„Ich will/muss besser werden auf meinem Instrument …“

Interview: Wenet – Werner Neumann Electric Trio

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(Bild: Lara Mueller)

,Alte Liebe‘ heißt das neue Werk. Ganz schräg fängt es mit ,Little One I’ll Miss You‘ an, einer Steve-Coleman-Komposition: mit einem Reggae-Groove und Gitarren-Licks, die an den superoriginellen Marc Ribot bei Tom Waits erinnern. Superoriginell ist auch Gitarrist Werner Neumann, und keine Frage, mindestens so virtuos. Denn wenn er im anschließenden Solo abhebt, weiß man, dass dieser Musiker rocken, unglaublich pulsierende Linien absondern kann und auch den Blues von John Scofield verstanden hat. Und den Jazz: Einen Track weiter, in ,Tweeds‘, swingt er wie der Teufel.

„Wenet“ steht für „Werner Neumann Electric Trio“, und zu dem gehören neben dem 1964 in Duisburg geborenen Namensgeber noch Schlagzeuger Tom Friedrich und Hammond-Player Steffen Greisiger. Das Orgel-Trio mit Gitarre, oft gewürzt mit Gästen, wie auf dem aktuellen Wenet-Album dem in zwei Tracks solierenden Altsaxophonisten Matti Oehl, ist natürlich ein Klassiker: Keine Frage also, dass Werner Neumann diese bewährte Besetzung studiert hat, anhand von Aufnahmen mit Wes Montgomery, John Abercrombie oder John McLaughlin. Letzteren kennt er ganz sicher auch als Mitglied von Tony Williams Lifetime mit Larry Young an den Tasten. Deren eigenwilliger Flow schimmert hier oft durch, auch diese unbändige Kraft von angezerrter E-Gitarre vor schmatzender Hammond und breit teppichlegendem Schlagzeug.

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„Tatsächlich war dieser Lifetime-Einfluss aber nicht so konkret“, erzählt Werner. „Denn irgendwie kommt jeder von uns aus einer anderen Ecke. Aber zu McLaughlin ließe sich noch einiges sagen, ist er doch aus meiner Sicht der erste Gitarrist, der unserer Musik, also dem Jazz, wirklich entscheidende Impulse gab.“

Vier Kompositionen des Wenet-Albums stammen von Werner Neumann, zwei von Steffen Greisiger und ansonsten haben neben dem bereits erwähnten Steve Coleman noch Jimmy Page und Leonard Cohen ins Repertoire gefunden. Wobei Werner in seiner gitarristischen Interpretation des thematisch dominanten Cohen-Klassikers ,Hallelujah‘ wirklich Individualität und Größe beweist und das emotional vorbelastete Stück in seine eigene musikalische Welt überführt. Er hat wie kaum ein anderer Gitarrist der mitteleuropäischen Szene Jazz, Rock, Blues, Funk und den Rest der Musikwelt wirklich verinnerlicht und klingt in allen Genres authentisch und stilsicher.

Studiert hat Werner Musikwissenschaft und Jazz-Gitarre in Köln und Arnheim, außerdem etliche Workshops bei Pat Metheny, Attila Zoller, Mick Goodrick, Scott Henderson, Frank Gambale, Michael Brecker, Hal Galper, David Liebmann, Robben Ford, Richie Beirach, Adam Rogers, Oz Noy und anderen absolviert. Und er war schon immer ein Live-Player, ein Band-Musiker, der u.a. mit Drei vom Rhein, der Franck Band, den Heavytones, Wolfgang Schmids Next Kick, Carola Grey, Wolf Maahn, Christoph Spendel, der WDR-Bigband, Schlagzeuger Peter Weiss, Bassist Pepe Berns, Sängerin Evelyn Fischer oder der Kölner Saxophon Mafia gearbeitet hat.

Neumanns ,Highschool Bebop‘ ist so ein Track, bei dem die Musik von John Coltrane und John Scofield mitschwingt. Letzterer fehlt noch auf seiner Lehrer-Liste. „Stimmt. Bei meiner letzten New-York-Reise hatte ich ihn mal angefragt, aber er unterrichtet nicht oder nicht mehr… Ich habe natürlich all die Großen rauf und runter gehört, also Scofield, Metheny, Stern, usw.“, meint Werner. „Tatsächlich aber war der Pat-Workshop in Den Haag, vor ca. 35 Jahren, sehr prägend für mich – auch heute noch für meinen eigenen Unterricht.“

Das Unterrichten gehörte für ihn immer dazu. 2002 erschien sein Lehrbuch ‚Die Jazzmethode für Gitarre – Solo‘ beim Schott-Verlag, und nach diversen Dozenten-Jobs am Münchener Gitarreninstitut MGI, den Universitäten Mainz und Berlin und der Musikhochschule Köln wurde er 2005 als Professor an die Hochschule für Musik und Theater Leipzig berufen.

