Gitarrist und Bassist des Metalcore-Quartetts im Gespräch

Blick über den Tellerrand: Jinjer im Interview

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(Bild: Alina Chernohor)

Im Lauf der Jahre haben sich Jinjer von einer relativ herkömmlichen Metalcore-Band, die allenfalls durch ihre stimmgewaltige Sängerin Tatiana auffiel, zu spannenden Genre-Freischwimmern entwickelt, die ein breites Spektrum knallharter Musik abdecken und auch gerne über deren Tellerrand schielen. Die jüngste Zuspitzung dieses Fortschritts hört man auf ‚Wallflowers‘, dem vierten Album des 2009 in der Ukraine gegründeten Quartetts, worüber wir mit Gitarrist Roman Ibramkhalilov und Bassist Eugene Abdukhanov sprachen.

INTERVIEWS

(Bild: Oleg Rooz)

EUGENE ABDUKHANOV: TECHNIK, DIE BEGEISTERT

Eugene, mittlerweile hört man den Bass in eurer Musik sehr gut, was bei Veröffentlichungen aus dem härteren Segment eher die Ausnahme als eine Regel darstellt.

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Das stimmt, aber ich komme in Hinblick darauf von Bands wie Nirvana, mit denen für mich alles angefangen hat. Als ich Krist Novoselic auf ‚Nevermind‘ hörte, wurden sein Sound und Stil zu einem Maßstab für mich. Er klingt unheimlich präsent, obwohl er simple Linien spielt, doch auf so effektive Weise muss man das erst mal können. Das Album ist nicht nur ein Rockklassiker, sondern verfügt auch über eine der am besten klingenden Bass-Produktionen aller Zeiten.

Euer Stil ist aber technischer als der von Nirvana: Wer sind dahingehend deine Vorbilder?

Vor allem Sean Malone von Cynic, der ja leider nicht mehr lebt. Wenn ich beim Schreiben nicht mehr weiterweiß, höre ich mir ihr erstes Album ‚Focus‘ an, um mich inspirieren zu lassen, das funktioniert immer. Ich folge den Gitarrenriffs generell ungern, weil das das Stigma des Rockbass ist. Obwohl Sean ein bundloses Instrument spielte, habe ich mir auch für unser neues Album viel von ihm abgeschaut.

Siehst du dich auch als vollwertigen Songwriter?

Wir haben keinen Hauptkomponisten, und ich habe im Lauf der Jahre immer mehr beigesteuert. Als Schlagzeuger Vlad Ulasevich 2016 hinzustieß, war das bahnbrechend für unsere weitere Entwicklung. Er ist der einzige richtig „gelernte“ Musiker unter uns und hat immer sehr gute Einfälle, wodurch wir ein in jeder Hinsicht viel höheres Niveau erreicht haben. Tatsächlich stammt ein Großteil der Tracks auf ‚Wallflowers‘ in den Grundzügen von ihm. Niemand gibt den anderen vor, was sie zu spielen bzw. zu singen haben, sodass man bei uns wirklich von Gemeinschaftsarbeit sprechen kann. Zu Diskussionen oder gar Streit kommt es selten.

(Bild: Alina Chernohor)

Woher hast du deinen Hang zu beidhändigem Tapping?

Von Stu Hamm, er gehört auch zu meinen Idolen. Ich war völlig geplättet, als ich zum ersten Mal Videos von ihm auf YouTube sah, und fand erst später heraus, dass es eigentlich eine Menge Bassisten gibt, die diese Technik einsetzen. Das war ja in den 1980ern ein Riesending. Im Metal bin ich dann bei Tony Choy hängengeblieben. Was er 1993 auf ‚Elements‘ von Atheist abgerissen hat, ist fantastisch. Bei alledem muss ich sagen, dass ich mir immer meinen eigenen Reim auf die Sachen gemacht habe, die ich aufschnappte, weil ich ja Autodidakt bin. Probieren geht über Studieren. Das ist für einen individuellen Stil maßgeblich, finde ich. Am Tappen gefällt mir besonders die Tatsache, dass es dem Klavierspielen ähnelt, und das kommt mir entgegen, weil ich gern visuell in Griffmustern denke.

Man hat dich schon mit Instrumenten von Fodera und Ibanez gesehen. Hast du einen Lieblingsbass?

