Nostalgisch und doch zeitgemäß

Die grüne Legende: Line 6 DL4 MKII Delay im Test

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(Bild: Dieter Stork)

Frage: Was ist knallgrün, hat einen absoluten Kultfaktor und findet sich auf unzähligen Pedalboards dieser Welt? Nein, hier geht es nicht um den Ibanez Tube Screamer, sondern um das etwa viermal so große und ebenfalls grüne Line 6 DL4. Kaum zu glauben, aber nach fast 23 Jahren (!!!) hat dieser Klassiker ein Update bekommen.

Ein Weile ist es her, dass Line 6 mit dem POD-Preamp die Modeling-Welle ins Rollen gebracht hat. Die 90er-Jahre waren geprägt von dieser damals revolutionären Technologie, und es dauerte nicht lange, bis der Hersteller das unglaubliche Potential seines Ansatzes erkannte und nicht nur Verstärker, sondern auch Klassiker der Effektpedal-Welt in einem Gerät versammeln wollte. Das Ergebnis war eine ganze Reihe von Tretern, die sich optisch stark am Boss CE-1 Chorus orientierten und die Bereiche Delay (DL4), Filter (FM4), Modulation (MM4) und Distortion (DM4) abdeckten. Dazu gab es mit dem AM4 noch einen Amp-Modeler sowie mit dem JM4 einn Looper – beide ebenfalls im identischen Gehäuse. Für etwas professionellere Anwendungen, gab es die Geräte zudem etwas später noch im 19″-Format.

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Während die meisten dieser Modeling-Pedale irgendwann von der Bildfläche verschwanden, hielt das DL4 trotzig der mittlerweile ausgereifteren Konkurrenz stand und ist bis heute immer wieder auf Pedalboards unterschiedlichster Gitarristinnen und Gitarristen zu sehen. Nun bekommt die Grande Dame der Neo-Vintage-Delays eine Generalüberholung.

SCHLANKE KISTE

Betrachtet man die neue MKII-Version des DL4 genauer, fällt sofort das deutlich schlanker gehaltene Gehäuse auf. Mit Maßen von 235x112x52mm ist das Gerät zwar nicht gerade klein – verglichen mit dem Vorgänger wird dennoch ein gutes Stück Platz auf dem Pedalboard eingespart. Das Gewicht von 950 Gramm ist, gemessen an der Größe des Pedals, ebenfalls vollkommen okay.

Die Boss-CE-1-Anleihen sind einer modernen, kantigeren Optik gewichen, die nicht nur cool aussieht, sondern vor allem einen stabilen Eindruck macht. Die auf einer versenkten Ebene sitzenden Regler stehen nirgendwo über und dürften so selbst übelster Behandlung durch wilde Tritte standhalten. Geblieben ist der ikonische grüne Farbton, der einfach zum DL4 dazugehört. Auch am Layout hat sich grundsätzlich nichts geändert: Das DL4 hat weiterhin die vier Fußschalter (A, B, C und Tap, allesamt mit einem hell leuchtenden LED-Kranz umschlossen) sowie den Wahlregler für zwei Mal 15 Delays.

Der Wahlregler lässt zwischen 30 verschiedenen Delay-Sounds wählen (Bild: Dieter Stork)

Hier handelt es sich zum einen um die klassischen 15 DL4- Delays, zum anderen um 15 neue MKII-Sounds, deren Architektur der HX-Serie entliehen wurde. Jede Position des Wahlreglers ist mit je einem alten und einem neuen Delay belegt – umgeschaltet wird mittels eines kleinen Tasters, der mit „Legacy“ beschriftet ist und der noch ein kleines Extra zu bieten hat (mehr dazu später).

Während die Regler Mix, Repeats und Time zum Standard eines jeden Delay-Pedals zählen, gibt es mit den Potis für Tweak und Tweeze zwei Parameter, die bei jedem Setting individuell belegt sind. Während die beiden Regler im „Digital Delay“-Setting beispielsweise den Bass- und Höhengehalt der Wiederholungen regeln, können im „Pitch Echo“-Sound das Pitch-Intervall und die Pitch-Cents gesteuert werden. Durch diese freie Belegung der Potis wird das DL4 MKII zu einer ziemlich vielseitigen Wunderwaffe und kann eine nicht enden wollende Vielzahl an Delay-Sounds wiedergeben.

Stereo In- und Outputs, Mikrofonanschluss, Midi, USB … (Bild: Dieter Stork)

Ein Tap-Taster darf hier ebenso wenig fehlen wie die Ausstattung mit Stereo-Anschlüssen, eine vollwertige Midi-Schnittstelle und ein Micro-SD-Slot, um den Speicher des Loopers zu vergrößern. Außerdem gibt es noch einen Anschluss für ein Expression-Pedal und einen Eingang für ein dynamisches Mikrofon. Betrieben wird das Testgerät mit einem konventionellen 9V-Netzteil, das im Lieferumfang enthalten ist. Ein Batteriebetrieb ist nicht möglich, was angesichts durstiger 500mA Stromverbrauch nicht weiter verwunderlich ist.

