Uneingeschränkt erstaunlich

Taschengeld Deluxe: Harley Benton MV4-PJ Gotoh BM im Test

Anzeige
(Bild: Dieter Stork)

BESPIELBARKEIT/SOUND

Am Gurt gibt sich der MV4-PJ betont gutmütig, mit seinem relativ hohen Gewicht und den leichteren Mechaniken findet er sich knapp oberhalb der Waagerechten ein. Eingestellt ist er gut und der Sattel sauber gekerbt, ein bisschen habe ich für mich die Saitenlage noch tiefergelegt und den Stahlstab angezogen. Auch danach schnarrte und schepperte nichts – durchaus beeindruckend. Ebenfalls bemerkenswert finde ich, dass der Halswinkel so bemessen ist, dass er zur Brücke passt. Ein Shim ist nicht vonnöten, dennoch stehen die Madenschrauben nicht aus der Brücke heraus und nach unten ist noch reichlich Luft. Eine willkommene Abwechslung zu vielen Budget-Bässen, die auch mit den Saitenreitern ganz unten noch keine komfortable Saitenlage haben. Hier steht in Kombination mit dem sehr gut in der Hand liegenden, Jazz-Bass-mäßig geschnittenen Hals einer lockeren Bespielbarkeit nichts im Weg.

Schon akustisch gespielt fällt auf, dass der Bass nicht sonderlich sensibel auf Veränderungen der Anschlagsposition reagiert, was in dieser Preisklasse aber wohl auch niemand erwartet. Apropos erwartet – am Amp klingt es … unerwartet. Ich bin großer Fan von PJ-Bässen, mag AlNiCo-Pickups und habe entsprechend eine Erwartungshaltung, die der MV4-PJ so nicht bedient. Mit allen Reglern voll aufgedreht fehlt es dem Ton etwas an Substanz, er wirkt in den Mitten ausgehöhlter als es sein sollte.

Anzeige

Bei weitem nicht so, als wenn die Pickups out-of-phase verdrahtet wären, aber doch … Des Rätsels Lösung: So wie auch der Korpus einem Preci sehr ähnlich sieht, aber einen leicht anderen Schnitt hat, sitzen auch die Pickups nicht genau an den klassischen Stellen, sondern sind zur Brücke hin versetzt. Dem P-Pickup alleine schadet das wenig, der Ton ist sofort als preciesk identifizierbar, knurrig und mit absolut ausreichendem Fundament.

Der Jott büßt dagegen solo doch Substanz ein. Um ihn tragfähig zu bekommen ist beherzter Einsatz des Bassreglers am Amp angesagt, was er dann mit reichlichem Biss quittiert. Die beste Kombination beider Tonabnehmer ist in meinen Ohren der vollaufgedrehte vordere Pickup mit leicht zurückgenommenem Stegabnehmer. Das gibt auch ohne weiteren Equalizer-Einsatz einen großen Ton mit gutem Punch in den Mitten und Höhen, die den guten Attack des Basses sauber herausstellen. Guter Allroundton!

Die Tonblende will ich auch nicht verheimlichen, wie alle Regler läuft sie gleichmäßig und variiert den Treble-Anteil schön. Da der Abnehmer am Steg ein Singlecoil ist, ergibt sich die typische Nebengeräuschszenerie: Der Jott alleine ist am einstreuungsempfindlichsten, sind beide voll aufgedreht, reduziert sich die Einstreuungsempfindlichkeit, der P solo ist komplett still – keine unangenehmen oder sonstigen Überraschungen also. Am liebsten würde ich jeden Testbass gerne gleich mehrfach in der Hand haben, um zu sehen, ob es Streuungen gibt. Meistens ist das schlicht nicht möglich, hier hatte ich die Möglichkeit, noch ein zweites Exemplar in Augenschein zu nehmen.

Vieles ist gleich (die spür- aber nicht wirklich sichtbaren Riefen an der Zarge, die insgesamt exakte Verarbeitung, das Gewicht, der Sound); anderes besser (der leichte Deadspot des Testbasses im 6. Bund auf der G-Saite ist weg, der Skunkstreifen nicht fühlbar); manches weniger gut (die Saitenreiter sind zum Teil angelaufen, die Bünde haben teilweise auch ganz leichte Spuren wie von Flugrost).

RESÜMEE

Was der neue Harley Benton MV4-PJ Gotoh zu bieten hat, ist in der Optik und Bespielbarkeit uneingeschränkt erstaunlich. Auch die namensgebenden Mechaniken sind über jeden Zweifel erhaben. In der Verarbeitung hat der Testbass nur kleine Schwächen, macht aber an den wichtigen Stellen alles richtig, was zum Beispiel die Präzision der Halstasche angeht oder die Geometrie von Halswinkel und Brücke. Die gewählte Position der Tonabnehmer ergibt immer noch einige zum Teil sehr gut nutzbare Sounds. Im persönlichen Test sollte also geklärt werden, ob das doch recht hohe Gewicht auf Dauer, gerade für Anfängerinnen und Anfänger, tragbar ist und natürlich, wie einem die resultierenden Klänge zusagen.

PLUS

  • Optik
  • Bespielbarkeit
  • Verarbeitung (m.E.)
  • Gotoh Mechaniken
  • Balance
  • D‘Addario Saiten
  • Werkseinstellung Testbass

MINUS

  • Skunkstripe fühlbar
  • Feinschliff Korpus


(erschienen in Gitarre & Bass 02/2023)

Produkt: Gitarre & Bass 9/2022 Digital
Gitarre & Bass 9/2022 Digital
Im Test: Soldano SLO Mini +++ Harley Benton JJ-45OP und JP-45OP +++ Jensen Speakers Impulse Responses +++ Maybach Stradovari S61 „True Specs“ Masterbuild +++ LTD Phoenix-1000 +++ Epiphone B.B. King Lucille Bone White LTD & ES-335 +++ Keeley Electronics Halo Andy Timmons +++ Universal Audio UAFX Woodrow '55, Ruby '63 & Dream '65 +++ Baton Rouge X11S/FJE-AB Acoustic

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Guten Morgen Jogi,

    Chapeau. Selten so einen informativen Artikel über einen 4-Saiter gelesen. Unterhaltsam geschrieben und präzise bis in die Details. Insbesondere Dein Schreibstil fällt auf, weit weg von blumiger Werbesprache, einfach “Fakten, Fakten, Fakten … ” mit einer Bewertung von jemandem, der eine Ahnung hat. Das kam deutlichst rüber.

    Danke, ich konnte mir ein Bild machen und lass mir mal zwei ins Haus kommen.

    Gruß

    Uwe

    Auf diesen Kommentar antworten
    1. Dem schließe ich mich absolut an. So sollten Testberichte aussehen, wenn es nämlich simpel um das geht, was ein/e User/in später auf dem Schoß bzw. um den Hals hängen hat. Und mit Gewichten von über 4,5kg – kennt man ja vom Vorbild – bleibt’s dabei. Spector rules ;⁠-⁠)

      Cheers, M

      Auf diesen Kommentar antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Das könnte dich auch interessieren