Interview: George Lynch – Dirty Shirley

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(Bild: Kevin Baldes)

The great George Lynch is back! Der amerikanische Ausnahmegitarrist gilt seit seinen glorreichen Dokken-Tagen als überaus geschmackssicherer Shredder-King, mit sagenhafter Technik und einem süchtigmachenden Solo-Ton, der härtesten Stahl zum Schmelzen bringt. Sein Instrumental-Klassiker ‚Mr. Scary‘ hat ihm seinen charakteristischen Spitznamen beschert, seine eigene Band Lynch Mob mehrfach eindrucksvoll dokumentiert, dass es zwischen Heavy Metal, Hard Rock und Blues kaum einen geschickteren Komponisten als ihn gibt.

Lynchs neuester Coup: Das Projekt Dirty Shirley, das er gemeinsam mit dem kroatischen Wundersänger Dino Jelusić ins Leben gerufen hat und das Ende Januar 2020 ein erstes Album veröffentlicht hat. Darauf zu hören sind erstklassige Rocksongs von Musikern, die nicht nur ihr Handwerk verstehen, sondern auch die richtige Rock’n’Roll-Attitüde mitbringen. Die Freude über diesen gelungenen Ohrenschmaus hat uns veranlasst, den 65-jährigen Lynch zur neuen Scheibe und deren Hintergründe zu befragen, aber natürlich auch zu seinen aktuellen Gitarrenvorlieben und zum Equipment, das er bei Dirty Shirley eingesetzt hat.

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George, zunächst einmal: Stimmt es, dass die Zusammenarbeit mit Dirty-Shirley-Sänger Dino Jelusić zunächst mit einem kleinen Missverständnis startete?

Das ist richtig. Ich bekam eine Anfrage des italienischen Plattenlabels Frontiers, ob ich Interesse an einem gemeinsamen Projekt mit Dino hätte. Ich kannte ihn nicht, nicht einmal seinen Namen und wusste deshalb auch nicht, dass er seit drei Jahren zum Trans-Siberian Orchestra gehört. Ich hielt Dino für einen italienischen Popsänger und schrieb dementsprechend Songs mit eher poppiger Ausrichtung. Diese Stücke schickte ich Dino und bekam wenig später die Files mit den dazu gehörenden Gesängen. Ich war total baff, denn Dino erwies sich als Sänger in der Tradition von Ronnie James Dio oder David Coverdale. Natürlich habe ich daraufhin sofort das gesamte Material grundlegend geändert und auf seine rockig-bluesige Stimme zugeschnitten. (lacht)

Die Scheibe läuft unter dem Logo Dirty Shirley. Handelt es sich um eine richtige Band oder eher um ein einmaliges Projekt?

Ganz ehrlich? Keine Ahnung. Man weiß nie, was zukünftig passiert. Jeder hofft natürlich, dass aus einem Projekt irgendwann eine richtige Band wird, mit Tourneen, weiteren Alben und so weiter. Aber man weiß nicht, wie sich die Dinge entwickeln. Wie immer bin ich offen für alles. Aber es passieren permanent so viele Dinge, die man nur schwer beeinflussen kann, dass man zurzeit nur schwer voraus­sagen kann, was aus Dirty Shirley werden wird.­

Das Cover des selbstbetitelten Debut-Albums ist von dem Gemälde “American Gothic” inspiriert. (Bild: Frontiers Music)

Alle Songs des Debütalbums stam­men von dir?

Richtig. Ich habe das gesamte Materi­al komponiert, mit Ausnahme der Gesänge und der Texte, die stammen von Dino. Ich bin leider kein Poet, kein Sänger und auch kein Texter. Wobei: In meinem Kopf bin ich es sehr wohl, aber wenn ich den Mund aufmache, klingt es nie so, wie ich es selbst gerne hören würde. Ich bin mit Rock, Blues, Soul, R’n’B und den Beatles aufgewachsen, mein Ideal eines perfekten Gesangs ist eine Mischung aus Al Green und Aretha Franklin, aber meine Stimme gibt dies leider nicht her. Also überlas­se ich es lieber berufeneren Kräften.

Bei Dokken und Lynch Mob stammten aber doch mitunter auch Texte von dir, oder etwa nicht?

Doch, in meinen Dokken-Jahren habe ich auch mal einen Text ge­schrieben. Und die Lyrics von ‚For A Million Years‘ vom Lynch-Mob-Debüt waren ebenfalls von mir. Vor gut vier Jahren habe ich sogar ein nahezu komplettes Album geschrieben und getextet, das war für ‚Shadow Train‘, dem Soundtrack zum Kinofilm ‚Shadow Nati­on‘. Damals existierte allerdings bereits die konkrete thematische Vorgabe, somit hatte ich ein Bild vor Augen und einen roten Faden, an dem ich mich entlanghangeln konnte. Das hat mir natürlich sehr geholfen.

Wo komponierst du? Und wie nimmst du deine Gitarren auf? Besitzt du ein professionelles Homestudio?

