Einmal Hölle und zurück

Interview: Architects

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(Bild: Ed Mason)

Fünf Jahre nach dem tragischen Krebstod von Gitarrist und Gründungsmitglied Tom Searle verlassen die Szene-Giganten die bekannten Gefilde des Metalcore zugunsten von elektronischen Soundexperimenten, ausschweifenden Orchester-Arrangements und viel mehr Melodie.

‚For Those That Wish To Exist‘ ist der eindrucksvolle Beweis der Engländer, dass sich Metal nicht selbst verraten muss, um sich weiterzuentwickeln: Die Gitarristen Adam Christianson und Josh Middleton reden über die Bequemlichkeit von Kemper-Profilern, Vorteile höherer Tunings und die Rolle der Gitarre in einem Meer aus Synthesizern.

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INTERVIEW

Josh und Adam, neben Brechern wie ‚Libertine‘ überrascht euer Album vor allem mit melodischen Pop-Anleihen, wie etwa in ‚Flight Without Feathers‘. Wie kam der elektronische Sound von ‚For Those That Wish To Exist‘ zustande?

Adam: Vieles davon kommt von Dan (Searle, Drummer und Produzent, Anm. d. Red.). Er hat viel zum Album beigesteuert und ist sehr gut darin, Musik zu programmieren, Keyboard zu spielen und hat mit unterschiedlichen Sounds experimentiert und so diese tollen Ideen hinbekommen.

Euren Vorgänger ‚Holy Hell‘ hatte er ja auch schon produziert.

Josh: Genau, dieses Mal war sein Beitrag sogar noch sehr viel größer. Ich glaube, er hatte bei ‚Holy Hell‘ nicht erwartet, in dieser Position zu sein, hätte man es ihm zwei Jahre davor erzählt. Bei allem, was mit Tom (Dans Bruder, Anm. d. Red.) passiert ist, lag Dans Fokus mehr bei ihm und der Band im Allgemeinen. Er hatte in der Vergangenheit nicht viele Songs geschrieben, aber als wir dann an ‚Holy Hell‘ arbeiteten, arrangierte und produzierte er sehr viel. Und über die letzten Jahre fing er dann an, mit seinem Laptop und Synthesizern wirklich zu komponieren.

Jedes Jahr kommen unzählige Metalcore-Alben heraus, die sich klanglich seit 2010 nicht besonders weiterentwickelt haben, während mit euch und Bring Me The Horizon zwei der größten Szene-Bands in andere Richtungen experimentieren. Ist der klassische Metalcore-Sound Geschichte?

Adam: Ich glaube nicht. Zumindest hängt es von der Band ab: Wenn man es, wie wir, schon seit einer Weile macht, kommt man zu einem Punkt, an dem man wachsen will. Nicht nur für die Band, sondern auch für sich selbst als Musiker und kreative Person. Wir wollten die Grenzen verschieben und herausfinden, was möglich ist. Jeder von uns hat einfach sehr unterschiedliche Einflüsse: Wir mögen eigentlich alles von Pop über Filmmusik bin hin zu härterem Kram und alles, was dazwischen liegt. Das mixen wir dann gerne zusammen für unser zukünftiges Material.

Josh: Manche Leute sagen, Metalcore wäre altbacken. Und die letzten drei Architects-Alben waren stilistisch sehr ähnlich, wir wollten also mit merkwürdigen Riffs herumexperimentieren. Sichergehen, dass sie immer noch herausstechen.

Bisher war die E-Gitarre immer das Hauptinstrument eurer Musik. Hat sich auch das geändert? Was bedeutet eure Entwicklung für euch aus einer Gitarristen-Perspektive?

Josh: Da hast du recht – die Gitarre ist mehr in den Hintergrund getreten. Es geht nicht einmal unbedingt darum, Platz für Synths und elektronische Instrumente zu machen, sondern, dass die Songs an sich schon weniger Riff-basiert sind.

