Der sanfte Riese

Interview: James Taylor

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(Bild: Universal)

Ein Meister der leisen, sanften Töne – und Inbegriff von Ausdauer und Konstanz: Seit 52 Jahren ist der hagere Hüne bereits aktiv, hat alles erreicht, was man mit Musik erreichen kann, und denkt doch längst nicht ans Aufhören. Sein neuestes Werk ,American Standard‘ ist eine Hommage an die Songs seiner Kindheit, vorgetragen im für Taylor typischen Gewand: Folkig, filigran und mit unwiderstehlichem Charme.

Der Mann, der Gitarre & Bass in einer geräumigen Suite des Royal Garden Hotels im Londoner Stadtteil Kensington empfängt, könnte auch Dozent, Professor oder Lehrer sein: Ein großer 72-jähriger Anzugträger mit Schiebermütze und feiner Nickelbrille, der ganz ruhig und sachlich spricht, kaum Gemütsregungen erkennen lässt und im Halbstunden-Takt Vertreter des europäischen Feuilletons empfängt.

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Anlass: Die Veröffentlichung seines aktuellen Albums ,American Standard‘, auf dem er zeitlose Kompositionen von Henry Mancini, Johnny Mercer, Frank Loesser, Rodgers/Hammerstein oder Billie Holliday auf unnachahmliche Weise interpretiert: Mit viel Gefühl, handwerklicher Raffinesse, dem einen oder anderen Studio-Trick und einer alles dominierenden Entspanntheit, die ihresgleichen sucht.

(Bild: Universal, Norman Seeff)

Dabei sind die 14 Stücke – wie bei Taylor üblich – das Produkt eines intensiven, akribischen Arbeitsprozesses, der Jahre gedau­ert hat. Und in den der sanfte Riese viel Energie investiert hat. Das zahlt sich aus: Der Dauerbrenner aus Boston gilt immer noch als einer der besten und erfolgreichsten Singer/Songwriter der USA und bedient mit jedem seiner Tonträger ein Millionenpublikum. Daran dürf­te sich mit seinem neuesten Werk wenig ändern. Einfach, weil es trotz Fremdkompositionen typisch Taylor ist.

James, dein letztes Album ,Befo­re This World‘ mit Eigenkomposi­tionen, war so erfolgreich, dass man sich bei ,American Standard‘ fragt: Warum nur Covers? Hätte es noch länger als fünf Jahre gedauert, um gänzlich neue Stücke zu präsentieren?

Das hätte es – ohne Zweifel. Es hätte garantiert viel länger gedau­ert als „nur“ fünf Jahre. Und das ist ein interessanter Punkt. Denn für mich macht es im Grunde kaum einen Unterschied, ob ich eigene Songs schreibe oder alte Standards für die Gitarre arrangiere. Vom Aufwand her ist es fast dasselbe. Einfach wegen der Art, wie ich vorgehe. Ich versuche nämlich, so viel von mir einfließen zu lassen wie eben möglich.

Also mein Vokabular, meinen Gitarrenstil, mei­nen Gesang. Da habe ich durchaus Grenzen, was aber auch einen Vorteil hat: Sie verleihen dem Ganzen Persönlichkeit. ,American Standard‘ ist ein Gitarren-Album – eingespielt von mir und John Pizzarelli, dem Sohn von Bucky Pizzarelli. Bucky hat auf etlichen Original-Versionen dieser Stücke mitgewirkt und John wirklich alles beigebracht, was er wusste. Was zur Folge hat, dass er ein fantastischer Jazz-Gitarrist ist. Ein wunderbarer Spieler.

Was hat dich überhaupt veranlasst, dich mit diesen Stücken zu befassen? Sind sie Teil deiner DNA oder was bedeuten sie dir?

Na ja, ich höre sie seit frühester Kindheit, weil sie Teil der Platten­sammlung meiner Eltern waren. Und als ich anfing, Gitarre zu spielen, habe ich mich natürlich auch daran versucht. Seitdem spiele ich sie immer mal wieder – also seit über 60 Jahren. Im Ernst! (lacht) Sie auf der Gitarre spielen zu lernen, hat mir eine Menge beigebracht. Was der Hauptgrund war, warum ich mich nun für diese Stücke entschieden habe – also aus Respekt vor ihnen.

Es sind Songs, die einfach ein Teil von mir sind. Und nach­dem John und ich die Basic-Tracks eingespielt hatten, also unser Gitarrenspiel, wurde mir klar: Wir brauchen hier keinen Keyboar­der. Einfach, weil mir das, was ursprünglich nur Demos sein soll­ten, stark genug erschien – eben der Klang von zwei Gitarren. Deswegen haben wir es dabei belassen: Bei einemreinen Gitarren-Album.

