Till & Tone: Wieso, weshalb, warum?

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(Bild: Hoheneder)

Neulich habe ich mich gefragt, wie ich selbst eigentlich meinen Gitarrensound, meinen „Tone“ gefunden habe. Kein schlechter Gedanke, schließlich heißt die Kolumne Till & Tone!

Also ging ich weit zurück in meine Kindheit vor 48 Jahren und versuchte, mich an die ersten Gitarrensounds zu erinnern, die mich wirklich beeindruckt haben – egal, ob ich den Song mochte oder nicht. Mein Vater hatte eine Elvis ‚Greatest Hits‘-Kassette, des Weiteren eine von Trini Lopez, ‚Live at PJ’s‘. Diese beiden Kassetten mochte er sehr gerne, also mussten wir sie mithören. Ich fand sie ganz okay, aber soundmäßig hat es nicht gefunkt. Ich mochte ein paar Lieder, aber Gitarrenklänge waren mir noch nicht wichtig.

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Dann brachte mein älterer Bruder die ersten Kassetten mit, die ihm ein Klassenkamerad aufgenommen hatte: Golden Earring ‚Live‘, das „rote“ Beatles-Album und Deep Purple Mark I & Mark II. Eine Kompilation, auf der gleich zwei Songs und speziell der Gitarrensound zum ersten Mal meine Aufmerksamkeit weckten: ‚Smoke On The Water‘ und ‚Woman From Tokyo‘. Die Soli fand ich eher uninteressant – es war Blackmores dreckiger, knirschender Rhythmussound, der mich im Sommer 1976 extrem abholte.

Was Blackmore an Gear benutzt hat, spielte noch keine Rolle. Man hatte sowieso kaum Informationsmöglichkeiten als Elfjähriger. In der Bravo – die wir nicht immer kauften durften oder konnten, das kam auf die Laune meiner Mutter an – hatte ich mal ein Foto von Deep Purple gesehen, da hatte der „Gitarrist Richie Blackmore“ (Bildunterschrift!) eine weiße Gitarre um, eine Fender Stratocaster.

STATUS QUO

Was ich definitiv nicht wusste: Wie dieser Killersound zustande kommt, denn von Verstärkern hatte ich null Ahnung. Dass der „Smoke on the water“-Sound, wie ich Jahrzehnte später herausfand, eine Mischung aus Blackmores Marshalls, Vox AC30 und Treblebooster war – woher sollte ich das wissen? Im Fernsehen, in der ZDF-Disco waren nie Verstärker zu sehen, wenn Gruppen zum Playback auftraten.

Fast forward: Weihnachten 1977, ich war gerade 12 geworden und hatte mir das Live-Doppelalbum von Status Quo gewünscht. Und bekommen. Auf den Cover-Innenseiten sah ich meine neuen Helden, Rick Parfitt und Francis Rossi, auf kleinen Fotos mit ihren Gitarren. Wieder eine weiße und eine dunkle Gitarre, offenbar spielten beide das gleiche Modell.

Dank eines Bravo-Artikels über den „Mädchenschwarm“ Rick Parfitt fand ich heraus, dass auch diese Gitarre von Fender ist und Telecaster heißt. Telecaster – der Name klang gut, auch die Form gefiel mir außerordentlich. Noch wichtiger war aber, dass ich dieses Album ein Jahr permanent durchgehört und den Gitarrensound in mich aufgesogen habe. In dem erwähnten Artikel über Parfitt stand, dass Francis Rossi hauptsächlich die Soli bei Quo spielt. Das war auch eine wichtige Info, denn wie bei Deep Purple nervten mich diese Gitarrensoli eher – vor allem, wenn sie auf den Live-Alben langatmig ausuferten.

Halten wir bis hierher fest: Blackmore und Parfitt fand ich klasse, vor allem ihre verzerrten Rhythmussounds. Und je mehr Musik ich hörte, desto mehr manifestierte sich mein Faible für Songs mit richtig dreckigem Gitarrensound, sowie für Gitarristen, die mit Soloeskapaden wenig am Hut hatten.

