes Fill, ein kleines Break spielt und man als Bassist intuitiv das Richtige beisteuert. Anschließend schaut man sich an und grinst breit. Solche Momente gibt es mit Simon, Paul und Matt öfters, und es gab sie vorher auch mit Paul, Luke und Damon.

Nick Fyffe
Bassist Nick Fyffe (Bild: Mineur)

Natürlich ist die Band heute eine andere, denn selbst wenn zwei Schlagzeuger exakt das Gleiche spielen, fühlt es sich unterschiedlich an. Es ist wie mit neuen Stiefeln: Man steigt hinein, läuft herum, ist sich nicht sicher, ob man die richtige Größe gewählt hat und vermisst zunächst seine alten vertrauten Stiefel. Doch irgendwann passt es, vor allem wenn man herausgefunden hat, wie der andere tickt. Ich glaube, nach den Aufnahmen der neuen Scheibe hat jeder verstanden, wie der jeweils andere denkt und fühlt.

Das Besondere an eurem neuen Album ‚A Deeper Cut‘ ist die lebendige Produktion. Im Studio dermaßen live zu klingen und dennoch heutige Studiostandards zu erreichen ist eine Kunst für sich. Wie habt ihr das geschafft?

PS: Das Ziel war, die größtmögliche Energie einzufangen. Manche Musiker sind im Studio auf Perfektion fixiert, aber das heißt nicht, dass der Hörer anschließend wirklich etwas von der Energie fühlt. Der Vorteil unserer Musik ist, dass sie live reproduzierbar ist und deshalb als komplette Band eingespielt werden kann. Genauso haben wir es gemacht. Bei den Aufnahmen waren alle im gleichen Raum, wodurch natürlich die Möglichkeiten begrenzt sind, später noch in die Arrangements einzugreifen. Für viele Musiker ist dies ein Nachteil, aber wir halten es für einen Vorteil, denn dadurch entsteht ein Gefühl von gemeinsamer Verantwortung für das, was im Studio entsteht.

Wir haben bewusst ohne Clicktrack gespielt, denn nur so fängt man die optimale Energie ein, und genau darum geht es uns. Wenn Leute von überproduzierten Alben sprechen, meinen sie häufig, dass zu viele Instrumente zu hören sind. Produktionen sind immer eine bewusste Entscheidung, und etwas nicht hinzuzufügen ist eine ebenso klare Entscheidung wie die, etwas nachträglich hinzuzufügen. Es kommt immer darauf an, dass man bereits im Vorfeld entscheidet, an welcher Stelle welche Instrumente zu hören sein sollen.

Gilt für ‚A Deeper Cut‘ also das Motto „weniger ist mehr“?

PS: Bis zu einem gewissen Grad, ja! Zumindest wenn es zu vermeiden gilt, Dinge nur um ihretwillen hinzuzufügen. Ein Produzent steht immer unter Druck, vor allem, wenn er noch unerfahren ist. Unerfahrene Produzenten neigen dazu, zu viele Dinge hinzuzufügen. Für uns gilt jedoch, dass wir die Band so klingen lassen wollen, wie sie nun einmal klingt und den Sound so transparent und einfach wie möglich zu halten.

Wie wichtig ist es dabei, dass die Band im Studio entspannt bleibt? Oder ist die Konzentration aufs Wesentliche noch bedeutsamer?

MW: Ich denke, beides ist sehr wichtig. In unserem Fall ist die Grenze zwischen Studio und Bühne sehr gering.

Ein Vorteil, oder?

MW: Absolut! Wenn man, so wie wir, nach einer großen Anzahl von Konzerten direkt ins Studio geht, ist man automatisch entspannt. Deshalb ist dann natürlich die Konzentrationsfähigkeit die größere Herausforderung. Man neigt schnell dazu, etwas aufzunehmen, zufrieden zu sein und einfach weiterzumachen. Wichtig ist aber, die Aufnahmen mit einer gewissen Distanz zu betrachten und zu überprüfen, ob sie wirklich gelungen sind. Denn mitunter stellt man später fest, dass man sich getäuscht hat. Deshalb ist die volle Konzentration unabdingbar, um wirklich das zu bekommen, was man benötigt.

