Im Interview

Biffy Clyro: Niemals ein Pedal ablehnen

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(Bild: Ash Roberts)

‚A Celebration Of Endings‘ heißt das neue Werk der schottischen Alternative-Rock-Größe Biffy Clyro. Frontmann Simon Neil erklärte uns, welche Auswirkungen die vorausgegangenen Unplugged-Shows auf das Konzept des Albums hatten, welche Amps und Effekte er aktuell favorisiert und womit er Michael Landau auf gar keinen Fall beleidigen würde.

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Simon, wann habt ihr den Vorbereitungen für das neue Album angefangen? Nach den Unplugged-Shows im Herbst 2018?

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Ich hatte zu diesem Zeitpunkt zwar bereits ein paar Songs geschrieben, aber erst nach ‚MTV Unplugged‘ fing ich an, das Album ernsthaft anzugehen. Wir haben zwischendurch noch den Soundtrack zum Film ‚Balance, Not Symmetry‘ (2019) aufgenommen – nur zu dritt und mit einem Produzenten. Wir machten uns dabei keinen Kopf über irgendwelche Singles oder darum, die Musik erklären zu müssen. Während wir daran arbeiteten, formten sich die Songs, die später zu ‚A Celebration Of Endings‘ wurden. Aber auch die Unplugged-Sache hatte einen Einfluss darauf: Ich wollte nicht, dass wir so etwas wie ein erwachsenes Album machen. Es gibt zwar Momente, die reif und ernsthaft sind, aber eben nicht nur. Die Balance war uns wichtig.

Hast du irgendetwas Neues aus den Akustik-Shows gelernt? Vielleicht, dass du kein Distortion-Pedal auf der Bühne brauchst?

(lacht) Im Gegenteil! Es hat mir eher klar gemacht, dass ich ein Distortion-Pedal brauche. Bei ‚Unplugged‘ gibt es keine Dynamik, da geht es nur um die Songs und die Texte. Dieses Album ist definitiv eine Reaktion darauf. Wir haben bewusst schräge bis dissonante Parts eingebaut, ich wollte auch wieder mehr schreien. Unsere aggressive Seite kam mehr zum Vorschein. Die AkustikShows waren eine sehr schöne Sache, aber sie lösten auch den Wunsch aus, ins Studio zurückzukehren und uns wieder als Drei-Mann-Heavyrock-Band zu präsentieren.

Auf dem Studio-Vorgänger ‚Ellipsis‘ von 2016 habt ihr das erste Mal mit eurem neuen Produzenten Rich Costey gearbeitet. Er war auch dieses Mal an Bord.

Bei ‚Ellipsis‘ war es definitiv die bewusste Entscheidung, etwas zu verändern. Wenn du mit einem neuen Produzenten arbeitest, dann ist es fast so, wie wenn man sich zum ersten Date trifft. Du benimmst dich perfekt, willst niemanden aufregen, es ist also ein recht reibungsloser Prozess. Beim zweiten Date fängst du an dich zu offenbaren. Man beginnt miteinander zu flirten und riskiert mehr. Auf diesem Album haben wir es geschafft, unsere Beziehung mit Rich zu maximieren. Ich denke, es zeigt was uns als Band besonders macht. Das gleiche gilt für Rich.

Was meinst du damit konkret?

‚A Celebration Of Endings‘ finde ich vor allem in Sachen Texturen noch besser als ‚Ellipsis‘. Dort ging es vor allem darum, sich im Studio voll auf die Songs zu fokussieren und dabei nicht über Sachen wie Dynamik nachzudenken. Dieses Album bringt die Dynamik komplett zurück, ebenso wie die abgedrehte Seite unseres Stils. Dazu haben wir mit modernster Technologie gearbeitet. Diese Kombination von Old-School-Rock’n’Roll mit moderner Produktion ist das, was wir mit Rich versucht haben zu erreichen.

Beim letzten Album hast du mit kleinen Amps experimentiert und dich auf einen Gitarrensound pro Song fokussiert, anstatt wie früher Lagen von Gitarren übereinander zu schichten. Wie war es dieses Mal?

Sogar noch besser. Es endete damit, dass ich auf einigen Songs einen Vox AC30 gespielt habe, der mit einem einzigen Mikrofon abgenommen wurde. Das war allerdings nicht so einfach, wie es sich jetzt anhört. Wir haben ungefähr drei Tage gebraucht, um den perfekten Gitarrensound hinzukriegen und ihn dabei in die verschiedensten Räume gestellt: ins Badezimmer, in die Küche, in den Kontrollraum und auch in den Aufnahmeraum. Das Mikrofon stand mal in einem Abstand von 18 Meter, mal 50 Zentimeter entfernt.

