Im Interview

Einstürzende Neubauten: 40 Jahre Klangexperiment

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(Bild: Mote Sinabel)

Die Berliner Band um den charis­matischen Frontmann Blixa Bargeld zählt neben Can, Kraftwerk und Neu! zu den großen Avantgardis­ten der deutschen Musikszene. Zum Jubiläum erscheint mit ,Alles In Allem‘ ein neues Album, das mit hypnotischen Grooves und assoziativen Texten eine tiefe Melancholie ausbrei­tet, die beim Hörer lange nachhallt.

,Wedding‘ oder ,Tempelhof‘ sind solche ruhig dahinfließen­den Stücke. Letzteres vertont geradezu impressionistisch einen Spaziergang durch den stillgelegten Berliner Flug­hafen. ,Ten Grand Goldie‘ hingegen fällt lebhafter und tanzbar aus, doch der treibende Beat wird durchbrochen von längeren Pausen oder langsamen Parts, bevor er sich gegen Ende noch einmal ver­dichtet. Die flächigen Keyboard-Sounds über dem melodischen Basslauf in ,Möbliertes Lied‘ erinnern zunächst an den Indie-Rock der 80er, doch geradezu rätselhafte Sounds ziehen das Stück in eine düstere Richtung.

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Auch ,Zivilisatorisches Missgeschick‘ entfaltet mit einem dynamischen Klangteppich eine unheimliche wie gewaltige Wirkung durch bombastische Noise-Ausbrüche und Verfremdungen der Stimme. Und für die ist immer noch Blixa Bargeld hauptverantwortlich. Der Sänger und Gitarrist betont harsch, verbiegt Silben und nimmt so den Worten ihre Eindeutig­keit. Er macht Pausen und es dauert, bis ein Gedanke oder eine Textzeile endlich ihr Ende erreichen.

Die punkige Aggressivität früher Neubauten-Song-Klassiker wie ,Hören Mit Schmerzen‘ oder ,Haus der Lüge/Epilog‘ wurde in ausgewogenere Bahnen gelenkt. Dennoch fordern Blixa Bargeld, N. U. Unruh (perc), Alexander Hacke (b), Jochen Arbeit (g) und Rudolf Moser (kb) nach wie vor ihre Hörer, selbst den Kopf einzu­schalten, Zusammenhänge aufzuspüren und letztlich selbst zu interpretieren. Dies kann man übrigens entweder mit der CD, LP oder dem limitierten Deluxe Boxset. Letzteres enthält neben zwei Vinyls auch noch zwei CDs, auf denen Bonus-Tracks und alternative Versionen zu finden sind. Dazu gibt es dann noch eine DVD und das Buch ,Phase VI‘, das neben Liner-Notes auch handschriftliche Notizen der Musiker zeigt.

Neben ihrer Band verfolgen die Neubauten-Musiker jeweils zahl­reiche andere Projekte. So hat auch Alexander Hacke, den wir zum Interview baten, eine lange musikalische Vita vorzuweisen, in der u.a. Namen wie Crime And The City Solution, Gianna Naninni, Jever Mountain Boys oder Can-Drummer Jaki Liebezeit auftauchen.

Zudem komponierte Hacke Musik für diverse Filme, wie etwa ,Crossing The Bridge – The Sound Of Istanbul‘ oder,8 Miles High‘. Zudem verfolgt er mit seiner Frau Danielle de Picciotto das Duo-Projekt hackedepicciotto. Hier nun ein Gespräch mit Alexander Hacke über Einstürzende Neubauten, das neue Album ,Alles In Allem‘ und Musik im Allgemeinen.

Danielle de Picciotto und Alexander Hacke (Bild: Krisaar)

Alexander, hättest du 1981, als euer erstes Album ,Kollaps‘ erschien, jemals gedacht, dass die Neubauten nach 40 Jahren immer noch zusammen Musik machen?

Nein, ich habe nicht mal gedacht, dass ich volljährig werden würde, und später habe ich nicht geglaubt, dass ich mal 30 Jahre alt werde. Und nun bin ich 55. Ich hätte bezweifelt, dass ich das solange durchhalte. Geschweige denn überhaupt mit irgendeiner Konstellation von Menschen so lange zu tun haben würde.

Du warst 14 als du bei den Neubauten eingestiegen bist.

