Chicago und insbesondere die Maxwell Street hatten sich als Zentrum einer großen musikalischen Bewegung entwickelt; hier trafen vor allem Blues-Musiker aller Gattungen aufeinander und musizierten in den unzähligen Cafes, Bars oder einfach so auf der Straße. Unweit dieses musikalischen Brennpunktes, in dessen Mittelpunkt natürlich die Gitarre stand, begann die Geschichte von Washburn: Eine Firma, die sich trotz zweimaliger Zerstörung durch Brände und mehrmaliger Besitzerwechsel durchgekämpft hat, und heute wieder zu einer international anerkannten Größe gefunden hat.
Das Youtube-Video gibt einen schönen Einblick in die Geschichte und Produktionsweise von Washburn:
https://www.youtube.com/watch?v=9i-ngyOX-Gs
Auch heute noch fühlt man sich dem Geist verpflichtet, der damals von Chicago aus durch die ganze Welt wehte – dem Geist von hart arbeitenden Musikern und den Menschen, die diesen ihre Werkzeuge bauten: Gitarren, Banjos, Mandolinen, auf denen Lieder vom Leben gespielt wurden.
George Washburn Lyon und Patrick Joseph Healy gründeten im Auftrag ihres Chefs Oliver Ditson, der bereits zwei Musikwarenhäuser in Chicago besaß, 1864 Lyon & Healy, das sich schon bald zum größten Musikladen der Welt entwickeln sollte. Ab etwa 1883 – also gut zehn Jahre nach den Großen Feuern, die einen Großteil der Windy City (darunter auch die Lyon & Healy-Firmengebäude!), vernichtet hatte – wurden erstmals Gitarren unter dem Namen Washburn angeboten, die in der eigenen Fabrik in Chicago hergestellt wurden.
In den 1920er Jahren verkaufte Lyon & Healy ihre Instrumentenfabrik an J. R. Stewart & Co., die Rechte an dem mittlerweile berühmten Namen Washburn behielt Lyon & Healy. Allerdings nicht lange, denn schon bald wurde Washburn zusammen mit dem Großhandels-Geschäft an einen Konkurrenten, die Tonk Bros., verkauft. Lyon & Healy blieb weiterhin als Musikladen und auch als Hersteller von Harfen im Geschäft.
1930 brachte die Depression das Ende von J. R. Stewart, die Überreste der Firma wurden ebenfalls von den Tonk Bros. aufgekauft, die allerdings den Namen Washburn nur kurzzeitig nutzten. Somit verpasste diese Marke das goldene Zeitalter der E-Gitarren – der Beginn und der große Aufbruch in den Fünfzigern und der bahnbrechende Erfolg und die Stürmung der Hitparaden in den Sechzigern – verbunden mit Millionen verkaufter Gitarren, dem Instrument, das nun zum Volksinstrument geworden war und Musikgeschichte geschrieben hatte.
Erst ab 1974 gab es wieder Washburn-Instrumente – vorwiegend günstige Akustik-Gitarren, die nun in Japan gebaut wurden. Der Großhändler Beckman Musical Instruments hatte sich die Rechte an dem alten Namen gesichert, die er aber bereits 1976 wieder an eine kleine Firma namens Fretted Industries Inc. veräußerte – für US-$13.000.
Fretted Instruments – das waren Rick Johnstone und Rudy Schlacher. Die beiden lenkten die Geschicke Washburns für die nächsten zehn Jahre, bevor Schlacher die alleinige Führung der Firma übernahm. Die Instrumente wurden zwar weiterhin in Japan gebaut, waren aber deutlich besser als die Beckman-Importe. Die ersten E-Gitarren tauchten 1978 im Washburn-Katalog auf – die mittlerweile legendären Wing-Gitarren, die in diesem Jahr als 125th-Anniversary-Modelle eine Renaissance erfahren haben.
Ab 1991 wurden auch wieder Instrumente in den USA gebaut – sowohl Elektro- als auch Akustik-Modelle. Kein geringerer als Grover Jackson leitete ab 1993 für einige Zeit die Produktion der E-Gitarren, die bereits im ersten Jahr mit Jackson die viel beachtete Signature-Gitarre für den damaligen Gitarristen der Band Extreme, Nuno Bettencourt, hervorbrachte und weltweites Interesse auf die Marke Washburn lenkte.
Diese Gitarre hatte mit dem Stephens Cutaway ein bisher einzigartiges Design-Merkmal, das von dem Jazz-Musiker und Gitarrenbauer Stephen Davies entwickelt worden war und ungehinderten Zugang zu allen Bünden des Griffbrettes versprach – und dies auch hielt. Hierzu ist das Ende des Halses sichelartig gestaltet, fußt in eine entsprechend geformte Halstasche und wird durch den Saitenzug dort fest hineingepresst.
