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Marshall Astoria Classic AST1C im Test

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Marshall, eine Marke, die die Musikgeschichte massiv geprägt hat. Nein, nicht nur mit ihren klassischen Protagonisten, sondern auch mit Innovationen, bis hin zum High-Tech-Röhren-Amp JVM410, einem wahren Meilenstein. Nun haben sich die Briten wieder bzw. erneut dem Purismus zugewandt. Die Astoria-Serie setzt auf gradlinige Technik, aufgebaut in PTP-Verdrahtung.

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Ganz klar, in dem Zusammenhang fällt fast zwangsläufig wieder einmal das Wort „Boutique“. Spät springt Marshall auf diesen Zug auf, möchte man meinen. Doch man muss es mal so sehen: viele der so benannten Produkte sind im Grunde ihres Wesens mehr oder minder „aufgemotzte“ Plagiate historischer MarshallSchaltungen. Ich denke da zum Beispiel an das Modell 1974 und das Combo-Brüderchen 2061, die in unzähligen Varianten kopiert wurden. Na also, Marshall war quasi schon boutique als noch gar keiner wusste, dass es das geben würde! Oder anders, spätestens mit den Reissues der Oldies war die Marke bereits am Puls der Zeit.

Die Astoria-Serie umfasst drei Modelle, die es jeweils als Topteil und Combo gibt. Unser Testkandidat, der AST1C, besinnt sich auf das Wesentliche, mit nur einemKanal ohne große Extras. Der AST2-Custom hält zusätzlich einen Signal-Boost und einen im Pegel regelbaren seriellen FX-Weg mit Hard-Bypass bereit; beide Funktionen sind fußschaltbar. Der AST3- Dual hat zwei Kanäle – bei einer gemeinsamen Klangregelung – und dem eben erwähnten Bypass-FX-Weg. Passend zum Topteil bzw. äquivalent zum Combo ist eine 1×12″-Box im Angebot (UVP ca. € 832). Die Amps und Combos kosten zwischen ca. € 3093 bis 3450. Nicht ohne die Preise, die waren war aber so zu erwarten, wenn Marshall angibt, dass die Serie daheim in Milton Keynes/UK von Hand gefertigt wird.

Konstruktion

Drei ECC83, zwei KT66, eine GZ34, Kennern erzählt das sofort eine Geschichte. Na klar, der berühmte JTM45 tritt so auf. Aber natürlich sagt dies alleine noch nichts über den Charakter des ASC1 aus. In der Schaltung sind zwar nicht wenige Deckungsgleichheiten mit dem Vorfahren zu erkennen, doch der Astoria ist in vielen Details anders gestrickt. Das betrifft nicht nur die Werte von Bauteilen. So arbeitet die Gegentaktendstufe nicht mit einer statischen Biasspannung, sondern mit dem sich automatisch einstellenden Kathodenbias. Netterweise hat jede der KT66 ihr eigenes RC-Glied an der Kathode. Falls eine den Geist aufgibt, bleiben die Arbeitsbedingungen für die andere gesund.

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(Bild: Dieter Stork)

Das zweite spezielle Merkmal verbirgt sich hinter dem Sensivity-Regler. Nein, das ist nicht nur ein anderer Name für „Gain“ oder „Volume“. Ganz anders, es wird damit die Gegenkopplung in der Vorstufe geregelt, was für einen besseren, gleichmäßigeren Impedanzverlauf sorgen und die Tonalität des Amps be günstigen soll. Punkt #3 der Besonderheiten ist das Edge-Poti. Es beeinflusst die Höhenwiedergabe, aber nicht nach dem Prinzip des klassischen Presence-Schaltkreises, sondern zwischen dem Phasentreiber und dem Input der KT66. Der Cut-Regler beim guten alten Vox AC30 macht genau dasselbe (er kappt Höhen während der typische Presence-Kreis Höhen, intensiviert).

Und es gibt noch ein wichtiges Feature: Die Astoria-Amps habe keine Gegenkopplung in der Endstufe. Die wird üblicherweise eingesetzt, um Verfärbungen des Signals zu vermeiden, nach dem Motto bitte viel Clean-Headroom und Power. Viele Vintage-Amps sind so konzipiert, wie z. B. Tweed-Modelle von Fender. Und last but not least, hat Marshall die Option einer Leistungsreduktion (von 30 auf 5 Watt) in die Schaltung integriert (pull Master). Um so etwas zu realisieren, bieten sich unterschiedliche Möglichkeiten an, wie zum Beispiel der Einsatz von Lastwiderständen als „Powersoak“ oder eine Änderung der Betriebsspannungen.

Meinen Messungen nach hat sich Marshall dafür entschieden den Arbeitspunkt der Phasentreiberstufe zu ändern/umzuschalten. Wie eingangs schon erwähnt, ist die Elektronik point-to-point kontaktiert, und zwar auf einem sogenannten Turretboard. Wir sehen erstklassige Verarbeitung, und absolut hochwertige Bauteile jenseits jeder Kritik. Und nein, die Potis sind nicht von Alpha, sondern von CTS. Die Trafos liefert Dagnall. Untergebracht ist das Ganze in/an einem soliden Stahlblech-Chassis mit gebürsteten Alu-Blenden an Front- und Rückseite. Im Combogehäuse ist es montiert wie es beim guten alten Bluesbreaker (der JTM45-2×12- Combo) der Fall ist. Es ist an der Rückwand angeschraubt, die ihrerseits mit M-Schrauben über Einschlaggewinde Halt findet. Was natürlich angesichts des hohen Gewichtes die bessere, stabilere Lösung gegenüber Holzschrauben darstellt. Was ist noch wichtig zu wissen? Nun, wie es sich in der Nobelklasse gehört, ist das hinten halboffene Gehäuse aus Schichtholz gefertigt.

