Sach- & Krachgeschichten: Cynic – Traced in Air

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(Bild: Season of Mist)

Es gibt eine Menge Metal-Bands, die für sich den Status der Einzigartigkeit reklamieren. Und es gibt Cynic. Mit ihrem 1993 erschienenen Debüt ,Focus‘ stellten sie die Welt des progressiven Death Metal auf den Kopf und es sollte nicht weniger als 15 Jahre dauern, bis mit ,Traced In Air‘ endlich das zweite Werk erschien.

Während Paul Masvidal (git/voc) und Sean Reinert (dr) Anfang der 90er bereits bei Death auf dem Album ,Human‘ für gewaltiges Aufsehen sorgen konnten, war Bassist Sean Malone zu dieser Zeit völlig unbekannt. Nach seiner eher zufälligen Begegnung mit Cynic im Jahr 1993 und seinem spontanen Einstieg bei der Band, nachdem Bassist Tony Choy kurz vor Beginn der Aufnahmen zu ,Focus‘ überraschend das Handtuch geworfen hatte, blieb Malone bis heute festes (Studio)-Mitglied der Band.

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Nach dem Erfolg des Debüts wurde es ruhig um die Progressive-Metal-Pioniere. Erst Mitte der 2000er-Jahre gab es neue Lebenszeichen der Amerikaner. Nach einigen Festival-Auftritten, auf denen bereits neue Songs vorgestellt wurden, erschien am 25. November 2008 das zweite Cynic-Album ,Traced In Air‘.

Neben Masvidal, Reinert und Malone wurde der vakante Posten der zweiten Gitarre dieses Mal an Tymon Kruidenier vergeben, der gleich noch ein paar Death-Metal-Growls beisteuerte und damit auch den ein oder anderen Death-Fan glücklich gemacht haben dürfte. Auf ,Traced In Air‘ erlebt man die Band auf einem kreativen und spielerischen Niveau, wie man es zuvor und danach selten gehört hat. Die Leichtigkeit, mit der sich die Jungs durch die teils hochkomplexen Kompositionen tänzeln, ohne aber die nötige Wucht und Brutalität zu verlieren, ist schier atemberaubend.

Sean Reinert sorgt mit seinem oftmals von Jazz durchtränkten Schlagzeugspiel für eine sehr umfangreiche Basis, auf welcher sich das Fretless-Genie Sean Malone nach Herzenslust austoben kann.  Auch Paul Masvidal setzt sich mit seinen unruhigen und oft wuseligen Rhythmusgitarren auf ,Traced In Air‘ ein Denkmal. Trotz aller Komplexität schafft es der Gitarrist, die Brutalität seiner Wurzeln im Death Metal mit in das Cynic-Universum zu transportieren.

Bedenkt man, dass Masvidal nicht nur für die Gitarre, sondern auch noch für den Gesang zuständig ist, ist diese Leistung damals wie heute schlicht beeindruckend. Wie schon auf ,Focus‘ sind die Vocals keineswegs typisch für eine Band wie Cynic. Während Gruppen wie Death, Pestilence oder Asphyx jener Tage auf tiefe Growls und Gebrüll setzten, sang Paul Masvidal seit jeher mit einer klaren und unter dem massiven Einsatz von Effekten verfremdeten Stimme, die sich stellenweise schon wie ein weiteres Instrument in den Mix einbettet. Trotz des sehr eigenwilligen Sounds geht dieser einem zu keinem Zeitpunkt auf die Nerven, sondern unterstreicht bloß, dass Cynic auf ,Traced In Air‘ ein unheimlich gutes Gespür für das Gesamtwerk hatten.

Mit nur 34 Minuten Spieldauer ist das Album nicht nur überraschend kurz gehalten, sondern in sich so kompakt und stimmig, dass es unmöglich ist, einzelne Anspielpunkte hervorzuheben. Vielmehr ist ,Traced In Air‘ ein Werk, auf dem jeder Song seine Berechtigung hat und ein Hit den nächsten jagt. Immer wenn man denkt, den ultimativen Gänsehautmoment gefunden zu haben, belehrt einen das nächste Stück eines Besseren.

Der überraschende und viel zu frühe Tod von Schlagzeuger Sean Reinert Anfang diesen Jahres, lässt einen beim Hören schlussendlich in der traurigen Gewissheit zurück, dass wir es hier mit einem Album zu tun haben, welches Cynic kein zweites Mal erschaffen werden. Zu einzigartig war damals die Magie zwischen Reinert, Masvidal und Malone, die es – trotz ihrer nicht immer einfachen zwischenmenschlichen Beziehung – geschafft haben, ein solches Meisterwerk abzuliefern.

Immerhin erschien 2019 ein Remix/Remaster des Albums unter der Regie von Adam „Nolly“ Getgood, für das Sean Malone seine Bass-Parts neu einspielte. Welche Version einem besser gefällt, bleibt natürlich ganz dem Hörer überlassen.

(erschienen in Gitarre & Bass 04/2020)

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