6 Cabs in 1

Test: Line 6 Powercab 112/112 Plus

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Line 6 Powercab Plus(Bild: Petia Chtarkova)

Wenn man sie sieht, klickt es, ist doch so naheliegend, warum ist darauf nicht schon früher einer von den Modeling-Herstellern gekommen?! Aktive Boxen mit variabler Lautsprecher-/Sound-Charakteristik. Hehe, Stoff, von dem wir bislang kaum zu träumen wagten, wird Wirklichkeit. Wirklich?

Am Anfang war die „Bohne“. Na ja, nicht ganz, doch das POD von Line 6, der erste komplexe Modeler in handlichem Format schien damals auf dem Markt imstande, die Landschaft komplett umzukrempeln. Ist ja irgendwie auch tatsächlich geschehen.

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Heute, 20 Years After, ist die Technik erheblich gereift und Line 6 hat ein höchst vielseitiges Programm aufgebaut. Für einige Furore sorgte zuletzt das Helix. Hinter dem Kunstbegriff verbirgt sich nicht einfach ein Guitar-Prozessor, sondern ein ganzes Gerätesystem (Floor-Amp, Rack-Amp, Helix Control/Floor Controller u. a.), dem bisher allerdings etwas fehlte: genau, die letzten Glieder der Übertragungskette, Endstufe und Cabinet. Die Powercabs machen die Scharte nun wett. Sie sind aber nicht exklusiv als Ergänzung für die Helix-Komponenten konzipiert, sondern können universell in Kombination mit jedwedem Preamp etc. verwendet werden.

überblick

Der Name zeigt es an, das Powercab 112 Plus ist die aufwendiger konzipierte Variante. Deutlich erkennbar an dem üppigen Anschlussfeld. Viel erheblicher sind allerdings die Unterschiede im Leistungsumfang der Software. Während das schlichtere Powercab 112 lediglich die Grundfunktion beherrscht, nämlich die sechs sogenannten „real feel guitar speaker modes“ darzubieten, bietet das Plus folgendes mehr:

1. Speichern von Einstellungen auf 128 Preset-Plätzen.
2. Unterstützung für 128 User-Impulse-Responses.
3. USB Audio Interface.
4. Ein Auto-Dimming Display.
5. MIDI In/Out.
6. Anschlüsse für die (automatische) Stereo-Verkoppelung von zwei Plus-Cabs.
7. L6 Link, AES-In/Out für den Signaltransfer auf digitaler Ebene, z. B. eben in Kombination mit einem Helix.
8. Zweiter, von der Software-Bearbeitung isolierter analoger Signal-Input zum Einspielen von Playbacks, einem Monitor-Mix u.ä.

Alles zusammengenommen ergeben sich gravierende Unterschiede, sprich Praxisvorteile für das Powercab 112 Plus. Zumal Line 6 ein Editier-Programm zum kostenlosen Download bereit hält, das die Handhabung der diversen Funktionen erleichtert („Powercab Edit“, ab Windows 7 bzw. Mac OSX).

In den Grundzügen sind die beiden Powercab-Modelle nahe verwandt und haben identische technische Daten. Für die Ausgangsleistung sorgt eine Class-D-Endstufe. Sie treibt ein koaxiales Lautsprechersystem an, d. h. in das 12″-Speaker-Chassis (Eminence Custom) ist ein Hochtontreiber (Celestion CDX 1-1010) integriert. Natürlich ist beides möglich, der Fullrange-Betrieb (z. B. für Akustik-Gitarren) wie die Funktion ohne Hochton-Bereich (E-Gitarre). Low Cut senkt die Frequenzkurve bei ca. 80 Hz ab, um so zum Beispiel unerwünschte Spitzen im Bassbereich zu eliminieren. Dank einer Kombibuchse können die analogen Input-Signale per XLR- oder Klinkenkabel zugeführt werden. Der Output/XLR-Ausgang mit Ground-Lift-Schalter bietet den gemodelten Sound an.

