Aus dem neuen Heft

Test: Gladius Rocket

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(Bild: Dieter Stork)

Neben den legendären Kreationen von Howard Alexander Dumble genießt seit zwei Jahrzehnten vor allem ein amerikanischer Boutique-Amp-Hersteller ein ähnlich hohes Ansehen: Bei dem Namen Trainwreck geraten immer noch zahlreiche Klangliebhaber in Verzückung. Während der 80er-Jahre schuf der weltweit bekannte Amp-Guru Ken Fischer in Ahornholz gekleidete Klangwunder, die heute mit hohen fünfstelligen Sammlerpreisen gehandelt werden. Gladius-Chef Adrian Socnik beschert mit seinem Rocket eine wunderbare Hommage an den leider schon 2006 verstorbenen Vater des Gedankens.

Amp-Experte Ken Fischer entwickelte Ende der 70er-Jahre im Keller seines beschaulichen Anwesens in New Jersey/USA auf vielfachen Kundenwunsch damals recht preiswerte Eigenkreationen, die sich vor allem am Klang britischer Modelle orientierten. Marshall und Vox waren in den USA längst nicht so verbreitet wie in Europa, und daher forderten jenseits des großen Teichs vor allem Studiomusiker nach einer praktikablen Lösung, den britischen Vorbildern wie Jimmy Page, Jeff Beck oder Eric Clapton nacheifern zu können.

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Ken Fischer überraschte mit seiner Entwicklung, die jedem damals gefragten Trend entgegenzulaufen schien. Ungefähr in der Geburtsstunde des Gitarren-Racks mit getrennter (mehrkanaliger) Vor- und Endstufe und reichlich zwi­schengeschalteten Effekten, entschied er sich, einen Verstärker zu bauen, der weder Hall, Tremolo, Einschleifwege oder Mastervolume aufwies. Das Layout war ausnahmslos britischer Prägung und überzeugte gerade wegen des bewusst angestrebten Puris­mus. Jeder Baustein sollte der Klangausbeute dienen. Mehr als vier oder fünf Regler zeigten die Modelle nicht. Wer zwischen Clean und Overdrive wählen wollte, sollte sich, wie einst die Helden der Sechziger, mit der Stellung des Volume-Reglers an der Gitarre zufriedengeben. Wer damit nicht überfordert war, fand mit einem Trainwreck-Topteil den sprichwörtlichen Amp fürs Leben. Kaum ein Besitzer wollte seinen Liebling wieder hergeben. Und so ist es bis heute.

Ordentlicher geht’s kaum: Frei verdrahtetes Innenleben des Rocket. (Bild: Dieter Stork)
(Bild: Dieter Stork)

Ken Fischer, der schon Jahre vor seinem viel zu frühen Tod 2006 an einer chronischen und leider unheilbaren Infektionskrankheit litt, sollte diese weltweite Würdigung nicht mehr erleben, obwohl er durchaus wusste, dass er da etwas ganz Besonderes geschaffen hatte. Die Warteliste unter Trainwreck-Kunden war von Anfang an stets lang. Der wenig schmeichelhafte Name ‚Trainwreck‘ stammte übrigens von seinen Kumpels aus seiner Motorrad-Clique, die ihn angeblich scherzhaft mit diesem Spitznamen versahen. Beinahe romantisch wirkt dagegen die Tatsache, dass Ken jeden seiner Amps statt mit einer Seriennummer mit einem eingravierten Frauennamen versah.

Wer heute einen Trainwreck kaufen möchte, muss entweder nach einem der äußerst seltenen Originale Ausschau halten und bekanntlich tief in die Tasche greifen oder sich bei dem durch die Fischer-Familie wiedererweckten Unternehmen auf die Warteliste setzen lassen. Dort bekommt man seit etwa zehn Jahren angeb­lich wieder „echte“ Trainwrecks ganz im Sinne des Erfinders.

Die Amps werden dort von einem mysteriösen Mister „JM“ gefer­tigt. Mehr gibt die Fischer-Familie nicht bekannt. Nicht uninteres­sant ist es, in Netzforen nach diesen Kreationen zu suchen und die Erfahrungen der Neubesitzer zu studieren. In Europa wäre aber auch dies mehr als mühsam. Eventuell muss man im Voraus bezahlen und mitunter lange auf die Lieferung warten.

