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Parts Lounge: Wie laut sind 15 Watt?

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1955 Fender Tweed Deluxe (Bild: Udo Pipper)

In den nächsten Ausgaben werden wir uns mit kleineren Verstärkern beschäftigen. Nicht nur die Corona-Krise hat in jüngster Zeit dazu beigetragen, dass unsere Gitarren-Amps immer kleiner und natürlich auch leiser werden.

Auch in meinem Amp-Shop werden eigentlich nur noch kleinere Combos nachgefragt. Schon ein Vox AC30 oder ein Marshall JTM45 mit je circa 30 Watt bleiben wie Blei bei mir stehen, ganz zu schweigen von Fender Twin Reverbs oder Marshall-4×12″-Boxen. Da lohnt es sich wirklich, mal darüber nachzudenken, wie viel Amp man eigentlich braucht. Schauen wir uns zunächst die letzten 70 Jahre Amp-Historie genauer an.

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ALLES BEGANN RECHT LEISE …

Ende der Dreißigerjahre begann Jazz-Legende Charlie Christian seine Gibson ES-150 über einen Gibson EH-150 zu verstärken. Dabei handelte es sich um einen winzigen Koffer-Amp mit einem 10-Zoll-Lautsprecher und etwa 12 bis 15 Watt. Christian gilt als einer der Pioniere der elektrisch verstärkten Gitarre. Viel Auswahl hatte er nicht, denn der Gibson-Amp war einer der ersten kommerziell erhältlichen Combos.

1953 Gibson GA-40 (Bild: Udo Pipper)

Bei Fender begann man erst Mitte der Vierziger mit der Amp-Produktion. Zu diesem Zeitpunkt war Christian leider schon verstorben. Die Leistung von 10 bis 15 Watt blieb lange Zeit ein Standard bei den Gitarren-Combos. Erst der Rock’n’Roll sorgte dafür, dass die Gitarren noch etwas lauter sein mussten. Doch bis Mitte der Fünfzigerjahre boten auch die „großen“ Koffer-Amps meist nicht mehr als 20 oder 25 Watt. Das lag auch daran, dass die verwendeten Lautsprecher mit Alnico-Magneten und relativ fragilen Papier-Membranen häufig mit weit unter 20 Watt belastbar waren.

Die Musiker spielten meist in Bands, in denen auch weiterhin zahlreiche Instrumente ohne Verstärker auskommen mussten. Gitarren durften nur so laut sein wie das Schlagzeug, die Trompeten oder das Saxophon. Und dafür waren 15 Watt damals mehr als genug. So konnte man auch größere Clubs mühelos beschallen. Für die ersten E-Bässe waren die kleinen Combos doch meist zu schwach. Fender entwickelte daher den Bassman, der zuerst circa 25 Watt, später sogar 45 Watt (Fender Tweed Bassman) ins Spiel brachte. Aber das waren Ausnahmen. John Lennon verwendete in den Starclub-Jahren der Beatles immer noch einen kleinen Fender Tweed Vibrolux mit 10 Watt! Dennoch hielt man die „halbstarken Krachmacher“ damals für bekloppt aufgrund dieser „körperverletzenden Lautstärken“.

Vintage Gibson GA-9 (Bild: Udo Pipper)

DER MARSHALL-EFFEKT

Doch dann kam der Beat und zeitgleich Jim Marshall mit seinen großen, leistungsstarken Gitarren-Anlagen. Clapton, die Small Faces, die Kinks und vor allem The Who brauchten für ihre neuartige Musik besonders laute Verstärker. Mitte der Sechziger kamen die 100-Watt-Amps mit 4×12″-Boxen. Und seit Clapton und Hendrix wurde es üblich, diese Verstärker auch bis zum Anschlag aufzudrehen. Jim Marshall war über diese Gewohnheit besorgt, denn er wusste nur zu gut, dass seine Amps solche Praktiken einfach nicht auf Dauer aushalten: „Ging man damals in London in einen Club, hörte man nur noch wahnsinnig lauten Gitarrenlärm. Vom Gesang oder dem Schlagzeug war praktisch nichts zu hören,“ erzählte mir Jim Marshall Ende der Neunzigerjahre. „Meine Amps und Lautsprecher hielten so nur ein bis zwei Konzerte und glühten dann durch. Ich musste andauernd Service-Techniker losschicken, um die Dinger zu reparieren. Das kostete mich ein Vermögen.“

Die Musiker kümmerte das wenig. Clapton war „Gott“ und Hendrix versuchte ihn in seinem göttlichen Glanz und auch in der Lautstärke permanent zu übertrumpfen. Viele der frühen Protagonisten bezahlten diesen Sound-Eifer mit Gehörverlust oder lebenslangen Tinitus-Beschwerden. Pete Townshend, Eric Clapton, Steve Lukather oder Jimmy Page klagen über solche Probleme. Aber die Musik der späten 60er, 70er und 80er war nun mal auch von enormem Lautstärke-Potenzial geprägt. Sie war Teil der Musik. Für Rock und Heavy Metal benötigte man bald riesige Verstärker-Wände mit unzähligen Boxen. Freunde von mir gingen bald nur noch mit Gehörschutz auf Konzerte. Eigentlich verrückt!

