Im Interview

Laura Carbone: Feedback & Fragilität

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(Bild: Yulia Kovaleva)

80s-Wave-Sounds, Feedback-Gitarren und Vocals, die auch mal Pop und Soul anklingen lassen – geht das zusammen? Die deutsche Sängerin und Gitarristin hat es damit bis in den Rockpalast geschafft und den Auftritt als Liveplatte veröffentlicht. Mit ihrer international besetzten Band erschafft sie darauf ein ganz eigenes Sound-Universum, das so gar nicht zu aktuellen Trends passen will. Genauso individuell wie die Musik, ist auch die Person Laura Carbone, was sich im nachfolgenden Gespräch über Einflüsse, kreativen Prozess und das Überleben als Künstlerin in der Pandemie zeigt.

EINFLÜSSE

Wie hat es bei dir mit Musik angefangen?

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Ein Schlüsselerlebnis war, als mein Papa mir Nirvana’s ‚Nevermind‘ mitgebracht hat. Das hat mich auf eine Soundwelt aufmerksam gemacht, die ich zuvor nie gehört habe. Soviel Wut und Aggression. Das hat mich motiviert mich nach einer Gitarre umzuschauen.

Hast du direkt gesungen oder erst Instrumente gelernt?

Ich musste Flöte lernen, habe Keyboard ausprobiert, aber die Gitarre ist geblieben. Es hat eine Weile gedauert, bis ich meine Stimme entdeckt und dann lieben gelernt habe.

Hast du direkte Vorbilder, von denen du dir Sachen abgeschaut hast?

Ich habe versucht Nirvana mit einer Akustikgitarre nachzuspielen – das war ein Experiment. Als Kind habe ich auch Aretha Franklins Greatest Hits geliebt. Es ist so bewusstseinserweiternd so einer Frau zuzuhören und zu versuchen, mit ihr zu singen – das Timing, die Range, ihr Gefühl. Vor einigen Jahren habe ich die großartige Gitarristin und Sängerin Anna Calvi entdeckt. Ihre Technik, ihr Sound, ihre Kompositionen und ihr Gefühl in den Fingern beim Gitarrespielen waren bahnbrechend für mich.

Hast du eine musikalische Ausbildung oder bist du Autodidakt?

Ich hatte das Glück, schon relativ früh mit Leuten im Austausch zu sein, die „besser“ waren als ich, und habe mir einiges abgeschaut. Ich hatte als Teenager meine Schwierigkeiten mit Lehrern. Ich hatte eine Gitarrenstunde bei einem Mann aus unserem Dorf, das war aber eher eine Stunde zuhören, wie toll er spielt. Das gab mir die Gewissheit und Entschlossenheit, dass ich es mir selbst beibringen möchte. Im Laufe der Zeit habe ich viel Input und Wissen von Brodie White und Yair Karelic an der Gitarre bekommen. Die großartige Nicole Metzger hat sich meiner Stimme angenommen und mich zum Recording von ‚Empty Sea‘ gecoacht. Das ließ mich, meinen Sound und meine Range sehr wachsen.

Wie wichtig ist dir Technik beim Musikmachen? Übst du regelmäßig auf der Gitarre oder eher Song/Projekt bezogen?

Wenn ich Gitarre spiele, dann schreibe ich meist an neuen Sachen und lerne somit dazu.

SOLO-KARRIERE

Ich habe dich zum ersten Mal als Vorprogramm von The Jesus and Mary Chain gesehen. Da fand ich die Mischung aus Blues, Pop und diesen 80s-Wave-Einflüssen direkt interessant. Woher kommt der Bezug zu den Wave-Sachen?

Du kennst das deutsche Radio, das Beste der 80er, 90er und von heute, was sich oft auf die 80er fokussiert. Ich bin in einem Dorf am Waldrand aufgewachsen, mit den wenigen Platten meiner Eltern, viel Soul und dem Radio. Ich kann mich erinnern, wie cool ich den Song ‚Boys Of Summer‘ fand, mit der Gated Reverb Snare oder ‚Major Tom‘. Mit Anfang 20 waren DAF in meinem Schaffen sehr präsent, die waren Vorreiter und so inspirierend, dass ich sie auch jetzt aus meiner Soundwelt nicht wegdenken will. The Cure, besonders ‚Pictures Of You‘, fanden auch im Radio statt. Ich mag die Soundwelt, das kindlich-fragile, das sich The Cure schon immer erlaubten. Das Glockenspiel und die wunderschönen Gitarrenund Gesangsmelodien mit Texten, die so romantisch sind.

Hat das etwas, was in heutiger Musik so nicht mehr stattfindet?

