Jaco öffnete die Tür und wir alle folgten ihm

Zum 30. Todestag von Jaco Pastorius

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(Bild: Sony, Warner, Acoustic)

Am 26. September 1651 wurde im fränkischen Sommerhausen Franz David Pastorius geboren. Er studierte Jura, wanderte 1683 als erster Deutscher überhaupt nach Amerika aus und gründete die Siedlung Germantown. Dort war er als Gemeindevorsteher und Lehrer tätig und verfasste 1688 mit anderen die erste Protestnote gegen die Sklaverei. Er ist ein direkter Vorfahre von John Francis Pastorius III, der am 1. Dezember 1951 in Norristown geboren wurde. Jacos Vater war ein Jazz-Schlagzeuger und ein phantastischer Sänger, und als er bei einem seiner Gigs den kleinen Jaco auf die Bühne holte, sang der das komplette ‚Come Fly With Me‘ Album von Frank Sinatra.

Neben der Plattensammlung seines Vaters, darunter viele Singles, wurde für ihn sein Transistorradio zu einer wichtigen musikalischen Quelle, bevor er ins Bett ging, verschlang er kubanische Musik. Er trug nebenher Zeitungen aus, investierte sein ganzes gespartes Geld und kaufte sich ein Schlagzeug. Später stieg er nach einem Sportunfall auf den Bass um und spielte bald in lokalen Clubs. Mit 15 spielte er mit Las Olas Brass. Mit der R&B-Band Wayne Cochran and the C.C.Riders vergrößerte sich sein Radius, und im Tourbus und in Hotelzimmern lernte er von Charlie Brent, dem Komponisten und Gitarristen der Band, Musik zu lesen, zu schreiben und zu arrangieren.

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Jacos Talent explodierte förmlich innerhalb weniger Monate. Was dann passierte, erzählen seine Mitmusiker bei Wayne Cochran: „Wir spielten nicht in piekfeinen Konzertsälen, sondern in Raststätten, Redneck-Bars, wo Motorrad-Gangs abstiegen, ein eher hemdsärmeliges Publikum. Trotzdem zog Jaco immer alle Aufmerksamkeit auf sich, was klar wurde, wenn Rednecks zur Bühne kamen und fragten: Wer ist dieser Bassist?“ … „Er bekam Standing Ovations von Kanada bis runter nach Georgia, erntete Beifallsstürme nach seinen Soli und räumte jedes Publikum ab. Er stahl Wayne regelmäßig die Show.“

‚Rice Pudding‘ (1972), zeigt, dass sein mit Dead Notes angereicherter Funk-Groove damals schon voll entwickelt war, und lässt erahnen, wie später seine eigene Big-Band klingen sollte. Und spätestens beim Bass-Solo hört man, dass er seinen berühmten Fender 1962er Fretless-Bass spielt, bei dem er die Bundfräsungen mit Holzkitt aufgefüllt und den Hals dann mit mehreren Schichten Bootslack überzogen hatte.

Jacos Ruf drang bis nach New York, und der Pianist Paul Bley lud ihn ein zu seiner ersten professionellen Recording Session, die am 16. Juni 1974 stattfand. Mit von der Partie waren außerdem Pat Metheny, damals noch ein unbeschriebenes Blatt, und der Drummer Bruce Ditmas. In Florida kam es zu einer ersten persönlichen Begegnung mit Joe Zawinul, Keyboarder und Bandleader von Weather Report. Zawinul erinnert sich: „Da kam dieser lustig aussehende Kerl auf mich zu und sagte: Mister Zawinul, ich stehe schon viele Jahre auf ihre Musik. Darf ich mich vorstellen, ich heiße John Francis Pastorius III und bin der beste Bassist der Welt, und ich antwortete: Verpiss dich!“ Am nächsten Tag war Zawinuls Laune besser, und die beiden trafen sich im Hotel und beschnupperten sich.

Über seine erste Frau Tracy lernte Jaco den Schlagzeuger von Blood, Sweat & Tears Bobby Colomby kennen, der auch noch A&R-Manager für Epic Records war. Über das erste Treffen berichtet Colomby: „Da kam ein dünner, bleicher, 1,81 m großer Kerl in Shorts, ob er überhaupt Schuhe trug, weiß ich nicht mehr sicher. Er hatte eine billige, hässliche Plastik-Brille auf und sagte: Hi, ich bin Jaco, wie geht’s? Ich antwortete: Ich habe gehört, du bist der beste Bassist der Welt. Das stimmt, sagte er, und als er mir die Hand gab, bemerkte ich, dass er die größten Hände hatte, die ich jemals gesehen habe. Er stöpselte seinen Bass ein, und ich bat ihn, etwas zu spielen. Dann jagten mir Schauer durch den Körper und ich staunte Bauklötzchen. So etwas hatte ich in meinem Leben noch nicht gehört.“

Am 15. September 1975 unterzeichnete Jaco einen Plattenvertrag mit Epic Records, und Ende 1975 spielte er mit Musikern wie Herbie Hancock, Wayne Shorter, Lenny White, den Brecker Brothers und vielen anderen sein offizielles selbstbetiteltes Debut-Album ein. Die Musik war eine Offenbarung und ein Schock zugleich: Metallica-Bassist Robert Trujillo, der einen wunderbaren Kino-Film über Jacos Leben produzierte, beschrieb seine erste Begegnung mit der Musik als „Schlag ins Gesicht“.