Richtig, ich bin ab 1980 mit ihnen aufgetreten. Am 25. Dezember 1980 war dann das Konzert in Hamburg in der Markthalle. Da haben wir FM Einheit (perc) und Mark Chung (b) kennengelernt, die kurz darauf einstiegen. Ich wurde zunächst für eine Weile beurlaubt, denn ab da gab es eine richtige Band und ich war ja noch ein Kind. Später habe ich dann die Shows gemischt. Durch den Einfluss der Philosophie von Industrial Music war ich auf den Trichter gekommen, dass ich gar nicht auf die Bühne will, sondern dass ich das Publikum unerkannt, vom Pult aus, manipulieren möchte. Ich habe die Band dementsprechend sehr selektiv gemischt, also Kanäle ausgeschaltet, wenn einer was gespielt hat, das mir nicht gefiel und stattdessen etwas anderes eingespielt.

Und da gab‘s keinen Ärger mit der Band?

Nee, ich bin nur gebeten worden, die Anlage nicht immer schon gleich beim ersten Stück aufzureißen, sondern ein bisschen zu warten. Man hat mir dann immer ein paar kräftige Jungs zur Seite gestellt, die mich dann vor P.A.-Besitzern oder sonst irgendwelchen „Erwachsenen“, beschützt haben. Wir haben Dinge gemacht, bei denen ich nur Kopfschütteln geerntet habe. Ich habe mit Gaffer-Tape Shure-SM58-Mikrofone in die Öffnungen von Plastikkanistern geklebt. Da hieß es dann: Das kann man nicht machen. Doch, das kann man machen und es klingt sogar super!

Klangkünstler vor Ampeg: Alexander Hacke (Bild: Hacke)

Heute spielst du Bass bei den Neubau­ten. Wann hast du mit dem Instrument so richtig angefangen?

Am Anfang habe ich, wie gesagt, am Mischpult gearbeitet. Später bin ich auf die Bühne und habe erstmal Gitarre gespielt. Als Mark Chung 1994 ausgestiegen ist, haben wir uns überlegt, dass ich besser den Bass übernehme und lieber einen neuen Gitarristen einweise. Der Bass war bei den Neubauten immer ein viel wichtigeres Instru­ment als die Gitarre. Mit dem Bass kam für mich auch so ein gewisses Gefühl der Omnipotenz auf, denn ich spiele nun nicht mehr das ornamentale Beiwerk, sondern bin der Grundpfeiler. Inzwischen bin ich auch wirklich gerne verlässlich. Obwohl ich auch früher, als ich vielleicht noch nicht so verlässlich war, stets mit Stolz behauptet habe: Egal wie drüber ich bin, meinen Job kann ich immer noch gut machen.

Kannst du dich an deinen ersten Bass erinnern?

Die Band hatte, nach dem Ausstieg von Mark, einen neuen aktiven Fender Jazz Bass gekauft. Den musste man immer mit Batterien füttern, und das fand ich zum Kotzen. Den haben wir abgestoßen und dann habe ich einen normalen passiven Fender Jazz Bass gespielt. Aber dann wollte ich noch wuchtiger klingen. Für die 2004er-Tour habe ich einen gebrauchten Epiphone Thunderbird gekauft. Ein älteres Modell, zwar unglaublich kopflastig, aber es klang super. Der ist mir dann zwei Jahre später gestohlen worden.

Danach habe ich mir wieder einen Epiphone Thunderbird gekauft, ein Elitist-Modell mit durchgehendem Hals. Der kam dann nach einem Flug im Flightcase mit abgebrochener Kopfplatte an. Das war mitten in der Tour und ich war komplett verzweifelt. Dann habe ich bei Gibson angerufen und sie gebeten mir einen zu leihen. So haben sie mir über viele Jahre einen Thunderbird zur Verfügung gestellt und vor ein paar Jahren haben sie dann gesagt: „Kannst du behalten, ist jetzt dein Bass.“ Seitdem spiele ich einen Gibson Thunderbird der 120th-Anniversary-Edition. Ich liebe ihn und ich glaube nicht, dass ich noch mal einen anderen Viersaiter spielen könnte.

Selten: James Trussart Steelcaster 1999 (Bild: Hacke)

Spielst du auf dem neuen Album auch Gitarre?