Weil das Powercab 112 externe Steuerungen nicht zulässt, muss bei ihm der Speaker-Typ (vorwiegend?) statisch eingestellt bleiben. Oder man langt halt doch zwischendurch nach hinten, zum ModeTaster. An dem befindet sich ein LEDRing, der in unterschiedlichen Farben leuchtet, je nach aktiviertem Lautsprechertyp. Geschickt, ergibt unkompliziert eine klare Orientierung.

Die sechs Speaker-Modes sind im Einzelnen wie folgt definiert:

Vintage. Nomen est Omen, basiert auf dem Vintage 30 von Celestion.

Green. Auch klar, Celestions Greenback ist natürlich gemeint.

Cream. Noch einmal Celestion, es wird der G12M-65 emuliert.

Jarvis. Basiert auf dem Jensen P12Q, der in so vielen (alten) Fender-Combos/- Boxen Verwendung fand.

Bayou. Der US-Hersteller Eminence ist mit einer Nachbildung des „Swamp Thang“ aus der Patriot-Serie vertreten. Produziert laut Line 6 „…voluminöse, aggressive Bässe mit klassischem amerikanischem Ton, perfekt für Blues und Jazz“.

Essex. Soll den legendären Blue Bulldog von Celestion nachbilden.

Anstelle der Speaker-Modes können, wie schon erwähnt, beim Powercab 112 Plus Impulse-Response-Dateien zur Verwendung kommen, und diese lassen sich mit vier Parametern in den Presets bearbeiten/abspeichern: Lo Cut, High Cut, Level, Color. Weil das Powercab 112 Plus einen XLR-DI-Ausgang mit Frequenzgangkorrektur zu seiner Ausstattung zählt, bietet seine Software auch dafür entsprechende Parameter. So hat der User die Wahl zwischen 16 Mikrofontypen, deren virtuelle Distanz zum Lautsprecher mit einem zweiten Parameter abgestimmt werden kann.

Wie es mittlerweile zum Standard geworden ist, besteht beim Powercab 112 Plus die Möglichkeit, die Parameter mit MIDI-CC-Daten zu steuern. Insofern kann man jetzt schon sagen, dass bei ihm in Hinsicht auf die Funktionalität keine Wünsche offen bleiben.

Beim Design und der Konstruktion des Gehäuses hat Line 6 großzügig geplant. Hinten gibt es keine Kanten, weil die Schichtholzplatten in einem großen Radius rund geformt sind. In der Schallwand befinden sich Bassreflexöffnungen, die Schutzbespannung kann dank Schnappverschlüssen mühelos entfernt werden. Hinten sind zwei ausklappbare Schrägsteller eingelassen. Die Verarbeitung ist rundum, Aufbau der Elektronik eingeschlossen, tadellos. Wertige Anmutung, dafür setzt es schon einmal einen satten Pluspunkt.

Line 6 Powercab 112
Professionelle Ausstattung inklusive AES für digitale Signalübertragung (Bild: Petia Chtarkova)

variabel

Ja, bevor es losgeht, möchte und muss ich uns mal wieder einnorden, damit keine zu hochgesteckten Erwartungen die Freude am Modeling der Powercabs trüben. Der Punkt ist, die Speaker-Typen können ihren Vorbildern nur bedingt gleichkommen, allein aus technischen Gründen. Für optimale Ergebnisse müssten schließlich unterschiedlichste Betriebszustände der Lautsprecher im Detail erfasst und repliziert sein, inklusive verschiedener Parameter wie z. B. eben Membranaufwerfungen usw. Es kann also nur darum gehen, dass spezifische Klangmerkmale (statisch) nachgebildet werden bzw. vereinfacht gesagt, eine bestimmte Wiedergabefrequenzkurve.

