Fels in der Brandung

The Dead Daisies: Doug Aldrich im Interview

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(Bild: Mineur)

Der amerikanische Gitarrist Doug Aldrich spielt bei The Dead Daisies aktuell mit einigen der besten Rockmusiker der Welt zusammen. Das vorletzte Album der Band, das prächtige ‚Holy Ground‘, konnte 2021 nur mühsam beworben, geschweige denn ausreichend betourt werden. Allerdings kam bereits 2022 die Nachfolgescheibe ‚Radiance‘, auf der es für die Daisies ungewohnt derbe zugeht.

interview

Hallo Doug, schön dich zu sehen! Hatte die Pandemie einen künstlerischen Einfluss auf euer aktuelles Album ‚Radiance‘?

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Ja, das hatte sie tatsächlich. Das vorige Album ‚Holy Ground‘ wurde unmittelbar vor der Pandemie fertiggestellt, konnte aufgrund des Lockdowns aber nicht vollumfänglich promotet werden, weil plötzlich die gesamte Welt stillstand. Also veröffentlichten wir ein paar Singles und spielten so viele Konzerte wie irgend möglich. Während dieser schwierigen Zeit, in der wir zuhause mehr oder minder tatenlos herumsaßen, traf ich mich mit Glenn Hughes, um an einigen neuen Ideen und Demo-Songs zu arbeiten.

Ursprünglich dachten wir über ein Konzeptalbum nach, zu dem Glenn ein paar coole Texte geschrieben hatte. Doch diese Idee wurde zunächst verschoben und stattdessen entschieden, wieder ein reguläres Album aufzunehmen. Dafür haben wir einiges vom bereits vorhandenen Material verwendet. Glenn schreibt immer sehr positive Texte und hatte auch für ‚Radiance‘ tolle Ideen. Er sagt immer: „Ich schreibe über normale Menschen und ihre Lebensbedingungen.“ Ich dagegen kümmere mich nur um die Musik, nicht um die Texte. In seinem Bereich ist Glenn ein wahres Genie. Deshalb spürt man, dass er sich von der Pandemie hat beeinflussen lassen, und davon, wie sehr die Menschen gelitten haben.

(Bild: Mineur)

Ist der textliche Aspekt der Songs der einzige Unterschied zwischen der früheren Besetzung mit John Corabi und Marco Mendoza und dem aktuellen Line-up mit Glenn?

Ich denke, dass Glenn frischen Wind in die Band gebracht hat. Mit ihm gibt es bei uns jetzt vielleicht etwas mehr Tiefe. The Dead Daisies sind dadurch keine bessere, sondern nur eine andere Band geworden. Mit John und Marco war die Musik direkter, geradliniger, mehr Rock’n’Roll. Aber durch David Lowy und mich ist dennoch vieles gleich geblieben. Ich spiele meine Gitarren so, wie ich sie immer spiele, aber es klingt erst nach The Dead Daisies, wenn Davids Gitarre hinzukommt. Mit Marco und John haben wir etwas anders gearbeitet, nämlich zunächst die Gitarren festgelegt und uns erst dann um Text und Gesang gekümmert. Glenn dagegen hat bereits eine bestimmte Akkordfolge mit einem bestimmten Text und einer bestimmten Gesangsmelodie im Kopf, wenn wir anfangen. Zu seinen Ideen leiste ich dann gezielt meine Beiträge, verfeinere das Riff oder bessere die Akkorde etwas auf. Natürlich entscheidet am Ende stets der Sänger über den finalen Eindruck eines Songs. Glenn hat deshalb immer das letzte Wort.

Kannst du bitte mal erzählen, mit welchem Equipment du ‚Radiance‘ eingespielt hast?

Normalerweise nehme ich eine Gitarre live auf und spiele anschließend per D.I. eine zweite ein, die ich dann reampen kann. Bei den Dead Daisies wurde bisher wie folgt gearbeitet: Wir wissen, wie der Song laufen soll, gehen ins Studio, nehmen als erstes das Schlagzeug auf und kümmern uns anschließend um Gitarren und Bass, aber getrennt voneinander. Mit der Rückkehr von Brian Tichy wurde das Prozedere jedoch ein wenig geändert, da er immer viele eigene Ideen und Vorschläge einbringt. Er fragte oft: „Achtel oder Sechzehntel? Soll ich mit offener oder geschlossener Hi-Hat spielen? Was denkt ihr?“ Unsere Antwort lautete dann zumeist: „Was denkst du, was besser wäre?“