Dank Rich Costeys Genie haben wir es geschafft, auf diesem Album meinen Lieblingsgitarrensound aller Zeiten zu erzielen. Es klingt so unfassbar wuchtig. Und das mit einem Amp und einem Mikrofon. Was wir mehr als alles andere von ihm gelernt haben, ist, dass wir an gewissen Punkten mehr Wirkung mit weniger Instrumentierung erzielen können. Früher wollte ich meine Gitarren aufblasen, sie übereinander legen und sie wie eine Symphonie von Gitarren klingen lassen.

Neben bekannten Klassikern kam auch ein Verstärker der amerikanischen Marke Black Volt zum Einsatz. (Bild: Simon Neil)

Der Vox mit dem Mikro war also der Haupt-Sound für dieses Album?

Ich spreche da speziell vom Opener ‚North Of No South‘. Nicht jeder Song hat exakt diese Kombination. Es ging um den Ansatz. Ich habe daneben ein Marshall-JTM-Top verwendet, das ist auch fantastisch, außerdem meine Fender-Super-Sonic-Amps. Dazu kam ein Verstärker einer wundervollen Company namens Black Volt.

Derselbe, den du schon auf ‚Ellipsis‘ verwendet hast?

Nein, der gehörte mir nicht. Mittlerweile habe ich mir selber einen gekauft. Er hat ein kleines Vermögen gekostet, aber es hat sich gelohnt. Ich habe ihn für sämtliche Gitarrensoli auf dem Album verwendet. Ein wunderbar warm klingender Amp. Man merkt, dass er mit Liebe und Leidenschaft gebaut wurde. Ich wollte neben meinen bekannten Sachen – wie den Strats in Kombination mit Fender- und Marshall-Amps – ein paar weitere Setups ausprobieren. Verstärker, die so kraftvoll sind wie Marshalls, aber etwas anders klingen. Es hat Spaß gemacht, mit dem Zeug zu hantieren.

Wie sah es mit den Gitarren aus?

Ich habe hauptsächlich Strats benutzt, vor allem das Signature-Modell von Michael Landau. Davon habe ich zwei. Seine Gitarre war für meinen Hauptsound verantwortlich. Dazu kam eine wunderschöne, sehr warm klingende 1977er-Les-Paul-Custom, die ich bei Norman’s Rare Guitars in Los Angeles gekauft habe. Das war faszinierend. Ich habe mich dort wie in einem Museum gefühlt, wie ein Teil der Geschichte.

Dann hatte ich meine Martin-Akustikgitarre, eine D-45 von 1972. Abgesehen davon wollte ich es bei diesem Album so simpel wie möglich halten. Auf ein paar der Nummern habe ich auch eine Telecaster verwendet, aber auf rund 80% des Albums hörst du die Strats. Sonst waren es immer nur etwa 50%.

Fender Michael Landau Signature
Gibson Les Paul Custom 1977
Martin D-45

Daneben experimentierst du gerne mit verschiedenen Tunings.

Ich habe wieder DADGAD verwendet, wie schon bei den letzten beiden Alben. Es hat diesen schwebenden Charakter, der mir sehr zusagt. Zu hören ist es auf ‚Tiny Indoor Fireworks‘. Dazu kamen einige Dropped Tunings wie Drop-D und Drop-C, jedoch nichts Obskures. Etwa vier oder fünf der Nummern sind im Standard-Tuning eingespielt, zum ersten Mal seit einigen Jahren. Ich habe mich so lange davon ferngehalten, dass es sich für mich frisch angefühlt hat.

Für alle Leser, die mit Biffy Clyro nicht so vertraut sind: Live spielst du zumeist Strats, wobei du aber nur den Steg-Pickup verwendest. Du hast dazu mal gesagt, dass du das perkussive Attack-Verhalten magst – und den fiesen Biss, dem man nicht ausweichen kann.