(Bild: Hoheneder)

DIE STONES

Dann hörte ich wirklich alles kreuz und quer, bis mich im Winter 1981 der bis heute wichtigste Song meines Lebens ereilte. Ich hörte im Radio einen Song von den Rolling Stones, der mich absolut umhaute: ‚Honky Tonk Women‘! Auch heute noch mein Lieblingsstück, drei Minuten Glückseligkeit. Lakonische Drums, eine klöngelige Kuhglocke und die leicht „angebratene“ Rhythmusgitarre von Keith Richards. Das war damals mein Gamechanger, von da an war alles klar: Ich musste alle Stones-Platten haben, alles erfahren, alles lesen, alles hören.

Wieder das altbekannte Phänomen: Speziell die Stücke mit wenig Sologitarre gefielen mir am besten: ‚Brown Sugar‘, ‚Jumping Jack Flash‘, ‚Happy‘, ‚Tumbling Dice‘, ‚Start Me Up‘ … und der für mich bis heute dreckigste und geilste Gitarrensound, den ich kenne: ‚Can’t You Hear Me Knocking‘! Der Keith-Part ist umwerfend, das brutale Intro-Riff, so knallhart gedroschen, mit so viel Swagger und Groove gespielt … bis dann Mick Taylor übernimmt. Taylors Solo ist nett, aber auf keinen Fall so aufregend wie der Richards-Part.

Als mir dann im Frühjahr ’82 mein Bruder von einem London-Besuch ein riesengroßes Richards-Poster von der letzten US-Tour der Stones mitbrachte, war es um mich geschehen. Denn Keith hatte eine schwarze Fender Telecaster Custom um den Hals – da war sie wieder, diese herrliche Gitarrenform! Ich war total begeistert, auch von Richards’ Tele-Gitarrensounds auf der ‚Still Life‘-LP und dem Kinokonzertfilm ‚Let’s Spend The Night Together‘.

Ein paar Jahre später war es dann soweit: 1993 kauften Till & Obel eine Fender USA Telecaster, Sunburst mit Maple-Neck. Die Gitarre, die ich mit meinen Lieblingssounds und Songs assoziierte. Denn ich wusste damals noch nicht, dass die meisten ikonischen Stones-Songs von Richards mindestens zu zwei Dritteln mit Gibson-Gitarren und verschiedenen Amps eingespielt worden sind. Das kann man übrigens alles wunderbar ansehen und nachlesen in einem wirklich großartigen Buch: ‚Rolling Stones Gear – All The Stones’ Instruments From Stage To Studio‘ von Andy Babiuk und Greg Pivost.

Wer aber einige der ikonischen Instrumente und noch vieles mehr „in echt“ sehen möchte, sollte sich auf den Weg nach Groningen in den Niederlanden machen. In der lebendigen Studenten-Stadt gastiert im Groninger Museum die mittlerweile schon legendäre Rolling-Stones-Ausstellung „Unzipped“: Gitarren (die echten!) von Richards und Wood, alte Bühnenoutfits, seltene Videos und noch vieles mehr, was das Stones-Herz höherschlagen lässt, kann man dort in aller Ruhe betrachten. Ich hätte mir zum Beispiel stundenlang die Solospuren von acht legendären Songs wie zum Beispiel ‚Rocks Off‘ oder ‚Miss You‘ anhören können. Das war für mich schon der Eintritt wert.

TELE

(Bild: Hoheneder)

Zurück zu meiner Liebe zu Telecaster-Gitarren und „dirty rhythm“. Ich bin im Laufe meiner Lebensjahre am meisten von Gitarristen beeinflusst worden, die hauptsächlich reine Amp-Distortion benutzt haben. Oder vielleicht mal einen Treblebooster oder eine Art Fuzz. Ansonsten haben diese Künstler auf der Bühne oder im Studio kleine oder große Amps aufgerissen, die Klassiker von Fender, Vox, Marshall und Ampeg, um nur einige zu nennen. Meine Top 6 Gitarrensounds aller Zeiten sind:

• Can’t You Hear Me Knocking / Rolling Stones, Sticky Fingers 1971

• Birthday / The Beatles, The Beatles aka White Album 1968

• In My Chair / Status Quo, Live 1977

• Smoke On The Water / Deep Purple, Machine Head 1972

• All Day And All Of The Night / The Kinks, Kinks-Size 1965

• Baba O’Reilly / The Who, Who’s Next 1971

Die jeweiligen Alben zu diesen Songs sind voll mit Sounds, die mich bis heute begeistern. Das ist meine Sound-DNA, die ich verinnerlicht habe und die mich – davon bin ich fest überzeugt – meinen Gitarrensound so einstellen lässt, wie ich es seit über 20 Jahren mache.

