Till & Tone: Die ewige Blondie

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(Bild: Hoheneder)

Ich glaube, die meisten von uns Guitar-Nerds sind Suchende: Es gibt keine Lauer, auf der wir nicht liegen. Wir sind permanent auf der Suche nach dem nächsten Gitarren-, Pedal- oder Amp-Kick. Die Sprüche dazu sind gleich, die Namen der Aufsagenden austauschbar: „Ich brauche unbedingt noch eine gute Humbucker-Gitarre, einen kleinen Club-Amp, ein besseres Distortion-Pedal …“ und so weiter und so fort – ihr wisst Bescheid!

Aber ich glaube auch, dass die meisten von uns Tone-Junkies eine Gitarre haben, die nie zur Debatte steht, wenn es um Verkäufe zwecks Finanzierung der neuen „Dorfsäue“ geht: die „Eine“, die bleibt. Egal, was passiert. Und ich würde mich freuen, wenn jeder von euch nach dem Lesen dieser Kolumne diese „Eine“ aus dem Gigbag oder Case holt und sich beim Betrachten dieser Gitarre an all die gemeinsam erlebten Konzerte, Proben, Songs, Soli und Reisen erinnert. An all die Freude, Frustrationen, Freunde und Abenteuer.

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Fragt euch selbst, warum ausgerechnet diese Gitarre immer noch da ist, auch wenn ihr sie vielleicht gar nicht mehr so oft spielt. Ich bin mir sicher, dass alle diese Keeper euch eine Menge zu erzählen haben – über eure Entwicklung als Musiker, euren Sound, euren selbst kreierten Tone! Die Idee zu dieser Kolumne hatte ich vor ein paar Wochen, als ich bei Facebook einen Beitrag über „Blondie“, meinen Keeper gepostet habe. Später ermunterte mich Chefredakteur Florian, diese Idee hier umzusetzen. Er hat nämlich auch so ein Schätzchen zu Hause…!

(Bild: Bok)

KONTAKTAUFNAHME

Also: Mitte August, vor der Generalprobe für mein Herzenswünsche Benefizkonzert, stehe ich vor meinem Gitarrenschrank und starre auf die Cases. Wie immer versuche ich, mit meinen Gitarren Kontakt aufzunehmen. Welche spricht mit mir, welche will gespielt werden? Und mit welcher will ich spielen, welche Lockrufe werde ich erhören? Okay, ich weiß, was einige jetzt denken: „Hoheneder, egal, was du nimmst – nimm weniger!“ Mir egal, ich habe schon immer mit Gitarren gesprochen.

Jedes Mal, wenn ich in einem Gitarren-Shop bin, bleibe ich vor der Gitarren-Wand stehen und versuche mit Telepathie herauszufinden, welche zu mir will! Manchmal ist das schwierig, weil ich mich sehr häufig von der Optik ablenken lasse. Aber meistens lande ich nach einem durchgezogenen Cowboy-Chord schnell bei der richtigen!

An jenem Abend im August rief mich meine älteste Gitarre am lautesten und ich bin ihrem Werben nur allzu gerne gefolgt: Es handelt sich um meine Fender Custom Shop ’59 Esquire Relic, laut Custom Shop-Zertifikat vom 12.08.2003 – also knapp über 20 Jahre alt. Meine älteste Kriegerin. Sie hat meinen ganzen Gear-Wahnsinn der letzten 19 Jahre überstanden. Sie hat sogar eine exzellente Vintage-Tele vom Hof gejagt. Ich habe unzählige Gigs mit ihr gespielt, ich habe ihr viel angetan: Permanent neue Pickups probiert, an ihr rumbasteln, löten und fräsen lassen und sie mit Aufklebern beklebt. Sie hat alles klaglos mit sich machen lassen und nie ihren guten Ton verloren. Aber der Reihe nach…!

