Teil 20

Homerecording: Songproduktion Teil 9 – Vocal Recording

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Was unserem Workshop-Song bislang noch fehlte, war der Gesang. Vor kurzem hatte mein lieber G&B-Kollege Guido Lehmann plötzlich eine zugleich einfache wie geniale Idee für einen Text über das Songwriting itself, die er auch im Nu zu Papier brachte. Da hatte unser Stück auf einmal nicht nur einen starken Text sondern sogar einen starken Namen: ,Next Big Thing‘ (Vielen dank, Guido!).

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Das waren endlich gute Voraussetzungen, um das große Kapitel Vocal-Recording ins Auge zu fassen. Dafür hatte ich von Anfang an einen speziellen Wunschkandidaten im Sinn: Serkan Kaya. Dieser gebürtige Leverkusener ist für mich ein ungeheuerlicher Sänger: markante Stimme, perfekte Beherrschung dieser, riesiger Tonumfang und dazu noch außerordentlich musikalisch und ideenreich – quasi wie David Coverdale nur rechtsrheinisch.

Mit Guidos Lyrics traute ich mich also bei Serkan anzufragen, und dieser war gleich für das Projekt zu haben. So trafen wir uns schließlich Anfang Oktober im Bandraum des Udo Lindenberg-Musicals in Berlin und nahmen den Gesang für ,Next Big Thing‘ auf. Vocal-Recording und Mixing gehört zu den sensibleren Betätigungen der Tontechnik. Das rührt wahrscheinlich daher, dass die Stimme seit jeher das uns vertrauteste Audiosignal ist wo gibt, und schon minimale Abweichungen von der „Norm“ als störend empfunden werden können.

Anders als bei Instrumenten, wo man so viel rumschrauben darf wie man will (solange der Sound gefällt), ist bei der Stimme der Spielraum deutlich kleiner. Deshalb sollte man bei der Aufnahme im Zweifel auf Nummer sicher gehen, um zumindest eine möglichst neutrale Aufnahme hinzukriegen.

Die Stimme wird klassischerweise mit Großmembran-Kondensator-Mikrofonen aufgenommen. Diese weisen neben ihren unangefochtenen Übertragungs-Eigenschaften einen eigenen, leicht färbenden Charakter vor allem im oberen Frequenzspektrum auf. In der heilen Studiowelt probiert man deshalb akribisch verschiedene Mikrofone für einen Sänger aus, um das am besten zur Stimme passende Gerät zu finden. Sofern die Zeit vorhanden, spricht auch nichts gegen das Antesten anderer Mikrofongattungen wie z. B. dynamischer Tauchspulen.

Wer hochwertige Vertreter wie das EV RE20 oder gar Sennheiser MD441 zur Hand hat, kann bzw. muss so etwas auch mal für die Stimme ausprobieren. Selbst das SM57 konnte beim Studiogesang wiederholt überzeugen. Michael Jackson wurde meist mit einem dynamischen Shure SM7 aufgenommen, so auch auf dem erfolgreichsten Album aller Zeiten.

In der Realität mit begrenztem Budget, Equipment und Zeitfenster nimmt man für den Gesang jedoch i. d. R. einfach das beste Mikro was man hat. In meinem Fall habe ich auf ein Neumann TLM103 gesetzt. Dieses ist aufgrund fast identischer Kapsel grob mit dem legendären Gesangs-Standard U87 zu vergleichen, agiert aber im Präsenzbereich moderner, sprich ausgeprägter.

Auch wenn bei diesem Mikrofon die Höhen Neumann-typisch samtweich klingen (was gerade bei günstigeren Kondensern nicht immer der Fall sein muss), so ist der breite und hoch reichende Präsenzhub für den „S“-Bereich manchmal etwas schwierig zu handhaben. Deshalb sollte schon bei der Aufnahme versucht werden, dieser Besonderheit Aufmerksamkeit zu schenken (s. u.).

In dieser Hinsicht sehr unkompliziert und schließlich eine weitere interessante Vocal-Mic Kategorie sind die wieder in Mode gekommenen Bändchen-Mikrofone. Ihre tolle Impulstreue und ihr nachgesagter „warmer“ Klang sind es ebenfalls wert ausprobiert zu werden. So habe ich für diese Aufnahme-Session parallel zum Neumann noch ein günstiges, aber sehr brauchbares t.bone RB 500 Bändchen an den Start gebracht.

