Magische Momente

Dave Grohl über Sound City

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Mit Nirvana und den Foo Fighters hat Dave Grohl Musikgeschichte geschrieben, sich als Dauerbrenner und Multitalent bewiesen, und viele illustre Bewunderer gefunden.

Dave im Studio
(Bild: Sony)

Was er nun, sein bislang ehrgeizigstes Projekt nutzt: „Sound City“. Eine Kombination aus Film und Soundtrack, die sich als Hommage an eines der wichtigsten Tonstudios der Welt versteht – und als trojanisches Pferd, um die globale Jugend wieder für ehrliche, handgemachte Töne zu begeistern. Eben mit magischen Momenten …

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Tatort: Der Ventura Boulevard im sogenannten Valley von Los Angeles. Hier, wo die Millionenmetropole täglich von 9 to 5 in anonymen Bürogebäuden robotet, liegt auch das Hauptquartier von Roswell Production, Dave Grohls Filmfirma.

Ein langer Trakt von kleinen, fensterlosen Büros, der in einem gemütlichen Aufenthaltsraum mündet, in dem der zweifache Familienvater Gitarre & Bass empfängt – und trotz elf Grammies, mehrerer Millionen verkaufter Tonträger und gigantischer Stadiontourneen immer noch aussieht, wie eh und je: Lange, schwarze Haare, Vollbart, Holzfällerhemd, abgewetzte Jeans und schwere Bikerboots. Eben genau so, wie man es von jemandem erwartet, der ein derart missionarisches Projekt wie „Sound City“ lanciert, mit Herz und Seele bei der Sache ist, das Ganze mit seinem eigenen Geld finanziert und damit nicht nach gigantischem Profit strebt, sondern wirklich etwas bewegen will.

Der nicht länger bereit ist, den Relevanzverlust von Rock-Musik im Vergleich zu Games, Gadgets und Co. hinzunehmen, der in der zunehmenden Technisierung bei der Produktion und dem Konsum von Musik die Wurzel für die Krise der Branche erkennt, und der den Kids einfach mal wieder vor Augen führen möchte, was sie da eigentlich verpassen, wie geil Rock sein kann und worauf es dabei ankommt.

Weshalb „Sound City“ denn auch als Parabel fungiert: Ein Studio in Van Nuys, das im Mai 2011 Konkurs anmelden musste, weil es sich dem digitalen Zeitalter verweigerte. In dem aber zwischen 1970-2011 jede Menge Album-Klassiker von ,Rumors‘ (Fleetwood Mac) über ,Death Magnetic‘ (Metallica) bis hin zu ,Nevermind‘ (Nirvana) entstanden.

Die perfekte Kulisse für den Kult-Streifen „Boogie Nights“ lieferte, und dessen Herzstück ein maßgefertigtes Neve-8028-Mischpult war. Letzteres befindet sich nun im Grohlschen Privatbesitz und kam auch bei ,Real To Reel‘, dem korrespondierenden Soundtrack zum Einsatz, der ein regelrechtes who is who der Rock-Welt auffährt und – neben der Doku, die zeitgleich auf DVD erscheint – schon jetzt zu den wichtigsten Veröffentlichungen des Jahres zählt.

Dave, was macht Sound City – in deinen Augen – zu so einem wichtigen Studio? Und welche Relevanz hat es für die Rock-Musik?

Das Tolle an Sound City war, dass es so etwas wie ein gut gehütetes Geheimnis war. Und das, obwohl da eine Menge berühmter Platten entstanden sind. Aber weil es halt im Norden von Los Angeles lag, war es vielen Leute einfach zu weit weg vom Schuss. Schließlich sind 15 Kilometer in L.A. so etwas wie 150 Kilometer an jedem anderen Ort der Welt. (lacht)

