Meilenstein 1994: Mötley Crüe – Mötley Crüe

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(Bild: Universal / Cindy Sommerfield)

Im Jahr 1989 lief es gut für die selbsternannte „berüchtigtste Band der Welt“. Mit ,Dr. Feelgood‘ erreichten die L.A.-Rocker erstmals einen Rang 1 in der Heimat, zudem gab‘s gleich eine ganze Reihe erfolgreicher Singles von denen der Titeltrack zum ersten Top10-Hit avancierte. Tatsächlich hatten Vince Neil (voc), Mick Mars (g), Nikki Sixx (b) und Tommy Lee (dr) ihren straighten wie eingängigen Hardrock nochmal auf ein anderes Level gehoben, die Songs und die Sounds waren diesmal richtig fett. Es folgte eine Welt-Tournee und 1991 die Compilation ,Decade of Decadence‘.

Mötley Crüe begann mit den Arbeiten an einem neuen Album, doch es lief nicht. Die neuen Grunge-Bands wie Nirvana oder Soundgarden stellten zu Beginn der 90er mit ihrem erdigen Sound und eher bodenständigen Image das Gegenteil zum Hair-/Glam-Metal der 80er dar – welchen Mötley Crüe wie keine andere Band verkörperte, wenngleich sie musikalisch schon immer mehr Rock ‘n‘ Roll boten als die Szene-Kollegen von Great White, White Lion oder Cinderella. Die Crüe blieb von diesen Entwicklungen nicht unberührt. Es gab Differenzen um den musikalischen Kurs und schließlich verließ Neil die Band. Für ihn kam John Corabi, der gerade mit den artverwandten The Scream das Debüt ,Let It Scream‘ veröffentlicht hatte.

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1994 erschien das neue Album mit dem simplen Titel ,Mötley Crüe‘ – und das war vom ersten Ton an wirklich eine Überraschung. ,Power To The Music‘ walzte heftig nach vorne. Die kraftvollen Riffs die später von tragenden Pickings überlagert wurden, das krachende Schlagzeug und der Power-Bass atmeten den Geist zwischen Grunge und NuMetal der 90er. Ganz klar trug der Neue in der Band dazu bei.

Corabi klang mit seiner rauen Stimme so ganz anders als Vince Neil, eben viel bluesiger und kantiger. Letzteres traf dann auch auf die Soli von Mick zu, der mit WahWah und einem satten Zerr-Sound sehr coole Licks abfeuerte. Ungewöhnlich waren auch die vielen Breaks wie etwa im scharfen ,Uncle Jack‘. Und wenn diese von Halftime-Parts kontrastiert wurden in denen schwebende Pickings dominierten, erinnerte das im besten Sinne an eine Band wie King‘s X.

Auch vom Layout her kein „normales“ Mötley Crüe Album (Bild: Universal / Cindy Sommerfield)

Großartig gerieten solche Dynamikwechsel auch in ,Hooligan‘s Holidays‘. ,Misunderstood‘ startete als Akustik-Ballade, doch psychedelische Sounds und schöne Streicher, die sich über die harmonische Abwärtsbewegung der Gitarre legten, sorgten für eine Stimmung zwischen Beatles und Led Zeppelin, allerdings im modernen Breitwandklang. Apropos: in einer kurzen Pause startet Tommy Lee mit einem knackigen Bonham-Beat in den sich die Gitarre in Jimmy-Page-Manier einklinkt. Richtig gut kommt dann noch das Bottleneck-Solo.

Das gerade ,Poison Apples‘ mit seinem Rock-&-Roll-Piano und das balladeske ,Driftaway‘ hätte man sich auch mit Vince Neil vorstellen können. Dagegen hatte das schnelle abgedämpfte Riff aus ,Smoke My Sky‘ was von Metallica – sicherlich einer der heftigsten Songs, den Mötley je produziert hatte. Auch ,Hammered‘ ist so ein Brecher, doch zeigen sich hier mehr klassische 70er-Einflüsse mit britischer Bluesrock-Note.

Es war viel los auf diesem neuen Mötley-Crüe-Album. Die Spielfreude etwa von Drummer Lee ist 15 Jahre nach der Veröffentlichung geradezu greifbar. Irgendwie hatten er, Mars und Sixx sich 13 Jahre nach dem Debüt ,Too Fast For Love‘ als offene Musiker präsentiert, die alte Wege verließen und als tolle Instrumentalisten zu erleben waren. Mit John Corabi hatten sie dafür genau den richtigen Sänger in die Band geholt. Zumal er auch Gitarre spielte und so der Band neue Möglichkeiten eröffnete.

Auch diesen Experimentierwillen und die psychedelischen Zwischentöne hatte es so noch nicht gegeben. Kaum zu glauben, dass mit Bob Rock der selbe Produzent hinter dem Mischpult saß, der ,Dr. Feelgood‘ produziert hatte.