An diesem Punkt kommt unser Testkandidat ins Spiel. Gladius-Chef Adrian Socnik, seit vielen Jahren Garant für exzellente Repli­ken alter Brit-Sound-Schätze, hat sich diesem Thema gewidmet und sich mit dem Rocket einem der drei damals erhältlichen Trainwreck-Modelle verpflichtet.

Ken Fischer hatte zunächst den Express, eine Hommage seinerseits an die berühmten Marshall-Plexi-Amps der späten 60er, und den Liverpool, eine Hommage an den legendären Vox AC30, entwickelt. Beide Amps waren noch etwas puristischer als die Originale aufgebaut und verfügten – so war der Kundenwunsch – jeweils mehr Gain-Reserven als die Vorbilder. Zum Abschluss baute er zunächst gemäß seinen eigenen Vorlieben den Rocket, praktisch eine exakte Kopie eines Vox AC30 Top Boost, jedoch nur mit einem Kanal und ohne Tremolo.

Erst als ein Kunde diesen Amp in seiner Werkstatt probierte und sofort kaufen woll­te, entschied er sich, das Modell in kleiner Serie herzustellen. Schon von der Krankheit gezeichnet schaffte er es jedoch nur noch, wenige Exemplare zu bauen. Der Rocket ist somit das heute seltenste Trainwreck-Modell. Und vermutlich ist keiner seiner Amps klanglich näher an einem alten AC30 angesiedelt als dieser.

(Bild: Dieter Stork)

PRÄZISION IN AHORN

Zur Konstruktion gibt es eigentlich gar nicht viel zu berichten. Der Rocket folgt in praktisch jeder Sektion der Schaltung eines alten Vox AC30 Top Boost. Beim Gladius überzeugt, wie stets bei den Produkten von Adrian Socnik, die „Unpacking-Erfahrung“. Dieser Verstärker ist in jeder Hinsicht hochwertigst verarbeitet. Für jemanden, der sich schon so lange mit diesem Thema auseinandersetzt wie ich, sind solche Produkte stets eine Wonne. Auch ein Laie erkennt sofort die allgegenwärtige Liebe zum Detail, die ein originaler Trainwreck vermutlich nicht bieten kann.

(Bild: Dieter Stork)

Das wunderschöne Ahorngehäuse verleiht durch die Unverwechselbarkeit der schönen Maserung jedem Verstärker eine ganz eigene, besondere Note. Das Aluminium-Chassis wurde extrem präzise gearbeitet, und die freie Verdrahtung im Innenleben ist beinahe konkurrenzlos ordentlich ausgeführt. Dieser Verstärker kommt eindeutig nicht aus irgendeiner fernöstlichen Fabrik, sondern vom Masterbuilder höchstpersönlich. Noch einmal: Es ist wirklich schön, so etwas anzuschauen.

(Bild: Dieter Stork)

Im Gegensatz zum Original spendierte Socnik seiner Rocket-Version ein Post Phase Inverter Master Volume (PPIMV). Ohne das kann man auch mit einem 30-Watt-Verstärker heutzutage nicht mehr auf die Bühne gehen. Und obendrein verfügt der Amp über eine eigens vom Hersteller entwickelte Power-Reduction-Schaltung, die stufenlos die Verwendung des Amps in praktisch jeder Lautstärke ermöglicht. Viele Gladius-Verstärker sind seit geraumer Zeit mit diesem Feature ausgestattet.

Ähnlich wie bei Ken Fischer bleibt die Herkunft der Trafos Socniks Geheimnis. Gerade wegen der puristischen Schaltung spielen die Übertrager bei allen Trainwreck-­Kreationen eine bedeutende Rolle. Nur mit „gutem Eisen“ erreicht man das legendäre Obertonspektrum und die berühmt gewordene Ansprache dieser Amps.

(Bild: Dieter Stork)

Wie der Vox verfügt der Amp über Regler für Volume, Treble, Bass und (Presence­-)Cut. Die Endstufe ist mit vier Mullard Reissue EL84 im Kathoden-­Bias-­Modus bestückt. Die drei Vorstufenröhren stammen vom gleichen Hersteller. Die Gleichrichtung übernimmt wie beim Vorbild eine Mullard GZ34. Insgesamt verdient die Konstruktion dieses Amps wie jedes Gladius­-Produkt ausschließlich Bestnoten.

