Im Interview

Truemmer: Indie-Handwerker

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(Bild: Tim Erdmann)

Intelligente Texte, coole Gitarrensounds und gesellschaftskritische Attitüde findet man in aktueller deutschsprachiger Musik selten. Trümmer aus Hamburg haben alles, was den Kollegen aus der Hitparade fehlt und mit ,Früher war gestern‘ nach fünf Jahren Bandpause ein neues Album am Start.

Sogar getourt wird zur neuen Platte! Pandemiebedingt ist die geplante Woche voller Konzerte zwar schon um 50% reduziert, aber das tut der guten Stimmung keinen Abbruch. Sänger und Gitarrist Paul Pötsch und Gitarrist/Produzent Helge Hasselberg freuen sich aufs Konzert im Kölner Buhmann & Sohn und geben im Interview zwischen Soundcheck und Abendessen bereitwillig Auskunft über den kreativen Prozess und ihre Ansichten zum Gitarrenspiel.

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FRÜHER WAR GESTERN

Euer neues Album heißt ,Früher war gestern‘. Was steckt hinter dem Titel?

Paul Pötsch: Der wurde mir von einer Freundin aus Berlin zugeschustert. Die hat zwei Frauen beobachtet. Eine sagte: „Früher war ich so verknallt in diesen Typen“, und die andere antwortete: „Früher war gestern.“

Die Platte klingt nachdenklicher als die vorherige, die für mich mehr so ein Nightlife/Party-Feeling hatte. Woran liegt das?

Helge Hasselberg: Back to the roots. Die zweite war ein Ausflug in so eine Art Nachtwelt, aber die dritte ist wieder Richtung erste Platte gegangen, alles live zusammen aufgenommen.

Wie und wo habt ihr aufgenommen?

Helge: In Rabenholz, in einem alten Gutshof. Den haben wir in ein Studio umgewandelt.

Wie sieht euer Arbeitsprozess aus?

Helge: Wir haben im Proberaum alles ausgearbeitet, soweit wir konnten, und dann im Studio weitergemacht. Live zusammen gespielt und geschaut, wo muss man was spielen, ziemlich organisch.

Die Gitarrenarbeit ist sehr abwechslungsreich. Es gibt fette Gitarren, Indie-Gitarren, ein paar Jazzchords, Akustisches und auch atmosphärische Delay-Parts. Achtet ihr auf eine solche Mischung oder ist das Zufall?

Helge: Das liegt daran, weil die Geschmäcker in der Band sehr divers sind und es sich organisch ergibt, dass man verschiedene Sachen ausprobiert. Bei uns gibt es nicht nur den einen straighten Weg, z.B. nur Achtel-Indie-Rock oder Punk.

Paul: Mein Musikgeschmack ist sehr eklektisch und ich kann mich für verschiedene Sachen begeistern. Das fängt meistens damit an, dass ich etwas nachmachen will und aus diesem Nachmachen ergibt sich etwas Eigenes.

Wie habt ihr angefangen, euer Instrument zu spielen?

Paul: Ich habe als Sechsjähriger Unterricht gehabt bei Eckhard Lipske von der DDR-Rock-Band Elektra, war aber nicht sonderlich fleißig. Das bereue ich mittlerweile und suche einen neuen guten Lehrer. Seit einem Jahr habe ich auch Klavierunterricht, lerne Noten und den Quintenzirkel.

Helge: Ich habe mit Geige angefangen, ganz klassisch und danach auch Gitarre.

Gab es Helden, Vorbilder und Einflüsse?

Paul: Einer meiner Helden sitzt hier (zeigt auf Helge und lacht). Der hat mir unheimlich viel beigebracht, ich war am Anfang bei weitem schlechter als jetzt. Mick Jones und Joe Strummer von The Clash finde ich geil, diese Art von Gitarrenspiel. The Strokes, Felt, Johnny Marr von The Smiths, schön fluffig… Und die Beatles, weil sie immer popfremde Akkorde in ihre Songs reinschmuggeln, so ein verminderter oder Sechser. Das haben wir auch versucht bei dieser Platte, den Leuten etwas unterzujubeln.

Das ist mir aufgefallen, dass es manchmal schrammelig klingt, aber recht clever von den Akkorden ist.

Paul: Das macht Spaß. Das kommt vom Klavierunterricht: sich mit Akkorden beschäftigen und schauen, was gibt es jenseits von normalen Dur- und Moll-Dreiklängen. Es sind super viele Maj7-Akkorde auf dem Album.

Hast du Sachen deiner Helden nachgespielt oder eher gehört und nachempfunden?

Paul: Ich habe diesen handwerklichen Ansatz, den ich jetzt habe, jahrelang verneint und fand das uncool und doof, weil ich von der Hamburger Schule sozialisiert bin, wo Handwerk als total bekloppt galt. Auf der ersten Platte habe ich viele Achtelsachen auf einer Saite gespielt, weil ich die Energie vom Punk nachempfinden wollte. Ich habe auf Handwerk geschissen, bin damit aber auch an meine Grenzen gestoßen.

Helge: Ich habe viel durch das Ausprobieren rausgefunden und viel von Peter Weihe über Gitarrensound gelernt. Das ist eher mein Ansatz: Wie bekommt man einen bestimmten Gitarrensound hin? Es gibt viele tolle Gitarristen, wie z.B. Lanrue von den Scherben, der hatte einen tollen Gitarrenton und innovative Ideen, Beatles eh, aber auch AC/DC und Jimi Hendrix. Das ist der innovativste E-Gitarrist, den man bei 90% aller Gitarristen heraushört.

Wie wichtig ist euch Spieltechnik und theoretisches Wissen heute?