Mick Mars, der sich von Gitarristen wie Michael Bloomfield, Jeff Beck, Jimmy Page und Jimi Hendrix beeinflusst sieht, hat im Laufe seiner Karriere die unterschiedlichsten Instrumente eingesetzt. Heute ist er in erster Linie als Fender-Stratocaster-Spieler bekannt. Zu seinen Live-Hauptinstrumenten gehört laut eigener Aussage auch ein Sunburst-Modell, das aus Teilen von ‘63er-, ‘64er- und ‘65er-Strats zusammengebaut wurde. Zudem wurde die Gitarre in der Steg- und Hals-Position mit Humbuckern versehen. Außerdem wurde ein Floyd-Rose-Vibrato montiert.

Erstmals setzte Mick die Gitarre auf ,Mötley Crüe‘ ein, zu sehen ist diese Stratocaster in den offiziellen Video-Clips zum Album. An Verstärkern hat Mars im Laufe der Jahre alles Mögliche benutzt. Auf der Bühne kombiniert er seinen Sound aus den Signalen unterschiedlicher Amps, wie Marshall JCM 800 (50 und 100 Watt), Soldano SLO-100 Super Lead Overdrive und Rivera Bonehead. Micks Marshall-Boxen sind mit Celestion-Vintage-30-Lautsprechern bestückt.

Links oben: John Corabi (Bild: Universal / Cindy Sommerfield)

Im Gegensatz zu Mars blieb das Equipment von Sixx über die Jahre weitgehend dasselbe. So spielte er hauptsächlich Gibson Thunderbird Bässe, später auch einen Nikki Sixx Signature Blackbird und in der Frühphase der Band einen B.C. Rich Warlock Bass. Außerdem benutzte er Ampeg-SVT-Verstärker und in den letzten Jahren 8×10- Boxen von Basson.

Das Album mit dem neuen Mötley-Crüe-Sound erreichte Rang 7 der US-Charts und schließlich Gold-Status, was – im Vergleich besonders zum Mega-Erfolg von ,Dr. Feelgood‘ – eine Enttäuschung war. Auch die anschließende Tour lief alles andere als gewohnt. So wurden bereits zum ersten Konzert in Tucson, Arizona, nur 4000 Tickets für das 15000 Zuschauer fassende Amphitheater verkauft. Daraufhin versprach Sixx im Radio jedem der auftauchte eine Freikarte.

In der Band-Biographie „The Dirt“ kommentiert er dies folgendermaßen: „Hätte ich so etwas 1989 gesagt, hätten auf dem Parkplatz 10000 Teenager Krawall gemacht. Aber an diesem Nachmittag tauchten zwei mexikanische Kinder auf. Und da merkte ich: alles war vorbei.“

Nach vier Monaten wurde die Tour vorzeitig beendet und man traf die Entscheidung, Vince Neil wieder in die Band zu holen. Kurz wurde noch in Erwägung gezogen, John Corabi als zweiten Gitarristen zu behalten, doch für ihn war es vorbei.

(Bild: Universal / Cindy Sommerfield)

1994 kam als einzige weitere Veröffentlichung noch die limitierte ,Quaternary‘-EP mit fünf Songs, die beim Kauf des neuen Albums als Zugabe angeboten wurde. Wieder mit Neil an Bord kam 1997 dann das Comeback-Album ,Generation Swine‘ – und die Geschichte von Mötley Crüe ging weiter. Und das konnte man sich dann im vergangenen Jahr im Biopic „The Dirt“ anschauen.

Unabhängig davon, ob die Wahrheit oder doch eher Fiktion verfilmt worden ist, stellt „The Dirt“ für Rock-Fans eine leichte wie höchst amüsante Unterhaltung dar. Wie erwartet, wurde dabei die Phase mit John Corabi eher nur nebenbei abgehandelt.

Wohl beflügelt von dem Film, wurde 2019 die Karriere von Mötley Crüe überraschend wiederbelebt. Dabei sollte 2015 die „The Final Tour“ definitiv die letzte gewesen sein. Zur Bestärkung unterzeichneten Vince, Mick, Nikki und Tommy Lee medienwirksam eine Erklärung, dass sie nie wieder gemeinsam auf der Bühne stehen würden.

Tja, im November veröffentlichte die Band ein Video in dem diese Erklärung samt Schreibtisch und Büro in die Luft gesprengt wurde. Bald darauf wurden die Termine für eine US-Stadion-Tour mit Def Leppard, Poison und Joan Jett & The Blackhearts lanciert. Termine für Europa gibt es bislang nicht.

Die Crüe-Heads wird‘s freuen, Menschen die mit ihrer Musik noch nie etwas anfangen konnte, lässt diese Meldung kalt oder sorgt für Spott. Egal ob Fan oder Hater, wer ein kraftvolles virtuoses Heavy-Rock-Album entdecken will, sollte mal mit offenen Ohren in ,Mötley Crüe‘ reinhören – ein Album, das 1994 einfach unter dem falschen Band-Namen veröffentlicht worden ist.

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