Wähnt man sich nun in der Gewissheit, das neue DL4 in seinen Grundzügen verstanden zu haben, gibt es noch ein kleines, verstecktes Extra: Hält man den Legacy-Button gedrückt, bekommt man Zugriff auf eine Reverb-Ebene, deren Parameter nur beim Gedrückthalten des Knopfes regelbar sind. So hat man einerseits die Möglichkeit, Reverb und Delay auf geschickte Weise zu kombinieren, oder aber sich ein reines Reverb-Preset abzuspeichern. Übrigens: Reichen einem die Speicherplätze A, B und C nicht aus, lässt sich mit Hilfe des umprogrammierbaren Tap-Schalters auf die Plätze D, E und F zugreifen, sodass insgesamt sechs Presets abrufbar sind. Nutzt man die Midi-Schnittstelle des DL4, sind insgesamt 128 Speicherplätze belegbar.

Sehr praktisch ist übrigens der kleine „Spickzettel“, der dem Pedal beiliegt. Er gibt einen guten und vor allem schnellen Überblick über alle wesentlichen Sounds und Funktionen, ohne dass man jedes Mal auf die ebenfalls sehr gute Bedienungsanleitung auf der Line-6-Website zugreifen muss. So bietet das DL4 MKII trotz vieler Einstellmöglichkeiten ein erstaunliches Plug-and-Play-Erlebnis. Möchte man auf tiefgreifendere Funktionen wie beispielsweise die Belegung einzelner Schalter, Trails oder globale Settings zugreifen, ist ein Blick in das Manual aber natürlich unerlässlich.

ALTES VS. NEUES

Für den Praxistest starte ich zunächst einmal mit den Legacy-Sounds – schließlich ist es doch spannend zu hören, wie sich dieses 23 Jahre alte Delay heute schlägt. Natürlich muss man bedenken, dass die technischen Möglichkeiten Ende der 90erJahre nicht mit denen der heutigen Zeit zu vergleichen sind. Trotzdem weiß der Klang der alten DL4-Sounds auf Anhieb zu überzeugen. Egal ob eher konventionelle Delays wie beispielsweise das „Digital Delay“-Setting und das „Tape Echo“ oder das für damalige Verhältnisse eher flippige „Lo Res Delay“ sowie das „Sweep Echo“ – hier wird schnell klar, wieso sich dieses Pedal so lange auf den Pedalboards dieser Welt halten konnte. Diese Delays klingen einfach sehr gut und laden zum Experimentieren ein. Vor allem im Zusammenspiel mit anderen Modulations- oder Reverb-Pedalen machen die alten DL4-Sounds richtig Spaß, wobei man durch das Hinzunehmen von „Secret Reverbs“, wie zum Beispiel dem „Cave“– oder dem etwas verrückter klingenden „Glitz“-Reverb, heute deutlich vielseitiger aufgestellt ist.

Eine wichtige Rolle spielt dabei der „Tweeze“-Regler: Hält man den Legacy-Button gedrückt (also so, dass man sich auf der Reverb-Ebene bewegt), kann die serielle Reihenfolge des Hall- und des Delay-Effekts festgelegt werden. Als dritte Option können auch beide Effekte parallel geroutet werden. Das Highlight des neuen DL4 sind die MKII-Delays, auf die man ebenfalls mit dem Wahlregler zugreift. Schnell fällt auf, dass hier die deutlich aufwendiger konstruierten Delays im Vordergrund stehen. Da wäre zum Beispiel das „Glitch Delay“, welches ein bisschen wie ein betrunkener Taschenrechner klingt und mit seinen nach oben und unten gepitchten Wiederholungen wie das Zusammenspiel mehrerer Effektgeräte wirkt.

Auch das „Euclidian Delay“ weiß zu beeindrucken: Basierend auf einem euklidischen Algorithmus, können Wiederholungen mit verschiedensten Betonungen eingestellt werden, was ziemlich spannend klingt. Wer Lust auf eine gute Simulation eines Roland Space Echos hat, wird mit dem „Cosmos“-Delay seine helle Freude haben. Dank der Tweak- und Tweeze-Potis können hier sowohl die verschiedenen virtuellen Tonköpfe als auch die Gleichlaufschwankungen des simulierten Bandes reguliert werden. Satte Dopplungseffekte wie bei den frühen Genesis-Alben? Kein Problem! Das „ADT“-Setting erinnert stark an Steve-Hackett-Sounds der frühen 70er-Jahre. Man bekommt eine weich klingende Verzerrung zu hören, die mit der Simulation zweier parallel laufender Bandmaschinen versehen ist. So erhält der Sound einen leichten Chorus-Effekt, der dem Ton deutlich mehr Fundament verleiht.