(Bild: Stefan Lamberty)

TOPLOADER TELES

2003 hatte ich in einem Fender-Special von G&B ein Interview von Heinz Rebellius mit Gernold Linke, dem legendären „Mr. Fender Custom Shop“ gelesen. Dort stand was über diese Fender-Gitarren aus dem Corona Custom Shop, die auf „alt getrimmt“ wurden, aber neu waren. Sie sollten die Optik der begehrten Vintage-Vorbilder haben, die besten Hölzer wurden hauchdünn mit Nitrolack lackiert und wie früher von ein paar erfahrenen Gitarrenbauern zusammengeschraubt. Eine kleine, exklusive Traumfabrik baut allerfeinste Vintage-Replikas, das war die verlockende Werbebotschaft.

Ich war sofort angefixt und wollte unbedingt so eine „Relic“-Gitarre haben, natürlich eine Telecaster! 2004 fand ich einen Laden, der zwei solche Instrumente anbot: Eine ’63 Telecaster Relic in Lake Placid Blue und eine ’59 Esquire Relic in Blonde. Ein Toploader-Modell, das bedeutet, dass die Saiten nicht wie bei der normalen Tele durch den Body gehen, sondern hinten durch die Löcher an der hinteren Bridge-Kante durchgeführt werden und dann über die drei Bridge Saddles laufen.

Das bedeutet, dass der Anpressdruck der Saiten aufgrund des flacheren Winkels nicht so stark ist wie bei der normalen Telecaster: Bendings gehen gefühlt leichter, die Saiten sind vom Spielgefühl her nicht so straff und haben bei einem harten Anschlag auch eine etwas größere Auslenkung. Das ergibt also nicht nur ein anderes Spielgefühl, dass klingt definitiv auch etwas anders.

Fragt mal Gitarren-Maestro Jim Campilongo, der hat wie mein Freund Karsten eine originale Vintage ’59 Toploader Telecaster. Auch die legendäre Dragon-Tele von Jimmy Page war eine Toploader. Diese Telecasters wurden nur in sehr geringen Stückzahlen 1958/1959 von Fender so produziert. Da die Esquire Relic auch nur einen Bridge-Pickup hat und solche Gitarren immer einen „speziellen“ Klang haben (ich vermute, weil die Saiten am Korpus/Halsübergang freier schwingen, da das Magnetfeld des Halspickups entfällt) stand die Entscheidung im Spätsommer 2004 schnell fest.

Mein Freund Michael Dommers, den ich gebeten hatte, mich als Experte zu begleiten, spielte beide Kandidaten ausgiebig durch und meinte dann trocken wie Löschpapier: Nimm die blonde Esquire – die klingt rotziger … und den Halspickup für Soli brauchst du eh nicht! Recht hatte er, der gute Michael!

(Bild: Hoheneder)

MODS

Meine „Blondie“ wurde zwei Jahre gut durchgedroschen, dann fingen die ersten Mods an. Ich ließ das Pickguard weg, weil ich fand, dass die Gitarre dadurch besser klang. Bevor ihr jetzt lacht: Ich glaube wie viele andere fest daran, dass jede Veränderung an einer Gitarre ihren Sound verändert! Ich weiß aber auch, dass einige das als Nonsens abtun. Da muss jeder mit sich selbst ausmachen, was er meiner Meinung nach dadurch verpasst.

Nach dem Pickguard kam der Pickup dran. Ich wollte mehr „Fleisch am Knochen“ haben, ohne auf Vintage-Output, Klarheit und Dynamik verzichten zu müssen. Also entwickelte Andreas Kloppmann den TLB60 Tillcaster-Bridgepickup für mich, der nicht wie ein Dobermann bellt, sondern wie ein Rottweiler knurrt! Weil Keith Richards aber in seiner berühmten „Micawber“-Tele einen alten Fender Lapsteel-Pickup für die Bridge-Position benutzt, kaufte ich mir zwei originale Fender Lapsteel-PUs von 1950. Blöd nur, dass der eine in meiner Richards-Tele endgeil, aber der andere in der Esquire eher gewöhnlich klang.