PRAXIS

Mein erster „richtiger“ Röhren-­Amp war ein Vox AC30, Baujahr 1966. Diesen Amp bekam ich 1975 noch als blutiger Anfänger. Über die Jahrzehnte hat mich dieser Sound geprägt, und so habe ich diesen Verstärker auch live und bei fast allen Studioaufnahmen eingesetzt. Und auch durch die Erfahrungen in meiner Verstärkerwerkstatt entwickelte ich zu diesen Amps eine Art Hassliebe. Sie brummen, werden viel zu heiß, verschleißen reihenweise Röhren, brutzeln, rauchen ab, geben sich zickig gegenüber allen möglichen Raumverhältnissen und vieles mehr. Kurzum: Ohne Ersatzteile oder einen stets einsatzbereiten Amp-Techniker findet man an diesen Amps kaum lange Freude. Obwohl sie zu bestimmten Zeiten eben auch beinahe göttliche Klänge bescheren können.

Und genau in diesem Punkt schafft die Gladius­-Kreation endlich Abhilfe. Der Verstärker ist konsequent gegen all diese Probleme gefeit, sodass man die legendären AC30-­Klänge ohne Unbill und die damit verbundene Reue genießen kann. Die Bauteile wurden für reichlich Wärme­-Headroom vorsorglich überdimensioniert. Das Layout ist dem eines alten Vox haushoch überlegen und sorgt für einen extrem rauscharmen Hintergrund. Ein Impedanzwahlschalter auf der Rückseite ermöglicht die Verbindung mit jeder denkbaren Speaker­-Kombination. Zudem ist das Top so klein und leicht, dass man den Vox­-Ton endlich im nahezu praktischen Handtaschenformat zur Verfügung hat.

Als Testwerkzeuge dienten mir eine Les Paul Standard mit PAFs und eine Vintage­-Stratocaster. Als Lautsprecher kamen zwei Celestion-Alnicos mit je 15 Watt in einer alten Vox 2×12­Box zum Einsatz.

Der Gladius Rocket spielt seine Stärken gleich zu Anfang in jeder Nuance aus. Erfrischend ist da zunächst die absolute Ruhe, aus der die Klänge blühen. Wie beim alten Vox paart sich glockige Klarheit mit dem typisch rauen Unterton, ohne den es kein Vox-­Sound wäre. Das ist Adrian Socnik perfekt gelungen. Der Amp klingt im Vergleich zum alten Vox ein Spur klarer und konturierter. Auch die Dynamik ist stärker ausgeprägt, die Ansprache etwas direkter und schneller.

Das Verhalten des Volume­-Reglers und der Klangsteller entspricht beinahe eins zu eins dem Vorbild. Mir persönlich ist das Master-Volume äußerst willkommen, denn trotz der moderaten 30 Watt ist der Amp richtig druckvoll und laut. Riffs punchen in bester Brit-Manier, und die Obertöne gelingen spritzig und frisch, aber niemals unangenehm harsch oder störend.

Weit aufgedreht ist er vom alten Original beinahe nicht zu unterscheiden, außer dass er das weiterhin mit stoischer Hintergrundruhe schafft, ganz anders als der jetzt schon deutlich frutzelnd vor sich hin rauschende Vox. Egal, ob man mit diesem Amp Brian­-May-Riffs nacheifert oder U2­-Echo­-Gitarren formt, Pinch­-Harmonics à la Rory Gallagher fordert oder endlich mal das ‚Smoke On The Water‘­ Riff in genau dieser fetten Ritchie-­Blackmore-­Kompression anstimmt, der Gladius packt das alles scheinbar spielend.

Nur als Sitzheizung taugt er weniger gut als der alte Vox, denn auch hier bleibt der Amp überraschend kühl, was Hoffnung auf seine Langlebigkeit und Zuverlässigkeit schürt. Was also möchte man mehr? Ich vermute, dass nicht nur Vox-­Fans wie ich vom Suchtfaktor infiziert werden.

(Bild: Dieter Stork)

RESÜMEE

Mit dem Rocket gelingt den Bayern aus Oettingen ein hochwertiges Boutique­-Konstrukt, das eine beachtlich überzeugende Lösung für Trainwreck­ oder Vox-­Fans jeglicher Couleur darstellt. Zudem ist die Verarbeitung und Konsequenz der Konstruktion so erfrischend fortschrittlich, wie sich das heutzutage einfach gehört. Eine wunderbare Trainwreck­-Hommage über den großen Umweg von England nach Amerika und wieder zurück in Adrian Socniks Werkstatt. Wie schön ist das denn?