Also probierten wir es aus, und wenn dann am Ende die perfekte Version gefunden war, hatten auch Glenn, David und ich oftmals schon die für uns besten Parts entwickelt und etwa 60 Prozent davon sogar bereits aufgenommen. Natürlich fehlen dann immer noch ein paar Bass- und Gitarren-Overdubs, ein paar Riffs und Melodien. Aber wie gesagt: Ich spielte meine Gitarre über ein Amp-Plug-in direkt in Pro-Tools und konnte den D.I.-Sound mit einem meiner diversen Amps, oder mit denen im Studio von Ben (Grosse, Produzent der Scheibe, Anm. d. Verf.) reampen. Wenn also mein Part spielerisch bereits gut genug war, haben wir ihn ge-reampt oder sogar – wenn er uns mit dem Plug-in auch klanglich bereits überzeugt hat – einfach so gelassen, wie ich ihn aufgenommen habe. ‚Radiance‘ ist unfassbar heavy, mit vielen Gitarrenparts von David und mir. Einiges davon stammt von einem Marshall-Plug-in, anderes von Bens Marshall, den er „the wild Marshall“ nennt. Mit dem habe ich einige Doppelungen und Overdubs aufgenommen. Insofern ist es auf ‚Radiance‘ eine Mischung aus alter und neuer Technologie.

An Gitarren höre ich diesmal nicht nur Les Pauls, sondern auch Stratocaster und Telecaster. Oder täusche ich mich?

Nein, du hast absolut Recht. In manchen Songs ist es zweifelsfrei eine clean gespielte Strat. Und in mehreren anderen Tracks sind auch tatsächlich Teles zu hören. Hinzu kommt eine Gitarre, die mir Leo Scala gebaut hat und die sich ein wenig von meinen üblichen Gibson Les Pauls unterscheidet. Natürlich kamen wie immer auch Les Pauls zum Einsatz, und in ‚Hypnotize Yourself‘ eine 56er Les Paul Junior, die einen sehr schönen twangy Sound hat. Die Junior habe ich auch schon auf unserem Album ‚Make Some Noise‘ gespielt, auf ‚Holy Ground‘ dagegen nicht.

Bei der Single ‚Hypnotize Yourself‘ suchte ich für das Riff des Songs nach einem möglichst „stringy“ Klang, und den lieferte die Les Paul Junior. David hat seine alte Epiphone „The Dwight“ aus den Sechzigern gespielt, mit P90- Pickups, die unfassbar gut klingen. David holt aus seinen P90 einen unglaublich fetten Klang heraus. Ich selbst stehe ja eher auf Humbucker, aber bei David klingen die P90 großartig. Es ist eine Epiphone, obwohl auf der Kopfplatte „Dwight“ steht. Ich weiß, dass Richard Fortus von Guns N‘ Roses die Gitarre für David gefunden hat.

Gibson Les Paul Cherry Sunburst, Baujahr 2018
Gibson Les Paul Gold Top, Baujahr 2008

 

Hast du deine Soli auch im Studio aufgenommen oder bei dir zuhause?

Im Studio. Ich hätte sie gerne zuhause eingespielt, denn dort habe ich meine Ruhe. Allerdings habe ich einige der Soli in meinem Homestudio vorbereitet. Doch wenn ich dann ins Studio kam, sie aufnahm und anschließend unseren Produzenten Ben Grosse fragte, was er von ihnen hält, gab es nicht immer volle Zustimmung. Ben steht nicht auf Shredding-Gitarren, oder „Fire“-Parts, wie ich sie nenne. Er bevorzugt Melodien, eingängige Parts. Er gab mir einen Mix aus Schlagzeug, Bass und Rhythmusgitarren mit nach Hause, und ich fing an, Ideen für die Soli zu entwickeln. Während Glenn also im Studio seinen Gesang aufnahm, saß ich zuhause und bereitete etwas vor.