Ja, könnte man so sagen. Die meisten Aufnahmen zu ‚Dirty Shirley‘ fanden bei mir zu Hause statt. Ich habe im Laufe der vielen Jahre meiner Karriere gelernt, dass ich mit einem mir vertrauten Equip­ment einfach die besten Resultate bekomme. Das Studio ist meine Werkstatt, in der ich meine kreativen Ideen umsetze. Ich kann dir sagen: Ich war schon in einigen der teuersten Studios der Welt, und es passierte nicht selten, dass ich am Ende einer Session total ent­täuscht vom Ergebnis war. Zu Hause habe ich sehr gutes Equip­ment, einen ausgesprochen gut klingenden Aufnahmeraum, und viel mehr braucht man nicht für eine professio­nelle Aufnahmesession.

Kannst du bitte im Detail beschreiben, wie und mit welchen Gitarren du die Scheibe eingespielt hast?

Gerne. Zunächst einmal: Etwa 80 Pro­zent aller Rhythmusgitarren wurden gedoppelt, also links und rechts, plus ein paar Overdubs hier und da. Gespielt habe ich vor allem mit mei­nen drei derzeitigen Hauptgitarren, zum einen mit meinem ESP-59er-Les-Paul-Klon mit PAF-Pickups, hin­zu kam mein ESP-Tele-Klon mit einem Korpus aus Sumpfesche, und zum dritten meine altbekannte ESP-Kamikaze, die vor allem für die in der Mitte platzierten Over­dubs zum Einsatz kam. Hinsicht­lich der Amps verfüge ich über ein riesiges Arsenal unterschiedlicher Heads und Combos.

Für Dirty Shirley habe ich mich für einen Diezel, einen Bogner, einen alten Marshall, einen Laney, einen Fender und einen wunderbar klingenden Magnatone entschie­den. Ich stehe zurzeit auf klassische Röhren-Tops, deswegen waren die beiden Haupt-Amps ein Marshall und ein Laney aus den späten Sechzigern und frühen Siebzigern. Hinzu kamen ein paar alte 4x12er-Boxen von Orange für dunklere Sounds, Boxen von Hiwatt, die eine wunderbare Klar­heit besitzen, und von Marshall, deren Celestion-Speaker diesen herrlich cremigen Sound erzeugen.

Und die Mikrofonie?

Hier handelt es sich schwerpunktmäßig um ein Royer R101 und ein altes RCA BK5A, beide für die Rhythmusgitarren. Als Mikrofon-Preamps habe ich verschiedene Geräte im Studio, ich wechsele sie mitunter, um dem Sound andere Färbungen zu geben. Meistens handelt es sich um einen API Audio Preamp, aber manchmal nehme ich auch einen Chandler. Außerdem gibt es noch meine Geheimwaffe (lacht), bei der die Leute immer mächtig staunen: Es ist ein Peavey-Röhren-Preamp, der aber eigentlich von Rupert Neve entwickelt wurde. Ein wunderbares Gerät, auf dem zwar das bekannte Peavey-Logo ist, der Inhalt aber von Rupert kommt.

Mit allen diesen Gerätschaften kann ich die Sounds variieren und bekomme so immer verschiedene Stimmungen in die Songs. Ich ändere einfach nur entweder die Gitarre, den Amp, die Box oder die Mikrofonie mit den Preamps. Mitunter nehme ich auch einen Kompressor hinzu, meistens den Universal Audio 1167. Das alles geht über ein HD-Interface in mein Pro-Tool-System. Zur Ausstattung meines Studios gehört unter anderem auch ein Lexicon Reverb, das ich aber nur über die Abhör-Monitore für den Ge­samtsound hinzuschalte.

Mit welchen Gitarren hast du deine Soli aufgenommen?

Überwiegend mit meiner ESP-Les-Paul und der Kamikaze. Hin und wieder auch mit der ESP-Tele, aber eigentlich hat sie für diese Art Musik zu wenig Gain. Ich liebe den Hals der Tele, deshalb nehme ich sie mir immer wie­der zur Hand. Aber gespielt habe ich sie bei Dirty Shirley nur gelegentlich. Übrigens habe ich vergessen zu erwähnen, dass ich die Gitarre in den Strophen mitun­ter über Combos spiele, um einen et­was dünneren Sound zu bekommen − dieses Fragile in der Art von Tom Pet­ty. Am liebsten nehme ich dann einen 66er-AC30 oder einen Roland Jazz Chorus. Oder wenn ich es richtig Lo-Fi haben möchte, alte Combos aus den 40er-Jahren mit 18“-Speakern.

Effektgeräte?

Ich besitze unzählige! Mit ihnen beschäftige ich mich immer lange und besonders sorgfältig. Gemein- sam mit meinem Engineer höre ich mir die Songs an und entscheide dann, welche Effekte wir jeweils nehmen sollten, also Octaver, Echoplex, Tape Echo, ein Chorus-, Tremolo- oder ein Whammy-Pedal, manchmal aber auch ganz abgefahrene Sachen, die mir großen Spaß bereiten und mit denen ich sehr viel herumexperimentiere, sei es ein Symphonic-Resonance-Reverb-Pedal in Verbindung mit einem Sustainiac-Pickup oder einem E-Bow, für lange Feedbacks oder als zusätzliche Gitarrenschichten.