David Gilmour schwärmte jüngst in einem Interview etwa davon, welchen enormen Unterschied es mache, ob man zuhause über einen kleinen Fender Tweed Deluxe vor sich hinträllert oder auf einer großen Bühne in einem riesigen Gitarren-Sound badet, einem Sound „…der dich praktisch trägt, in den du dich hineinfallen lassen kannst und der jeden Ton zu einem gewaltigen Klangereignis macht.“ Wer schon mal eine ähnliche Erfahrung auf einer großen Open-Air-Bühne gemacht hat, kann leicht nachvollziehen, wie verführerisch das sein kann.

Ich selbst habe das hier und da erlebt. Doch meistens spielte ich während meiner etwa dreißigjährigen Laufbahn als Live-Musiker in Clubs für 100 bis 400 Besucher. Das war alles noch recht überschaubar. Wie gern hätte auch ich über 100-Watt-Marshalls gespielt, aber da gab es zahlreiche Vetos von Seiten der Mitmusiker und natürlich der Sänger: „Bis Du bekloppt?“ Und die Tonmischer, die beim Soundcheck mosern, weil die Gitarre stets auf der Bühne schon zu laut ist. Jeder kennt das. Am Ende dreht man seinen Fender Super Reverb auf Lautstärke 2, und da klingt er einfach noch nicht!

ZAHN DER ZEIT

Mit den Jahren kommen dann Rückenprobleme hinzu. Jahrelang trägt man große Ampeg-Boxen, P.A.-Rutschen, Hammond-Orgeln und Gitarren-Stacks durch die Gegend, und ab Mitte 40 streikt das Skelett, obwohl man sich doch insgesamt noch ganz fit fühlt. Man hält unweigerlich Ausschau nach kleineren Amps. Aufgrund der schrumpfenden Live-Aktivitäten und der Verlegung des Gitarren-Hobbys in heimische Gefilde muss es auch leiser als früher sein. Die Nachbarn!

Natürlich gibt es von solchen Entwicklungen auch Ausnahmen. Ich habe Gitarren-Kollegen, da geht auch bis heute unter 100 Watt gar nichts. Schließlich wollen die Aggressionen auch mal raus… Aber seit gut zwanzig Jahren nimmt die Entwicklung zu leiseren Gitarrenklängen unweigerlich ihren Lauf. Mitte der Neunziger spielte ich in einer Band mit Sängerin. Die Musik war nicht sonderlich rockig, sondern eher im Singer/Songwriter-Genre angesiedelt. Da war kein Platz mehr für „Sound-Baden“ bei großer Lautstärke. Schließlich gab es in der Band noch eine zweite Gitarre, und da kam die Sängerin schnell an die Grenzen ihrer Geduld.

Gitarrenbauer Matthias Schindehütte aus Frankfurt besorgte mir schließlich einen alten 56er-Fender-Tremolux-Tweed-Combo. Der abgewetzte Amp, der in der Band schnell den Spitznamen „Hasenkiste“ verpasst bekam, erwies sich allerdings als Offenbarung. Mit einer Leistung von 15 Watt konnte ich den Amp endlich auf praktisch jedem Konzert in den Sweetspot drehen. Laustärke „6“ war der Standard, und da klang der Amp einfach perfekt. Die Sängerin und ich wurden doch noch Freunde! Der Mixer rief beim Soundcheck zum ersten mal: „Mach ruhig lauter!“ Und Eric Bazilian von den Hooters, mit denen wir ein paarmal auf Support-Tour gingen, wollte mir den Amp unbedingt abkaufen. Er stöpselte sich regelmäßig beim Soundcheck in meine Hasenkiste und genoss den Sound.

