Vintage Guitar Stories: 1957 Gibson ES-295

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(Bild: Franz Holtmann)

Manche Instrumente stehen für bestimmte musikgeschichtliche Perioden, für den Sound einer ganzen Ära. Der Gibson ES-295 kann man grundlegenden Einfluss auf die Klangprägung des frühen Rock’n’Roll zusprechen.

Anfang der 50er-Jahre wurden Gibson-Gitarren mit Big-Band-Jazz assoziiert, das Firmen-Image war durch und durch konservativ. Zu einer Zeit also, als Gitarren nur naturbelassen oder mit einer dezenten Sunburst-Lackierung versehen sein durften, trat plötzlich diese kühne Archtop ins Licht der Öffentlichkeit. Eine goldfarbene Gitarre? Wer die spielte, wollte doch wohl einfach nur Ärger machen! Wieder einmal war es Les Paul, der den Anstoß zur Entwicklung gab.

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Als Les 1951 mit Mary Ford in einem Hospital für verletzte Kriegsveteranen spielte, traf er auf einen Mann, der – nach einer Tumor-Operation halbseitig gelähmt – tief bedauerte, nie wieder Gitarre spielen zu können. Les erzählte ihm von seinem Autounfall und davon, dass er trotz eingegipstem rechtem Arm nur mit links doch noch hätte spielen können.

„Ich fragte ihn, welchen Song er hören wolle, und er wählte einen schwierigen Song in der Tonart Fis – ‚Just One More Chance‘. Ich drehte meinen Verstärker voll auf und klopfte die Akkorde mit nur einer Hand auf dem Griffbrett. Tränen kullerten über sein Gesicht. Ich sagte ihm, dass ich eine Gitarre für ihn anfertigen lassen würde – egal, was er wollte. Er sagte, er hätte gerne eine goldene Archtop. Auf dem Flur teilte mir der Arzt mit, dass sein Fall unheilbar sei und er wahrscheinlich keine Woche mehr leben würde. Ich rief sofort Ted McCarty bei Gibson an und sagte, dass ich sofort eine Gitarre bräuchte – eine in Gold lackierte ES-175. Er sagte, er würde sie anfertigen und direkt ins Krankenhaus schicken. Es sollte keine Werbung sein, es war einfach ein Geschenk. Nun, die Gitarre – Seriennummer A-9196, am 4. Dezember 1951 eingetragen in Gibsons Logbücher – kam an, aber der Veteran hat sie nie gesehen. Er starb kurz nach unserem Besuch.“

Die Idee aber blieb: 1952 stellte Gibson der Öffentlichkeit als Aufsehen erregendes neues Modell die ES-295 vor. Im Prinzip eine schick aufgemachte ES-175 mit gewohntem 16“-Korpus aus laminiertem Ahorn, nur eben golden lackiert und mit ebenfalls am 14. Bund eingeleimtem einteiligen Mahagonihals, mit 19 Bünden im Palisandergriffbrett und Parallelogram Inlays. Allerdings verfügte die ES-295 über zwei P-90-Pickups mit entsprechender Schalt- und Regelmimik, die ES-175 hatte seinerzeit nur einen davon in der Halsposition. Dann war da auch noch das lange Les-Paul-Trapeze-Bridge-Tailpiece und ein cremefarbenes Pickguard mit floralem Muster in Gold.

SCOTTY MOORE

In den frühen 50ern prägte Scotty Moore mit seinen heißen Rockabilly-Licks einen neuen Stil, und der half Elvis Presley, seinen revolutionären Rock’n’Roll -Sound zu formen. Ein Sound, der eine ganze Generation von Musikern wie Jeff Beck, Keith Richards oder Jimmy Page inspirierte. Keith: „Alle anderen wollten Elvis sein, ich wollte Scotty Moore sein.“ Es war eine Gibson-Archtop, die Scotty auf Presleys frühen Sun-Aufnahmen spielte, und Moore glaubt, dass seine Wahl der ES-295 entscheidend für den Sound von Elvis’ frühem Rock’n’Roll war. „Für mich hat die ES-295 mit ihrem hohlen Korpus Elvis’ Stimme besser zur Geltung gebracht als alles andere, was ich hätte nehmen können.“

