Marshall JMD:1 50 im Test

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Hybrid-Amp (Top-Teil) von Marshall

Es dürfte in der Szene längst die Runde gemacht haben, dass das britische Tube-Empire für 2010 ein ganz dickes Ei ausgebrütet hat. Wir sprechen von einem historischen Moment: Marshall präsentiert mit dem Marshall JMD:1 50 einen Hybrid-Amp, der die Tonformung maßgeblich der Modeling-Technik überlässt. Die Entwickler sprechen sogar von einer neuen Ära in der digitalen Gitarrenverstärkung. Holla, das ist eine deftige Ansage, die die Messlatte richtig hoch hängt.

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Für dieses Projekt hat Marshall einen höchst kompetenten Partner ins Boot geholt – die schwedische Firma Softube. Das renommierte Entwicklungsteam hat in der Vergangenheit bereits eine Menge Lorbeeren für seine exzellenten Plug-Ins geerntet (siehe z. B. auch G&B-Test 11/2008). Für die neue JMD:1-Serie kam Softubes patentierte „Natural-Harmonic-Technology“ wie gerufen. Sie emuliert laut Hersteller Klangbilder nicht schlicht in statischen Zuständen, sondern berücksichtigt deren dynamische Prozesse.

Das heißt, es wird digital nachgebildet, wie sich die Komponenten eines Verstärkers in Abhängigkeit von wechselnden Signalstärken verhalten. Nach eigenen Aussagen analysierte und emulierte Softube dabei auch die Einflüsse des Netzteils auf das Verstärkungsverhalten, sowie die wechselnden Zustände des Röhrenbias. Die neue Technik ist derzeit in vier JMD-Modellen zu finden. Zwei Topteile mit 50 und 100 Watt sind im Programm sowie entsprechende Combos in 1×12- und 2×12- Bestückung.

 

Konstruktion

Das eine sei schon einmal vorweg gesagt. Obwohl vielfältige Möglichkeiten zur Verfügung stehen, ist die Handhabung des Amps im Grunde ein Kinderspiel. Es müssen keine speziellen Menüs aufgerufen werden, alle Regelfunktionen stehen permanent im direkten Zugriff zur Verfügung. Das Herz der Sound-Formung ist der gerasterte Drehschalter neben dem Klinken-Input. Hier wird der Grundsound ausgewählt, der dann ganz konventionell mit Gain, Bass, Middle, Treble und Volume nach Wunsch abgestimmt werden kann. Die vier Taster unter den Preamp-Potis gehören zu vier Speicherplätzen, die extra für die manuelle Bedienung des JMD50 vorgesehen wurden und dementsprechend auch als Channel #1 bis #4 gekennzeichnet sind. Hinter der Preamp-Sektion steht das Signal an einem seriell/parallel nutzbaren Einschleifweg mit Pegelumschaltung (vgl. Diagramm) zur Verfügung. Erst danach kommen die integrierten Effekte ins Spiel. Reverb steht für sich, zusätzlich kann aus den anderen beiden Typengruppen Modulation und Delay jeweils ein Effekt aktiv sein.

Nach der FX-Sektion folgt im Signalweg der Preamp-Out. Parallel dazu ist ein frequenzkorrigierendes Modul, das einen Kopfhörerausgang und den zugunsten langer Kabelstrecken elektronisch symmetrierten Emulated-Line-Out (XLR) füttert.

Freundlicherweise hat Marshall daran gedacht, einen Line-In-Anschluss zu integrieren, der in den Kopfhörer hineinspielt, damit man z. B. zu Playbacks aus dem MP3- Player jammen kann. Der Ausgang der FX-Sektion steuert außerdem die 50-Watt- Endstufe an. Was ein ernsthafter Marshall ist, hat hier natürlich eine Class-ABGegentaktschaltung und zwei EL34 an Bord, angesteuert von einer ECC83 in der Phasentreiberstufe. Übrigens steht in der Dokumentation zu lesen, dass die Endstufe in das Modeling mit einbezogen ist, insofern als der Dämpfungsfaktor bzw. die Gegenkoppelung je nach gewähltem Grund-Sound (Pre-Amp-Typ) variiert werden.