Der Stephens Extended Cutaway, der zwischenzeitlich auch bei einigen Akustik-Gitarren-Modellen angewendet wurde, befindet sich auch heute noch auf Gitarren aus Washburns N-Serie.
Bei musikmachen haben wir in der Vergangenheit die Washburn EA40SCE Westerngitarre getestet:
Der Stephens Cutaway war nicht die einzige Zusammenarbeit Washburns mit einem Tüftler. Buzz Feiten fand in dem großen Hersteller den von ihm lange gesuchten Partner, der sein Intonations-System als einziger Hersteller industriell produzierter Gitarren in Lizenz baut.
Bei unserem Besuch der Firma wurde mehr als deutlich, dass hier alles andere als nur die eigene Tradition gepflegt wird. Rudy Schlacher scheint immer offen für gute Ideen zu sein, scheint immer noch vom Gitarrenbau an sich und dessen Weiterentwicklung fasziniert zu sein. Warum sonst hängt man sich als großer Hersteller ein Non-Mainstream-Produkt wie Parker Guitars ans Bein? Oder entwickelt neue Korpus-Systeme wie die der Idol-Serie?
Im Norden von Chicago, in Mundelein, liegt das große Firmengebäude von U.S. Music Corp. Hier befindet sich nicht nur die Verwaltung des Konzerns, der mehr als 1 Million Gitarren pro Jahr herstellen lässt, sondern auch die US-Produktion, die durchaus mit einem Custom Shop vergleichbar ist.
36 Angestellte bauen hier Washburn- und Parker-Gitarren, ein einziger Gitarrenbauer ist für die Produktion der hochwertigen amerikanischen Washburn-Akustik-Gitarren zuständig; sechs Stück im Monat verlassen seine Werkbank.
„Bei Akustik-Gitarren sind Trends sofort spürbar. Vor allem wechseln die Geschmäcker sehr schnell und im Moment ist halt Koa angesagt,“ erzählt Terry Atkins, der Leiter der Produktion. „Darauf können wir schnell reagieren, siehe unsere D-84!“ Ein wirklich prächtiges Modell mit geflammtem Koa-Korpus und Fichtendecke – alles massive Hölzer und natürlich inkl. Buzz-Feiten-Tuning.
Terry Atkins steckt auch mich sofort mit seiner Begeisterung für den Gitarrenbau an. Er hat schon einige Stationen hinter sich, stammt aber ursprünglich aus der alten Washburn-Produktionsstätte, die er vor einigen Jahren in Richtung Westküste verließ, um bei Tacoma anzuheuern. Als jedoch Fender diese Firma übernahm, änderten sich das Betriebsklima und die Arbeitsbedingungen dort drastisch – und so kehrte Terry zurück nach Chicago, um wieder bei Rudy Schlacher anzuheuern.
Die 36 Arbeiter bauen zurzeit zwischen 15 und 20 Gitarren am Tag – ein Wert, der nach Meinung von Schlacher und Atkins in naher Zukunft noch gesteigert werden soll. Wandelt man durch die großzügigen Fertigungshallen, so entdeckt man viele eigene Produktions-Ideen, aber auch eine Straße, in der immerhin sechs CNC-Maschinen ihre Arbeit tun, Bodies und Hälse formen und fräsen.
Das Motto „Good quality at a good price“, das Washburn sich auf die Fahnen schreibt, gilt nicht nur für die günstigeren Instrumentenserien aus Fernost, sondern auch für die amerikanische Produktion, die dank solcher CNC-Maschinen, die das Grobe schnell und konstant erledigen, erstklassige Custom-Shop-Qualität zu vernünftigen Preisen anbieten kann.
Von all den vielen interessanten Details rund um den Gitarrenbau in der Washburn-Factory sind bei mir vor allem zwei hängen geblieben: Zum einen die großflächigen Vakuum-Matten, in denen Leimverbindungen von z. B. Korpus und Decke oder Hals und Griffbrett statt mit den üblichen Klemm- und Pressvorrichtungen eben mit Vakuum unter Druck gesetzt werden.
Zum anderen das sogenannte Chamber System. Damit ist ein ganz spezielles Verfahren gemeint, durch das in einen massiven Korpus viele verschieden große Kammern gefräst werden. Dadurch wird nicht nur das Gewicht verringert, sondern auch ein spezieller Ton erreicht, der in Anschlag, Dynamik und Einschwingverhalten dem einer Semiakustik nahekommt, während Sustain und Tonfärbung eher einer Solidbody-Gitarre entsprechen.