Und insofern war es so etwas wie die Spielwiese derjenigen, die es wirklich zu schätzen wussten. Sprich: Es war niemals ausgebucht. Nie zu kommerziell. Nie ungemütlich. Sondern eher wie die perfekte, alte Jeans, die du anziehst und dich sofort wohl darin fühlst. Und das ist eine der Sachen, die ich daran geliebt habe. Genau wie den Klang des Studios, der unglaublich voll war – eben wegen eines wunderbaren Live-Raums, der hervorragend fürs Schlagzeug geeignet war. Und das Mischpult, das alte Neve, war eine Maßanfertigung. Eine einmalige Sache. Eben das legendäre Sound-City-Board. I

ch meine, es gibt viele gute Mischpulte im Großraum Los Angeles. Aber das von Sound City hatte seine eigene Persönlichkeit. Und sei es nur, weil es in diesem ehemaligen Lagerhaus stand, in diesem schmutzigen, alten Raum, in dem die Teppiche und die Tapete nie gewechselt wurden. Einfach, weil es so toll klang, und weil es seine eigene Legende war. Deshalb war Sound City so cool. Ganz abgesehen davon, dass sie eines der wenigen Studios waren, die nie ein Pro-Tools-Rig gekauft haben. Da wurde alles per Band gemacht. Weshalb man da auch nicht hingefahren ist, um ein Daft-Punk-Album aufzunehmen, sondern um es ordentlich krachen zu lassen. (lacht) Genau dafür haben wir es geliebt. Für jemanden wie mich war es ein Spiegelbild meiner Persönlichkeit.

Was aber auch der Grund war, warum es im Mai 2011 Konkurs anmelden musste …

Ich weiß! (lacht) Ich bin halt total zurückgeblieben. Aber es stimmt. Und ein weiterer Grund, warum ich den Film gedreht habe war, dass viele dieser Studios wie Sound City längst verschwunden sind – und noch keiner ihre Geschichte erzählt hat. Dabei wurde in diesen Räumen Geschichte geschrieben. Und für mich sind es Gebäude, die auf einer Ebene mit Museen, Kirchen oder Kathedralen stehen. Also Orte, die unglaublich wichtig für die Popkultur sind, und die Welt verändert haben.

Und mitzubekommen, dass sie einfach so verschwinden, ohne dass ihnen jemand Tribut zollt, ist traurig. Also wenn das zum Beispiel das Haus von George Washington in Mount Vernon wäre, und sie hätten vor, das abzureißen, weil es baufällig wäre – oh mein Gott, dann gäbe es einen riesigen Proteststurm. Aber am Schicksal von Sound City scheint sich niemand zu stören. Dabei war es verdammt wichtig. Und ich schätze mich glücklich, dass ich die Möglichkeit habe, seine Geschichte zu erzählen. Denn seien wir ehrlich: Ohne den Raum und ohne das Mischpult wäre ich heute wahrscheinlich gar nicht hier. Von daher war es so etwas wie meine persönliche Mission, diesen Film zu drehen.

Warum hast du das nicht früher getan – vielleicht hättest du das Studio mit deinem Engagement sogar retten können?

Schon möglich. Aber es fing damit an, dass ich das letzte Foo-Fighters-Album in meinem Haus produzieren wollte, da aber nicht die notwendige Technik hatte. Ich besitze zwar ein Studio im Valley von Los Angeles, nicht weit von Sound City, aber ich habe nach einem coolen Pult gesucht, das ich in meine Garage stellen konnte. Da meinte irgendwer: „Du solltest Shivaun O’Brien bei Sound City anrufen, die Studiomanagerin. Sie verkaufen gerade das Equipment aus Studio B.“

Also habe ich mich bei ihr gemeldet, und sie war ziemlich geknickt. Die Geschäfte liefen schlecht, sie konnte die Rechnungen nicht bezahlen und veräußerte Studio-Equipment, um überhaupt geöffnet zu bleiben. Ich meinte zu ihr: „Solltet ihr je das Pult aus Studio A verkaufen, meldet euch bitte bei mir.“

