Prog-Rock trifft Orchester

Interview: Steve Rothery & Marillion

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(Bild: Anne-Marie Forker)

Auf ‚With Friends From The Orchestra‘ haben Marillion einige ihrer Songs in ein klassisches Gewand gepackt – und diese mitunter schwierige Disziplin dabei mit Bravour gemeistert.

Wir sprachen mit Gitarrist Steve Rothery über die Arbeit mit Streichern und den Grund, warum er Squier-Strats aus den 80er-Jahren heutigen Custom-Shop-Modellen von Fender vorzieht.

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Steve, ihr habt mit ‚With Friends From The Orchestra‘ eine Kooperation mit einem Streichquartett und zwei Bläsern herausgebracht, auf der ihr Songs aus eurem Repertoire neu interpretiert. Die Kombination aus Rock und Klassik kann ziemlich heterogen wirken, in eurem Fall ist das anders – es klingt, als ob es zusammengehören würde.

Dafür schulden wir Michael Hunter, dem Produzenten, großen Dank. Er hat die Arrangements erstellt. Und natürlich den beteiligten Musikern – dem Streichquartett In Praise Of Folly und den beiden Bläsern, die dabei waren: dem Hornisten Sam Morris und Emma Halnan an der Flöte. Sie alle sind beeindruckende Musiker.

Vielleicht liegt es ja an diesem eher kammermusikalischen Ansatz mit sechs Leuten und daran, dass ihr kein Symphonie-Orchester verwendet habt.

Bei der Arbeit mit einem Orchester kann es leicht passieren, dass die Musik überfrachtet wird und du etwas von dem verlierst, was die Originalversionen ausmacht. Mit weniger Musikern und einem guten Arrangement hast du die Möglichkeit, harmonische Fülle hinzuzufügen, ohne dass sie die Identität der Musik überschwemmt. Unsere gemeinsamen Konzerte waren große Erfolge. Die Erfahrung war für das Publikum ein wenig anders als gewohnt, aber die Leute liebten es.

(Bild: Anne-Marie Forker)

Ihr habt in dieser Besetzung schon einmal zusammen musiziert – nachzusehen auf 2018er-DVD ‚All One Tonight – Live At The Royal Albert Hall‘. War das damals das erste Mal?

Ja, die fünf Gigs, die wir seinerzeit gespielt haben, waren die ersten. Die Royal-Albert-Hall-Show ist vielleicht die beste Live-Performance, die wir je auf Film gebannt haben. Es war toll, wieder mit diesen Leuten unterwegs zu sein. Sie sind nicht nur tolle Musiker, sondern auch wunderbare Menschen.

Kannst du dich erinnern, wie ihr damals zusammengekommen seid?

Steve Hogarth, unser Sänger, hat 2016 mit Nicole Miller zusammengearbeitet, der Bratsche spielenden Leaderin des Quartetts – auf Anfrage der schwedischen Band Isildurs Bane. Steve singt auf deren Album ‚Colours Not Found In Nature‘. Daher stammt die Idee ursprünglich. Wir sind gerade dabei, ein neues Album zu schreiben und aufzunehmen, aber es dauert wohl noch mindestens ein Jahr, bis es fertig ist. Wir wollten in der Zwischenzeit noch etwas anderes machen. Die Idee, mit dem Quartett auf Tour zu gehen und ein paar alte Songs neu aufzunehmen, kam uns sehr gut vor.

Was ist die größte Herausforderung bei Konzerten mit sechs zusätzlichen Musikern, die allesamt akustisch spielen?

Eine der Hauptsachen ist: Wenn du zwei Nächte hintereinander an einem Ort spielst, wie jetzt in der Royal Albert Hall oder im Colosseum Theater in Essen, brauchst du eine größere Auswahl an Stücken, damit du am zweiten Abend ein abweichendes Programm aufführen kannst. Und natürlich geht es darum, die Songs auszuwählen, die in diesem Kontext am besten funktionieren. Manche Lieder eignen sich besser als andere. Wir wollten nicht einfach nur die Musik wiederholen, die wir damals in der Royal Albert Hall aufgeführt haben. Ich denke, dass unsere Auswahl gut funktioniert hat.