Helge: Das ist Handwerkszeug, wir lehnen das nicht ab. Man kann auch mit Handwerk weiterkommen.

Paul: Ich sehe das mittlerweile als Beruf. Ich habe in den letzten zwei Jahren auch Theatermusik gemacht und gemerkt, dass ich an meine Grenzen komme. Wenn ich zum Bäcker gehe, freue ich mich auch, wenn das Brötchen gut schmeckt und gut gebacken ist und mittlerweile sehe ich das Musikmachen auch so. Man darf sich aber dadurch auch nicht einengen lassen, sondern muss darauf zurückgreifen, wenn man es braucht.

Helge: Da gibt es viele Parallelen zum Produzieren. Manchmal sind Fehler das eigentlich Interessante und aus einer fehlerhaften Harmonieführung kann etwas Tolles entstehen.

Geschulte Musiker spielen ja oft bestimmte Sachen nicht, weil sie falsch sind.

Paul: Ich finde mittlerweile geil, zu wissen, was die Regeln sind, dann kann man sie noch besser brechen.

Ihr übt also auch auf dem Instrument?

Paul: Ja, ich übe Gitarrespielen, klar.

INDIE

Ihr werdet meist als Indieband bezeichnet. Inwieweit könnt ihr euch damit identifizieren?

Helge: Wenn Indie für Independent steht, dann sind wir das. Genremäßig ist das eher schwierig, das ist eine andere Diskussion.

Der Begriff ist ja mittlerweile sehr breit definiert. Inwieweit ist denn für euch ein Gegenentwurf zum Mainstream und so ein DIY-Gedanke aus den 80ern noch wichtig?

Paul: Also ich finde den Begriff immer noch gut, um den Musikstil zu beschreiben. Und von den Strukturen sind wir auch sehr Indie. Der Produzent spielt in der Band, unser Bassist hat eine Management-Firma gegründet, die uns managt, es ist alles selbst gemacht und persönlich eng verwoben. Mit diesem Nuller-Indie bin ich auch sehr sozialisiert, aber irgendwann war es dann nur noch eine Art, sich anzuziehen.

Der erfolgreiche deutsche Pop ist ja heute oft sehr nach innen gerichtet und nicht sehr gesellschaftskritisch. Ihr dagegen schon.

Paul: Wir sind alle aus Hamburg und kommen aus dem Umfeld vom Golden Pudel Club, das ist ja so eine Schnittstelle von Pop und Politik. In Hamburg ist es durch die Rote Flora und Bands wie Absolute Beginner schon in der DNA der Stadt, dass man Musik und Politik zusammendenkt. Das ist mir sehr wichtig, ich versuche aber nicht plump politisch zu texten. Rio Reiser ist da auch ein Vorbild, weil er es geschafft hat, gesellschaftliche Sachen zu emotionalisieren. Das finde ich wichtig, sonst hat man sehr plakative, fast propagandistische Texte. Das finde ich nicht so erstrebenswert.

GEAR

Wie ist denn eure Philosophie, was Equipment angeht?

Paul: Wir stehen auf Vintage-Kram, altes Zeug muss es schon sein.

Helge: Alles echt. Gute Mikrofone, Sennheiser-Kapseln und Bändchen-Mikros wie das Beyerdynamic M160 oder das t.bone RB 500. Für Overdubs nehme ich manchmal eine Universal Audio OX Amp Top Box. Es sind klassische alte Sounds, die wir suchen.


GEAR

Custom made Matamp
Tammos Bassanlage
Ein alter VOX AC30
Pauls Pedalboard
Helges Pedalboard
1963er Hopf Saturn
Helges ESP-Strat
Ibanez Blazer Bass
Fender Jazz Bass 1978
Squier J Mascis Jazzmaster
Vintage Gibson Melody Maker
Epiphone-Akustik

 

Helges Hauptgitarre ist eine ESP-Strat von Anfang der 80er. Hinzu kommt eine Hopf Saturn von 1963 und im Studio eine Gretsch Silver Jet sowie eine alte 50er Hollowbody. Die Gitarren laufen über einen Custom-Made-Matamp, der Anfang der 2000er gebaut wurde. Der Amp ist ein Einkanaler mit per Fuß umschaltbarer Gainstufe. Live wird die Lautstärke mit dem Master-Volume geregelt, im Studio wird er mit Powersoak gezähmt oder im anderen Raum untergebracht. Bei Aufnahmen kommen noch ein Fender Deluxe 5B3, der Vorläufer des Neil-Young-Amps, Jazz Chorus 120 und ein Selmer Truevoice zum Einsatz. Helges Pedalboard liefert nur klassische Sounds, Delay, Chorus, Fuzz, Tremolo und Boosting-Geschichten, die den Amp aufpumpen.

Paul spielt eine 1964er Gibson Melody Maker und eine Squier J Mascis Jazzmaster von 2014 über einen VOX AC 30 von Anfang der 70er: „Das ist die klassische englische Punk-Kombination. Diesen Dreck und Krach brauche ich“. Die Verzerrung kommt vom Amp, ein Marshall SE 100 Powersoak sorgt für angenehme Bühnenlautstärke. Im Studio wurde auch ein 1978er Fender Twin Reverb eingesetzt. Effekte setzt Paul eher minimalistisch ein. Sein Board enthält eine Z.Vex Box of Rock, ein Ibanez-Delay, einen Big Muff und ein Boss Twin Reverb als Hall.

Bassist Tammo Kasper spielt einen 78er Jazz Bass und einen Ibanez-Blazer -Bass aus den 80ern über ein Sound-City-Topteil.

(erschienen in Gitarre & Bass 09/2022)

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