Und sie: „Eher verkaufe ich meine Großmutter, als dass ich mich von dem Board trenne.“ Aber ein paar Monate später war es so weit – sie mussten endgültig schließen, weil sich zu viele Schulden angehäuft hatten. Da riefen sie mich an, und wollten wissen, ob ich das mit dem Pult ernst gemeint hätte. Ich habe nicht mal gefragt, was es denn kosten solle, sondern spontan zugesagt. Und zwar, weil mir das wichtig war. Eben, als ob man das Haus kauft, in dem man geboren wurde – und zu dem man eine besondere Beziehung hat. Genau die habe ich zu Sound City und dem Mischpult.

Und das Neve-Board steht jetzt im 606, deinem Studio?

Ganz genau. (grinst) War Rick Rubin, der Stammkunde in Sound City war, nicht angefressen, dass du ihm zuvorgekommen bist? Ich denke, die Leute von Sound City haben es ganz bewusst mir überlassen, weil sie wussten, dass ich es regelmäßig benutzen würde. Und dass ich es nicht einfach zerlege und die Einzelteile verkaufe. Denn es gibt eine Menge Leute, die solche alten Schätzchen nur deshalb erwerben – um einen Kanal nach dem anderen zu veräußern, weil die halt sehr wertvoll sind. Aber sie wussten, dass ich das niemals tun würde.

Also dachten sie sich: „Geben wir es Dave – er macht bestimmt ein paar tolle Platten damit.“

Wenn du dir die Alben, die in den letzten 40 Jahren in Sound City entstanden sind, vor Augen führst, hast du da persönliche Favoriten?

Das ist schwierig. Einfach, weil so viele von meinen Lieblingsalben in Sound City entstanden sind. Die Eagles Of Death Metal haben hier zum Beispiel mehrere Alben aufgenommen. Und ich liebe ,Rated R‘ und ,Lullabies To Paralyze‘ von Queens Of The Stone Age. Genau wie ,Damn The Torpedoes‘ von Tom Petty, das so etwas wie der Soundtrack zu meiner Kindheit war. Oder Cheap Tricks ,Heaven Tonight‘ – für mich ein unglaublich wichtiges Album.

Also gleich neben dem Debüt von Rage Against The Machine und dem allerersten Album von Frank Black & The Catholics. Ein echter Geniestreich! Und sie haben es komplett live aufgenommen, ohne Overdubs. Franks Proberaum lag damals auf der anderen Straßenseite, und jedes Mal wenn sie einen Song fertig hatten, sind sie rüber in den großen Live-Raum, und haben es mit einer 2-Spur-Bandmaschine aufgenommen. Also komplett live. Was brillant geklungen hat. Eben richtig, richtig gut. Es ist das perfekte SoundCity-Album.

Was ist mit den mystischen Geschichten, die sich um die Lounge drehen? „Boogie Nights“ wurde da bestimmt nicht ohne Grund gedreht, oder?

Ganz bestimmt nicht. (lacht) Und ich erinnere mich noch genau daran, wie es war, als ich zum ersten Mal dort war. Nämlich mit Nirvana – zu den ,Nevermind‘-Sessions. Wir schauten uns da um, waren ziemlich entsetzt und wollten gar nicht wissen, was da schon alles abgegangen war. Wir haben uns wirklich davor geekelt, irgendetwas anzufassen. Einfach, weil es so abgerockt, so schäbig und voller verdächtiger Flecken war. Diese Möbel hatten also wirklich einiges erlebt.

Nicht umsonst gibt es da die haarsträubendsten Geschichten …

Sound City war das erste richtige 24-SpurStudio, in dem ich je aufgenommen habe. Also es war quasi das erste Mal, dass ich ein Album unter professionellen Bedingungen gemacht habe. Und wir waren wirklich baff, wie toll es klang. Ich weiß nicht mehr, welchen Song wir als erstes aufgenommen haben – ich denke es war ,In Bloom‘. Aber als wir es uns im Kontrollraum angehört haben, war das besser als alles, was wir bis dato gemacht hatten.