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(Bild: Sony, Warner, Acoustic)

Das Album beginnt mit dem Charlie-Parker-Fingerbrecher ‚Donna Lee‘, den Jaco, nur begleitet von dem Conga-Spieler Don Alias, interpretiert, übrigens ein First Take! Auf der wunderbaren Ballade ‚Portrait of Tracy‘, die er seiner ersten Frau widmete, lotet er aus, welche unerhörten Flageolett-Sounds in einem E-Bass versteckt sind. ‚Continuum‘ besticht durch einen warmen, nach Holz klingenden Fretless-Ton und haute Joe Zawinul beim ersten Hören komplett um. Auch in Sachen Arrangement und Instrumentierung war das Album innovativ. Jaco ging mit seinem Fender-Fretless, dem „Bass of doom“, wie er ihn nannte, direkt ins Pult, und meiner Meinung nach ist sein Bass-Ton nach wie vor der beste, der je auf Schallplatte gebannt wurde, und das Album das wichtigste E-Bass-Album aller Zeiten. 1976 erschien Jacos Solo-Album, und er veredelte Pat Methenys Debut ‚Bright Size Life‘ und Joni Mitchells ‚Hejira’.

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(Bild: Sony, Warner, Acoustic)

Am 1. April 1976 wurde er offizielles Mitglied von Weather Report, und steuerte zu ‚Black Market‘, dem Album, auf dem auch noch sein Vorgänger Alphonso Johnson, übrigens ebenfalls am Fretless-Bass, zu hören ist, die Komposition ‚Barbary Coast‘ bei. Und bei ‚Cannonball‘, einer Komposition, die Joe Zawinul seinem früheren Bandleader, dem legendären Altsaxophonisten Julian ‚Cannonball‘ Adderley, der am 8. August 1975 verstorben war, gewidmet hatte, hören wir Jacos klagend singenden Fretless-Ton. 1977 erschien ‚Heavy Weather‘, der größte Verkaufserfolg in der Geschichte von Weather Report, und mit ‚Teen Town‘ und ‚Havona‘ schafften es gleich zwei Jaco-Songs auf das Album, außerdem bekam er Producer-Credits.

Auf Tour animierte Joe Zawinul, dem Alkohol nicht abgeneigt, Jaco, der bis dahin komplett abstinent war, Wodka zu trinken. Und Jaco griff nach anfänglichem Zögern zu, legte aber nach zwei Gläsern ein seltsames Benehmen an den Tag und warf mit Gegenständen um sich. Später begann er, regelmäßig zu trinken und Kokain zu konsumieren. Jaco blieb bis 1982 bei Weather-Report, spielte weitere Alben ein, und tourte um die ganze Welt. Legendär ist der Headliner-Gig bei der WDR-Sendung „Rockpalast“, der am 29. September 1978 in der Stadthalle in Offenbach stattfand.

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(Bild: Sony, Warner, Acoustic)

Zawinul und Jaco hatten beide ein gewaltiges Ego. Wie sich das auswirkte, beschreibt Bobby Thomas, der Percussionist der Band: „Oh Mann, die beiden waren wie zwei Kobras in einem engen Käfig, ohne Rückzugsmöglickeit. Und irgendwie mussten sie miteinander auskommen.“ Der Schlagzeuger Peter Erskine erinnert sich, dass Zawinul begann, Jaco zu kritisieren: „Jaco klingt manchmal wie eine Posaune. Und ‚Teen Town‘ ist kein echter Weather-Report-Song.“Jaco hasste das.

1981 erschien mit ‚Word Of Mouth‘ Jacos zweites Solo-Album, in dem Jaco seine überragenden Fähigkeiten als Komponist und Arrangeur zeigt. Und er setzte nicht auf Elektronik und Synthesizer, sondern auf echte Instrumente, Big-Band und Streicher. Aber sein neues Label Warner Brothers gab ihm zu erkennen, dass es das Werk nicht schätzte, man hatte sich ein gut zu verkaufendes Fusion-Album gewünscht. Und Joe Zawinuls Kritik fiel verheerend aus. „Das klingt wie der typische High-School-Big-Band-Bullshit“, sagte er, nachdem er ‚Liberty City‘ gehört hatte. Nach Meinung des Jaco-Biographen Bill Milkowski knüppelte Zawinul so seinen musikalischen Sohn nieder, der im Begriff war, seine Vorherrschaft zu gefährden.