Nun haben wir einen ersten Überblick. Bleibt noch zu erwähnen, dass der JMD50 drei Lautsprecherausgänge hat (116, 2 8 Ohm) und im Standby-Modus nur die Endstufe stumm gestellt wird. Alle anderen Sektionen bleiben bis hin zum Emulated- Line-Out weiter aktiv, sodass der Amp ohne weiteres zum Recording-Tool wird.

Die Natur der digitalen Technik ist, dass sie auf kleinstem Raum höchste Leistungsfähigkeit erreicht. Weniger ist mehr könnte man fast sagen, denn der technische Aufbau ist übersichtlicher als bei einem mehrkanaligen Vollröhren-Amp. Als Großserienprodukt ist der JMD50 natürlich komplett in Platinenbauweise ausgeführt. Und wie es sich für so eine große Marke geziemt, gibt es an der Fertigungsqualität nichts zu kritisieren. Eingebettet in einen einfachen, an den Kanten verschweißten Stahlblechkasten ist der Aufbau zwar ohne herausragende Qualitäten, aber grundsolide und mechanisch vertrauenserweckend. Macht auch nichts, dass die EL34 frei in den Fassungen stehen. Die packen derart stramm zu, dass Sockelklammern o. ä. wirklich nicht nötig sind. Gleiches gilt für die mit einem Gummiring im Chassis stoßgedämpfte ECC83. Dass Messpunkte und zwei Trimmer die Bias-Justage erleichtern, ist bei Marshall inzwischen offensichtlich Standard geworden. Der JMD50 jedenfalls hat auch wieder dieses Feature (wie JVM, TSL u. a.).

An der Preisgestaltung ist erkennbar, dass Marshall für die JMD:1-Serie ein attraktives Preis-Leistungsverhältnis im Auge hatte. Von daher ist nachvollziehbar, dass, wo möglich, knapp kalkuliert und gefertigt wird. So ist dank des hochwertigen Finish das Gehäuse optisch edel. Sein Skelett besteht aber nicht aus Schichtholz, sondern Pressspanplatten. Desweiteren ist die Rückwand nicht mit Tolex bezogen sondern lediglich lackiert.

 

Preamp-Typen

Die am Pre-Amp-Regler wählbaren Vorverstärkertypen teilen sich in vier Gruppen auf: Clean, Crunch, Overdrive und Lead. Für jeden dieser Bereiche hat Marshall erlesene Sound-Referenzen der Firmengeschichte ausgewählt. Das Handbuch beschreibt sogar typische Merkmale der zugrundeliegenden Röhrenschaltung. Wir wollen uns an dieser Stelle mit der Angabe des Pre-Amp-Typus an sich bescheiden. Ungewöhnlich, es sind u. a. Sounds dabei, die sich auf Distortion-Pedale von Marshall beziehen (Bluesbreaker-II u. Guv’nor):

Clean-Sektion

  1. JVM410H, Clean-Channel in Green-Mode.
  2. JCM2000/DSL100, Clean-Channel, Tone-Shift ein.
  3. JMP-1, Clean-1, Bass-Shift ein.
  4. JMD:1, trockener, purer JMD-Ton.

Crunch-Sektion

  1. Kombination von 1974-Charakter mit der EQ-Sektion des 1959-Superlead.
  2. JCM800/2203.
  3. Haze-40, Normal-Channel, Boost und Bright ein.
  4. Pre-Amp: 1974, Rhythm-Ton.

Overdrive-Sektion

  1. JMP-1 im Modus OD2.
  2. JVM410H, Crunch-Channel/Red Mode.
  3. Bluesbreaker-II in Boost-Mode plus JCM800/2203-Topologie.
  4. Mode-Four, OD2-Channel, Scoop-On mit Tone-Matrix-3.