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Paul, welche Gitarren hast du auf ‚A Deeper Cut‘ gespielt?

PS: Mein Equipment war ähnlich dem, das du vorhin auch auf der Bühne fotografiert hast. Matt und ich haben beide mit unseren Lazy J20 Amps gespielt, zusätzlich waren im Studio zwei Vox AC30 und einige Fender Blackface im Einsatz. 95% der Gitarrenparts wurden mit Telecaster-Modellen aufgenommen, hinzu kommen ein paar Stratocaster, die live aber nicht so richtig passen wollen. Ich liebe auch meine Gibson ES-335, dazu kam eine alte Epiphone Olympic, die sich für Overdubs und Special Effects großartig eignet, weil sie einen klaren Sound ohne viele Bassanteile hat. Die Zahl der Effektgeräte war eher gering, auch wenn ich eine Riesenmenge von ihnen besitze. Ich liebe den Sound des Analog Man Sun Lion, eine Kombination aus Fuzz und Treble-Boost. Hinzu kam ein alter EHX Memory Man Deluxe, viel mehr brauchte ich nicht.

Wie sah es bei dir aus, Matt?

MW: Generell bevorzuge ich im Studio den Sound von Vintage-Gitarren. Viele Parts habe ich mit meiner alten 59er Strat eingespielt, dazu kam eine Guild Starfire von 1966, eine 63er Jazzmaster, außerdem habe ich gemeinsam mit Damian Probett eine Gitarre gezielt für den Einsatz in dieser Band entwickelt, sie nennt sich Probett Rocket Custom. Damian baut Boutique-Instrumente, etwa 50 Stück pro Jahr. Da Paul so sehr auf Telecaster abfährt, suchte ich nach einer Art Stratocaster-Sound, damit sich die Gitarren live nicht gegenseitig neutralisieren. Ich denke, die Probett ist eine Kombination aus einer Gibson Les Paul, einer Stratocaster und einer Telecaster. Die Mensur ist eigentlich die einer Les Paul, aber ich habe Damian gebeten, mir ein Exemplar mit einer Stratocaster-Mensur zu bauen. Mit ihr spiele ich 90% des Live-Sets, hinzu kommen eine 1963er Fender Jazzmaster und eine Hahn 228 Telecaster für die Slides.

Die Amps sind – wie Paul schon sagte – Lazy J20 plus im Studio ein 1963er Vox AC30, als Pedale waren es vor allem ein Analog Man Sun Face, ich habe das Volume-Poti verändert, um ein paar verrückte Sounds abzurufen. Hinzu kommen unterschiedliche Tube Screamer, alles Standardgeräte, und auch ein EHX Memory Man Deluxe.

Und last but not least: Nick, wie sah dein Studio-Equipment aus?

NF: Nur ein Effektpedal, nämlich ein Malekko B:AssMaster, eine Kopie des alten Maestro Brassmaster. Ich liebe Fuzz-Pedale, und dieses ist das Beste, das ich jemals gefunden habe. Als Bässe kamen Fender Precision zum Einsatz, ein 1971er, den ich sehr liebe, dazu ein Fender Custom Shop 58 Reissue Journeyman Relic, der sehr leicht und deshalb auf der Bühne angenehm zu spielen ist. Hin und wieder spiele ich auch Höfner-Violin-Bässe. Als Amp kam ein Ampeg Portaflex zum Einsatz, den ich mittlerweile aber wieder verkauft habe, zumal der Großteil meines Sounds direkt aus der A-Designs-Reddi-D.I.-Box kommt. Das war’s!

Danke vielmals für eure ausführlichen Antworten, und viel Erfolg mit eurem fantastischen neuen Album!

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(erschienen in Gitarre & Bass 07/2018)

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