Wir haben eher einen Industrial-Zugang zu den Songs und sehen sie weniger als eine Ansammlung von Riffs, sondern mehr als ganze Lieder. Wir empfinden die Gitarre fast als eine Verzierung für die Synthesizer. Auch die härteren Songs wie ‚Black Lungs‘ haben einen Octave-Effekt auf den Gitarren, was sie noch mehr wie einen Synth klingen lässt. Sogar die Gitarren klingen nicht wie normale Gitarren! (lacht)

Ihr habt bislang üblicherweise mit einem Drop-F#-Tuning gespielt. Da hat trotzdem noch ein Octaver reingepasst?

Josh: Das ist der Grund, wieso wir den Effekt benutzt haben: Es gibt keinen Song in diesem Tuning auf dem Album. Ich habe mit Dan darüber gesprochen, als er ‚Dead Butterflies‘ mitgebracht hat. Er hatte den Song auf seinen Synths so geschrieben, dass er mit Drop-F# auf der Gitarre gespielt werden würde. Ich sagte ihm, dass so, wie sich die Band momentan entwickelt, mit Konzerten in großen Arenen, dieses F# einfach verlorengeht. Besonders im Bass – du kannst es nicht hören, du kannst es noch nicht einmal richtig fühlen. Lass es uns also mit höheren Registern versuchen.

Außerdem passen die Vocals von Sam (Carter, Sänger, Anm. d. Red.) im Bereich zwischen C und E einfach besser. Und wir wollten nicht noch weiter runter nach E stimmen! (lacht) Deshalb gibt es viele Songs in höheren Tonarten auf dem Album. Entweder haben wir höher auf dem Griffbrett gespielt, oder ein Drop-B-Tuning verwendet. Den Octave-Effekt haben wir benutzt, um das tiefe Architects-Feel zu behalten – wir sind eben bekannt für tiefe Stimmungen, das dicke Low-End. Der Octaver erlaubt es uns, in Tonlagen zu spielen, die besser zur jetzigen Band und Sams Gesang passen, ohne den mächtigen Architects-Gitarrenvibe zu verlieren.

Haben eure elektronischen Experimente Einfluss auf euer Gitarrenspiel gehabt?

Josh: Ich glaube nicht. Adam und ich würden von uns eigentlich sagen, dass unser Gitarrenspiel sehr rund ist. Das Riffing ist vielleicht etwas weniger technisch, die Gitarrenparts also leichter. Es gibt aber mehr interessante Texturen und unterschiedliche Sounds als zuvor.

Adam: Vielleicht ändert sich bei den Shows, wie wir die Songs spielen. Wenn man live weniger stressige Gitarrenparts hat, könnte es etwas damit machen, wie du das Konzert erlebst – aber das können wir ja noch nicht wissen.

Zum ersten Mal überhaupt habt ihr Feature-Gäste auf eurem Album, und mit Winston McCall von Parkway Drive, Simon Neil von Biffy Clyro und Mike Kerr von Royal Blood drei der momentan größten Rock-Sänger.

Adam: Ja, das kam teils durch Freundschaft, teils durch Bewunderung für diese zustande. Mike ist ein guter Freund von uns, da seine Band ja auch aus Brighton kommt. Winston von Parkway kennen wir seit etlichen Jahren, das war also auch naheliegend und ich finde, er passt hervorragend auf den Song. Ich glaube aber, niemand von uns kennt Simon wirklich auf persönlicher Ebene, aber wir waren immer große Fans von Biffy Clyro. Über Social Media haben wir dann erfahren, dass sie auch ArchitectsFans sind – es gab also einen gegenseitigen Respekt. Und ich finde, sie alle haben einen unglaublichen Teil auf den Songs geleistet.

Josh: Wegen der Umstände des vergangenen Jahres haben wir leider keinen von ihnen zum Recording gesehen. Sie haben sich einfach selbst von zuhause aus aufgenommen. Ich muss Simon also noch kennenlernen!

Wie habt ihr eure Gitarren für das Album aufgenommen?