Trotzdem hast du später noch Percus­sions und andere Latin-Elemente hinzugefügt – warum?

Das liegt daran, dass ich eine Art musi­kalische Familie habe, mit der ich auf­nehme: Steve Gadd, Jimmy Johnson, Mike Landau, Larry Goldings, Luis Conte, meine vier Sängerinnen und meine beiden Bläser: Walt Fowler und Lou Marini. Sie sind meine Band und Leute, auf deren Meinung und Expertise ich mich verlassen kann. Nachdem das, was ich für Demos gehalten hatte, fertig war, habe ich es ihnen vorgespielt, sie haben sich Gedanken dazu gemacht und dann – wo nötig – ihren Teil hinzugefügt.

Also hier eine Trompete, da eine Kla­rinette oder ein Saxofon, bei drei Stü­cken wirken die Sängerinnen mit und bei den Nummern, die einen Latin-Sound aufweisen, hat Luis Percussions gespielt. Insofern sind das Standards, wie sie meine musi­kalische Familie bringen würde.

Welche Mission verfolgst du mit den Aufnahmen? Geht es dir dar­um, deine Generation an diese Stücke zu erinnern oder willst du damit auch ein neues Publi­kum erreichen?

Ich finde es wichtig, dass die Menschen Zugang zu Songwriting von so hoher Qualität haben. Denn ich fürchte, dass unser Musik­geschmack gerade im Begriff ist, zu verkümmern. In dem Sinne, dass wir zu anspruchslos werden. Das ist jedenfalls meine Meinung. Womit ich die moderne Popmusik meine. Denn Leute wie Jacob Collier und Randy Newman machen ja…

 

weiterhin tolle Sachen. Genau wie Donald Fagen. Das sind Leute, die nach wie vor exzellente Musik schreiben. Aber was sich in den aktuellen Charts tummelt, also die angesagte Musik unserer Zeit, ist unter harmonischen Gesichtspunkten viel zu simpel und zu anspruchslos. Von den Texten ganz zu schweigen. Sie ist längst nicht so originell wie diese Songs.

Darf man fragen, welche Gitarren du auf dem Album verwendest? Wie habt ihr sichergestellt, dass ihr euch nicht klanglich beeinträchtigt?

Wir haben Schallwände zwischen uns platziert. Und wir hatten genug Abstand voneinander, um die Balance so zu verändern wie wir das wollten. Nur: Ein bisschen Einstrahlung lässt sich nie wirklich verhindern. Da ist immer genug vorhanden, dass es beide Mikrofone aufgreifen können. Und die Gitarren, die ich diesmal verwende, sind meine Olsons – gebaut von James Olson aus St. Paul, Minnesota. Die spiele ich schon seit den Mittachtzigern.

James Taylor live mit seiner Olson SJ Cutaway. (Bild: Christie Goodwin)

Gibt es einen Grund, warum du gerade diese Gitarren favorisierst?

Weil sie wirklich gut und vor allem absolut zuverlässig sind. Sie geben mir einfach ein gutes Gefühl beim Spielen – also was die Breite des Halses betrifft und wie sich die Bünde anfühlen. Es sind sehr gut gebaute Gitarren. Und das gilt für jede einzelne von ihnen. John spielt dagegen vorwiegend siebensaitige Gitarren. Also D’Angelico-Archtop-Modelle. Auf diese Weise kriegt er auch die tieferen Töne hin. Und bei einigen Stücken hat er eine Nylon-Gitarre benutzt. Er liefert einen großartigen begleitenden Rhythmus. Wobei es egal ist, wie kompliziert die Akkordwechsel sind: Er kriegt sie trotzdem hin. Musikalisch ist er ein exzellenter Techniker. Er ist unschlagbar in dem, was er tut. Er hat es schlichtweg im Blut.

Angeblich hast du dein Studio eigens für dieses Album um eine Echokammer der Marke Eigenbau erweitert. Was hat dich dazu veranlasst?

Ich wollte einen Analog-Hall. Klar, es gibt mittlerweile auch tolle digitale Halleffekte, also wirklich gute. Doch wenn sie unmittelbar davor sind, abzuklingen, ist da immer ein Punkt, an dem man sie fast nicht mehr wahrnehmen bzw. identifizieren kann, weil sie sich auf einem fast unterbewussten Level bewegen. Genau das macht den Unterschied zum echten Hall aus, wie man es in den Echokammern in den Capitol Studios in Los Angeles oder von Power Station erzielt. Denn die sind einfach nur toll. Und ich wollte unbedingt etwas in der Art bauen – für möglichst wenig Geld.