Die vielen einzelnen Kammern sind unterschiedlich groß; würde man nur eine oder zwei große Kammern in den Korpus fräsen, entstünden ungewünschte Resonanzen, erklärt uns Terry Atkins.
Der Korpus wäre als massives Stück auch kaum zu (er)tragen, denn er ist dicker als der einer Les Paul. Durch die Hohlkammern wiegt die Gitarre aber weniger als die Durchschnitts-Paula, hat trotzdem mehr Sustain und einen „luftigeren“ Sound – womit man durchaus voll im Trend liegt. Washburn kann zudem mit einigen Features glänzen, die exklusiv für die meisten Instrumente ihrer Produktion gelten.
Da sind zum einen die von Gotoh hergestellten Mechaniken, die im Verhältnis von 18:1 ein äußerst präzises Stimmen ermöglichen. Die meisten Gitarrenmechaniken unserer Tage drehen sich im Verhältnis von 14:1, es sind also 14 Umdrehungen des Mechanik-Knopfes nötig, um die Achse einmal um sich selbst zu drehen. Alle Instrumente der Idol-Serie haben zudem das Voice Contour Control System, eine spezielle Spulenanzapfung, die ein stufenloses und sehr effektives Überblenden von einem Humbucker- zu einem (brummfreien) Singlecoil-Sound ermöglichen.
Außerdem sind alle Washburn-Akustik-Gitarren mit B-Band-Pickup-System und -Preamps ausgestattet, für einige Serien stellt der finnische Hersteller sogar ein spezielles System her; das A15 ist das Produkt einer Zusammenarbeit zwischen Washburn und B-Band. Der Gesamtkatalog von Washburn ist heute praktisch allumfassend – Mandolinen, Banjos, E- und Akustik-Bässe bis hin zu E-Gitarren werden in allen Preisbereichen produziert, und das in China, Indonesien und den USA.
Nicht nur in der Vergangenheit konnte die Firma durch die Zusammenarbeit mit weltweit bekannten Musikern auf sich aufmerksam machen – eine Marketing-Methode, die sich mehr oder weniger zufällig entwickelt hatte und dann reife Früchte trug, als diese Musiker weltberühmt wurden. Außerdem brachte die Zusammenarbeit mit großen Namen „nebenbei“ auch prima Gitarren hervor.
Paul Stanley präsentiert seine PS12:
Nuno Bettencourts Signature-Gitarre hatte nicht nur wegen des Stephen´s Cutaways etwas Besonderes, Paul Stanley von Kiss war federführend bei seiner PS-Serie mit dabei, Scott Ian ließ sich seine kompromisslosen SI-Modelle von Washburn auf den Leib schneidern, Dan Donegan (Disturbed) steht auf Flammen und bekam selbige auf seine diversen Washburn-Gitarren gemalt, Joe Trohman (Fall Out Boy) hat einige ausgefallene Signature-Instrumente bekommen, Bootsy Collins überredete Rudy Schlacher zur Produktion des abgedrehten Space-Basses und auch Magnus Rosen, der Hammerfall-Bassist spielt mittlerweile einen Washburn-Signature-Bass.
Alle diese Musiker gehörten mehr oder weniger der härteren Fraktion an und eröffneten damit Washburn eine Zielgruppe, in der viele junge Musiker unterwegs sind. Die Chance, einige von diesen langfristig an ihre Marke zu binden, sehen Rudy Schlacher und seine Mitarbeiter sehr gut – schließlich bietet das umfangreiche Washburn-Programm dem Metal-Gitarristen von heute auch als Musiker von morgen genügend Alternativen.
Die Shred-freundliche Parallaxe Serie erfreute alle Metal-Fans – darunter auch Rob Chapman:
Eric Clapton hat übrigens auf einer Washburn Westerngitarre spielen gelernt. Laut Wikipedia war das eine “George Washburn, die er als Jugendlicher auf einem Flohmarkt für zwei Pfund und zehn Schilling erstand”. Mehr über Claptons Anfänge findest du auf der Themenseite!
Ein weiterer neuer Fan von Washburn Gitarren ist Ola Englund:
Spannende Stories und Workshops rund um Acoustics erhältst du auch in unserem Akustikgitarren ABC!
Schön, dass man mit dem in Österreich geborenen Chef eines international operierenden Musikinstrumenten-Konzerns noch Deutsch reden kann! Aber das ist nicht der einzige Unterschied zwischen Rudy Schlacher und den CEOs der anderen großen US-Firmen. Denn Rudy kommt von der Basis, ist „vom Fach“, und eben nicht ein Betriebswirtschaftler oder Ökonom.