Also hat Kloppi wieder einen Tillcaster eingebaut, aber mit alten Magneten von einem alten 50er Fender Musicmaster-Pickup. Der klingt tierisch und ist bis heute nicht mehr gewechselt worden. Dazu einen alten Paper-in-Oil- Kondensator aus den Fifties – die kann ich jedem empfehlen, der den Twang und Biss eines Tele-Bridgepickups ab und zu mildern will.

Danach schoss ich bei Ebay einen Gibson Minihumbucker von 1969, weil ich gelesen hatte, „dass käme gut als Halspickup in einer Tele!“ Dumm nur, dass die Fräsung für einen Halspickup zwar vorhanden, aber natürlich nicht groß genug für den Mini-HB war! Also musste der arme Kloppi das erste Mal an Blondie rumfräsen!

Der Gibson-Pickup blieb im Laufe der Jahre natürlich nicht der einzige Hals-Pickup: Ein ’64 Goldfoil sowie diverse Tele-Halspickups kamen und gingen. Zurzeit spiele ich sie mit einem Kloppmann TL50-Hals-PU. Natürlich war die Toploader-Uhr irgendwann abgelaufen, also musste Kloppi wieder ran und sechs Löcher durch den Body drillen, damit Blondie auch wie eine „normale“ Tele gespielt werden konnte.

 

Über weitere Mods wie Halswechsel, Aufkleber und diverse Schaltungen will ich nicht weiter Wörter verlieren. Fakt aber ist: Die Gitarre klang immer killer, egal in welchem Zustand. Aber warum habe ich sie nie verkauft, andere Gitarren von mir waren auch super und mussten trotzdem gehen!? Ganz einfach: Ich habe eine eiserne Regel. Wenn was Neues kommt, muss was Altes gehen.

Also habe ich oft genug gedacht, ich könnte das alte, verbastelte Biest verscheppern. Aber jedes Mal klang Blondie so gut, dass eine andere Gitarre dran glauben musste. Vor zwei Jahren habe ich den letzten Versuch unternommen und bat Kloppi bei einem meiner Besuche, Blondie zu verkaufen. Ich redete auf ihn ein, aber er hörte mir überhaupt nicht zu. Stattdessen stöpselte er die Gitarre in seinen alten Silverface Deluxe Reverb und fing an zu spielen. Zehn Minuten lang, dann stoppte er, schaute auf die Gitarre vor seinem Bauch und murmelte nur: Alter, das ist echt ‘ne gute Tele! Ich stand hinter ihm, sagte gar nichts.

Irgendwann packte ich die Esquire stiekum ins Case. Dort lag zusammengefaltet ein Zettel im Kabelfach. Ich nahm den Zettel, klappte ihn auf. Ich las in wunderschöner Schrift: „Mein lieber Schatz! Vielen Dank für vier wunderbare Ehejahre! Ich wünsche dir viel Spaß mit deiner neuen Gitarre! I love you!“ Ich erinnerte mich, faltete den Zettel wieder zusammen und legte ihn mit einem dicken Kloß im Hals wieder in das Fach. Was soll ich sagen: 19 Jahre später sind ja Gott sei Dank alle noch da: Meine geliebte Frau, das Case, der Zettel und Blondie. Und bei Euch … ?!

(erschienen in Gitarre & Bass 11/2023)

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Kommentare zu diesem Artikel

  1. Hoheneder egal was du nimmst, nimm weniger!!!!!

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  2. Nein Hoheneder, nimm bitte nicht weniger. Ich freue mich immer über deine Artikel. Auch wenn ich nicht immer alles nachvollziehen kann, sind sie sehr unterhaltsam. Weiter so!
    Bei mir ist es eine schwarze Hamer Sunburst von 1978.

