Meilensteine 1959-1962: Johnny Kidd & The Pirates – Please Don’t Touch

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(Bild: hoodoo records, michael crocker, steve baird, john hyman, dave mathis, santi comelles, roger garfunki, james garro)

In den 50er Jahren lösten Chuck Berry, Bo Diddley, Elvis Presley oder Eddie Cochran mit Rock’n’Roll und Rockabilly erst in den USA und dann weltweit eine popmusikalische Revolution aus. Auch in England wurde bald gerockt, zu den wichtigsten Protagonisten avancierte Sänger Johnny Kidd, der eigentlich Frederick Heath (1935-1966) hieß.

Er startete, wie so viele britische Musiker, in einer Skiffleband, die sich schließlich in Johnny Kidd & The Pirates umbenannte. Die Karriere startete 1959 gleich mit der ersten Single ,Please Don’t Touch‘ durch. Der recht schnelle Song beginnt mit einem Riff, das an Chuck Berry erinnert. Doch anders als in Berrys Good-Time-Rock-&-Roll herrschte hier eine andere, eher düstere Stimmung. Eben auch wegen der eher ungewöhnlichen Harmonien mit E, Am, D, später gibt’s dann auch noch A und B7. Dieses Rätselfest für Harmonielehre-Theoretiker war praktisch einfach nur richtig scharf. Eben auch, weil immer wieder das bekannte Intro-Lick in E-Moll steht. Zudem wurde die Nummer von nach vorne treibenden Drums und einem knackigen Bass befeuert.

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Eingespielt wurde ,Please Don’t Touch‘ in der Besetzung mit Lead-Gitarrist Alan Caddy, Rhythmusgitarrist Joe Moretti, Brian Gregg am Bass und Drummer Clem Cattini. Unsterblich machte sich Kidd ein Jahr später mit ,Shakin’ All Over‘ – wieder ein düsterer Rocker nach ähnlichem Rezept. Sicher legendär ist das für die Zeit virtuose Intro-Lick, in dem es straight von hoher E- über die B- zur G-Saite die E-Moll-Pentatonik runtergeht, gefolgt von einem Unisono-Riff von Bass und Gitarre. Übrigens hatten die beiden Gitarristen hier die Rollen getauscht: Moretti spielte also die Leadlines, Caddy beschränkte sich auf die Rhythmik.

Sehr cool kommt der Reverb-Sound auf den Gitarren und später auch der innovative Vibratohebel-Einsatz, mit dem Akkorde betont werden. Apropos: Auch Frontmann Kidd legte immer viel Hall auf seine raue Stimme, die eher in Richtung von US-Rocker Gene Vincent ging, als in die von King Elvis. ,Shakin’ All Over‘ landete im Königreich auf Rang 1 der Charts. Später wurde der Song auch ‚Shakin’ All Over 60‘ genannt, um Verwechslungen mit der Neueinspielung ,Shakin’ All Over 65‘ zu vermeiden. Auffälligster Unterschied war nun die hinzugekommene Orgel.

So oder so, der Song war ein Meilenstein und wurde später von den verschiedensten Acts gecovert. Die kanadische Band Guess Who hatte 1965 ihren ersten kleinen Hit mit ,Shakin’ All Over‘. Die Nummer steht auf der Setlist von The Whos Klassiker ,Live At Leeds‘. Auch die Rockqueen und Bassistin Suzi Quatro präsentierte auf ,Suzi Quatro‘ 1973 eine Version im 70er-Jahre-Breitwand-Sound. Zu den Aufnahmen neueren Datums zählen jene von David Bowies Allstar-Projekt Tin Machine (auf der B-Seite der Single ,You Belong in Rock’n’Roll‘, 1991) oder die von Wanda Jackson und Jack White auf ,The Party Ain’t Over‘ (2011).

(Bild: hoodoo records, michael crocker, steve baird, john hyman, dave mathis, santi comelles, roger garfunki, james garro)

Auch Rock’n’Roll-Fachkraft Lemmy Kilmister war Fan von Johnny Kidd, wie er mehrfach in seiner Autobiografie ‚White Line Fever‘ (2004, Iron Pages) betont. Schon 1982 nahmen Motörhead mit der US-Band Girlschool ,Please Don’t Touch‘ auf. Mit dem Nebenprojekt HeadCat spielte Lemmy auf ,Walk The Walk…Talk The Talk‘ (2011) eine treibende Version von ,Shakin’ All Over‘ ein. Außerdem coverten auch die Stray Cats, The Meteors oder The Lords aus Deutschland Stücke des Rock-Piraten, dessen Karriere nur kurz währte.

(Bild: hoodoo records, michael crocker, steve baird, john hyman, dave mathis, santi comelles, roger garfunki, james garro)

Am 7. Oktober 1966 starb Johnny Kidd bei einem Autounfall, im Fahrzeug saß auch der damalige Bassist Nick Simper, der überlebte und später zur Urbesetzung der britischen Hardrock-Institution Deep Purple gehörte. Mit Simper und Sänger Rod Evans nahmen Blackmore & Co u.a. den ersten Hit ,Hush‘ auf. Eine andere Geschichte, aber es ist doch immer überraschend, wie alles mit allem verbunden ist.

(Bild: hoodoo records, michael crocker, steve baird, john hyman, dave mathis, santi comelles, roger garfunki, james garro)

Hört man sich durch die empfehlenswerte Compilation ,Please Don’t Touch! The 1959-1962 Recordings‘ (2013, Hoodoo Records), wird man nicht nur mit einer Menge scharfer UK-60s-Rock konfrontiert, sondern es wird auch klar, warum Johnny Kidd gerne als Bindeglied gesehen wird zwischen dem Rock’n’Roll der 50er und den UK-Rockern der 60er. So klingt Johnnys ,I’ll Never Get Over You‘ wie eine frühe Nummer von Pete Townshends The Who. Außerdem nahm Kidds Piratenlook viel von dem vorweg, was in den 80ern in Gothic/New Wave auftauchte, man denke nur an Adam & The Ants.

(erschienen in Gitarre & Bass 07/2022)

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