Wenn ich das Ergebnis dann Ben vorspielte und eigentlich ziemlich stolz darauf war, hieß es von seiner Seite mitunter nur: „Es ist okay, mehr nicht.“ (lacht) Ich dann: „Was meinst du? Hast du nicht die tolle Melodie mitten im Solo gehört?“ Und Ben darauf: „Doch, habe ich. Lass uns an der Melodie weiterarbeiten und den Shredder-Part rausschmeißen.“ Ein anderes Mal ging ich zu ihm und sagte: „Hör doch mal, die Melodie passt perfekt zum Rest des Songs, und der „Fire“-Part macht mächtig Dampf, oder?“ Er nur trocken: „Ja, die Melodie ist gut, und wenn dein Herz an dem „Fire“- Part so sehr hängt, dann lassen wir ihn drin.“

Das Pedalboard mit MXR Carbon Copy, MXR Talkbox, MXR Phase 90, Dunlop WahWah, Majik Box Doug Aldrich Rocket Fuel, DVK Goldtop Fuzz und Boss Chromatic Tuner (Bild: Mineur)

Hast du das Gefühl, deine Soli wurden durch Ben Grosse wirklich stärker? Oder hat er aus deiner Sicht so manches auch „verschlimmbessert“?

Ben hat dafür gesorgt, dass ich offen für neue Ideen wurde. Er gehört zu jener Sorte Produzent, die das Beste aus einem herausholt. Obwohl ich manchmal auch von meiner Idee überzeugt war und es bis heute bin. Du musst dir das so vorstellen: Man arbeitet an einem Solo und spielt etwas, das man absolut großartig findet. Aber Ben Grosse sagt: „Es ist nur okay.“ Also sagt man sich: „Okay, er weiß, was er will und ich vertraue ihm.“ Dann kommt Brian Tichy in den Raum. Er ist für mich der aktuell beste Schlagzeuger der Welt und auch ein sehr guter Gitarrist. Brian hat ein super Gehör, und er fragt: „Lass mal hören, was du hast!“ Und wenn Brian dann auch sagt: „Es ist super, aber ich glaube, du kannst es noch besser“, dann mache ich mich sofort wieder an die Arbeit, denn Brian und ich haben einen ähnlichen Geschmack. Wenn er nicht 100%ig überzeugt ist, weiß ich, dass ich es noch besser kann.

Magst du solche Situationen? Kannst du da gut mit umgehen?

Ja, eigentlich schon, denn es sind Herausforderungen, die mich künstlerisch wachsen lassen. Zumal es ein gutes Gefühl ist, wenn jemand wirklich Interesse an dem hat, was du spielst. Wenn er sich Gedanken dazu macht und dich noch besser werden lassen möchte. Denn genau das möchte ich ja auch. Die Dead Daisies sind wie eine Familie und kein Ego-Konstrukt. Ein Solo, das ich spiele, ist nicht mein Solo, sondern das Solo der gesamten Band. So sehe ich das.

Meine letzte Frage: Was tut sich bei dir in Sachen Signature-Instrument? Hast du da derzeit irgendwelche Pläne in der Pipeline?

Nein, im Moment überhaupt keine. Ich bin mit dem, was ich habe, total glücklich. Ich sage dir die Wahrheit: Ich würde gerne mehr im digitalen Bereich machen. Ich habe auf ‚Radiance‘ viele Gitarren parallel in einen analogen Amp und in ein digitales Plug-in gespielt und bekam ein unfassbar gutes, absolut heavy klingendes Ergebnis. Als D.I.-Quelle habe ich einen SansAmp genommen, der wahnsinnig gut klingt.

Klassiker: zwei gemoddete Marshall JMP (plus Eventide H9) (Bild: Mineur)

Das Gleiche hat mir auch Joe Satriani von seinem aktuellen Album ‚The Elephants Of Mars‘ erzählt.

SansAmps gibt es schon lange, ich habe sie auch schon bei früheren Albumproduktionen eingesetzt. Damals war es allerdings noch ein Rack-SansAmp. Jetzt gibt es eine Pro-Tools- und Logic-Version davon. Mit der Company würde ich gerne mal etwas zusammen entwickeln. Ein Programm, mit dem man mit nur einem Klick sofort genau den Sound bekommt, den man haben möchte. Es gibt auch ein paar Delay- und Reverb-Plug-ins, die ich bei meinen Soli beziehungsweise Rhythmusgitarren sehr liebe. Ich würde mich gerne mehr beim Programmieren von Sounds engagieren. Ansonsten kann ich mich nur wiederholen, wenn ich sage: Ich habe einige wunderbare Signature-Effektgeräte, und der heilige Gral meines Sounds bleiben die John-Suhr-Pickups, die in meinen Les Pauls verbaut sind. Wie du weißt: Ich brauche nicht allzu viel und bin mit dem, was ich derzeit habe, sehr glücklich.

Aldrichs Gitarrentechniker Lee Hollister (Bild: Mineur)

(erschienen in Gitarre & Bass 03/2023)

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