Ja, ein bisschen. Ich habe von Recording King eine kleine Parlor-Size Elektro-Acoustic. Die hat einen Goldfolien-Pickup, der scheppert total, und zum Rumbolzen ist das Ding super. Jeder ernstzunehmende Gitarrist würde das Ding furchtbar finden, aber ich liebe es. Diese Gitarre habe ich durch Effekte gejagt, vor allen Dingen durch einen Moog Moogerfooger Ring Modulator.

Eastwood Sidejack Bass VI, Gibson Thunderbird 120th Anniversary und Recording King Dirty 37 Lily Of The Valley (Bild: Hacke)

Wie entstehen die Stücke der Neubauten?

Erstmal ist ganz wichtig zu sagen, dass die Neubauten tatsächlich noch eine total altmodische Band sind, in dem Sinne, dass wir zu fünft in einem Raum stehen und miteinander spielen. Bei den Neubauten forschen wir alle zusammen, und bringen solange Tonabnehmer an den unterschiedlichen Stellen eines Objekts an, bis es klingt. Wir haben vor ein paar Jahren ein Kompositionssystem entwickelt das Dave heißt, benannt zum einem nach dem Spielfilm ,The Nine Lives of Tomas Katz‘, zum anderen nach der Lieblingsstimme auf Blixas Navigationsgerät. Auf der neuen Platte haben wir die Stücke hauptsächlich mit Dave komponiert, abgesehen davon, wenn mal einer mit einer Akkordfolge ankam, oder es eine Art von konzeptioneller Textidee gab.

Und wie funktioniert Dave?

Das ist ein Kartensystem, das aus ungefähr 600 Karten besteht. Blixa hat sich mal den gesamten Backkatalog der Neubauten angehört und auf Karteikarten irgendwelche markanten Dinge notiert. Das kann sein „Durch die Saiten“, „Alex fängt an“ oder „Eine Schale Obst“ – sehr abstrakt teilweise. Bevor wir loslegen, zieht jeder ein paar Karten und überlegt sich, wie er die Anweisungen interpretiert. Das führt dazu, dass die Leute nicht ihre normalen Instrumente spielen, sondern etwas ganz anderes machen. Man könnte behaupten, dass Dave etwas mit dem Brian-Eno-System Oblique Strategies zu tun hat, aber das sind nur 64 Karten. Insofern ist unseres etwas ausschweifender und Neubauten-spezifisch.

Edelzerrer: Animal Factory Amplification Godeater, Pit Viper und Reuss Musical Instruments RSH-03 (Bild: Hacke)

Du hast auch schon Filmmusik produziert, u.a. für Regisseur Fatih Akin. Letztlich ist dies gar nicht soweit weg von den Neubauten, die ja auch cineastische Qualitäten besitzen.

Ja. Übrigens eins der interessantesten Betätigungsfelder überhaupt, diese Kombination aus visueller und akustischer Information. Die ergibt ein drittes Element, das sich außerhalb des Einflusses des Musikers und des Filmschaffenden abspielt. Die Musik, die ich mit hackedepicciotto mache, nennen wir Cinematic Drone. Wir erschaffen Soundscapes, die eine längere Erzählstruktur vor dem geistigen Auge entstehen lassen, also eine Dramaturgie, die wenig mit dem üblichen Song-Schema zu tun hat.

Hackes selbstgebaute Basskrücken (Bild: Hacke)

HACKEQUIPMENT

● Live:
Gibson Thunderbird 120th Anniversary (GHS .105er-Saiten), Ampeg SVT Classic mit 8×10“-Box, Line 6 Basspod XT

● Studio:
– Gitarren (Ernie Ball Heavy Bottom/Jim Dunlop Nylon .88 Pick): Gretsch G6120 Chet Atkins 1966, James Trussart Steelcaster 1999, Fender F-03 Western Gitarre, Recording King Dirty 37 Lily Of The Valley
– Gold Tone CC-BG Banjo
– Amps: Lab Series L5 Transistor-Combo, Marshall JCM 900
– Effekte: Animal Factory Amplification Godeater und Pit Viper, Moog Moogerfooger Ring Modulator, Reuss Musical Instruments RSH-03, Boss RE-20 Space Echo und RC-20 XL Loop Station, Fulltone OCD

● Mit hackedepicciotto:
Eastwood Sidejack Bass VI mit D‘Addario .024-.084

(erschienen in Gitarre & Bass 07/2020)

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