Ich möchte mir nicht anmaßen über ein Jahrzehnt, in dem ich als Erwachsener nicht präsent war, zu urteilen. Heute gibt es andere technische Möglichkeiten als in den 80ern, und natürlich bedient sich der Pop heute anderer technischer Voraussetzungen. Es gibt, wie auch in den 80ern, weiterhin Musik, die kompatibel und zweckerfüllend ist. Es gibt jedoch auch Musik, die experimentell und inspirierend ist und direkt aus dem Herzen kommt.

Deine erste Platte ist in Zusammenarbeit mit dem Produzenten Tim Bonnasis (Ex-Liquido) entstanden, mit dem du auch schon deine frühere Band Deine Jugend gegründet hattest. Wie war da die Aufteilung der Aufgaben, was Instrumente usw. betrifft?

‚Sirens‘ war ein komplettes In-The-Box-Album. Gitarre und Bass gingen durch Plug-ins, und die Drums waren typisch 80er-mäßig programmiert. Tim Bonnasis hat diese hauptsächlich eingespielt und programmiert. Bei ‚Empty Sea‘ war meine Intention eine andere: In einem richtigen Raum, mit Sound aus Verstärkern, Lautstärke und dem ganzen Spektrum, was ein Recording mit sich bringt, zu arbeiten. Und mit Menschen und deren Energien.

Wie schreibst du Songs? Inwieweit ist die Instrumentierung schon bei der Komposition enthalten?

Das ist sehr unterschiedlich. Bei ‚Empty Sea‘ habe ich so gut wie alles ausgearbeitet, die Drums, Gitarrenlinien und Bass. Es ist etwas anderes, wenn du Menschen einlädst, etwas einzuspielen, die Spezialisten sind. Ein echter Schlagzeuger wird immer „besser“ spielen, als ich es im Logic-Drummer programmieren kann – nämlich mit Gefühl und Intention. Es gab relativ wenig Spielraum für externen Input bezüglich Komposition. Ich wollte schauen, wie weit ich selbst gehen kann.

Auf der neuen Platte arbeitest du mit einer internationalen Band. Wie seid ihr zusammengekommen?

Ich bin 2017 relativ spontan nach Berlin gezogen und hatte schon eine Tour mit INVSN zugesagt. Durch einen Facebook-Aufruf habe ich Brodie White gefunden, der ursprünglich mit seiner Band Sun And The Wolf aus Neuseeland nach Berlin kam und half ‚Empty Sea‘ in einigen Bass-Linien auf ein anderes Niveau zu bringen. Jeff Collier aus Alabama war seit Jahren in Berlin, aber inaktiv als Musiker und fand es spannend, was in meiner Soundwelt abging. Mark Eric Lewis habe ich 2018 durch Kip Berman von The Pains Of Being Pure At Heart kennengelernt. Er wohnte ebenfalls seit Jahren in Berlin und hatte eine lange musikalische Pause. Wir trafen uns auf einen Kaffee und ungefähr zwei Wochen später haben wir die erste Show in Toronto gespielt.

Das ist also eine feste Band?

Ja! Absolut. Wir hätten schon im Mai 2020 einen Studiotermin gehabt für die nächste Platte als Band, der natürlich Covid-bedingt verlegt werden musste. Ich freue mich, wenn es wieder möglich ist zu proben.

Auf der Liveplatte wird viel mit Gitarren-Feedback, Noises und sehr atmosphärischen Gitarrensounds gearbeitet. War das von dir gewünscht oder hat sich das aus dem Zusammenspiel entwickelt?

‚Empty Sea‘ war schon eine wutvolle Platte mit viel Feedback und Aggression, sehr krachig und super laut. Ich habe die Platte damals im Rama Tonstudio in Mannheim aufgenommen und mit Christian Bethge als Engineer und Co-Produzent auch jemanden intuitiv ausgesucht, der großes Talent in analogen Noise-Recordings in sich trägt. Ich bin froh, dass meine Musiker diesen Sound ebenfalls lieben und wir das auch auf der Bühne zelebrieren. Wir haben sogar das Set gekürzt, um uns die Möglichkeit zu geben, mehr zu improvisieren. Es ist schön, wenn man es „laufen lassen“ kann und merkt, was die anderen auf der Bühne machen. Unsere natürliche Tendenz ist ein Wechselspiel zwischen Feedback und Fragilität, dieses leise und laut. Da gibt es viele Momente, die nicht geprobt, sondern komplett improvisiert sind. Ich habe so viel Respekt vor den Menschen, mit denen ich aktuell die Bühne teile. Ich liebe ihren Sound und möchte, dass sie ganz viel von sich selbst in die Musik einbringen.