Stimmt. Wir sind als Trio groß geworden. Wann immer ich eine Strat in die Hand genommen habe, fühlte es sich gut und richtig an. Manchmal klang es wie Fingernägel, die über eine Schultafel kratzen, manchmal als ob dir jemand ins Gesicht haut. Das hat mich immer angesprochen. Es fügt unseren Riffs einen rhythmischen, perkussiven Aspekt hinzu. Bei jeder Veränderung, die wir in einem Song machen, fühlt es sich so an, als ob Gitarre und Schlagzeug Teil der gleichen Sache sind. Außerdem bildet dieser Gitarrensound einen derben Gegenpol zum manchmal sanften Gesang.

Auch optisch hebst du dich ab.

Ich trage meine Gitarre sehr hoch. Das war seinerzeit eine Reaktion auf all die Gitarristen, die ich geliebt habe: Slash, die Ramones, James Hetfield. Sie alle spielten ihre Instrumente sehr tief. Ich wollte mich davon einfach so weit wie möglich abheben. Daher habe ich sie hochgehängt. So fühlt sie sich fast wie ein Teil meines Körpers an. Wenn ich live spiele, verschmelze ich mit der Gitarre.

Wie lange hat es gedauert, bis du endlich den richtigen Sound gefunden hast?

Mindestens drei oder vier Jahre. Glücklicherweise kann Unwissenheit ein Segen sein. Ich habe immer so laut gespielt, dass ich gar nicht mitbekam, dass es nicht gut klingt – bis wir anfingen aufzunehmen. Wer mit uns arbeitete, sagte: Ihr müsst einen anderen Gitarrensound finden. Viele Leute haben mir geraten, die Gitarre oder den Tonabnehmer zu tauschen. Aber ich wusste: Das ist mein Sound.

Die eigentliche Aufgabe war es, das passende Pedal und den richtigen Amp zu finden, damit der Sound funktioniert. Für mich fühlte es sich richtig an, ich wollte nicht einfach eine andere Gitarre nehmen und so klingen wie jemand anderes. Dieser scharfe Klang und die Dynamik der Strat waren für mich sehr wichtig. Es hat lange gedauert, bis ich das hinbekommen habe. Und es ist noch keinesfalls abgehakt, ich lerne noch immer Dinge über Sound – etwa, wie ich ihn in gewissen Momenten zügeln kann, um dann an anderen Stellen komplett abzugehen. Es ist eine konstante Lernerfahrung. Aber ich werde besser darin.

Gab es dabei einen besonders prägenden Moment?

Es war befreiend, als ich zu der Erkenntnis kam, dass der Live-Sound anders als der auf der Platte sein kann. Du musst das nicht exakt einfangen. Mit der Power, die du live hast, bekommst du die Energie und Dynamik auf eine andere Art hin als im Studio. Nicht alles muss genau gleich gemacht werden. Aber bis zu dieser Einsicht hat es lange gedauert. Und, wie gesagt, ein Ende ist dabei nicht in Sicht: Erst jetzt werde ich sicher genug, um nicht Dutzende Gitarren übereinander legen zu müssen, und nun weiß ich, dass eine Gitarre ausreichen kann, um das zu sagen, was man sagen will.

Hast du einen Tone-Poti für diesen Pickup?

Ja, aber der ist immer voll aufgedreht. Wenn ich könnte, würde ich alle Potis entfernen. Aber ich will Michael Landau gegenüber nicht respektlos sein. In Ehren seiner Gitarren werde ich nichts daran verändern. Für die ruhigen Momente im Set hole ich eine ES-335 oder eine Gretsch raus.

Dazu hast du ein recht komplexes Amp- und Effekt-Setup. Hat sich da im Vergleich zur letzten Tour etwas verändert?

Mein neues Setup, wenn wir nach Corona wieder live spielen, wird etwas anders sein als zuletzt. Auch hier geht es vor allem darum, die Dinge zu vereinfachen und zu verschlanken. Über die Jahre hatte ich jede Menge Verstärker: Peavey, Marshall, Hayden, Fender, Kemper …

Vor etwa einem Jahr habe ich mir mein Setup angeschaut und beschlossen, dass ich zu viel Zeug rumschleppe und den Kemper rausgeschmissen. Ich nutze jetzt einen Audio Kitchen The Big Trees Röhren-Amp/Preamp. Der ist unglaublich. Audio Kitchen ist eine wundervolle britische Firma, die Amps, Boxen und Pedale baut. Ich habe gerade angefangen, ihr Zeug zu verwenden, daher habe ich das Teil noch nicht live einsetzen können. Ansonsten habe ich noch immer meinen Fender und meinen Marshall. Es ist jetzt ein sehr viel schöneres Setup.