PLUS

  • Klangqualität
  • Freie Verdrahtung
  • Handarbeit
  • Design/Optik
  • Rauscharmut
  • Master-Volume
  • Power-Reduction-Schaltung

(erschienen in Gitarre & Bass 06/2020)

 

Produkt: Gitarre & Bass 3/2023 Digital
Gitarre & Bass 3/2023 Digital
Im Test: Fender Je¬ Beck Stratocaster, E-Gitarre +++ König & Brüggen Juli, E-Gitarre +++ 48ers Loveliner, E-Gitarre +++ Rocktile Vinstage ST- und T-Style, E-Gitarren +++ Ibanez FRH10N-BSF, E-Nylonstring +++ Lakota DWG-5000 & DWG-6000, A-Gitarren +++ Schecter Corsair Bass, E-Bass +++ Ibanez SR5FMDX2-NTL, E-Bass +++ amp // box // fx // zubehör +++ Harley Benton Sugar & Spice, FX-Pedal +++ Blackstar Dept.10 Amped 2, Amp im Pedalformat +++ Solar Guitars Chug Pedal +++ Two notes ReVolt Bass, Preamp +++ Darkglass DFZ, Fuzz-Pedal +++ KHDK Gojira Drive, OD-Pedal

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Ich bin Elektro-Ingenieur und Musiker.
    Ich kann manchmal nicht nachvollziehen warum so ein Voodoo-Hype um alte Elektroartikel gemacht wird. Da sind nirgendwo unbekannte Zaubermittel am Werk. Alles läßt sich zerlegen, analysieren und nachbauen. Alle Materialien lassen sich wieder beschaffen. Wenn es da also so einen Wunderverstärker gäbe der einen ganz besonders tollen Sound hätte, so würde es sich doch sofort für alle Verstärkerhersteller mega lohnen diesen zu einem Dumpingpreis in China nachbauen zu lassen. Erzählt mir nix, das ist problemlos machbar. Auch irgendwelche Wunderwicklungsdrähte-/röhren etc. lassen sich alle wieder herstellen, wenn sie so toll wären. Da ist nix Unbekanntes am Wirken. Also, die Frage stellt sich doch ob diese Sounds wirklich besser sind als ein guter Fender, Mesa Boogie, etc..
    Diese alten hochgelobten Verstärker waren in ihrer Zeit sehr, sehr teuer. Kaufe ich heute das Topmodell einer der besten Verstärkerhersteller bekomme ich einen genau so gut klingenden Verstärker. Nur ist er zuverlässiger, und hat halt den Seltenheitshype nicht.

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    1. Endlich mal einer der ausspricht was ich schon lange denke. Nach dem Motto ,,früher war alles besser“ werden Geräte auf dem Markt gebracht die für viel Geld auf Vintage gemacht sind. Wenn ich überlege was früher Instrumente und Verstärker gekostet haben im Vergleich zu heute! Naja, da es eben schon alles gibt, muss der Markt eben auf das alte zurückgreifen. Ich habe einen 20 Jahre alten Marshall Akustik Verstärker, schönes Teil aber über 20 Kilo schwer ich bin froh das ich den nicht mehr mitschleppen muss und eine 5 kg alternative gefunden habe.

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    2. Sehr geehrter Herr Reinsprecht so etwas kann nur jemand schreiben der zwar Elektro Ingenieur ist, aber nicht für Audio Elektronik.
      Nein es gibt heute nicht mehr Materialien, ein Teil der Materialien sind bei Einführung der CE, ROHS unter die Räder gekommen.
      Um es ab zu kürzen, sehr viele Materialien sind heute zu gut.
      In der Elektronik sind die Materialien auf Leistungsfähigkeit getrimmt. In einen Punkte haben Sie recht, man kann heute sehr guteTube Amps kaufen. Allerdings bekommt man immer noch einen vernünftigen Hand verdrahteten Amp aus den 70 Jahren, die sind nahe zu unkaputtbar.
      Ich würde mir keinen von den modernen Platinen Amp kaufen die fallen meist nach 5 Jahren auseinander.

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