Lauras Yamaha Revstar RS720B Custom Made (Bild: Laura Carbone)

MUSIKER-SURVIVAL

Du bist nicht nur als Musikerin aktiv, sondern schreibst auch und fotografierst. Sind das vielfältige Interessen oder wirtschaftliche Notwendigkeit?

Ich definiere mich schon lange als Künstlerin und werde mich hierbei nicht limitieren. Ich gebe meinen Impulsen Raum und bin dankbar, so ein breites Spektrum zu haben, um mich ausdrücken zu können. Musik war schon vor der Pandemie nicht die gesundeste Einkommensquelle, sondern im kreativen Spektrum die Ecke, die am meisten Fokus und Organisation braucht, um in irgendeiner Form wirtschaftlich zu sein. Das System ist nicht so angelegt, dass man die Wertschätzung dem Künstler monetär zeigt.

Kannst du allein von deiner eigenen Musik leben oder machst du noch andere musikalische Arbeiten zum Geldverdienen?

Musik ist für mich etwas Heiliges und der Prozess, wie ich Musik kreiere, ist sehr intensiv. Ich mag Kollaborationen sehr gerne, aber ich bin keine Studiosängerin. Was ich liebe, ist es auf Hochzeiten zu singen, in der Kirche, ich liebe den Klang von Raum und großem Hall und da singe ich gerne Amazing Grace oder einen Song von mir, aber normalerweise ist das außerhalb meiner Welt. Zurück zur Frage. Andere musikalische Arbeiten zum Geldverdienen? Nein.

Wie findest du allgemein die Situation als Musikerin?

In der Krise reden viele davon, wie heilend Musik sein kann und wie sie aus einem grauen Tag einen mit blauem Himmel machen kann. Ich fände es wichtig, dass jeder überlegt, wie es sein kann, dass einem Musik so viel gibt, aber man einen Spotify-Zugang für 10 € hat, und nur ein Mini-Prozentsatz bei den Kulturschaffenden ankommt. Das muss bei den Menschen selbst anfangen, dass ich mir eine Plattform suche, wie z. B. Tidal. Die kostet das gleiche, aber die prozentuale Verteilung der Ausschüttung ist eine andere. Es lässt sich generell einfacher kreieren, wenn man keine Geldsorgen hat. Die Realisation, dass ich mit meiner geschaffenen Kunst via Streaming nichts verdiene, ist schon sehr toxisch. Über eine potentielle USA-Tour will ich gerade nicht nachdenken.

Digitalisierung finde ich cool. Ich liebe es, dass wir uns so (per zoom) unterhalten können, das ist etwas Besonderes und so ein Privileg, dass der Mensch sich geschaffen hat. Eine digitale Plattensammlung zu haben, wo ich alles anhören kann, ist doch das größte Geschenk der Welt für jeden. Aber ich finde in der Digitalisierung sind uns ein paar Dinge durch die Finger gerutscht. Das kann passieren, aber ich finde es wäre an der Zeit, die Struktur durch Fairness in Ordnung zu bringen.

Laura Carbone(Bild: Jesse Dvorak)

In letzter Zeit gibt es Forderungen nach mehr Raum für weibliche Bands und Künstlerinnen. Was hältst du von einer Quote?

Ja, da stehe ich absolut dahinter. Es geht um die Sichtbarkeit und darum, den Talenten Raum zu geben. Männer geben nunmal gerne Männern Raum in einer von weißen Männern regierten und organisierten Welt. Als weibliche Person muss man in allem sehr viel besser sein als ein Mann, wird ständig hinterfragt, weiterhin nicht ernst genommen und dabei auf Oberflächlichkeiten reduziert. Das Musikbusiness bildet dabei absolut keine Ausnahme – eher im Gegenteil. Vom Soundcheck, der für mich Teil meines Jobs ist, bis hin zur Musikpresse und Interviews. Ich bin mir sicher, dass viele meiner männlichen Kollegen mit bestimmten Fragen oder Kommentaren nicht konfrontiert werden und eben auf einer ganz anderen Augenhöhe wahrgenommen werden.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg mit deiner Musik!


equipment

  • Amps: Fender Hot Rod Deluxe im Clean-Modus
  • Gitarren: Yamaha Revstar RS720B Custom Made, Fender Jazzmaster, Yamaha AC3R
  • Pedale: Boss CS-3 Compressor, Boss OD-3 Overdrive, TC Electronic Echobrain Analog Delay, Custom made Harmonic Percolator
  • Recording: Homestudio mit Logic Pro X, Rode NT-1 A, Yamaha-HS5-Monitore

(erschienen in Gitarre & Bass 10/2021)

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