Man darf als Gitarrenmagazin kein Interview mit dir führen, in dem nicht der Begriff Boss Metal Zone fällt.

Ich halte dieses Pedal noch immer in Ehren, denn es erzeugt weiterhin meinen Hauptsound. In jedem Mix, den du von einem Biffy-Clyro-Album hörst, ist er irgendwo. Live ist es genauso. Aber es gibt weitere Neuigkeiten. Kennst du die Band Sunn O)))? Das ist eine Doom-Metal-Band. Sie haben dieses wunderbare Drone-Pedal gemacht (Anm. d. Verf.: EarthQuaker Devices Sunn O))) Life Pedal, ein Octave Distortion & Booster, Simon spielt die Gold-Reissue-Version). Das ist eines meiner Lieblingspedale aller Zeiten. Ich benutze es auf dem Song ‚Instant History‘ und noch bei einem weiteren, an den ich mich allerdings gerade nicht erinnere. Dieses Pedal hat mein Leben verändert. Es inspiriert mich, Riffs auf eine andere Art zu schreiben, als ich das vorher gemacht habe.

Das Audio Kitchen The Big Trees hat sich einen Platz im neuen Setup gesichert.
EarthQuaker Devices Sunn O))) Life Pedal in der Golden-Reissue-Version
Montreal Assembly Count to 5
Death by Audio Total Sonic Annihilation 2
Das Boss MT-2 Metal Zone ist auf jedem Biffy-Clyro-Album zu hören.

Gibt es sonst noch irgendwelche Veränderungen in Sachen Pedale?

Ich habe noch zwei weitere Neuzugänge: Zum einen ein Total Sonic Annihilation 2 von Death by Audio, ein Noise-Pedal, das so etwas wie einen Sound-Mahlstrom erzeugt, indem externe Effektgeräte eingeschliffen und in die Selbstoszillation getrieben werden. Und dann gibt es noch diese Company namens Montreal Assembly. Sie machen unter anderem dieses wirklich seltsame Loop-Delay-Pedal namens Count to 5 (Fifth Anniversary Edition), das Audiosignale in verschiedenen Geschwindigkeiten abspielen kann. Was immer du spielst, du kannst es entweder doppelt so schnell oder eine Oktave höher oder noch anders wiedergeben lassen. Damit lassen sich wunderbare Lagen von Sounds erzeugen. Ich mache mich aktuell damit vertraut, sodass du es hoffentlich auf dem nächsten Album hören können wirst. Anstatt in Sachen Amps zu expandieren, beschäftige ich mich momentan eher mit Pedalen.

Gibt es dafür einen konkreten Anlass?

Das hat auch mit unserem Live-Gitarristen Mike Vennart zu tun. Er hat mir viel darüber beigebracht, wie man mit der Gitarre Soundscapes erzeugt. Ich war früher immer sehr bodenständig und gradlinig, was mein Spiel angeht. In einer Dreierbesetzung musst du auf den Punkt kommen. Bei den Shows kreiert Mike diese wunderbaren Klanggebilde zu unserer Musik. Ich habe jede Menge von ihm gelernt, er hat mir die Wichtigkeit der passenden Kombination von Pedalen gezeigt, und wie man für spezielle Momente in den Songs verschiedene Texturen kreiert. Ich schulde ihm Dank für meine neu entdeckte Liebe und Leidenschaft für Pedale. Ich habe allerdings auch schon reichlich Schimpfe von meiner Frau bekommen, weil ich schlichtweg zu viel Geld dafür ausgebe. (lacht)

Als bekannter Musiker einer berühmten Band bekommst du doch auch sicher vieles geschickt. Sprechen dich die Firmen nicht an, ob du ihre Produkte als Werbeträger verwenden willst?

Wir bekommen schon ein paar Pedale. Aber es könnten natürlich noch mehr sein. Das hätte ich jedenfalls gerne. Als Gitarrist kennst du das sicher: Ich würde niemals ein Pedal ablehnen. Du weißt nie, ob und wie das nächste Pedal dein Leben verändern wird. Ich bin da immer offen für alles. Also: Wenn irgendeine Company eines ihrer neuen Pedale testen lassen will – schickt es bitte an Simon Neil von Biffy Clyro. Ich nehme es gerne in mein Setup auf und gebe euch dann eine Rückmeldung, ob es etwas taugt oder eben nicht.

(erschienen in Gitarre & Bass 10/2020)

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