Vintage Guitar Stories: 1966 Gibson ES-345

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(Bild: Franz Holtmann)

Mit manchen Gitarren verbinden sich Namen, gelegentlich auch ein musikalisches Genre oder sie charakterisieren gleich eine ganze Ära. Gibson ES-Thinlines stehen für Blues-Spieler wie B.B. und Freddy King, aber auch ein Rock’n’Roller wie Chuck Berry wird mit ihnen assoziiert – weiß jedenfalls jeder, der schon einmal ‚Zurück in die Zukunft‘ gesehen hat!

Dabei gab es 1955, das Jahr in dem der Zeitreisende Marty McFly das Publikum beim Tanzvergnügen ‚Enchantment Under The Sea‘ seiner zukünftigen Eltern mit deftigen Gitarrenexzessen so herrlich aufmischte, die semiakustische Gibson Thinline-Modellreihe noch gar nicht. Die erblickte erst 1958 das Licht der Welt. Bei Eingriffen ins Raum-Zeit-Kontinuum kann halt schon mal was durcheinandergeraten.

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1958 wurde neben der Standard ES-335 auch noch die wertiger ausgestattete Top-Of-The-Line-Version ES-355 mit Ebenholzgriffbrett, Block Inlays, goldener Hardware, Multi-Bindings und „Varitone“-Klangwahlschalter, wahlweise in Stereo- oder Mono-Ausführung in der Farbe Cherry Red vorgestellt. Das auch schon 1958 konzipierte Modell ES-345 in Stereo (ein Zauberwort damals) mit „Varitone“-Klangwahlschalter, Stop-Tailpiece und Split Parallelogram Fingerboard Inlays wie bei der ES-175 oder der Southern Jumbo folgte im Frühjahr 1959 und war zunächst nur in den Farben Sunburst oder Natural zu haben.

Viele der Thinlines wurden ab Werk aber auch mit Vibrato Tailpiece ausgeliefert, üblicherweise ein Bigsby, bei frühen Ausführungen gelegentlich auch ein Gibson Sideways Vibrola. Oft findet man dann eine aufgeschraubte schwarze „Custom Made“-Plakette hinter der Bridge, welche die dort vorhandenen Bohrlöcher für das Stop-Tailpiece abdeckt. Von Spielern wird das durchaus gern gesehen, da es die Umrüstung leicht möglich macht.

1960 wurde die Farbe Natural dann zugunsten von Cherry Red eingestellt. Das Modell blieb im Prinzip unverändert bis 1965 im Programm, dem bekannten Wendepunkt in der Gibson-Produktion. Danach kam es mit dem schlichten Trapeze Tailpiece anstelle des Stoptails und der eher unbeliebten schmalen 40mm-Halsbreite heraus. Zwischen 1959 und 1965 wurden von der ES-345 im Schnitt um die 400 Exemplare pro Jahr hergestellt, 2879 in Summe. Lediglich 50 Versionen davon in Natural von 1959 bis 1960.

Die mit 1144 Exemplaren größte Auflage der 345 verließ das Gibson-Werk in Kalamazoo 1967. Die Modelle mit sechsstufigem Varitone-Schalter gehörten lange zu den nicht ganz so beliebten Versionen der ES-Thinlines, da sie zwar eine Reihe von Sound-Optionen anboten, andererseits aber dem beliebten Klangverhalten der ES-335 wegen der verbauten Varitone-Schaltung plus Tone Choke – die noch vermissen ließ, was heute als True Bypass bekannt ist – doch einiges an Saft nahmen. Das Für und Wider zu diskutieren ist aber müßig, haben doch schon viele prominente Gitarristen mit Filter- oder Out of Phase-Sounds Geschichte geschrieben, man denke nur an B.B. King oder Peter Green.

ROTER TEUFEL

Protagonisten: Freddy King mag stellvertretend für die großen amerikanischen Blues-Männer stehen und sein stilbildender Einfluss auf Spieler wie Clapton, Beck oder Page ist unstrittig. Chuck Berry ist sowieso Legende und Vorbild für die komplette Garde der Gitarren-Stars der 60erJahre. George Harrison spielte 1965 kurzzeitig eine ES-345 auf Konzerten in Großbritannien, nutzte sie für Aufnahmen zum Album ‚Rubber Soul‘ (‚Day Tripper‘) und auch in Videos (u.a. ‚Ticket To Ride‘ und ‚I Feel Fine‘) ist er damit zu sehen.

Duane Allman und Dickey Betts sollen beide für die Aufnahmen zum 1969erAlbum ‚The Allman Brothers Band‘ eine ES-345 eingesetzt haben. Jorma Kaukonen spielte sein 1966er-Modell bei Jefferson Airplane. Aber auch ein Jazz-Gigant wie John McLaughlin besitzt eine modifizierte ES-345 (scalloped fingerboard), von der er sagt: „This is one of my all time favorite guitars.“ Nicht zu vergessen Steve Howe, Elvin Bishop, Alex Lifeson u.v.a.m..

Das vorliegende Modell, Baujahr 1966, wurde den für viele Spieler richtigen Modifikationen unterzogen, befindet also nicht mehr im Originalzustand. Die Elektrik wurde für den besseren Tontransport auf Mono unter Umgehung des Varitone-Schalters umgestellt, das Trapeze Tailpiece gegen ein Stoptail getauscht. Im Grunde ist die Gitarre damit in eine ES-335 umgewandelt und der Clou für ein Modell von 1966 ist, dass es sich bei Pickups dieser Periode in der Regel noch um Non-T-Top-Pat.-No.-Humbucker handelt. Wegen ihrer geringen Auflagen wurden Tonabnehmer in Gold-Ausführung aus Beständen früherer Produktionsperioden auch nach 1965 noch eingesetzt. Näher kann man demnach einem PAF kaum kommen.

Die alles entscheidende Frage für oder gegen ein Instrument aus Gibsons post 1965-Periode ist die nach dem Halsprofil. Allerdings wird gerne unterschätzt, dass auch die Neck Shapings aus der guten alten Gibson-Zeit nicht unbedingt immer jedermanns Sache sind, denn der Zuschnitt erfuhr über die Jahre doch zahlreiche Änderungen, spannte sich von kraftvollem 50s-„Chunkey“ (1958), über das beliebte mittelstarke 50s-„Rounded C“ (1959), bis hin zum flachen 60s-„Slim Taper Neck Profile“ (1960 und später). Also passt keineswegs jede vielgerühmte und superteure Vintage-Gitarre in jede Hand.

Unser Beispielmodell von 1966 verfügt nun schon über dieses schmale 40mm-Profil. Das muss man mögen. Mr. 335, Larry Carlton spielt seine Nr. 1, eine 1969er ES-335, seit er sie neu gekauft hat und besitzt noch eine 1968er dazu. So what? Statistik: 1966 wurden von der ES-345TDC in Cherry Red lediglich überschaubare 216 Exemplare auf den Markt gebracht, dazu gesellten sich noch 272 Einheiten in Sunburst.

Dank an Jörn Eisenhauer von Vintage Guitar Oldenburg für die Leihgabe.

(erschienen in Gitarre & Bass 02/2021)

Produkt: Gitarre & Bass 7/2022 Digital
Gitarre & Bass 7/2022 Digital
IM TEST: Guild Surfliner +++ Mooer GTRS +++ Gibson G-45 und G-Writer +++ Schecter dUg Pinnick +++ Blackstar St. James 50 6L6 +++ Line 6 DL4 MKII Delay +++ Walrus Audio Mako M1 +++ Markbass AG1000 +++ Genzler 4 on the floor & re/Q

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