Da ich hauptsächlich in Clubs spiele, in denen ein voll aufgerissener Blackface Deluxe schon nicht mehr akzeptiert wird, gehe ich wie folgt vor: Stabiler Cleansound, je nach Größe der Location mit etwas „Haaren auf den Zähnen“. Dann folgen mit Drive-Pedalen weitere Eskalationsstufen, „different shades of dirt“, aber kein High-Gain. Meine Zerrpedale fahre ich immer mit viel „Level/Volume“, aber wenig „Drive“. Ich mag es, wenn selbst in einem stark verzerrten Akkord die einzelnen Töne noch klar zu erkennen sind.

(Bild: Rolf Ruhland)

Ich muss allerdings zugeben, dass ich durch eine harte Schule gegangen bin, denn der Gitarrist, mit dem ich 16 Jahre in meiner ersten Band zusammengespielt habe, hat es mir am Anfang nicht leicht gemacht, neben ihm gehört zu werden: Der gute Mann spielte hauptsächlich „clean loud“, und wenn es mal etwas dreckiger sein sollte, dann trat er auf seinen alten Ibanez TS-808. Da bin ich am Anfang, weil ich mit viel zu viel Gain gespielt habe, regelrecht gegen abgeschmiert. Bis ich angefangen habe, den Clean-Anteil meines Crunchsounds zu erhöhen! Damit habe ich mehr Durchsetzungskraft bekommen und war im Mix gleichwertig laut zu hören.

Die Tele hat mir dabei sehr geholfen, denn mit ihrem mittigen, bissigen und drahtigen Bridge-Pickup-Sound ist sie eine sehr nützliche „Waffe“, wie Mr. Richards sagen würde. Jetzt wird die eine oder der andere rummaulen: Das geht doch auch mit ‘ner Gibson ES, Les Paul Junior oder Strat! Das stimmt, aber ich spiele nach wie vor am liebsten eine Tele. Sie war meine erste optische, später dann auch akustische Gitarrenliebe. Wie sieht es bei euch aus? Was hat euch geprägt? Wie heißt es doch so schön im Sesamstraßen-Lied: „Wieso, weshalb, warum – wer nicht fragt bleibt dumm!“


Till Hoheneder

geb. 1965, begründete mit seiner Gruppe Till & Obel Anfang der Neunziger die Neue Deutsche Comedy. Heute ist der dreifache Träger des Deutschen Comedypreises ein gefragter Bestseller-Autor, Podcaster, Comedian und Musiker. Seine erfolgreichen Podcasts „Zärtliche Cousinen“ (mit Atze Schröder) und „Musik ist Trumpf“ wurden schon millionenfach gestreamt. Wenn seine knappe Freizeit es zulässt, spielt der leidenschaftliche Sänger & Gitarrist mit seinen Bands „The Slowhand All Stars“ und den „Rockafellers“ auf.

www.till-hoheneder.de

(erschienen in Gitarre & Bass 09/2023)

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Meine erste Telecaster stammte von G&L und war eine Limited Edition,wurde top eingestellt (plek/Berlin) mit Zertifikat geliefert,und kam aus den U.S.A.

    Diese besonders schön klingende,und optisch sehr attraktive George & Leo-Tele besitze ich bis heute. Ich würde sie nie hergeben. Insofern verstehe ich die Aussage der Kolumne Till and Tone,und möchte dem voll und ganz zustimmen. Eine Telecaster,egal ob nun von Fender oder G&L macht stets ordentlich „Dampf“ und bleibt faktisch auch zukünftig eine der genialsten E.-Solidbody-Gitarren weltweit! Sie ist besonders vielseitig einsetzbar,hängt perfekt am Gurt,und wurde bereits seit ihrem ersten Erscheinungsdatum von etlichen Gitarrenvirtuosen bis dato sehr gerne gespielt.
    I love my Tele forever and ever! What else?! ❤️