Nein, aber mein erstes Hauptinstrument ist jetzt ein Custom-Modell von Stas Pokotylo, das ich vornehmlich im Studio einsetze. Man hört es unter anderem auf unserem Live-Album ‚Alive From Melbourne‘, das letztes Jahr herauskam. Stas fertigt sehr gute Kopien klassischer Modelle an und fügt ihnen seine eigene Note hinzu. Mein zweiter Hauptbass stammt von Overload Guitars, heißt Achilles und hat fünf Saiten, nachdem ich schon einen Taurus-Viersaiter der Firma gespielt hatte.

Welche Equipment präferierst du?

Ob du es glaubst oder nicht, aber Amps sind echt nicht so wichtig für mich, solange ich gute Lautsprecher habe. Bei Konzerten habe ich einen Little Mark III von Markbass, der klein und leistungsstark ist, während der Sound clean bleibt. Dazu setze ich sowohl 2×12- als auch 8×10-Boxenkombinationen ein, auf die ich mich auch im Studio verlasse. Bei Saiten schwöre ich auf D’Addario; das dürfte bei den meisten Bassisten eine persönliche, subjektive Angelegenheit sein, aber zumindest für mich gibt es nichts Besseres.

Man hört, du hättest ebenso gut Profi-Sportler werden können.

Ich war als Teenager tatsächlich sehr sportlich. Bevor ich mit dem Bass anfing, begeisterte ich mich für Jiu Jitsu und Judo. Während meines Universitätsstudiums stand ich aber irgendwann an einem Scheideweg: Ich wollte unbedingt den Abschluss machen und hatte mich obendrein verletzt, weshalb ich meine sportlichen Tätigkeiten zurückschrauben musste. Schließlich hörte ich auf, an Wettkämpfen teilzunehmen, und als ich mir mit 20 bei einer Schlägerei die Hand brach, war es endgültig aus. Ich zog einen Schlussstrich und wählte Musik als meinen Lebensweg. Ganz ehrlich: Ich kann mir jetzt nicht mehr vorstellen, ohne die Band zu leben.


(Bild: Daria Moiseieva)

ROMAN IBRAMKHALILOV: DIE ⅔-⅓-Formel

Roman, wie bist du Musikfan und selbst Musiker geworden?

Ich habe ungefähr zur selben Zeit mit dem Musikhören angefangen wie mit dem Akustikgitarrenspiel. Dazu besuchte ich aber keine Schule oder Unterricht, sondern ließ mir ein paar Akkorde und einfache Songs von älteren Freunden zeigen. Dafür musste ich ihnen versprechen, abends mit ihnen zusammen auf der Gitarre meines Vaters in unserem Garten zu spielen. Damals war ich sieben oder acht Jahre alt.

Wie war es, als Fan harter Musik in der Ukraine aufzuwachsen?

Die größte Schwierigkeit bestand darin, dass die Auswahl bei weitem nicht so groß war wie in Westeuropa und Amerika. Für viele Sachen, die sich dort verkauften, interessierte sich bei uns zu Hause niemand, also fand man sie nicht im Handel. Im Lauf der Zeit wurde der Schwarzmarkt mit Raubkopien überflutet, was einerseits ätzend war, wie ich heute nur zu gut weiß, weil ich meinen Lebensunterhalt mit Musik verdienen will, aber andererseits ungeheuer viel zur Verbreitung von Musik abseits des Mainstream beitrug. Der jüngeren Generation hat sich eine ganze Welt völlig neuer Klänge auftgetan.

Schreibst du Songs aus der Perspektive eines Gitarristen, oder folgst du dabei einem ganzheitlichen Ansatz?

Ich komme nicht aus meiner Haut heraus, also werden zunächst Riffs gesammelt, wobei ich aber schon sehr klare Vorstellungen vom Rhythmusgerüst des jeweiligen Stücks habe. Nach Texten brauchst du mich übrigens nicht zu fragen, die sind allein Tatianas Ding. Beim Üben verhält es sich übrigens genauso: Ich konzentriere mich nicht auf etwas Spezifisches, sondern sehe das Instrument als Mittel zum Zweck an, wobei technische Fertigkeiten nur dabei helfen, das hörbar zu machen, was dir durch den Kopf geht. Wenn du es nicht umsetzen kannst, musst du dir das entsprechende Handwerkszeug aneignen. Ich würde nie zum Selbstzweck üben, sondern brauche immer ein klares Ziel.