Die Liste toller MKII-Sounds ist schier endlos und würde hier völlig den Rahmen sprengen. Es sei nebenbei noch angemerkt, dass durch den Anschluss eines Expression-Pedals und den frei belegbaren Tap-Schalter – der neben seiner eigentlichen Funktion auch als One-Switch-Looper, Expression-Taster oder „Squeal“-Switch (hebt den Wiederholungs-Parameter auf Maximum) dienen kann – der Kreativität kaum Grenzen gesetzt werden.

Auch abseits der voreingestellten Effekt-Sounds macht das neue DL4 richtig Spaß. Das liegt nicht nur an der wirklich überragenden Klangqualität, sondern auch an der recht einfachen Handhabung. Wenn man ein Setting nach seinem Geschmack angepasst hat, reicht es, den Fußschalter des gewünschten Speicherplatzes einen Moment gedrückt zu halten, um den erstellten Sound festzuhalten. Die Steuerung der geheimen Reverb-Sounds funktioniert – nach einem Blick in die Bedienungsanleitung – ebenfalls gut und bietet einen absolut ernstzunehmenden Mehrwert. Ich wüsste ehrlicherweise nicht, warum ich neben dem DL4 MKII noch ein separates Hall-Pedal bräuchte – mit 15 verschiedenen Reverb-Settings werden die meisten Gitarristinnen und Gitarristen wahrscheinlich auskommen.

UNTER DER LOOPE

Ein Looper? Nein. Das DL4 MKII kommt mit zwei unterschiedlichen Loopern, deren Aufnahmezeit von 240 Sekunden mittels mircoSD auf mehrere Stunden ausgedehnt werden kann. Sie unterscheiden sich vor allem in ihrer Bedienung. Da wäre zunächst das „Classic Looper“-Setting, das im Grunde wie ein konventioneller Looper funktioniert. Neben einem „Record/Dub“-Schalter (A), gibt es einen „Play/Stop“– (B), sowie einen „Play Once“-Switch (C). So weit, so normal. Man hat auch im Looper-Modus die Möglichkeit, ein Delay hinzuzufügen.

Für einen ziemlich coolen Spezialeffekt sorgt der „1/2 ←“-Switch, der das geloopte Signal entweder in halber Geschwindigkeit oder rückwärts abspielt. Möchte man das DL4 MKII weiterhin primär als Delay nutzen, kann man den Tap-Schalter, wie vorhin bereits erwähnt, auch als „One-Switch-Looper“ nutzen. So hat man, zusätzlich zu den drei Speicherplätzen, eine Loop-Funktion, die vollständig mit einem Schalter gesteuert wird (vergleichbar mit TC-Electronic-Ditto-Looper). Das mag zwar auf den ersten Blick ein wenig kompliziert erscheinen – funktioniert mit ein wenig Übung aber sehr gut.

(Bild: Dieter Stork)

RESÜMEE

Das Tolle an der MKII-Version des DL4 ist, dass sie existiert! In einer immer stärker digitalisierten Welt, besinnt sich ein führender Hersteller moderner Effektgeräte zurück auf seine Anfänge. Entgegen dem Motto „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“, orientiert er sich hier an der digitalen Steinzeit – baut aber zugleich einen ganzen Haufen sinnvoller, zeitgemäßer Features und tolle Sounds aus der HX-Reihe mit ein. Entsprechend hoch ist der Mehrwert gegenüber der Ur-Version des DL4.

Sicher: Nostalgiker mögen vielleicht immer noch zum alten Gerät aus den 90ern greifen. Wer aber ein vollausgestattetes, digitales Delay, mit eingebautem Looper und einer Fülle von Klängen und Features sucht, bekommt hier ein wirklich beeindruckendes Paket geschnürt. Die Tatsache, dass zu den 30 Delay-Presets noch einmal 15 richtig gute Reverb-Sounds kommen, macht das Ganze dann rundum perfekt. Delay- und Line-6-Fans aufgepasst: Antesten ist quasi Pflicht!

PLUS

  • Konzept
  • Klangqualität
  • HX-Delay-Sounds
  • versteckte Reverb-Presets
  • zwei Looper
  • Bedienbarkeit
  • SD-Karten-Slot
  • Mikrofoneingang
  • Bedienungsanleitung


(erschienen in Gitarre & Bass 07/2022)

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Interessant wäre mal ein Vergleich mit dem TC Electronic Plethora X3 und dem Flashback 2 x4. Also „viel mehr Effekte für etwas mehr Geld“ und „reines Delay (kein Reverb, rudimentärer Looper) für weniger Geld.

    Kann man das DL4 mk2 so nutzen, dass auf Ausgang A ein Delay ist und auf Ausgang B ein Shimmer Reverb?

    Auf diesen Kommentar antworten

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