Und technisch gesehen? Wo liegt da die größte Herausforderung?

Eigentlich nur darin, ihr Level an Professionalität zu erreichen. Und ihre Hingabe. Wir sind eine Rockband. Wir sind es gewohnt, locker an die Sache heranzugehen. Ich will nicht sagen, dass wir uns durchmogeln, aber es gibt eine gewisse Leichtigkeit, mit der wir die Dinge zu machen pflegen. Wenn du jedoch mit diesen Weltklasse-Musikern spielst, die so dermaßen voll dabei sind, zwingt dich das, dein Spiel zu perfektionieren und alles zu geben, um jeden Aspekt der Performance so gut wie möglich zu machen.

(Bild: Anne-Marie Forker)

Warum habt ihr nur ganze acht Shows in Kontinental-Europa gespielt? Hierzulande konnte man euch lediglich in Essen sehen.

Wir hatten nicht mehr Zeit. Wir kommen wieder, wenn das neue Album draußen ist, und dann touren wir sicher durch das ganze Land. Deutschland ist für uns ein wichtiger und toller Markt, wir haben hier einen großartigen Fanclub namens The Web Germany, der ständig daran arbeitet, die Band zu promoten.

Lass uns über die Tracklist reden. Was mir gut gefällt, ist, dass es keine Dopplungen im Vergleich zur ‚All One Tonight‘-Auf­nahme gibt. Es sind komplett andere Songs.

Exakt. Genau das wollten wir. Also mussten wir uns genau überlegen, welche unserer Nummern am meisten von diesem Ansatz profitieren würden.

Gab es auch Lieder, die nicht funktioniert haben?

Eigentlich nicht. Es gab Fragezeichen bei einer oder zwei Num­mern, aber am Ende habe wir beschlossen, alles zu nehmen.

Vielleicht liegt es daran, dass eure Musik diesen Geist bereits in sich trägt.

Das stimmt. Wir orchestrieren unsere Musik bereits selbst, das ist unser Ansatz. Aber die Schönheit von ‚With Friends From The Orchestra‘ ist, wie Michael diese Elemente angeordnet und dabei die Intensität gesteigert hat.

Musstest du dein Spiel oder deine Sounds dafür verän­dern?

Nein. Wir haben die Songs ziemlich so gespielt, wie wir es sonst live auch machen.

Was ist in deinem aktuellen Live-Rig? Gibt es etwas Neues oder etwas Altes, das du rausgeworfen hast?

Traditionellerweise habe ich zwei Racks voller Equipment – eins für die alten Marillion-Sachen und eins für die Songs der letzten zwanzig Jahre. Beide wurden lange von einem TC Electronic 2290 Digital Delay & Effects Control Processor kont­rolliert. Der steuerte die Effekte, das Routing der Delays und die Patch-Lautstärken. Ich habe sechs davon, und sie alle haben die Welt in den letzten 30 Jahren konstant betourt. Mittlerweile habe ich sie durch GigRig G2-Controller ersetzt. Diese übernehmen die Steuerung der Pegel und das Patchen der Effekte. Dazu kommt das Flight Time Delay der japanischen Firma Free The Tone. Dieses Pe­dal ist dem TC 2290 sehr ähnlich. In Kombination mit dem GigRig G2 gibt es mir dieselbe Funktionalität, wie das TC 2290.

