„Ich wollte Sounds kreieren, die man auf der Gitarre noch nicht gehört hat.“
Sound-Innovator: Unprocessed-Gitarrist Manuel Gardner Fernandes im Interview
von Julius Krämer,
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(Bild: Leo Feimer)
Selten kommt es vor, dass jemand Gitarre spielt und dabei so erfrischend neu und innovativ klingt wie der 26-jährige Mannheimer – und das meist allein durch seine Finger. Nach mehreren Jahren mit seiner Metalband Unprocessed fing Manuel Gardner Fernandes vor drei Jahren an, seine waghalsigen Techniken aus u.a. Percussive Strumming und Tapping Harmonics in kurzen Skizzen in die sozialen Medien zu stellen. Innerhalb kürzester Zeit wurde er so neben Tim Henson oder Ichika Nito zu einem der Idole der neuen Gitarrist:innen-Generation. Änlässlich des neuen Unprocessed-Albums ‚Gold‘ haben wir mit ihm, während ihrer USA-Tour mit Polyphia, über seinen Internet-Hype, cleane Klangästhetik und seine unverwechselbare Spielweise gesprochen.
INTERVIEW
Manuel, ihr habt immer noch einige metallige Parts auf dem Album, aber viel spielt sich mittlerweile im Clean- und Low-Gain-Bereich ab. Was hat letztendlich dazu geführt, den Gain-Regler zurückzudrehen?
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Die Klangästhetik. Du kannst nicht diese sehr fragilen, geil phrasierten Sachen und die schönen Chords auf full gain spielen. Es klingt dann einfach nicht gut. Und dadurch, dass ich mich als Gitarrist in den letzten Jahren weiterentwickelt habe und Dinge spiele, die ich davor nicht gespielt habe, hat sich das dann so ergeben. Wir sind auch einfach mit der Zeit gegangen. Alles hat sich dahin entwickelt – ich nehme an, durch Social Media und so. Und einfach auch mal etwas anderes ausprobieren, war ein wichtiger Punkt.
Du sprichst es schon an: Bei dir ist in den letzten drei Jahren einiges passiert. Du wurdest über das Internet zu einem der meistgeklickten neuen Gitarristen.
Ich habe 2019 einfach nur ein Video hochgeladen, das Cover von ‚Redbone‘ (Song von Childish Gambino, Anm. d. Aut.) und Leute mochten das. Dann habe ich nicht aufgehört und habe den ‚Rain‘-Clip und ‚Deadrose‘ gepostet. Da habe ich dann gemerkt: Okay, irgendwie mache ich gerade etwas, was es so anscheinend noch nicht gegeben hat. Vielleicht sollte ich einfach mal gucken, was noch so kommt. Und dann haben wir als Band unseren Song ‚Abandoned‘ rausgebracht, der auch mega gut ging. So hat sich das dann ein bisschen rumgesprochen und man hatte ein noch viel größeres Ziel als vorher.
Wann hast du ein Faible für diese Klangästhetik entwickelt?
Eigentlich schon 2014 oder so. Es gibt Videos von mir auf Facebook, wo ich mit cleanem Sound Percussive Strumming auf meiner alten Gibson Les Paul gespielt habe. Da habe ich Flamenco mit Metal vermischt, aber nicht verzerrt. Irgendwie war das eine ganz natürliche Evolution. Dann habe ich irgendwann mit Produktionen angefangen und wollte die Gitarre sehr einzigartig klingen lassen. Sehr viel Post-Processing, ich habe mehr wie ein Produzent oder Sound-Designer gedacht, statt wie ein normaler Gitarrist. Ich wollte Sounds kreieren, die man auf der Gitarre noch nicht gehört hat. Vor ein paar Monaten habe ich dann mit diesem Neo-Classical-Fingerstyle angefangen, mit Thumping und Hybrid-Picking kombiniert. Sachen wie Tapping-Harmonics gibt es ja schon sehr lange, aber wirklich richtige Lead-Lines und schnelle Melodien zu spielen, habe ich vorher noch bei niemandem gesehen. Damit habe ich dann einfach weitergemacht und mit dem Tapping-Sound experimentiert.