Adam: Der Gitarrensound kam von einem Kemper-Profil eines Peavey 6505 Plus, mit einem Maxon OD808 davor und einem Mesa Boogie Oversized Cab dahinter.

Peavey 6505 Plus mit vorgeschaltetem Maxon OD808 (Bild: Adam Christianson / Josh Middleton)

Live spielt ihr schon länger mit Kemper, im Studio habt ihr aber bisher mit analogen Amps gearbeitet.

Josh: Ja, in Anbetracht der Umstände war es aber einfach viel leichter. Früher, auch bei ‚Holy Hell‘, hat Nolly (Produzent und Periphery-Gitarrist, Anm. d. Red.) die Gitarren immer gereampt, nachdem wir rohe DI-Signale für ihn aufgenommen haben. Dieses Mal haben wir alles selbst produziert, nur nicht gemischt. Und dafür war der Kemper dann die einfachste Wahl, ohne die Nachbarn zu ärgern.

Welche Gitarren kamen auf dem Album zum Einsatz?

Josh: Vor allem mein neues Signature-Modell von ESP, eine LTD JM-II. Die basiert auf der M-II und es wurde einfach ein “J” angefügt, ein Wortspiel für Josh Middleton – das fand ich witzig. Adam und ich haben sehr ähnliche Vorstellungen vom Design einer Gitarre, zumindest auf klanglicher Ebene: Korpus aus Erle mit geschraubtem Hals, das ist eine wirklich tolle Kombination.

Joshs ESP LTD JM-II Signature (Bild: Josh Middleton)

Der Erlen-Korpus betont gut die Mitten und der geschraubte Hals diesen etwas anderen, bissigen Attack, der sich besonders bei heavy Sounds gut durchsetzt. In meinem Home-Studio habe ich außerdem bestimmt neun verschiedene Amps: Vier verschiedene Versionen vom Peavey 5150, die ich über einen Kemper mit eigenen Profilen auch live spiele. Das ist so viel einfacher auf Tour, gerade international: Den gleichen In-Ear-Monitormix zu haben, jeden Abend.

Adam: Ich spiele mehrere verschiedene Gitarren: Zwei Custom LSL Baritone Telecaster aus Erle oder Sumpfesche. Ich mag die einfach wegen ihrer Tiefe, selbst wenn wir in einer G#-Stimmung spielen, also einem tieferen Standard-Tuning. Dann spiele ich noch eine moderne Mayones Regius 6 MBC von 2013, ein Superstrat-Typ, und eine andere im Les-Paul-Stil. Bei Amps handhabe ich das genauso wie Josh: Ich habe einige zuhause, toure jedoch ausschließlich mit dem Kemper.

Adams LSL Instruments Signature Baritone Telecaster
Adams Mayones Regius 6 MBC 2013

Touren war ja eher schwierig im vergangenen Jahr, ihr habt im November dennoch ein spektakuläres Livestream-Konzert in der Royal Albert Hall gespielt.

Adam: Das war supercool! Es war definitiv ein etwas anderes Erlebnis, besonders an einem Ort mit dieser Geschichte und Atmosphäre – und dann auch noch komplett leer. Das was irgendwie merkwürdig, aber auch spannend, da es uns Dinge erlaubte, die wir normalerweise nicht tun können: Licht, Kamera usw. Ich kann nicht behaupten, dass es ein echtes Konzerterlebnis ersetzen würde, diese Verbindung mit dem Publikum und das Gefühl währenddessen. In dieser Situation war es aber eine tolle Erfahrung.

Josh: Da stimme ich dir zu. Und weil es immer normaler für Bands wurde, Livestream-Konzerte zu geben, wollten wir sichergehen, dass es wirklich gut wird. Dass die Fans es wertschätzen können und es sich auch wie ein besonderes Event anfühlt. Und sie sich darauf freuen – und, sofern es erlaubt ist, dabei mit einem Freund oder einer Freundin vielleicht zuhause etwas trinken.

(erschienen in Gitarre & Bass 05/2021)

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