Auf dem Boden habe ich verschiedene Pedale, darunter einen Origin Effects SlideRig Kompressor, ein Sweet Sound Mojo Vibe und einen Free The Tone Fire Mist Overdrive. In den Racks ist das Zeug, das ich schon immer spiele. Das Hughes & Kettner Rotos­phere ist mein Favorit in Sachen Leslie-Sound. Daneben finden sich dort ein modifiziertes Boss TR-2 Tremolo, ein Roger Linn Adrenalinn, ein Eventide H9 Max, ein Electro-Harmonix Pitch Fork Pitch Shifter sowie ein TC Hallpedal – allesamt im Rack rechts. Auf der linken Seite sitzen unter anderem zwei Rockman Module, also ein Stereo Chorus und ein Sustainor, ein Alesis Quadraverb sowie ein von Analog Man modifiziertes Boss DS-1 Distortion-Pedal, das die Hauptstütze der Solo-Sounds der alten Marillion-Sachen ist.

(Bild: EARMUSIC)

Wo du den Kompressor erwähnst: Ich war sehr überrascht, als ich die Equipment-Liste auf eurer Homepage gesehen habe. Da steht keiner drauf. Und das bei all den Cleansounds mit Chorus. Die schreien doch geradezu danach.

Ich habe bis vor Kurzem auch keinen benutzt und bin die Sache anders angegangen, etwa mit einem sehr gleichmäßigen Picking-Stil. Die meisten cleanen Marillion-Parts habe ich mit einem Roland JC-120 eingespielt. Da musst du schon ziemlich vorsichtig sein, um nicht brüchig oder spitz zu klingen. Wichtig ist die richtige EQ-Einstellung, außerdem brauchst du die passende Gitarre. Strats mit EMG-SA-Pickups funktionieren sehr gut mit dem JC-120. Es ist eine Frage der Kombi­nation. Meine Equipment-Liste sollte dringend upgedatet werden. Ich glau­be, das ist seit fünf Jahren nicht ge­schehen. Das sollte ich mal machen.

Du hast also aktive Tonabnehmer auf deinen Strats?

Auf den alten Strats ja. Meine Hauptgitarre der letzten 20 Jahre, eine alte Blade RH-4, hat zwei Singlecoils und einen Humbucker in der Stegposition. Es ist eine passive Schaltung, aber mit einem schaltbaren Mid Boost. Die Singlecoils sind Lindy-Fralin-Vintage-Pickups.

Noch eine Frage zu den Chorus-Sounds: Du hast zwei alte Boss-CE-300-Einheiten im Rack. Chris Rea sagte mir einmal, er suche ständig alte Boss-Dimension-C-Pedale, also Chorus-Effekte von früher. Geht es dir da ähnlich?

Ich habe einen Dimension C. Ich habe ihn in den vergangenen 30 Jahren auch häufig eingesetzt. Er hat einen speziellen Sound. Es gibt einen Track auf dem ‚Season’s End‘-Album namens ‚Berlin‘. Beim cleanen Guitar-Picking-Part hörst du einen Dimension C. Und dazu ein TC 2290, dieses Panning Delay zwischen zwei JC-120. Es ist ein toller Sound. Mein anderer Favorit ist ein Analog Man Mini-Chorus. Der funktioniert auch sehr gut. Viele Chorus-Pedale übertreiben es in Sachen Intensität – so sehr, dass man sich fast seekrank fühlt. Das perfekte Chorus-Pedal zu finden, ist ziemlich schwierig.

Aber du suchst nicht ständig nach Vintage-Modellen, die du als Ersatz kaufst.

Ich kaufe ständig Pedale. Alles, was interessant ist. Ich bin immer auf der Suche – nach neuen Boutique-Pedalen oder auch nach Klassikern, die man schwer findet.

Außerdem bist du schon lange Fan des Hughes & Kettner Roto­sphere. Was macht es für dich so besonders?

Das Rotosphere hat seinen eigenen Charakter. Es ist nicht zwangs­läufig zu 100 Prozent das gleiche wie ein Leslie, aber genau des­halb liebe ich es so sehr. Du kannst es auf verschiedene Arten nut­zen: mit einem Cleansound, mit leichter Verzerrung oder einem Distortion-Pedal davor für einen tollen Solosound.