Deswegen habe ich einen Schiffs-Container gekauft: sechs Meter lang und zweieinhalb Meter breit und hoch. Den habe ich im Inneren durch eine Mauer halbieren lassen und sämtliche Flächen mit Fensterglas ausgestattet. Jetzt ist es reine Erfahrungs- und Ermessenssache, wo du die Lautsprecher und die Mikrofone platzierst. Ein interessantes Projekt. Die billigste Methode, um eine Echokammer zu erhalten.

Von dir stammt der Satz, Musik wäre wie Physik. Inwiefern?

Für mich ist sie das. Das ist meine Überzeugung. Musik ist eine Sprache, die in der Physik verankert ist, und die nichts Willkürliches hat. Das ist auch das Besondere an ihr. Nämlich, dass eine Oktave, eine Quinte oder ein maj7-Akkord physikalische Realitäten sind. Eine Oktave kann die doppelte Frequenz einer anderen haben, auch das ist ein physikalisches Fakt. Und ich denke, wir hören die Gesetzmäßigkeiten des Universums in der Musik. Es ist eine Sprache, die sich mit etwas befasst, das erfahrungsgemäß richtig ist und dessen Echtheit sich nicht leugnen lässt. Während die Sprache, die wir als Menschen sprechen, längst nicht so klar grundiert ist, wie das bei der Musik der Fall ist.

In diesem Sommer wolltest du mit Jackson Browne in den USA auf Tournee gehen.

Ja. Aber die Termine mussten auf Frühling und Sommer nächsten Jahres verschoben werden.

Könntest du dir vorstellen, dieses Package auch nach Europa zu bringen? Und unterstützt ihr euch gegenseitig auf der Bühne?

Alles, was ich weiß, ist, dass ich im Frühjahr 2021 nach Europa komme – aber noch nicht in welcher Konstellation. Mit Jackson zu touren, wäre toll. Aber wir müssen erst einmal abwarten, wie sich dieser Sommer entwickelt und dass er wieder richtig gesund wird. Er war am Coronavirus erkrankt. Aber als ich die letzten Jahre mit Bonnie Raitt unterwegs war, haben wir einander jeden Abend beim Set des jeweils anderen unterstützt. Das ist bei so einem Doppelpack ganz normal – und das ist gut so.

Vielen Dank für dieses Gespräch!

Es war mir ein Vergnügen.

(Bild: Christie Goodwin)

Diskografie

  • James Taylor (Apple, 1968)
  •  Sweet Baby James (Warner, 1970)
  •  Mud Slide Slim And The Blue Horizon (Warner, 1971)
  •  One Man Dog (Warner, 1972)
  •  Walking Man (Warner, 1974)
  •  Gorilla (Warner, 1975)
  •  In The Pocket (Warner, 1976)
  •  JT (Columbia, 1977)
  •  Flag (Columbia, 1979)
  •  Dad Loves His Work (Columbia, 1981)
  •  That’s Why I’m Here (Columbia, 1985)
  •  Never Die Young (Columbia, 1988)
  •  New Moon Shine (Columbia, 1991)
  •  Hourglass (Columbia, 1997)
  •  October Road (Sony BMG, 2002)
  •  A Christmas Album (Hallmark, 2004)
  •  James Taylor At Christmas (Columbia, 2006)
  •  Covers (Hear Music, 2008)
  •  Before This World (Concord, 2015)
  •  American Standard (Concord, 2020)
  •  American Standard (Fantasy, 2020)

(erschienen in Gitarre & Bass 07/2020)

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Kommentare zu diesem Artikel

  1. James Taylor ist ein sehr außergewöhnlicher Musiker der besonderen Töne.
    Ich nahm ihn bereits vor sehr langer Zeit als hervorragenden Schauspieler wahr.In dem uralten kultigen Road Movie mit dem Titel „Two Lane Blacktop“ zu deutsch „Asphaltrennen“,spielte er überzeugend einen recht wortkargen Außenseiter,der mit seinem Mechaniker/Autotuner und Beifahrer spontane Wetten auf illegal veranstaltete Autorennen setzt.Beide reisen deshalb mit ihrem alten,aber sehr leistungsstark frisierten 55er Chevy durch die Staaten.Eben ein sehr gut gemachtes Road Movie,das aufgrund seiner hervorragenden Darsteller schon damals überzeugte.
    James Taylor war bereits in sehr jungen Jahren ein sehr ruhiger aber ausdauernder Charakterschauspieler,und daß er auch als Musiker enorm gut ist,verwundert mich persönlich nicht.

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