Denn Schlacher hat ganz konventionell Geigen- und Zupfinstrumentenbau gelernt, bevor er zuerst bei Rogers, dann bei Levin in Schweden und später in der Schweiz als Instrumentenbauer arbeitete. 1966 ist er in die USA ausgewandert, war zuerst in Cleveland, Ohio, bevor er dann in Chicago sesshaft wurde und im größten Gitarrenladen des Staates Illinois Arbeit fand, im Guitar Gallery.
Schon bald gründete er einen eigenen Laden, bis 1971 wurden hieraus drei, und vier Jahre später sind ihm die Namensrechte von Washburn angeboten worden. Schlacher dachte auch damals schon innovativ. Nicht nur hatte er bereits Anfang der Siebzigerjahre die Nashville Straights erfunden, Saiten, die in einer langen, schmalen Packung angeboten wurden und eben nicht aufgerollt waren, sondern er war auch mit seiner neuen, alten Marke Washburn einer der wenigen, der damals nicht auf den Kopierer-Zug aufsprang, um schnelles Geld mit dem Nachäffen erfolgreicher Gibson- und Fender-Gitarren zu machen.
Obwohl er damals in Japan fertigen ließ, war sein erstes E-Gitarrenmodell ein komplett eigenes, das als The Wing in die Gitarrengeschichte einging. Auch die Akustik-Gitarren der Stage-Serie (heute EA), die eindeutig für den Einsatz auf der Bühne konzipiert wurden, waren ein großer Erfolg und wurden von vielen bekannten Musikern von John Hiatt über George Harrison bis Bob Dylan eingesetzt.
Erst in den späten Achtzigerjahren passte Schlacher den Washburn-Katalog an das Programm der großen, erfolgreichen Hersteller an, weil er sah, wie andere damit erfolgreich waren – ein großer Fehler, wie er heute eingesteht. Schon bald merkte er, dass es einfacher ist, Produkte am Markt zu platzieren, wenn man dafür Namen zur Verfügung hat, die bereits eingeführt sind. Schließlich ist ihm das bereits mit Washburn auch bestens gelungen.
1983 erwarb Schlacher den Traditionsnamen Oscar Schmidt, unter dessen Flagge jetzt das Akustik-Einsteigersortiment mit Instrumenten aus Fernost bedient wird. Ca. 1988 kamen Bullfrog und Soundtech hinzu, ehemals Produkte aus dem PA-Bereich, jetzt aber Marken für Zubehörprodukte wie Kabel, Stecker etc. In den Neunzigern wurden Randall und Eden in das Sortiment von Washburn integriert, wobei die beiden ehemaligen Firmenbesitzer gleich mit eingestellt wurden, um die Produktion „ihrer“ Produkte zu überwachen.
Auch die Namensrechte an Vinci sicherte sich Schlacher, der natürlich Vinci-Saiten, aber auch Geigen und Trompeten mit diesem Label herstellen lässt. Seit einigen wenigen Jahren gehören auch Parker-Gitarren und -Bässe zum firmeneigenen Sortiment; Ken Parker, der die Instrumente entwickelt hatte, konnte seine Firma nicht mehr halten und bot sie Rudy Schlacher an. Der Rest ist Geschichte.
Seit 2002 firmiert Schlachers Firma unter dem Namen U.S. Music Corp., worunter sich nun alle Marken von Washburn bis Parker einordnen. „Es ist viel schwieriger, eine Firma zu kaufen, die nicht so viel kostet,“ sagt Schlacher und spielt auf die Tatsache an, dass die meisten seiner „Neuerwerbungen“ bei der Übernahme in finanziellen Nöten waren und erst einmal neu strukturiert und organisiert werden mussten, ehe sie funktionieren konnten.
Auch die Jungs von Andertons haben schon Acoustics von Washburn unter die Lupe genommen:
Die gesamte Firma verkauft etwa 1 Million Musikinstrumente im Jahr, wovon etwa 600.000 in den Massenmarkt gehen. Darunter befinden sich z. B. billige Einsteiger-Gitarren für Kaufhäuser oder auch Spielzeug-Instrumente für Disneyland.
Es ist interessant zu sehen, wie dieser Mann, der ein bewegtes Leben rund um die Gitarre geführt hat und immer noch führt, in einem Atemzug begeistert von seiner Fernost-Massenproduktion, aber genauso begeistert auch von seinen Non-Mainstream-Produkten sprechen kann, die in USA gebaut werden. Er selbst lässt es sich nicht nehmen, neue Gitarren wie z. B. die Aufsehen erregenden Parker Jazz- oder Akustik-Gitarren zu designen – und dabei erstaunlich eigenständige, sehr gut funktionierende Designs zu schaffen, die respektvoll mit dem Original umgehen, aber viele neue Elemente in sich tragen.
(geschrieben von Heinz Rebellius, erschienen in Gitarre & Bass 07/2008)