Du arbeitest also ständig an deinem Equipment?

Ja. Ich habe verschiedene Rigs: meine Marillion-Rigs, eines für meine Soloshows, und dazu verschiedene Pedalboards in meinem Studio – mit einer großen Auswahl verschiedener Delays, Halls und Front-End-Effekten.

Noch ein Wort zu deinen alten Strats. Auf einigen sind Kahler-Vibratos verbaut…

Bei den alten Marillion-Sachen hatte ich immer EMGs und Kahlers. Ich fand sie expressiver als Floyd-Rose-Vibratos. Ich liebe das Spiel von Leuten wie Adrian Belew und seinen teils extremen Einsatz des Kahler. Es ist ein ziemlich subtiles und ausdrucksstarkes Sys­tem. In mancher Hinsicht ist es mehr wie ein sehr gut eingestelltes Fender-Vibrato, wenn es frei schwebt. Du verlierst vielleicht ein bisschen Sustain, aber diesen Preis musst du halt zahlen.

(Bild: Anne-Marie Forker)

Diese Strats sind vor allem Squier-Modelle.

Ja. Meine Haupt-Strat, zurückgehend bis 1986, ist eine japanische Squier aus den frühen Achtzigern. Die Gitarren aus dieser Phase sind hervorragend. Letztendlich kommt es darauf an, wie gut das Holz ist und wie gut es handwerklich gefertigt wurde. Es gibt eine Phase in den frühen 80ern, wo die japanischen Strats meiner Mei­nung nach besser waren als die amerikanischen.

Warst du mal an der anderen Richtung interessiert und hast mit einer Edelversion aus dem Fender US Custom Shop gelieb­äugelt?

Nicht wirklich. Ich denke, heute gibt es weniger hochqualitatives Holz. Wenn du eine gute Gitarre aus den 80ern finden kannst und dann vielleicht die Hardware tauschst, hast du am Ende ein Instru­ment, das es mit einer 3.000 Euro teuren Masterbuilt-Strat aufneh­men kann – und das für einen Bruchteil des Preises.

Hast du zum Ende noch einen Tipp für unsere Leser?

Es ist immer gut, sich so viele verschiedene Gitarristen wie möglich anzuhören. So wird man nicht zum Ver­schnitt seines persönlichen Favoriten. Bediene dich bei so vielen Leuten wie möglich. Und: Spiele aus den richtigen Gründen. Viele Gitarristen konzentrieren sich auf die Technik und vernachlässigen dabei alles ande­re. Deine Verantwortung, wenn du in einer Band spielst, ist, exakt das zu spielen, was der Song braucht. Manchmal ist das ein großes Solo, manchmal drei oder vier Töne mit dem richtigen Sound. Ich benutze häufig ein Volume-Pedal, um Noten einzublenden. Da geht es mehr um Texturen als um puren Rock.

Wer ist dein aktueller Lieblingsgitarrist?

Das ist eine sehr gute Frage. Es gibt einige tolle. Jeff Beck ist noch immer phänomenal. Aktuell mag ich auch einen Gitarristen namens John Nathan Cordy. Er spielt eher Fusion, ist dabei aber sehr beeindruckend.

(erschienen in Gitarre & Bass 02/2020)

Produkt: Gitarre & Bass 12/2022 Digital
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Im Test: J. Rockett Uni-Verb +++ G&L Fullerton Deluxe LB-100 +++ Dowina Albalonga GACE HiVibe +++ Nik Huber Bernie Marsden Signature +++ Fender Acoustasonic Player Telecaster +++ Gibson Dave Mustaine Signature Flying V +++ Börjes JB-Custom 5 DLX-Multiscale +++ EarthQuaker Devices Ghost Echo by Brain Dead +++ Blackstar St. James 50/EL34 112 Combo +++ Harley Benton Double Pedal Series

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