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(Bild: Sony, Warner, Acoustic)

1982 gingen Jaco und der Drummer Peter Erskine mit der Word Of Mouth Big-Band, besetzt mit den damals weltbesten Musikern, auf Tour. Die Gigs waren ausverkauft, und besonders in Japan wurde Jaco verehrt wie ein Gott. Aber seine Persönlichkeit veränderte sich zunehmend, und seine Freunde, die ihn schon länger kannten, machten sich große Sorgen. Der Vater von Peter Erskine war Psychiater und erkannte an Jacos Verhalten die Symptome einer bipolaren Störung. In einem Interview zeigten sich die Symptome deutlichst: „Ich bin mit den Verkaufszahlen meiner Platten hier nicht zufrieden. In Japan läuft es viel besser, da war meine Platte an der Spitze der Jazz-Charts. Warum? Ich denke, weil Japan und Deutschland die Achsenmächte im Zweiten Weltkrieg waren. Dafür wird man mich erschießen, aber so denke ich.“

Mitten in den Aufnahmen zu ‚Holiday For Pans‘ kündigte Warner Brothers den Platten-Vertrag mit Jaco, eine schwere Niederlage, die ihn immer weiter in einen verhängnisvollen Abwärtsstrudel zog. 1984 drehte der Bassist Jerry Jemmott mit Jaco das berühmte Video ‚Modern Electric Bass‘: Auf Jerrys Eingangsfrage, wie es ihm gehe, antwortete Jaco: „Gimme a gig!“ Seine Persönlichkeit hatte sich so verändert, dass niemand mehr mit ihm spielen wollte, und er lebte obdachlos in New York. Flea, der Bassist der Red Hot Chili Peppers, berichtete mit Entsetzen: „Unser Sänger Anthony lief durch die Stadt und sah Jaco auf dem Bürgersteig sitzen. Jaco Pastorius sitzt betrunken auf dem Bürgersteig und spielt ‚Louie Louie‘ für ein paar Münzen.“

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Im Juli 1986 wies der Psychiater Dr. Kenneth Alper Jaco in die Bellevue-Klinik ein, wo er sieben Wochen blieb. In New York wurde Jaco sein „Bass of Doom“ gestohlen und tauchte erst 2007 wieder auf. Das Instrument ist mittlerweile im Besitz von Robert Trujillo. Jacos Sohn Felix, selbst ein hervorragender Bassist, spielte den Fretless, dessen Korpus nach dem Refinishing nicht mehr wiederzuerkennen ist, auf einigen Tracks des Yellow Jackets-Album ‚A Rise In The Road‘ (2013). Die letzte Aufnahme, auf der Jaco seinen Bass of Doom spielte, ist der Track ‚Mood Swings‘ auf Mike Sterns Album ‚Upside Downside‘ (1986).

1987 kehrte Jaco zurück in seine Heimat Florida, wo er aber obdachlos blieb. Sein Sohn John berichtete, dass sein Vater außer einer Akustik-Gitarre und ein paar LPs, darunter seine eigenen, nichts mehr besaß. Und dass er die Obdachlosigkeit einer Unterkunft bei seiner Familie vorzog. Am 11. September 1987 sprang Jaco während eines Gigs von Carlos Santana auf die Bühne, und Sicherheitskräfte mussten ihn von dort entfernen. In den Morgenstunden des folgenden Tages begehrte er Einlass in einem Club und trat gegen die Eingangstür. Der Türsteher, der einen schwarzen Gürtel in Karate hatte, schlug ihn so brutal zusammen, dass er ins Koma fiel, und seine eigene Mutter ihn im Krankenhaus nicht mehr erkannte.

Am 21. September 1987 hörte sein Herz auf zu schlagen. Jacos Einfluss auf die Entwicklung des E-Bass kann kaum überschätzt werden. Sein kurzzeitiger Schüler Mark Egan, der erste Bassist der Pat Metheny Group, sagte: „Jaco öffnete die Tür, und wir alle folgten ihm.“ Sting pflichtet ihm bei: „Wir alle stehen auf Jacos Schultern.“ Das Schlusswort hat Flea, Bassist der Red Hot Chili Peppers: „Er ist der größte E-Bassist aller Zeiten. Niemand kann ihm das Wasser reichen.“

Vielen Dank an Georg Kolb für wertvolle Tipps bei der Recherche. [2439]

(erschienen in Gitarre & Bass 11/2017)

Produkt: Gitarre & Bass 5/2022 Digital
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