Lead-Sektion

  1. Bluesbreaker-II in Boost-Mode plus Haze/Normal-Channel, Boost und Bright ein.
  2. Guv’nor Distortion-Pedal.
  3. Bluesbreaker-II + JCM2000/DSL100.
  4. JVM410H, OD1-Channel in Orange-Mode.

Schaltet man durch die 16 Sound-Typen des JMD:1, reagieren die Vorstufenpotis jeweils anders, weil sich die Klangregelung automatisch neu konfiguriert, um der originalen Gegebenheiten des gewählten Vorverstärkers zu entsprechen. Alles klar, man fragt sich nur, warum die nobelsten der Marshall-Historie, JTM-45 und Superlead (u. a. wie der 6100 oder der TSL-100) gar nicht bzw. so sparsam vertreten sind.

 

Effekte

Der Reverb hat nur einen Regler, dieser steuert aber nicht nur die Hallintensität, sondern verändert parallel die Nachhalldauer, nach dem Prinzip je mehr Hall desto länger Hall. Delay und Modulation sind jeweils mit zwei Regelbereichen ausgestattet.

Delay

Die Verzögerungszeit wird mit dem Tap-Taster bestimmt, der auch für Ein/Aus zuständig ist. Delay-Level steuert die Lautstärke des Effekts, Delay-Adjust wählt die Effektypen, wobei im Uhrzeigersinn die maximale Delay-Zeit zunimmt, bis maximal 1000 ms:

  1. Hi-Fi. Der Name sagt schon alles, höchste Qualität.
  2. Analog. Wiedergabe gefiltert, um den Sound alter Eimerketten-Delays nachzubilden.
  3. Tape. Imitiert ein Bandecho, inklusive des Jammerns durch Gleichlaufschwankungen.
  4. Multi. Erzeugt zwei zusätzliche kurze Echos, die wie punktierte Sechzehntel zur Delay-Zeit stehen.

Modulation

Mod-Depth bestimmt natürlich die Effektstärke, bzw. beim Gate den Treshold-/Schwellenwert, ab dem es aktiv wird. Mod-Adjust ruft alternativ fünf Typen auf.

  1. Gate. Hierbei handelt es sich sozusagen um eine intelligentes Noise-Gate, denn es schneidet den Signalfluss am Treshold-Punkt nicht einfach ab, sondern analysiert das Signal und agiert entsprechend dynamisch, damit ausklingende Noten organisch abklingen können.

2-5. Chorus, Phaser, Flanger, Tremolo. Klassische Effekte, die als Vorlage analoge Schaltungen haben. Das Tremolo orientiert sich sogar an einer entsprechenden Röhrenmodulation.

Das Abstimmen der Mod.-Effekte, von denen wohlgemerkt immer nur einer aktiv sein kann, gestaltet sich wie man es von anderen Digital-Amps bereits kennt. Der Regelweg von Mod-Adjust teilt sich demnach in kleinere Bereiche auf, die Variationen des jeweiligen Effekttyps bereithalten. Man kann jeweils (außer bei Gate natürlich) ungefähr vier Einstellungen unterscheiden, die sich bei Chorus und Tremolo primär in der Mod-Geschwindigkeit niederschlagen, bei Phaser und Flanger intensivieren sich die Effekte zusätzlich, wie beim Gebrauch eines Feedback-Reglers.

Nur der Form halber sei erwähnt, dass im Übergang von einem Effekttyp zum nächsten zuweilen ein leichtes Knacken hörbar wird. Einmal programmiert sind solche Artifakte allerdings von keinerlei Bedeutung.