Der aufwendige Bezug in zwei Farben unterstreicht die Exklusivität. Als Lautsprecher findet (von hinten montiert) ein speziell für Marshall abgestimmter Custom-Creamback von Celestion Verwendung, der von einer straffen, strapazierfähigen und gut luftdurchlässigen Frontbespannung geschützt wird. Sie ist leider nicht abnehmbar (was das Mikrofonieren doch erheblich erleichtert). Wie beim Chassis ist auch die Verarbeitung des Gehäuses einwandfrei.

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Praxis

Tja, irgendwie fragt man sich nun doch, ob zwischen dem AST1C und dem seeligen Bluesbreaker eine Verwandtschaft besteht, oder? Eigentlich möchte ich schlichtweg nein sagen, weil nur seitens der Transparenz im Klangbild gewisse Übereinstimmungen erkennbar sind. Ansonsten spielt der Astoria-Combo nämlich in einer eigenen Kategorie. Allein schon wegen seines defensiveren, weicheren Grundtimbres. Ein wenig schimmert immer wieder die Brillanz eines guten alten AC30 durch. Ja, Höhen hat der AST1C mehr als genug. Gut, dass man sie mit dem Edge-Poti zügeln kann.

Ansonsten bildet der Combo eine kraftvoll ausgewogene und überaus präzise, in den Details fast schon hyperakkurate Ansprache aus. Die Bassfrequenzen belichtet er wohldosiert, doch eine dünn tönende Tele kann er mit der Klangregelung nicht mästen. Alles in allem eine ausgesprochen ästhetische Wiedergabe, die dem Vergleich mit entsprechenden Mitbewerbern sehr cool entgegensehen kann. Und die umso mehr Spaß macht, als der AST1C sehr freundlich anspricht. Nachgiebigkeit und Sensibilität im Attack stehen ausbalanciert gesunder Dynamik gegenüber. Man braucht die Saiten quasi nur zu streicheln und der Ton ist da.

Der Sensitivity-Regler outet sich nicht als regulärer Lautstärkeregler. Er verändert die Klangdichte bis hin dazu, dass am Ende seines Regelwegs die Röhrensättigungen kräftig angeregt werden. Freilich braucht es dazu Lautstärke. Der Combo blüht erst in Overdrive auf, wenn das Master-Volume mehr oder weniger am Anschlag steht. Jau, gut laut dann, aber noch zivil. Abhilfe ist nicht in Sicht, denn die Power-Reduction erweist sich leider als wenig hilfreich. Die Pegelabsenkung ist gering, und wird dubioserweise immer schwächer je weiter Master aufgedreht wird. Übrigens: Man muss nach dem Umschalten einen Moment warten, um den jeweilige Betriebszustand zu erleben, denn die Spannungen brauchen natürlich einen Moment um sich einzupendeln.

Die Klangregelung arbeitet effizient, eine größere Bandbreite im Sound ergibt sich dennoch erst unter Einbeziehung des Sensivity-Regles. Folgt zum guten Schluss ein wichtiger Hinweis zur Praxis: während der Astoria-Combo nahe der Vollast mit seinem dichten Overdrive wunderbar oldschool arbeitet und atmet, und das voll live-tauglich, ist dem Spieler die effektive Lautstärke bei cleanen Sounds vermutlich in den meisten Fällen zu gering. So schön er in dem Bereich klingt, das bleibt eher etwas für das Studio. Wo er sich mit seinem sehr geringen Brummen und Rauschen ohnehin souverän blicken lassen kann.

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Resümee

Tonal erweist sich der Astoria Classic als wahres Sahneschnittchen. Sowohl clean als auch im Overdrive bildet er seine Sounds formvollendet aus, beweist exzellente Ansprache und bietet eine dem Konzept angemessene Variabilität. So schön das ist, die Sache hat einen Pferdefuß: Für den Live-Einsatz ist der Clean-Headroom manchem sicher zu gering. Zudem bringt die Power-Reduction nicht den Handling-Vorteil, den man von so einem Feature erwartet. Ganz und gar positiv punkten wiederum die Substanz und die Qualität der Verarbeitung. Womit wir zur Kardinalfrage kommen: Führt die Kosten-/Nutzenrechnung zu einem positiven Ergebnis? Im Prinzip ja, muss man sagen, denn unter seinesgleichen, im Segment der handwired Ede-lAmps, steht der Astoria Classic-Combo genauso „gesund“ da wie viele andere Produkte.

 

Plus

  • Sound, Charakter
  • Präzision/Transparenz
  • kultivierte Röhrensättigung
  • sehr geringe Nebengeräusche
  • Verarbeitung/Qualität der Bauteile

Minus

  • Power-Reduction: Funktion schwach

 

Marshall Astoria_profil

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