Welche Gitarrist:innen haben dich auf diesem Weg beeinflusst?
Das waren zum Beispiel Ichika Nito, Tim Henson oder Mateus Asato. Ichika hat mich dazu inspiriert, Videos auf Instagram zu posten.
Du hast aber einen klassischen Hintergrund?
Ja. Ich habe mit fünf oder sechs Jahren angefangen, klassische Gitarre zu spielen. Das habe ich dann sieben oder acht Jahre lang gemacht und wollte dann irgendwann E-Gitarren-Unterricht nehmen. Das war aber nichts für mich. (lacht) Ich bin sehr dankbar, dass ich am Anfang den klassischen Weg gegangen bin.
Wie kam dann der Bezug zum Metal?
Ich höre schon immer Metal und bin damit aufgewachsen. Mein Dad hat damals in einer Thrash-Metal-Band Bass gespielt. Ich bin mit Bands wie Metallica und Iron Maiden aufgewachsen. Deswegen wollte ich das auch immer selber spielen.
Sind eure Fans so international, wie es den Anschein macht?
Ja, sehr international. Sehr wahrscheinlich durch das Internet. Man kann nicht sagen, dass in Deutschland unsere Haupt-Zielgruppe ist. Die ist in den USA oder UK.
Welche Gitarren hast du auf ‚Gold‘ gespielt?
Hauptsächlich meine Ibanez AZ Custom, die gold-pinke. Ansonsten meine Custom-Headless aus der Q-Series von Ibanez. Dann tatsächlich die Fender Jazzmaster aus den 60ern von meinem Opa, für Retro-Parts. Die Saiten wurden auch schon seit Jahrtausenden nicht mehr gewechselt. Dazu akustische, meine Nylonund Steelstring-Gitarren. Außerdem meine 8-String RG Custom, eine pinke Hollowbody von Ibanez und noch meine blaue AZ. Es sind sehr viele Gitarren zu hören. David (Levy, Bassist, Anm. d. Verf.) hat die Ibanez-Headless-Bässe gespielt.
Wie sah es mit Amps aus?
Auch sehr viele. Gefühlt hatten wir bei jedem Song einen anderen Sound – egal, ob Bass, Gitarren oder Drums. Ich habe sehr viel mit Plug-ins von Neural DSP recordet. Eigentlich mit allen von denen. Ansonsten spiele ich für die „röhrigen“ Sachen mit Synergy Amps. Das sind Hybrid-Systeme, wo du verschiedene Module hast, die von den Amp-Firmen selbst entwickelt werden. Deshalb klingen die Module dann auch nach diesen Amps. Die steckst du einfach rein, die haben auch Röhren, das ist mega abgefahren. Ab und zu auch noch Guitar Rig.
Wie sieht bei dir die Effektkette für die DI-Sounds aus?
Meistens benutze ich das für die ganzen Tapping-Harmonics-Geschichten, damit man diesen puren Saiten-Klang hört. Sehr viel Kompression und eine Oktave oben drüber. Das mache ich alles in Ableton, weil es da so eine Pitch-Funktion gibt, die megageil klingt. Dann verschiedene Reverbs und Delays. Bei meinen YouTube-Songs arbeite ich auch viel mit den Neural-Plug-ins.
Effektpedale habt ihr also gar nicht benutzt?
Für sehr ballernde Parts haben wir mit dem Plasma Pedal von Gamechanger Audio gespielt. Nicht wirklich fuzzy, aber sehr aggro.
Bild: Unprocessed
Darf bei modernem Metal nicht fehlen: Ibanez 8-String RG Custom
Bild: Unprocessed
Sounds für den Rucksack: Neural DSP Quad Cortex
Was spielt ihr gerade live auf der Tour?
Quad Cortex von Neural DSP. Das spielen Christoph Schultz, unser anderer Gitarrist, und ich, David spielt über ein Axe-FX. Es ist halt sehr bequem: Dieses Ding ist so klein und kann so viel. Du steckst es in den Rucksack, transportierst es mit dir, benutzt es als Preamp und es klingt vor allem einfach mega.