 

Schalten + Speichern

Marshall liefert die JMD-Amps als Komplettpaket, sprich ein geeignetes Fußschaltpedal ist im Preis bereits inbegriffen. Es handelt sich im Prinzip um das gleiche Modell wie bei der JVM-Serie: Pultförmiges Stahlblechgehäuse mit aufgeklebter Moosgummimatte als Unterlage, sechs nummerierte Taster, darüber weiße Flächen zum Beschriften. Oben rechts befinden sich unter einer transparenten Abdeckung sieben Zweifarben- LEDs, die die Schaltzustände optisch darstellen. Dies leider mit recht geringer Leuchtkraft, was unter professionellen Gesichtspunkten sicher nicht ideal ist. Als sehr praxisfreundlich schlägt sich dagegen die Tatsache nieder, dass als Verbindungskabel jedwede Mono-Klinkenstrippe genügt – muss nicht einmal abgeschirmt sein, weil ja nur Steuerdaten transportiert werden. Sollte also das mitgelieferte knapp fünf Meter lange Kabel mal nicht ausreichen oder es z. B. trotz des kräftigen Knickschutzes an den Steckern defekt sein, ist Ersatz kein wirkliches Problem.

Ähnliches Pedal, ähnliche Schaltsteuerung. Wie bei den JVM-Modellen, darf der Benutzer zwischen zwei Betriebsarten wählen. Im sogenannten Switch-Store-Modus kann nach Belieben je einer der Frontpanel-Schaltfunktionen auf das Fußpedal gelegt werden, z. B. um die vier Channels zu kontrollieren, Delay, Reverb und EXT-FX. Der zweite Modus namens Preset-Store steht mit dem Speicher des JMD50 in Verbindung und ruft die 28 Presets auf. Taster #5 und #6 übernehmen hierbei die Funktionen Bank- Down und -Up, sodass in insgesamt sieben Bänken (LED-Anzeige A – G) wieder je vier Sounds direkt anwählbar sind.

Der Speicher hat letztlich aber ein noch viel größeres Fassungsvermögen. In sein Gedächtnis passen 128 Presets, die logischerweise via MIDI-Program-Change-Befehl aktiviert werden können. Für den Empfang ist der Omni-Modus fest eingestellt. Somit reagiert der Amp auf jeden Programmbefehl, egal auf welchem MIDI-Kanal er eintrifft. Das ist einerseits „failsafe“, weil selbst bei versehentlich falschem MIDI-Sendekanal am Schalt-Board die Funktion gewährleistet ist, und bedingt andererseits, dass die angeschlossenen FX-Geräte über ihr MIDI-Mapping (Zuordnung von Effektprogrammen auf einen oder mehrere Program- Change-Befehle) konfiguriert werden müssen. Wer gewohnt ist, in einem komplexeren Setup mit individuellen Sendekanälen zu arbeiten, muss umdenken.

Grundsätzlich bietet die Konzeption der Schaltsteuerungen ein Maximum an Komfort, denn der MIDI-Abruf und das Fußpedal können parallel genutzt werden. Z. B. indem man den Switch-Store-Modus nutzt und sich so innerhalb eines gespeicherten Presets zusätzlich frei bewegen kann. Besser und praktischer geht es ja wohl kaum noch.

 

Praxis

Programmierbare Amps haben schon beim ersten Kontakt mit ihnen einen entscheidenden Vorteil: Dank der Werks-Presets bekommt der Interessent ohne große Potikurbeleien umfassend eine akustische Rundschau über das Leistungsspektrum. Also beim Anchecken im Laden unbedingt nach dem Schaltpedal fragen, damit man an die 28 Presets herankommt. Die vier am Frontpanel wählbaren Sounds sind nämlich nicht unbedingt der Hit bzw. wenig aussagekräftig.

Na klar habe ich auch Anspieltipps parat. Die gesamte Bank „C“ scheint mir sehr gelungen, außerdem F3 (das lange Echo nach Geschmack anpassen), ein moderner Leadsound im Satriani-Stil. In der Sparte Retro-Rock, für Riff-Comping und Lead macht das Preset G3 eine besonders gute Figur. Ansonsten ein genereller Hinweis: Nicht selten verbirgt sich hinter dem Leuchten des Mod.-Tasters das aktivierte Gate, was verdeckt, wie highgainig und nebengeräuschsstark der Sound gerade ist. Ohne Gate beginnt in solchen Konfigurationen nicht selten schon früh Tonabnehmer-Feedback (Pre-Amp-Typ #14 und #16). Typus #13 wiederum ist für sowas viel weniger sensibel und beglückt ab einer gewissen, durchaus verträglichen Lautstärke mit tollem Umkippen in Obertöne; muss man gehört haben. Das beschriebene Phänomen hat jedenfalls zwei Erkenntnisse zur Folge. 1. Das Gate arbeitet sehr effizient und unauffällig, lässt dem Ausklang der Töne übrigens auch wirklich schön Raum, und 2. Satt tragende Leadsounds brauchen beim JMD50 relativ viel Gain.

