Läuft mein Plattenspieler zu langsam? Nein, ich höre ,Slow Dance‘ von Tobias Hoffmann (g), Frank Schönhofer (b) und Etienne Nillesen (dr), aka Tobias Hoffmann Trio – eine Jazz‘n‘more-Formation, die uns in den vergangenen zehn Jahren schon mit viel guter Musik beglückt hat.
Keine Frage, bereits mit den großartigen Alben ,11 Famous Songs Tenderly Messed Up‘ (2014) und ,Ballads, Blues & Britney‘ (2017) hat diese Band bewiesen, dass sie auch mal entschleunigen kann. Aber jetzt ist man kurz vor dem Status Freeze angekommen, was bereits der Album-Opener ,The Loco-Motion‘ manifestiert – bzw. dessen Umsetzung ins SloMo-Format. „Wir teilen ein gemeinsames Gefühl für Timing und Space in der Musik“, erzählt Tobias Hoffmann. „Zuletzt führte uns unsere gemeinsame musikalische Entwicklung immer mehr in Richtung langsamer Tempi, und ich habe das Gefühl, dass ich mich am Instrument nochmal weiterentwickelt habe.“
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Langsam und extrem intensiv kommt ,Slow Dance‘ rüber. Da wirkt der Blues-Klassiker ,Baby, Please Don‘t Go‘ schon fast agil, denn der Track marschiert dank Bass und Drums fast robotermäßig vom ersten bis zum letzten Ton. Und oben drauf setzt Tobias Hoffmann mit seiner angezerrten Fender Stratocaster, die er für die gesamte A-Seite der LP einsetzte, minimalistische Bruchstücke des bekannten Themas.
„Frank eröffnet diesen Blues-Klassiker mit einem seiner seltenen Bass-Soli. Rau, leidenschaftlich, zerrissen, trashig geht es da zur Sache, bevor das Stück seinen Lauf nimmt und sich nach der Melodie mehr und mehr zu einem Bass-Schlagzeug-Shuffle-Solo entwickelt. Für diesen One-Chord-Blues-Trip haben wir das Stück mit einem hypnotischen Riff versehen. Ich spiele weniger und weniger, hier und da noch ein paar Fetzen Blues-Geschichte, bevor Frank und Etienne alleine übrig bleiben. Es gibt unzählige Interpretationen dieses Traditionals. Lightnin‘ Hopkins Version zählt zu meinen Favoriten. Unsere ausgesparte, kantige Version ist davon inspiriert.“
Bekannt sind alle Tracks dieses instrumentalen Cover-Albums: Wie Kenny Burrells ,Chitlins Con Carne‘, das Tobias bereits als Kind in Stevie Ray Vaughans Version von dessen posthum erschienenen Album ,The Sky Is Crying‘ gehört hat. „Stevie spielt eine sehr geschmackvolle, nah am Original gehaltene Version. Wir lehnen uns etwas weiter aus dem Fenster und versuchen in unserer Zeitlupen-Version die ursprüngliche Stimmung dramatischer, geheimnisvoller, bedrohlicher zu gestalten“, erzählt Tobias. Dann sind da noch Neil Youngs ,Harvest Moon‘ in einer wunderschönen, achtminütigen Version, das surfpunkrockige ,Politician‘ von Cream plus weitere Klassiker von The Doors, Smokey Robinson und Bruce Springsteen.
Tobias Hoffmann liebt jeden einzelnen dieser Songs, hat Kindheitserinnerungen an Autofahrten mit seinen Eltern und einer SpringsteenBest-Of-Kassette. „,The River‘ ist einer dieser Songs bei dem Text und Performance mich zu Tränen rühren. Nachdem wir die Songform gespielt haben gehen wir zu einem zweiten Part über: ,Into The River‘. Frank und ich spielen wie eine große Gitarre zusammen, Etienne übernimmt den Lead-Part, die singenden Sounds kommen aus seiner präparierten Snare. Um zusätzliche Atmosphäre zu schaffen habe ich nachträglich eine Rückwärts-Slide-Gitarre und verschiedene Gitarren-Loop-Sounds als Overdubs hinzugefügt.“
Ein bekannter Doors-Klassiker ist diesem Trio ganz besonders gut gelungen: „,Riders On The Storm‘ hat schon im Original von The Doors einen Surfmusic-artigen Vibe, was mir natürlich sehr gut gefällt“, erzählt Tobias weiter. „Wir haben für das Stück dieses mysteriöse Bass-Riff entwickelt. Immer wenn die Melodie gespielt wird, spielen wir die Form des Stücks, dazwischen wird auf dem Riff gejammt. All die außergewöhnlichen Sounds die man hier hört sind live im Studio entstanden, tatsächlich handelt es sich hierbei um den ersten Take! Man hört wie wir auf der Suche sind. Manchmal sind das die spannendsten Takes. Im Mixing haben wir mittels Panning, also der Aufteilung von links und rechts im Stereobild, verschiedene Sound-Ebenen von gespielter Gitarre und geloopten Gitarren-Sounds konstruiert.“
Was absolut organisch gelungen ist und im Resultat nicht als Effekt aus der Trickkiste, sondern als spannende Klangkunst rüberkommt, als intensive Musik. Der Sound hat Räumlichkeit und geht ganz tief runter. Live-Feel! Und das trotz des oft knochigen, fast knackigen E-BassSounds von Frank Schönhofer, der gelegentlich auch noch leicht verhallt klingt. Oder ist das doch die warm-surfige Jazzmaster, mit der Tobias, ganz besonders in ,Riders On The Storm‘, die weirden Sounds zaubert? Egal. Diese Band ist eine musikalische Dreieinigkeit.