Sprich: Kein Vergleich zu ,Bleach‘ oder den Peel Sessions. Es klang einfach nach ,Nevermind‘. Und wir dachten: „Oh mein Gott, das Schlagzeug klingt unglaublich fett.“ Dabei waren wir nur kurze Zeit in dem Studio. Also 16, 17 Tage. Und es hat sich auch niemand für uns interessiert – weil uns keiner zugetraut hat, dass wir mal eine richtig große Band werden könnten. Irgendwann habe ich unseren Manager angerufen und gefragt: ,Es war noch niemand von der Plattenfirma hier. Sollten wir uns darüber Sorgen machen?“

Die Antwort war: „Auf keinen Fall! Du solltest froh sein, dass sie nicht dort sind. Das wäre das Schlimmste, was dir passieren könnte.“ Ich meine, wir haben nicht einmal Fotos von den Sessions gemacht. Die drei Motive, die im Film auftauchen, sind die einzigen, die existieren. Aber: Es war eine lustige Zeit. Ich meine, wir waren noch Kinder.

Angeblich hast du das Album seit Kurt Cobains Tod nicht mehr gehört. Stimmt das?

Ich habe es sogar öfter gehört. Zum Beispiel als wir mit Butch Vig an der letzten Foo-Fighters-Platte gearbeitet haben. Da haben wir uns zusammen hingesetzt, ein paar Bier geköpft und uns geradezu totgelacht. Einfach weil das dieses Ding ist: Wenn du mit Leuten zusammensitzt, mit denen du gewisse Erinnerungen teilst, und diese in geselliger Runde wieder in dir hochkommen, dann ist das einfach super-witzig.

Gerade wenn es Butch Vig, Krist Novoselic, Pat Smear und ich sind, die da zusammenhocken. Das ist unfassbar lustig. Einfach, weil wir alle ganz unterschiedliche Anekdoten und Geschichten zu ,Nevermind‘ parat haben. Mit Sound City verhält es sich ähnlich.

Was ist mit ,Real To Reel“, dem Soundtrack? Bist du da einfach dein Adressbuch durchgegangen und hast jeden angerufen, den du im Laufe der Jahre kennengelernt hast?

Nicht wirklich. Die Idee ist eher: Wir reden da über die Geschichte des Studios, über all die Platten, die dort entstanden sind, und mit den Musikern, die da gearbeitet haben. Wir reden über Gefühle, über Kollaborationen und über Kommunikation mit Musikern. Nur: Es ist eine Sache, darüber zu lamentieren. Es dann am Ende des Films auch zu demonstrieren, sagt aber noch viel mehr.

Wenn du zum Beispiel Paul McCartney mit den Jungs von Nirvana erlebst, wie sie in zwei Stunden einen Song schreiben und einspielen, ist das pure Magie. Etwas, das sich gar nicht in Worte fassen lässt.

Auf dem alten Neve-Board?

Auf dem alten Board. Und das sagt alles. Ich meine, ich kann es nicht beschreiben, wie verdammt cool dieser Tag war. Und deshalb erlebt es jetzt jeder selbst – indem wir es im Film zeigen. Wobei die Zuschauer hoffentlich eine ähnliche Gänsehaut bekommen wie ich. Und genauso ist es mir übrigens auch bei den Sessions mit Stevie Nicks oder Rick Springfield ergangen.

Wobei das Album ausschließlich neue Musik enthält. Ich spiele da Schlagzeug mit Black Rebel Motorcycle Club. Gitarre mit Chris Goss und Brad und Timmy von Rage Against The Machine, und je einen Song mit Stevie Nicks bzw. Rick Springfield. Außerdem ist da ein großartiges Stück mit mir am Schlagzeug, Josh Homme am Bass und Trent Reznor an Gitarre & Keyboards. Es ist eine wirklich magische Platte.

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