Beim Erstellen eigener Sound-Presets erweist es sich als sehr praktisch, dass mit dem Compare-Taster die ursprüngliche Einstellung mit der neuen verglichen werden kann. Welches die gespeicherte Position der Regler ist, lässt sich daran ablesen, wann die LED im Footswitch/Program-Taster aufleuchtet. Ebenso sinnvoll ist der Manual-Modus, da man hier unabhängig vom Speicherinhalt von Grund auf frische Settings bearbeiten kann. Wer den JMD50 aktiv kennenlernen will, sollte dann vielleicht genau hier damit beginnen. So bekommt man bei statischer Einstellung der Pre-Amp-Regler jedenfalls einen neutralen ersten Eindruck über die Qualität der Pre-Amp-Typen. Deren Potential voll auszuschöpfen, ihre Markanz freizulegen, erfordert aber schon einige Abstimmungen. Insbesondere im Gain-Pegel, denn was im Lead-Bereich mit voller Kante dem JVM410H ziemlich authentisch nacheifert, geht dem 1974 im Crunch eher charaktervernichtend an den Kragen.

Womit wir mittendrin sind in der Kernfrage nach der Tonkultur. Nun, Marshall sorgt mit den dezidierten Ansagen zu Ursprung und Natur der einzelnen Pre-Amp-Typen schon selbst für harte Bewertungsvoraussetzungen. Wenn da bei Crunch-#6 nonchalant zu lesen steht JCM800/2203, dann will den natürlich auch jeder hören. Tut man es wirklich? Die Antwort ist ein klares „Jein“, es kommt nämlich auf den Betrachtungswinkel an.

Absolut gesehen fehlen nicht wenige Feinheiten. Wenn wir aber bedenken, mit welcher Technik wir es hier zu tun haben, klappt manchem vermutlich die Kinnlade nach unten. Also, der Höreindruck ist wirklich ziemlich authentisch. Bemängeln kann man primär, dass die Höhen ein bißchen artifiziell wirken, nicht ganz so fein aufgelöst, tendenziell auch anstrengender sind als beim Original. Aber wie gesagt, der Charakter ist an sich gut bis sehr gut getroffen. Was zweifelsfrei Maßstäbe setzt, ist die Dynamik der Ansprache. Und das gilt nicht nur für den einen Pre-Amp-Typ, sondern generell für die Wiedergabe des JMD50. Er reagiert überaus sensibel, spielt sich kaum anders als viele als gut anerkannte Röhren-Amps.

Das heißt, dem Anschlag des Spielers folgt der JMD50 filigran und sehr obertonfreundlich in Lautstärke und Tonfarbe. Entsprechend druckvoll und lebendig ist denn auch das Klangbild insgesamt.

Ein dicker Pluspunkt ist zudem für das harmonische, lebensecht „röhrige“ Zerrverhalten fällig. Davon profitiert der JMD50 erheblich. Wenngleich man im Gegenzug feststellen muss, dass sich der Charakter, die klangliche Zusammensetzung der Verzerrungen der einzelnen Pre-Amp-Typen letztlich nicht ganz so deutlich unterscheidet wie es die Originale in natura vorgeben.