Offenheit: Eine weitere Neumann-Komposition ist ,Not From Here‘, eine Ballade, die anfangs etwas an John Coltranes ,Naima‘ erinnert, dann aber ganz andere Wege geht und plötzlich in einem Rock‘n‘Roll-Riff mündet. Um dann wieder geheimnisvoll weiter zu swingen, mit originellen Voicings des Gitarristen vor Orgelflächen und einem knackigen Schlagzeug. Und dann das Gitarrensolo, mit klarem, warmem Ton: Werner Neumann hat ohne Frage einen sehr eigenen Flow, eine Handschrift, Stil. Vor allem seine immer wieder eingestreuten harmonischen Zutaten sind eigenwillig. ,Not From Here‘ ist der ruhige Höhepunkt des Albums.

Das Werner Neumann Electric Trio (Bild: Sebastian Lautenbach)

Auf Fotos ist er mit E-Gitarren des Typs ES-335, Stratocaster und Telecaster zu sehen. Gibt es da klare Präferenzen, welches Instrument wofür eingesetzt wird? „In den letzten Jahren bin ich immer öfter bei Semiacoustics gelandet“, erzählt Werner. „Dabei war ich so ein Strat-Fan, viele Jahre. Ich habe vor einiger Zeit die Heritage Prospect für mich entdeckt und zwei davon gebraucht erstanden. Super Gitarren, weil sie so schön leicht sind und wirklich toll klingen. Man kann wirklich alles mit denen spielen. Sollten die Heavytones mal wieder anrufen, spiele ich bestimmt wieder Strat. Und im Januar stehen ein paar Gigs mit der Band Zappata an, mit Napoleon Murphy Brock, und auch da passt die Strat natürlich perfekt. Davon gibt’s ein paar Videos bei YouTube …“

Als kreativer Interpret und Ausloter musikalischen Materials zeigt sich Werner Neumann noch mal in Jimmy Pages ,The Rain Song‘, bekannt vom 1973 erschienenen fünften Led-Zeppelin-Album ,Houses Of The Holy‘. Dieser Ikone muss man schon etwas entgegenhalten können. Wenet ziehen den etwas teppichtaschigen Vibe des Originals ganz cool in einen soulig-jazzigen Zusammenhang, lassen das Regenlied swingen, pulsieren und mal wieder in eine ganz andere Welt fliegen. Das haben Generationen von Jazz-Musikerinnen und -Musikern mit Musical- und Schlagermelodien getan, trotzdem fühlt sich dieser Weg auf der Rock-Jazz-Achse immer noch ungewohnt an. Geht aber!

Organist Steffen Greisigers Komposition ,Die Gleichschrittmacher‘ ist einer der intensivsten Tracks dieses Albums, wieder mit extrem hohem Energiepotenzial in bester Lifetime-Tradition. Greisigers ,Three Of Thee‘ beschließt ,Alte Liebe‘, zuerst fast nachdenklich, dann aber mit einem intensiven, eigenwilligen Finale. So ein Orgel-Trio ist schon ein Kraftpaket – wenn man es drauf hat, wie diese drei Musiker. Beeindruckend. Manchmal ist so ein Schritt in die eigene Vergangenheit auch zugleich ein künstlerischer Sprung nach vorne.

Was ist für Werner Neumann musikalische, künstlerische Freiheit? „Wenn ich ganz ehrlich bin, suche ich noch und bin aus meiner Sicht noch lange nicht bei dem angekommen, was ich als künstlerische Freiheit bezeichnen würde… Ich fühle mich immer noch oft eingeschränkt und begrenzt durch alles Mögliche. Ich will/muss besser werden auf meinem Instrument, ich will mehr schreiben und vor allem neue Wege finden. Ich will mehr proben und meine Projekte besser machen – mehr Konzerte, bessere Konzerte, bessere Aufnahmen usw.

Natürlich kann ich machen, was ich will, aber irgendjemand oder irgendwas gibt immer einen Rahmen vor. Zeitlich, finanziell, personell… Aber es ist eben auch eine spannende Reise und vielleicht kommt man auch nie wirklich an: Der Weg ist das Ziel. Wirkliche Freiheit als Musiker hat man, wenn man jederzeit das umsetzen kann, was man sich genau in dem Augenblick ausgedacht hat. Frank Zappa konnte das vielleicht damals.“


EQUIPMENT

    • Saiten: D‘Addario „mal .010er, mal .011er und auch mal .012er“
    • Plektrum: Fender Extra Heavy
    • Amp: Tonehunter JB Special. „Ich liebe den JB Special von Tonehunter Ralf Reichen, der leider aufgehört hat (Anm. d. Red.: Ralf ist leider Anfang Januar gestorben, Nachruf in Gitarre & Bass 03/2024). Dieser Amp klingt von ganz alleine, ein sogenannter no-brainer, wie Ralf sagte: Gitarre rein und los geht’s!“
    • Effekte: Analog.Man King of Tone Overdrive, Strymon El Capistan Delay und Blue Sky Reverb, 80s Boss CE-3 Chorus, Morley Wah, Electro Harmonix Q-Tron

(erschienen in Gitarre & Bass 01/2024)

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