Dieses zweite Signal soll im Mix selbstverständlich nicht mit dem Neumann-Signal gemischt werden (Kammfilter bei Stimme ist besonders schlecht schlecht schlecht…), sondern dient als klanglicher Plan-B, falls das TLM103 aus irgendwelchen Gründen bei Serkan nicht funktioniert hätte (hat es aber!). Also kein Neumann vs. Thomann Contest – dafür sind die Kategorien zu verschieden – sondern eher ein doppelter Boden für eine wichtige, schwer zu wiederholende Aufnahme.

Die Installation zwei so dicker Brummer ist dank sogenannter Stereoschiene auch mit nur einem Mikrofonständer zu realisieren. Links auf der Schiene habe ich das Neumann samt Spinne hängend von oben installiert, sodass die Unterkante des Mikros knapp oberhalb vom Mund platziert war. Dies ist eine wirksame Methode, um die scharfen Zisch- und Popp-Laute bei der Aufnahme einzudämmen, da sie so nicht mit voller Energie auf die Membran schießen.

Ein positiver Nebeneffekt ist eine unterbewusst erzwungene gestreckte Haltung beim Singen, wodurch die Stimmbänder mehr Beinfreiheit haben. Gerade für die „S“-Laute ist es zudem eine gute Idee, wenn der Mund etwas seitlich zum Mikro steht, weshalb Serkan bei unserer symmetrischen Doppel-Mikrofonierung einfach mittig zwischen beiden Mikros hindurchsingen sollte.

Das Bändchen war durch die fest installierte Halterung leicht von unten, und wegen der fehlenden Spinne gute 10 cm weiter hinten als das Neumann positioniert. Auch das macht aufnahmetechnisch Sinn, da Bändchen-Mikrofone unter einem sehr ausgeprägten Nahbesprechungseffekt leiden, und deshalb der Abstand für einen ausgewogenen Bassanteil etwas größer sein muss. Der optimale Abstand zum Mikro variiert individuell und kann in großen Räumen sogar einen halben Meter oder mehr betragen.

In „normalen“ Räumlichkeiten ist man mit Sicherheit ein gutes Stück näher, um innerhalb des Hallradius zu bleiben und einen direkten Klang mit wenig Raumanteil zu bekommen. Serkans Abstand zum TLM betrug in dem ca. 30 qm großen Raum gut 20 cm und zum Ribbon dementsprechend 30 – 35 cm. Damit sich dieser Abstand über die Dauer der Session nicht unmerklich veränderte, habe ich Serkan auf einer kleinen Gummimatte untergebracht, welche zugleich auch als Trittschalldämpfung gute Dienste leistete.

Tieffrequenter Tritt- /Körperschall ist besonders bei einem Bändchen – zudem noch ohne Spinne – ein echtes Thema, weswegen es nicht ganz abwegig wäre, den Künstler sogar zu bitten, seine Schuhe auszuziehen. Mit Serkan wollte ich es mir allerdings nicht verscherzen.

Da Bändchen-Mikrofone eine Achter-Charakteristik besitzen, ist es wichtig, rückseitige Reflexionen zu vermeiden, indem man z. B. hinter das Mikro eine absorbierende Trennfläche packt. Meine zugegebenermaßen sehr flapsige Eigenkonstruktion mit einfachem Noppenschaum auf Karton wird jeden Akustiker die Nase rümpfen lassen, bei einem unverbindlichen „Zweitsignal“ finde ich es aber gerade noch akzeptabel und besser als das Geräusch vom Auf- und Zuschrauben meiner Apfelschorle.

Von vorne hatten beide Mikros den obligatorischen Popp-Schutz vorgesetzt, ohne welchen die unvermeidlichen Explosiv-Laute jede Gesangsaufnahme unbrauchbar machen würden. Als Krönung dieses verwegenen Mikrofonaufbaus habe ich den Song-Text in Din A5 per Klebeband oberhalb des Thomann Mikros fixiert, was mir sogar von Serkan anerkennenden Zuspruch einbrachte (und die zuvor einkassierten skeptischen Blicke wegen der armseligen Noppenschaum-Konstruktion fast wieder ausglich).