In welchem Entwicklungsstand waren die Dirty-Shirley-Songs, als du sie zu deinem Sänger Dino Jelusic geschickt hast?

Ich arrangiere meine Songs grundsätzlich komplett, bevor sie an den entsprechenden Sänger rausgehen.

Dino Jelusick & George Lynch (Bild: Frontiers Music / Moria Ross)

Deine jeweiligen Sänger werden also vor vollendete Tatsachen gestellt?

Hinsichtlich der grundsätzlichen Arrangements ist das wohl so, aber sie haben natürlich Einfluss auf die Längen der einzelnen Parts. Wenn Dino zum Beispiel eine Strophe erweitert oder einen Refrain doppelt so lange haben wollte, habe ich das sofort entsprechend geändert.

Hat sich dein grundsätzlicher Musikgeschmack in den zurückliegenden Jahren eigentlich verändert?

Ich stelle fest, dass ich in letzter Zeit immer mehr auf Vintage schwöre, bei der Musik wie auch bei den Instrumenten. Die Wahl des Equipments ist für mich stets wie ein Spiel mit mir selbst, damit es nie langweilig wird, sondern immer spannend und aufregend bleibt. Zum Beispiel habe ich vor einiger Zeit meine ESP-Kamikaze wiederentdeckt. Ich habe sie ja viele Jahre kaum noch gespielt, aber ich merke, welches Glanzstück mir da vor 35 Jahren gelungen ist. Die Kombination aus Singlecoil und Humbucker, das Vibrato-System, der wunderbare Hals − die Kamikaze ist zurzeit wieder meine Hauptgitarre. Erstaunlich, nicht wahr? Außerdem liebe ich meine alte 58er Gibson Les Paul Junior. Ich bin ständig auf der Suche nach neuen Inspirationen, teste Strats und Les Pauls und habe auf diese Weise plötzlich und überraschend meine eigene Kamikaze wiederentdeckt. Aber ich mag das, es hält mich frisch und neugierig.

Wie sieht für dich anno 2020 die perfekte Gitarre aus?

Für die perfekte Gitarre gibt es keine feste Bauanleitung. Du kannst eine Gitarre mit den besten Features, dem besten Holz, der besten Elektrik ausstatten, und trotzdem klingt sie langweilig. Und dann lässt du einfach ein oder zwei Features weg und plötzlich passiert etwas Magisches, das man nicht erklären kann. Es hängt immer vom subjektiven Standpunkt ab, von der aktuellen Stimmung, der seelischen Verfassung.

Nimm zehn Les Pauls der gleichen Baureihe, und du hast zehn verschiedene Gitarren. Nimm zehn Strats der gleichen Bau- reihe, und du hast ebenfalls zehn verschiedene Gitarren. Außerdem hängt es natürlich auch von der jeweiligen Musik ab, welches Instrument am besten passt. Bei KXM fahre ich einen völlig anderen Sound als bei Lynch Mob oder Dirty Shirley. Hier brauche ich meine Kamikaze, weil die Musik den Shredder in mir verlangt. Du fragst nach der perfekten Gitarre? Möglicherweise meine Gibson 1961 Les Paul SG. Sie ist perfekt und mit keiner neueren Gitarre vergleichbar.

Was macht sie so einzigartig?

Die Magie, die von ihr ausgeht. Man kann es nicht beschreiben, man muss es gehört haben.

Wirst du eigentlich irgendwann noch einmal für ESP ein neues Signature-Modell entwickeln?

Ich weiß es nicht. Ich bin jetzt seit 38 Jahren bei ESP, und wir haben in letzter Zeit einige meiner Signature-Modelle als Reissues wiederveröffentlicht, darunter die Kamikaze und die grüne Kamikaze, aber auch die Signature-Tiger-Stripes. Die Leute lieben diese Gitarren immer noch, und ich bin weiterhin sehr stolz auf sie. Diese Gitarren haben sich bewährt, also weshalb sollte man etwas Neu- es entwickeln? Ich halte nichts davon, etwas neu zu machen, nur damit es neu ist.

Letzte Frage: Ich hörte, dass Lynch Mob in Amerika mit Dokken auf Tour gehen, also mit deinem ehemaligen Intimfeind und langjährigen Widerstreiter Don Dokken. Du wirst doch nicht etwa in beiden Bands spielen?

Lynch Mob spielen im Vorprogramm, anschließend geht Don mit seiner aktuellen Besetzung auf die Bühne. Ich werde aber wohl bei den letzten vier Dokken-Nummern dazukommen und mit- spielen.

Kommt das Package auch nach Deutschland?

Das weiß ich noch nicht. Momentan werden die USA-Dates gebucht. Natürlich würde ich es begrüßen, mit diesem Package auch nach Europa zu kommen. Ich jedenfalls drücke fest die Daumen!

Danke George, für das interessante Gespräch, wir drücken ebenfalls die Daumen!

(erschienen in Gitarre & Bass 02/2020)

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