Vor diesem Hintergrund erreichen die Powercabs sowohl qualitativ als auch in der Breite des Spektrums beachtliche Sound-Qualitäten. Bei cleanen Einstellungen treten die Unterschiede der Speaker-Models naturgemäß weniger hervor als bei Overdrive und High-Gain-Distortion. Vintage, Green und Cream kommen ihren Vorbildern markant nahe. Damit liefern schon diese drei ein so breites Tonspektrum, dass man bereits hochzufrieden sein könnte. Essex dagegen bleibt auf halber Strecke stecken. Das Mitten-Timbre stimmt schon, aber es fehlen die weich glockigen Höhen, die den Blue Bulldog auszeichnen.

Koloriert von einem charmanten eigentümlich vokalen Tableau in den Hochmitten, überrascht der Typ Jarvis mit einem klaren, voluminösen Breitband-Klangbild, kraftvoll im Bass, höhenreich, transparent, eigentlich modern im Charakter, was angesichts des modelierten „Vintage“-Speaker-Typs überrascht. Bayou dagegen gibt sich in den Höhen deutlich gedeckter und stellt statt dessen eine im positiven Sinne nasale Mittenbetonung in den Vordergrund, ein entschlossener Retro-Rocker. Sehr eigen, anders als alle anderen. Wie eigentlich jeder der Speaker-Typen im Ton wertig, weil eigenständig und abgegrenzt dasteht.

Bedingt durch die Bauart, das Reflexgehäuse, neigen die Powercabs dazu, ein wenig topfig zu klingen. Dafür glänzen sie im Bassbereich mit gesunden, kräftigen Impulsen. Das ist natürlich auch für den Fullrange-Modus von Vorteil, bzw. beim Einspielen von Line-Signalen über den Input 2 zu Monitor-Zwecken. Was eine in sich spezielle Anwendung ist, denn wenn man das Powercab wegen seiner Breite an Klangfarben normal mikrofoniert, sind zusätzliche Signale eher unerwünscht, nicht wahr?!

Monitoring macht also nur dann Sinn, wenn man statt eines Mikrofons den D.I.-Out nutzt, denn an ihm liegt nur das Input-1-Signal an, was am Input 2 ankommt, bleibt außen vor. Vermutlich werden die User überwiegend genau das tun, primär den D.I.-Out nutzen. Einfach, weil die Signalqualität sehr überzeugend ist. Zwar schlank im Bass, doch Druck, Tiefe und Prägnanz usw., alles konkret fassbar, und der Charakter der Speaker-Typen glänzt hier beinahe noch mehr als bei der akustischen Verstärkung. Glatte „1“ dafür.

Die Fullrange-Wiedergabe mit aktivem Hochtontreiber reicht im Übrigen qualitativ nicht an High-Fidelity heran. Ist nicht negativ gemeint, nur als Hinweis. Das Klangbild ist angenehm, durchsichtig, und praxisgerecht, aber eben nicht maximal klar und fein. Mehr darf man von so einem Duplex-Lautsprecher dieser Leistungsklasse aber auch nicht erwarten.

Das letzte Wort gilt der Endstufe bzw. der Leistungsausbeute der Powercabs. Line 6 gibt 250 Watt als Maximum an. Als Peak-Maximum allerdings, d. h. (sehr) kurzzeitige Spitzen können den Wert erreichen. Eine Angabe zur Sinus-Dauerleistung, die das Potential einer Endstufe praxisnäher beschreibt, findet sich in dem sonst lobenswert sehr ausführlichen Manual nicht (ein Schelm, der Schlechtes dabei denkt…).

Na gut, ich habe es überschlägig mit einem 1kHz-Signal gemessen. Da pendelt sich der Wert bei ca. 80 Watt ein. Für die Vollaussteuerung waren ca. 775 mV notwendig. Wer überlegt, von seinem Pedalboard direkt in ein Powercab zu gehen, muss dies beachten bzw. u. U. einen Line Driver benutzen, um den nötigen Signalpegel zu erreichen. Der Vergleich mit analoger Technik relativiert die Performance der Powercabs. Gefühlt pendelt sich der maximale Schalldruck etwa auf dem Niveau eines 1×12″-Cabinet plus 50-Watt-Röhrenendstufe ein. Mit leichten Abstrichen in der Klangfülle, weil Dynamik und Transparenz nicht mithalten, analog ist frischer und lebendiger.