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  2. Höfner! “Nr. 176, für den anspruchsvollen Künstler”. US-Gitarren waren für den 15-jährigen Schüler unerschwinglich. Dann die gebrauchte 62er Jazzmaster (war leider nicht die Strat), die 335, Tele, Gretsch, und schließlich die LesPaul. Und die war es – aber nicht wegen des Sounds (der schon auch OK ist), sondern wegen Aussehen und Spielbarkeit.
    Till & Obel habe ich mal in einer Schwabinger Kneipe gehört (?), aber ziemlich sicher mit Akustik-Gitarre (??). Verdamp lang her…
    Manfred Zollner, http://www.gitarrenphysik.de

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  3. Meine erste LP war Queens ‚News Of The World‘ und Brian Mays Gitarrensound göttlich. Das nächste Album war Cream ‚Live Vol. 1+2′ als Doppelalbum. Wenn ich Kopfschmerzen hatte musste ich nur ‘Steppin’ Out’ , dauf der Platte noch ‘Hideaway’ genannt, auflegen und über Kopfhörer hören, dann waren sie weg. Ich glaube, den meisten Menschen geht es eher andersherum. Auch so ein singender Sound. Mit einer Luxor Sperrholz-Les Paul und einem Phillips Röhrentonband aus den 60ern versuchte ich das ab 1978 nachzubauen. Die Eingangs- und Monitorstufen wurden gnadenlos aufgerissen und hinter dem Tonband kam ein selbstgebauter Transistorverstärker eines Bekannten. Damit konnte ich mich stundenlang im Keller verlieren. Später kamen Santanas ‘Lotus’, ‘Supersession’ von Steven Stills, Mike Bloomfield, Al Cooper, Danach Derek & The Dominos und Claptons Soloplatten. Im Musikladen eines Bekannten durfte ich an einem Sonntag alles durchspielen, was da war und die Kombination einer Dan Smith Strat mit einem MusicMan RD 65, mit Bright- und Deep-Switches und JBL Speakern war mein Himmel, aber dann kam BAP. Bei einem Gig in der örtlichen Kunsthochschule saß Niedecken an der Kasse, ließ uns rein, obwohl wir nicht genug Geld dabei hatten und noch einen Rest für Bier. ‘Affjetaut’ war gerade raus und wir nur da, weil sich mein Bassistenfreund wegen des Tourplakats absolut sicher war, es würde sich um eine Jazzrock Band handeln. Als kurz danach der G60T von Acoustic rauskam, musste der her. Der Amp benötigte für mich keinerlei Pedal, bis ich in den 90ern über ein gebrauchtes Dunlop Wah stolperte. Kurz nach dem Kauf des Amp’s tauchte im Musikgeschäft des Bekannten eine abgerockte ’74er Strat auf und ich war verloren. Geld war zwar alle, aber er hatte was zu tun und gab mir einen Job, mit dem ich sie bezahlen konnte. Inzwischen ist sie zweimal neu bundiert und immer noch meine Nr. 1 Go-to-Gitarre.
    Der Acoustic wurde mir irgendwann zu indirekt und bekam einen Fender Blues DeVille an die Seite, bis heute ein fantastischer Amp, aber viel zu laut und der Acoustic wurde dann doch langsam wegen des Gewichts durch Pedale ersetzt.
    Heute spiele ich einen Ceritone OTS Lunchbox, im Prinzip ein Dumble mit Tweed Super Endstufe (2x6V6, 22 W) der wieder alle Drive-Pedale in Rente geschickt hat.
    Mit dem Amp kann ich alle Sounds zwischen Bonamassa, Clapton und John Mayer mit Autorität umsetzen, ohne dem Familienbudget weh zu tun. Die fetten Leadsounds sind geblieben, aber auch ich versuche, sie mit immer weniger Drive umzusetzen. Sollten die 22W ( mit einem alten EVM 12L nicht leise!) zu laut werden, gibts noch einen Booster für ganz leichtes anrauhen.

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  4. Yes, Status Quo Live, war bei mir auch so. Das Ding lief rauf und runter. Heute spiele ich eine weiß-schwarze Tele à la Parfitt mit Kloppmann TK Real 65 Pickups. Bin also soundmäßig auch endlich angekommen 🙂 …

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