Als Scotty Moore 1953 die Gibson ES-295 sah, war es Liebe auf den ersten Blick: „Ich ging die Straße in Memphis entlang, vorbei an der Houck Piano Company, und sah einen Typen im Schaufenster, der eine neue Gitarre ausstellte. Es war diese Gibson, ganz in Gold und glänzend. Es war die einzige goldene Gitarre, die ich je gesehen hatte. Ich dachte: ‚Wow, das ist das schönste, was ich je gesehen habe…‘ Ich musste sie unbedingt haben, also tauschte ich meine Esquire ein und kaufte sie auf der Stelle.“

Aber Scotty sah sich gezwungen, einige Änderungen an seinem neuen Instrument vorzunehmen. Die lange Trapeze-Bridge passte ihm nicht, also wurde eine Melita-Synchro-Sonic-Bridge mit verstellbaren Reitern zur Abstimmung jeder einzelnen Saite mit einem Kluson-Trapeze-Saitenhalter montiert. Obwohl Elvis’ Erfolg durchschlagend war, kam bei den Musikern wenig davon an.

In seinen 1997 veröffentlichten Memoiren „That’s Alright, Elvis“ schrieb Moore, dass er 1956 ganze 8.000 Dollar verdiente, während Presley zum Millionär wurde. Es gab Spannungen mit Elvis’ Manager, „Colonel“ Tom Parker. „Wir konnten nicht mit Elvis reden. Das war so gewollt, aber nicht von Elvis.“

1957 verließ Scotty Moore zusammen mit Bassist Bill Black Presleys Gruppe. Moore arbeitete zwar erneut mit Elvis für das Comeback-TV-Special von 1968 zusammen, aber die Gage deckte nicht einmal seine Reisekosten, und er wurde auch nicht gebeten, Presleys Band bei seinen Tourneen in den 1970er-Jahren beizutreten. „Es ist nicht so, dass ich Bitterkeit empfinde, nur Enttäuschung.“ Im Jahr 2000 wurde Scotty Moore in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen.

Das vorgestellte, sehr schön patinierte Modell von 1957 verfügt wie alle ab 1955 hergestellten 16“-Archtops von Gibson über 20 Bünde. Auch bei dieser ES-295 wurde die lange Trapeze-Bridge durch eine konventionelle Bridge mit ABR1-Aufsatz für bessere Intonation ersetzt. Dazu ist ein bei diesem Modell eher selten zu findendes Bigsby-Tremolo montiert. Die Bünde wurden erneuert, das vermittelte Spielgefühl über den komfortabel rundlich gestalteten Hals ist höchst angenehm.

Typisch für die Hollowbody-Konstruktionen dieser Phase ist das offene, holzig trockene Resonanzverhalten, welches, gewandelt durch die alten P-90-Pickups, authentische Sounds ans Ohr bringt. Das alles scheint eine gewisse Spielhaltung zu fordern, ruft nach Rock’n’Roll und Rockabilly, auch wenn von Jazz bis Blues alle konventionellen Spielweisen bestens bedient werden.

 

STATISTIK

Von der kurzlebigen ES-295 wurden zwischen 1952 und 1958 ganze 1770 Exemplare gefertigt, wobei ab Ende 1957 auch noch einige wenige mit Humbuckern bestückt wurden. Der Spitzenwert von 637 Ausführungen wurde im Jahr 1953 erreicht. 1957 waren es nur noch 71. Die Preise am Vintage-Markt für gut erhaltene Exemplare bewegen sich zur Zeit etwa zwischen stattlichen 8000 und 10000 Dollar.

(erschienen in Gitarre & Bass 01/2022)

Produkt: Gitarre & Bass 9/2023
Gitarre & Bass 9/2023
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