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  3. Fakt: „ein Leben ohne Gitarren ist zwar möglich,jedoch völlig sinnlos!“
    Meine liebsten E.-Gitarren,die mich schon sehr viele Jahre begleitet haben,besitze ich noch heute. Eine Fender Stratocaster „Classic Floyd Rose“/made in U.S.A mit zwei Singlecoils und einem DiMarzio Humbucker,sowie eine 1992er-Starfield Altair Custom/made by Ibanez/Fujigen Japan gehören zu mir. Außerdem liebe ich meine alte „Greco“ SE-500,die damals 1976 als Stratocaster Kopie in Japan gefertigt wurde.Sie ist für mich soundmäßig der Inbegriff einer „echten“ alten Strat,die heute im originalen Zustand sehr gesucht wird,denn in den frühen 1970er-Jahren war „Greco“ die japanische Marke,die dann letztendlich für Fender E.-Gitarren in bester Qualität baute. Kurios,aber eben wahr!

    Mich faszinierten jedoch auch stets Fender Strats und Telecaster der 1990er-Jahrgänge aus den U.S.A.,weil sie sich sehr gut bespielen lassen,die Klangeigenschaften absolut top sind,und der Fender Kundenservice immer sehr hilfsbereit zur Seite steht! Was man aber heute von anderen großen Gitarrenfabrikanten mit Hauptsitz in Japan (Nagano) ganz und gar nicht behaupten kann!

    Happy New Year!

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  4. Coole Gitarre habe selbst eine Toploader Tele und spiele die sehr gern , da seit längerem eine hast mußte nur noch lernen die zu spielen

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  5. 84’er hamer steve stevens, drop till you bop, Mahagoni pur, 24 Bünde mit neuem Schaller/Floyd Rose Trem, federleicht, die beste Strat, die ich jemals hatte, Sustainwunder und stimmt mit weniger als 5 Cent Toleranz, tremolo geblockt

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  6. Meine Gibson SG von 1977 (aka „die schlechten Jahre“)
    Zugegeben: die mit Kunststoff vergossenen Pickups und die 300k Potis mussten irgendwann gehen. Jetzt sind es ein Gibson T-Top (1975) am Hals und ein Gibson Dirty Finger (1979) am Steg.
    Ist ein richtiges 70er Rock-Brett und ist jetzt schon als Erbstück meinem Sohn versprochen, wenn ich mal zum „Great Gig in The Sky“ (oder „Highway to Hell“) abberufen werde…
    Ich lese diese Kolumne übrigens sehr gern …

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  7. …..auch ich werde meine 70sd Tele Thinline in Ehren mit mir alt werden lassen.

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  8. Ich habe nie eine Klampfe wieder verkauft, weil ich jede einzelne liebe, mit all ihren Vor- und Nachteilen. So sind im Laufe der Jahre 30 Stück daraus geworden, was die beste Ehefrau von allen, öfters gegen die Stirn tippen lässt. Für mich sind E-Gitarren wie Gemälde : Sie haben eine Story und man erfreut sich auch am Betrachten . Und spielen natürlich. Egal ob 300€-klampfe oder teueres Schätzchen..
    Jetzt hoffe ich nur, dass meine Kids dereinst eine pre-cbs nicht als Sperrmüll entsorgen…. Aber ich bleibe zuversichtlich. Die jüngste Tochter spielt jetzt “Stromgitarre“ in ‘ner Band, ergo : Alles richtig gemacht.

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  9. Mein Herzblatt ist eine Höfner Nightingale Halbresonanz, mehr oder weniger ne Kopie von ner ES-335, schwarz mit goldener Hardware. Muss in den späteren Achtzigern für Hubert Kah im Höfner Customshop zusammengebaut worden sein, bei mir lebt sie seit 1992 und hat diverse WG‘s, Wohnungen, Beziehungen und eine Ehe überlebt

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  10. Ich frage mich allerdings, wenn die Gitarre vin Anfang an dich so gut war, warum wurde sie so oft modifiziert, verbastelt und wieder modifiziert? Da passt doch irgendwas nicht zusammen. Ich habe auch einige, an denen ich ständig rumbastele, aber dich nur, weil sie eben doch nicht genau das ist, was ich will. Oder bin ich verpeilt?

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