Erfreulicherweise verhält es sich mit den Pre-Amp-Typen grundsätzlich wie mit dem exemplarisch zitierten JCM800/2203: Sie entsprechen in ihrer Markanz in hohem Maße den Vorgaben. Was unterm Strich für eine extreme Bandbreite an Sounds sorgt. Schon der Clean-Bereich ist ausgesprochen leistungsfähig und hält meiner Meinung nach (im Kontext mit den Effekten) Facetten bereit, die tendenziell einiges in den Schatten stellen was Marshall bislang in diesem Bereich angeboten hat. Allein im Bereich der angezerrten Sounds (Crunch und Overdrive) acht Alternativen, Lead mit vier aussagekräftigen Pre-Amp-Vorlagen; ein Rundumschlag, der von Country über Pop, Blues, Retro-Rock bis zum gnadenlosen Metal alles abdeckt.

Die klanglich auf hohem Niveau agierende FX-Sektion tut mit ihrer Variabilität ein übriges dazu: Sieh an, der JMD50 mausert sich Stück für Stück zur Wollmilchsau. Eben, man kann live durchaus auf das Mikro verzichten, denn der Emulated-Out bietet ein praktikables Signal an, und man hat damit gleichzeitig auch für das Recording ein mächtiges Werkzeug parat; öhem, wenn ich mal meckern darf, es fehlt eigentlich nur noch der digitale Ausgang. Aber der ist vermutlich bei der Preiskalkulation vom Tisch gefallen.

Die einzige kleine Irritation geht letztlich nur vom Einschleifweg aus. An sich funktioniert der hervorragend, und auch das dahinter liegende Gate zeigt seine Klasse, indem es lang ausklingenden Hall oder Delay-Repeats erkennt und nicht hart wegschneidet. Aber der FX-Weg schaltet einzig den Return, sprich das externe FX-Gerät wird permanent gefüttert und spuckt ebenso permanent am Ausgang z. B. lange Echos aus. Beim Einschalten des Effektwegs kann es unter diesen Umständen geschehen, dass man Echos vom vorher gespielten Part hört, (der eigentlich ja noch gar kein Echo haben sollte). Hätte man den FX-Send in die Schaltsteuerung integriert, könnte es zu solchen Begleiterscheinungen nicht kommen.

Relevant ist dieser Hinweis unter zwei Voraussetzungen: Man arbeitet mit dem Fußpedal im Switch-Store-Modus (Fernbedienung der Frontpanel-Taster) und/oder das angeschlossene FX-Gerät arbeitet statisch ohne MIDI-Preset-Wechsel (z. B. eingeschleifter Pedal-Effekt, Roland RE-Echo usw.).

Zum Abschluss sei noch angemerkt, dass mit den universellen Fähigkeiten des JMD50 und seiner tendenziell manchmal etwas giftigen Attitüde nach meiner Meinung eine milde agierende Box z. B. mit Greenbacks besser harmoniert als ein Vintage-30-Cabinet. Na klar, Geschmäcker sind verschieden, wer schärfere, agressivere Töne bevorzugt, geht einen anderen Weg.

 

Resümee

Unheimliche Begegnung der virtuellen Art: Dieses Zwitterwesen JMD50 schöpft aus der digitalen Klangformung frappierende Ergebnisse. So eine lebendige, röhrenauthentische Ansprache, was für ein Druck! Das dürfte dem Rest der Modeling- Welt ganz schön zu schaffen machen. Auch im Ton, dem Klangbild insgesamt, sind die Abbilder der diversen Marshall-Sounds gelungen, oder anders ausgedrückt, an der Realität ziemlich nah dran. Softubes „Natural-Harmonic-Technology“ liefert dem Benutzer insofern qualitativ wie quantitiv ein höchst leistungsfähiges Werkzeug. Nebengeräusche glänzen durch Abwesenheit, selbst Umschaltungen zwischen weit entfernten Extremen gehen unauffällig vonstatten. Dank der wohlklingenden FX-Sektion und der übrigen Peripherie ist der JMD50 letztlich ein leicht zu bedienendes Allround-Talent ohne gravierende Schwächen.

Preis und Leistung stehen zweifelsfrei in einem lukrativen Verhältnis. (Unbedingt antesten, sonst Bildungslücke.)

Produkt: ESP-Klassiker im Test
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