Habt ihr da auch bei jedem Song ein unterschiedliches Amp-Modell?
Wir haben schon sehr viel an den Sounds gearbeitet. Für den Crunch- und Metal-Sound haben wir einfach einen Amp mit Overdrive, das halten wir klassisch, ohne Effekte und Post-Processing. Für die cleanen Sachen gehen wir dann aber voll ins Detail.
In den Kommentarspalten unter Posts von Neural DSP wird immer öfter auch ein Signature-Plug-in von dir gefordert. Ist da etwas in Planung?
Ich sag mal so: Ich habe es in Zukunft vor. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Aber ich habe auf jeden Fall Bock.
Dein Sound ist dir also sehr wichtig? Oder klingst du auf jedem Instrument nach dir?
Schon. Wenn es ums Tracking geht, will ich auf jeden Fall meinen Sound haben. Aber wenn man mir jetzt einfach irgendeinen Amp geben würde, komme ich damit immer zurecht – egal, was es ist. Ich finde es auch wichtig, dass man gut klingt, unabhängig davon, was man spielt. Dass der Ton in den Fingern liegt, wie man so schön sagt.
Hat denn der Internet-Hype um dich auch die Band Unprocessed beeinflusst?
Auf jeden Fall. ‚Abandoned‘ haben wir zeitgleich rausgebracht, als es bei mir mit dem Ganzen angefangen hat. Ich glaube, das hat auf jeden Fall dazu beigetragen, dass die Single öfters angeklickt wurde. Weil es diesen Gitarren-Sound hatte, das Percussive Strumming. Außerdem habe ich für die Songs die Riffs aus den Instagram-Snippets genommen, die viral gegangen sind, wie ‚Rain‘ oder ‚Deadrose‘. Die Leute konnten das dann quasi als ganze Songs hören und mussten sich dafür auch die Band anhören.
Hört ihr überhaupt noch selber Metal?
Jeder von uns hört noch Metal. Und es ist auch noch das, was bei uns am meisten im Herzen ist. Ich bin mir auch sehr sicher, dass wir in Zukunft wieder härtere Sachen schreiben werden – so als kleiner Hinweis. (lacht)
Wie fängt man am besten an, wenn einen deine Spielweise interessiert?
Wenn es den Leuten gefällt und es sie interessiert, ist das erste, was ich ihnen raten würde, die Musik zu hören. Für jeden, der das nicht kennt, ist es erstmal übertrieben geil, zu hören, was da abgeht, welche Sounds benutzt werden und wie einfach das alles klingt. So war es jedenfalls bei mir. Es ist ja eine Spielweise, die extrem auf Perfektion und sehr tightem Spiel basiert und meistens auf Click recordet wurde. Sehr viele Details, sehr viele Techniken in einem Riff. Deswegen würde ich sagen: Einfach irgendwas nehmen, was man geil findet, und versuchen, es nachzuspielen. Ich glaube, das ist bei jedem Genre gleich.
Glaubst du, deine Spielweise wird sich in den nächsten Jahren noch deutlich ändern?
Ich weiß nicht. Vielleicht, irgendwie schon. Aber ich werde jetzt keinen Wert darauf legen, noch schneller zu spielen oder so.
Das wird ja auch schwierig.
Danke schön! (lacht) Ich habe jetzt erstmal Bock, mit Basics anzufangen. Ich habe immer sehr viel in einer Tonart gespielt und das nervt mich auf Dauer. Viel in E-Moll oder B-Moll, wegen der offenen Saiten und der Harmonics, das macht ja einfach Sinn. Mir ist gerade wichtig, dass ich das, was ich in den beiden Tonarten spiele, in allen Tonarten machen kann. Ein bisschen mehr Wert auf Phrasing legen, das ist gerade so mein Ding. Und wer weiß? Vielleicht tauche ich irgendwann noch mehr in die Flamenco- und Bossa-Nova-Welt ein und ich komme noch mit irgendwas Krassem an. Aber das ist nicht mein Ziel, ich habe mit dem Percussive Strumming und den Tapping-Harmonics-Geschichten schon mein Ding gefunden. Damit bin ich erstmal bedient.