Als Audiointerface an meinem MacBook Pro samt Logic diente ein RME Fireface400, welches über zwei fantastische Mikrofonvorverstärker verfügt, sodass auch mit dem schwachbrüstigen Bändchen eine recht rauscharme Aufnahme gelang. Obwohl das RME über eine latenzfreie Monitor-Funktion verfügt, habe ich den Kopfhörermix per Software-Monitoring (mit min. Latenz, <3ms) über Logic eingerichtet, um ohne großen Aufwand Hall und Delay für Serkan parat zu haben. Wer sehr mutig ist, kann auch gerne mal versuchen ein trockenes Mikrofonsignal anzubieten. Nee, macht das bloß nicht!

Serkan meinte schon im Vorfeld, dass er für seinen Monitor einen hellen, fast schon metallischen Sound mag, sodass ich auch einen EQ auf der Stimme einsetzen konnte (nur für den Monitor!). Bei der Aussteuerung sollte der Durchschnittspegel etwa 17 – 20 dB unter Vollaussteuerung (0 dBFS) liegen, um auch bei überschwänglichen Gesangsattacken und gleichzeitig ungünstigem Einfallswinkel keine Rechtecke zu produzieren.

Sobald man eingepegelt hat und der Kopfhörermix samt Playback auf den Ohren sitzt, ist es eine künstlerisch wertvolle Idee, schon beim Einsingen heimlich den Aufnahmeknopf zu betätigen. In dieser noch zwanglosen Situation wurden schon so manche beste Takes aufgenommen. Bei einem auch während der offiziellen Aufnahme nicht unter Beklemmungen leidenden Profi wie Serkan haben es immerhin die ersten 4 Takte vom letzten Refrain aus diesem „Take 0“ in meine Endauswahl geschafft.

Apropos, was manch einer als Pfuschen bezeichnen mag, ist ganz normal: eine fertige Gesangspur besteht (heutzutage) fast nie aus einem einzigen Take, sondern ist meist ein „Best Of“ aller aufgenommen Takes. Einen solchen Zusammenschnitt nennt man „Comp“ (von „Composition“) und ist bei vielen DAWs inzwischen sehr komfortabel (ohne Schere) aus den Einzel-Takes zusammenzustellen. Richtiges Pfuschen nenne ich, wenn mit Melodyne oder ähnlichem die Intonation bereinigt werden muss, wozu es bei uns aber keinen Anlass gab.

Für einen einheitlichen „Flow“ und realistische Übergänge ist es am besten, wenn man zu Beginn einige komplette Takes aufnimmt, bevor man sich dann den verschiedenen Song-Parts einzeln widmet. Zum Schluss haben wir noch den Refrain mehrfach gedoppelt, um im Panorama aufgefächerte Backing-Vocals dezent unterlegen zu können. Bezüglich der Phrasierung ist es ideal, wenn die Backings zum finalen Comp der Main-Vocals eingesungen werden (was bei unserer Session allerdings zeitlich nicht drin war).

Um die Gesangs-Tracks im Mix nicht untergehen zu lassen, habe ich sie komprimiert und die beiden Mikros unabhängig voneinander EQed. Das im Vergleich offenere und mehrdimensionalere Neumann scheint in dem dichten Arrangement besser zu passen, trotzdem schlägt sich das Bändchen mit seinem eigenen Charakter wacker.

Das „richtige“ Mixing folgt in den nächsten Folgen, wo ich auf Dynamics, EQs, FX, Tiefenstaffelung usw. dann auch ausführlich eingehen werde. Danke Serkan für die Veredelung dieses Songs! Ja dann, viel Bass!


Alle Folgen zum Homerecording: www.gitarrebass.de/thema/homerecording

Tiefergehende Informationen zur gesamten Bandbreite der Recording-Welt gibt es auf: www.soundandrecording.de

Die Workshop- & Community-Plattform für alle Recording-, Mixing- & Mastering-Engineers sowie Produzenten: www.studioszene.de

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