Steht die Musik vollständig fest, bevor Tatiana sich ihre Gesangsparts ausdenkt?

Die Songs sind fertig, ehe sie zum Zug kommt. Ein Stück zum ersten Mal mit Gesang zu hören ist immer ein aufregender Moment, weil es – jedenfalls in meinen Ohren – unvollendet bleibt, bis die Stimme hinzukommt. Dass wir Arrangements wegen der Vocals umstellen müssen, kommt selten vor.

Ihr verwendet zweifellos auch alternative Tunings – welche?

Ich experimentiere da ungern, weil mir das Umstimmen – gerade live – zu aufwendig und umständlich ist. Es beläuft sich auf zwei Stimmungen, Drop-C und in jüngerer Zeit häufiger auch Drop-A.

Würdest du dich als einen eher melodischen oder rhythmischen Spieler bezeichnen? Du deckst ja beide Schwerpunkte ab.

Ich schätze mal, dass ich zu 65 Prozent ein Rhythmusspieler bin, den Rest nehmen die melodischen Passagen ein. Wenn man komponiert, muss man natürlich das eine wie das andere berücksichtigen.

(Bild: Daria Moiseieva)

Notierst du auch Parts aus, wenn es rhythmisch komplexer wird?

Ich arbeite mit der Software Guitar Pro, fertige Tabulaturen an und schicke sie den anderen. Während der Vorproduktion eines Albums können wir dann alles live einspielen, um uns ein grobes Bild davon zu machen.

Groove ist ein ausschlaggebendes Element bei Jinjer, also müsst ihr sehr tight zusammenspielen. Wie arbeitet ihr daran?

Wir proben oft, um in Form zu bleiben, denn unsere Musik ist auch körperlich relativ fordernd. Jinjer spielen drei- bis viermal pro Woche zusammen. Das ist sehr wichtig, um ein organisches Feeling zu bekommen, und geschieht jetzt übers Internet, denn ich lebe in Georgien, Vlad in der Türkei, und Eugene in Österreich. Davon abgesehen, glaube ich nicht, dass ein großes Geheimnis hinter dem richtigen Groove steckt. Man muss einfach Freude an entsprechender Musik haben, dann stellt er sich automatisch ein, egal ob im Hiphop oder Metal.

Die Gretchenfrage unter Gitarristen: Analoges oder digitales Equipment?

Ich mag es analog, bin aber nicht dogmatisch. Ich habe drei Topteile, auf die ich regelmäßig zurückgreife: ein Peavey 6505, der EVH 5150III mit 50 Watt und EL34-Röhre sowie einen Mesa/Boogie Single Rectifier.

Welche Saiten ziehst du auf?

D’Addario mit den Stärke 14-68, und ich spiele mit 1mm-Plektren von InTune.

Ohne welchen Effekt könntest du nicht leben?

Verzerrung natürlich. Dazu nehme ich einen Ibanez TS9 Tube Screamer. Wir verwenden zudem seit einigen Jahren das Multieffektgerät Helix LT von Line 6, sowohl für Gitarre als auch für Bass, und einige Overdrive-Pedale von MXR, deren genaue Bezeichnung mir gerade nicht einfällt. Eugene und ich haben auch verschiedene andere Tretminen, die wir aber nicht live einsetzen, sondern nur im Studio, weil wir uns auf der Bühne nicht mit großen Boards herumschlagen wollen. Lange Signalketten sind ja sowieso fehleranfällig.

Sammelst du Equipment und stehst du auf Vintage-Geräte?

Weder noch, ich bin kein besonders nostalgischer Mensch. Stattdessen kaufe ich nur das, was ich auch wirklich brauche und benutze, wenn es ums Proben oder Touren geht. In erster Linie muss alles funktionieren, und solange das gegeben ist, bin ich mehr oder weniger anspruchslos.


(erschienen in Gitarre & Bass 11/2021)

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Kommentare zu diesem Artikel

  1. Hallo Andreas Schiffmann,
    Ein sehr interessantes Interview.
    Allerdings muss ich als Jinjer Fan die Information über die Wohnorte Georgien, Türkei und Österreich in Frage stellen. Hat Roman das wirklich so gesagt oder liegt hier ein Missverständnis vor?

    Auf diesen Kommentar antworten
    1. I’m pretty sure Vlad was in Kiev in December. Idk if he’s permanently there though.

      Auf diesen Kommentar antworten

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