Das alles muss man erst mal wollen, können, machen und sich trauen! Was auch für die Cover-Gestaltung gilt: Mit Menschen, die bei diesem Motiv nicht grinsen oder lächeln müssen, möchte man eigentlich nichts zu tun haben. Keine Frage: Hier ist eine ganz besondere Formation am Start, die höchstes musikalisches Niveau mit einer künstlerischen Offenheit verbindet, die sensibel, oft introvertiert, aber nie selbstverliebt rüberkommt. Da ist auch immer etwas leiser Humor im Spiel, und eine sympathische Gelassenheit.
Bild: Lothar Trampert
Tobias Hoffmann mit seiner Fender Jazzmaster, die aus verschiedenen Parts zusammengebaut wurde.
Bild: Lothar Trampert
Gitarrist Tobias Hoffmann (*1982) hat schon einige Auszeichnungen für seine Arbeit bekommen, war an Aufnahmen für viele deutschen Radiostationen beteiligt, ist auf ca. 20 Album-Veröffentlichungen zu hören, ist Mitglied im Jazzkollektiv Klaeng und ist seit über einem Jahr Professor für Jazz/Pop Gitarre & Ensemble an der Staatlichen Musikhochschule Trossingen. So engagiert wie er Gitarre spielt und klingt, lebt er auch den Musikerberuf in all seinen Herausforderungen. Für den YouTube-Channel ‚Vintage Guitar Oldenburg‘ hat Tobias übrigens schon fast 500 Videos produziert, in denen man neben sehr interessanten alten Instrumenten auch seine Art des Gitarrenspiels, im Duo mit sich selbst, ausgiebig genießen kann. Für Fans des ähnlich ansetzenden aktuellen John-Scofield-Albums perfekt geeignet! Einfach nur gute Musik.
„Mittlerweile hab ich ja das Gefühl, dass mich die meisten Leute hierüber kennen“, meint Tobias grinsend. „Ich denke, dass das echt eine schöne Sache ist, diese ganzen Instrumente und damit ja auch ein Stück Gitarrenhistorie dort zu verewigen. Außerdem ist der Channel einer der wenigen, wo ohne viel Gerede Musik auf Vintage-Instrumenten gemacht wird.“
Im Frühsommer bekam Tobias einen Anruf von der norwegischen Sängerin Rebekka Bakken und sollte am nächsten Tag bei einem Konzert in der Alten Oper Frankfurt für einen erkrankten Musiker einspringen. Rebekkas kurzes Instagram-Video von der ersten gemeinsamen Probe, vor allem ihr begeisterter Blick, spricht Bände: Tobias Hoffmann ist ein ganz besonderer Gitarrist – mit einem weiteren beeindruckenden Album. Reinhören! Die Klang-Qualität der Vinyl-LP ist absolut gelungen (ein Download-Gutschein liegt bei). Vinyl, CD und/oder Download kann man ausschließlich über das musikereigene Label www.klaengrecords.de bestellen. Dance slow!
Immer zuverlässig: der Fender Deluxe Reverb von 1975
Bild: Lothar Trampert
Sehr bunte Effekt-Mischung, die Tobias nach Bedarf verkabelt und einsetzt.
Bild: Lothar Trampert
TOBIAS HOFFMANN
Fender Stratocaster Custom
Shop 54
Fender Jazzmaster
Fender Deluxe Reverb 1975
Boss-Tuner
Vemuram Jan Ray
Ibanez Tube Screamer
Greer Amps Ghetto Stomp
Boss-Volume-Pedal
Electro Harmonix Pulsar
Ibanez DE-7 Delay
Strymon Flint
Line 6 DL4 für Loops
Thomastik .011er-Flatwound-Strings
FRANK SCHÖNHOFER
Jolana-Typhoon-Bass
Jolana Basso V
Ampeg SVT III Pro Amp +
4×10-Box
MXR Bass Fuzz
Source Audio Nemesis Delay
Electro Harmonix Holy Stain
Solidgold FX Surf Rider
GP Lightstone – Tube Bass
Preamp
MXR Ten Band EQ
Thomastik-Flatwound-Shortscale-Saiten
Sehr interessiert gelesen.
Habe 70min hautnah mit den Protagonisten verbringen dürfen:
https://youtu.be/yJpnX82foJY