Der Fairness halber muss man aber auch sagen, dass die genannte analoge Referenz auf der Ebene der Variabilität und des Anwendungskomforts keine Schnitte gegen die Powercabs kriegt und zudem die wesentlich teurere und im Transport unfreundlichere Alternative ist.

Line 6 Powercab 112(Bild: Petia Chtarkova)

resümee

Mit ihrer speziellen Funktionalität stehen die Powercabs zumindest derzeit alleine auf dem Markt. Gepflegte Sound-Kultur und ein Maximum an tonaler Variabilität machen Sie zu hoch effizienten Tools. Eine wertvolle Ergänzung nicht nur für die entsprechenden Geräte von Line 6, mit denen vor allem das Powercab 112 Plus quasi perfekt korrespondiert und kommuniziert, sondern generell für Anwender, die ein kompakt transportfreundliches und dabei hoch leistungsfähiges Setup verfügbar haben wollen.

Wer günstig einsteigen will, ist mit dem „kleinen“ Powercab 112, dass ja immerhin schon sechs deutlich voneinander differenzierte Grund-Sounds liefert, gut bedient. Doch stellt sich durchaus die Frage „…wenn schon, denn schon?“ Der Aufpreis zur „Plus“-Version hält sich im Rahmen, der Zugewinn an Funktionalität dagegen ist erheblich. Sei‘s drum, ein gesundes Preis-/Leistungsverhältnis kann man zweifelsfrei beiden Powercab-Modellen bescheinigen.

PLUS
• Klangqualität, sehr hohe Variabilität
• Schalldruck, Dispersion
• Allround-Cabs, da wahlweise Fullrange-Betrieb möglich
• 112 Plus: hoher Funktionsumfang
• Qualität d. D.I.-Signals (112 Plus)
• Zerrverhalten harmonisch
• Edit-Software f. 112 Plus
• Verarbeitung, Substanz

Line 6 Powercab 112


 

Hinweise zu den Soundfiles

Die Aufnahmen wurden im D.I.-Verfahren mithilfe der integrierten Speaker-Simulation bzw. des entsprechenden XLR-Ausgangs erstellt. Mit Ausnahme des Clips 7, der mit einem Großflächenmembranmikrofon vom Typ AM11/Groove-Tubes/Alesis aufgenommen wurde.

Die Clips wurden pur, ohne Kompressor und EQ-Bearbeitung über das Audio-Interface Pro-24DSP von Focusrite in Logic Pro eingespielt und abgemischt.

Die Instrumente sind eine Steinberger GL4T und eine Fender-Relic-Strat-1956 (m. JB-Humbucker v. Seymour Duncan am Steg) aus dem Custom Shop.

Ich wünsche viel Vergnügen, und…,  wenn möglich, bitte laut anhören, über Boxen, nicht Kopfhörer! 😉

Fragen, Anregungen und ja, auch Kritik sind wie stets willkommen. Nachrichten bitte an frag.ebo@gitarrebass.de. Es klappt nicht immer, aber ich werde mich bemühen möglichst kurzfristig zu antworten.

Text + Musik: Ebo Wagner (GEMA)

(erschienen in Gitarre & Bass 12/2018)

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. doch, gab es schon so vor 20 Jahren. Hersteller, oder der Name der Gerätschaften, nannte sich Atomic. Da waren verschiedene “Wannen” oben auf dem Amp vorgesehen, wo entweder die “Bohne” = erster Line6 POD, oder die J-Station von Johnson (Digitech) reinpassten.
    Ich meine mich zu erinnern, dass G&B das damals im Test hatte.

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