Später schloss ich mich einer Mannheimer Blues-Band an. Hier wurde mein Sound noch leiser. Ich spielte in der Regel über einen geliehenen Fender Princeton mit 12 Watt und 10er-Lautsprecher, auch weil der Tremolux nach einem Konzert in Norddeutschland leider gestohlen worden war. Wir spielten damals auch in kleinen Cafés und Restaurants. Und dafür war ich mit 12 Watt bestens gerüstet. Auch im Studio bei Aufnahmen waren diese Amps fantastisch, denn aufgrund der geringen Lautstärken, konnten wir Songs endlich live einspielen, ohne dass die Gitarre in alle anderen Mikrofone reinlärmte.

Aktueller Fender Princeton Reverb Reissue (Bild: Udo Pipper)

Fender Princeton Reverb, Tweed Deluxe, Vox AC15 oder Marshall Mini-Bluesbreaker 18 zählen auch in meiner Service-Werkstatt heute zu den gesuchtesten Amps für Sound-Gourmets. Daneben erfreuen sich auch kleinere Combos wie der Fender Blues Junior, Suhr Badger 18, Tone King Imperial oder sogar Vibro-Champs von Fender mit nur 5 Watt größter Beliebtheit. Grund dafür ist auch die Tatsache, dass sich sehr viele Bands auch bei noch so kleinen Club-Konzerten über ein Front-Of-House-System schicken lassen und daher nur noch extrem leise auf der Bühne selbst spielen dürfen.

1967 Fender Vibro Champ (Bild: Udo Pipper)

Daneben entwickeln sich ganz autarke Systeme wie etwa der BluGuitar-Amp oder der Kemper Profiler, die völlig lautstärkeunabhängig funktionieren und dazu noch äußerst bequem zu transportieren sind. Da tut sich also einiges in Sachen Amp-Lautstärke.

Wir werden in den kommenden Folgen genauer betrachten, wie sich kleine Amps an alle geforderten Bedürfnisse bestens anpassen lassen. Kann man diese Combos trotz ihrer geringen Größe noch lauter bekommen oder für das Heimstudio sogar noch leiser? Welche Tunings, Mods oder Tricks gibt es, um die Amps für jede mögliche Situation anzupassen. Und wir werden sehen, dass es da jede Menge Lösungen gibt, die dafür sorgen könnten, dass man zukünftig mit 15 Watt bestens gerüstet scheint.

(erschienen in Gitarre & Bass 04/2021)

Produkt: Gitarre & Bass 7/2022 Digital
Gitarre & Bass 7/2022 Digital
IM TEST: Guild Surfliner +++ Mooer GTRS +++ Gibson G-45 und G-Writer +++ Schecter dUg Pinnick +++ Blackstar St. James 50 6L6 +++ Line 6 DL4 MKII Delay +++ Walrus Audio Mako M1 +++ Markbass AG1000 +++ Genzler 4 on the floor & re/Q

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Hallo,
    schöner Artikel 🤓
    Von wann / wo ist das Interview:
    „ David Gilmour schwärmte jüngst in einem Interview etwa davon, welchen enormen Unterschied es mache, …“

    Danke
    Gruß
    Günter

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  2. Hallo.
    Interessanter Beitrag. Mir erging es auch fast so. 2 x 4 x 12 für stereo und 2 heisse Röhrentopteile mit viel Power. Aber eben, alles zu laut. Habe dann alles verkauft, schweren Herzens. Aber heute stehen bei mir nur noch 5 Watt und 15 Watt Combos. Reicht völlig aus und sonst gibs ein Micro. Der Rücken lässt grüssen, und man/frau muss sich keine Gedanken machen: krieg ich alles in das Auto?

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  3. Das Ganze hängt natürlich davon ab, welche Sounds man bedienen will oder muss. Reicht ein guter Leadsound mit angecrunchtem Rhythmus, oder braucht man zusätzlich auch einen ultracleanen knackigen Funksound? Und davon, ob es FOH mit gutem Monitoring gibt. Dann reicht sicher auch ein gut klingender 5 Watt Amp. Hat man das nicht und ist ein bißchen rockiger unterwegs, sind normalerweise 30 Watt Röhre das Minimum, um gegen einen Rock-Schlagzeuger anzukommen. Auf Jam-Sessions kommt es schonmal vor, dass man die Band etwas führen muss, da reichen 15 Watt nicht aus. Leiser spielen kann man immer, wenn man möchte, oder es angesagt ist. Leichte 30 Watt Amps gibt es mittlerweile auch schon länger, den Reussenzehn Archtop Tube mit 5 Kg etwa, oder Hugh + Kettner TubeMeister 40 mit 8 Kg. Zusammen mit einer leichten 1×12 Box ist man damit in den meisten Situationen gut bedient.

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