„Für ein echtes Blues-Revival braucht es Musiker, die aus dem Nichts kommen und dann das ganze Genre neu aufrollen.“
Joe Bonamassa: Zwischen Kunst und Investment
von Redaktion,
Anzeige
(Bild: Ian Potter)
Neue Studioalben des amerikanischen Bluesrockers Joe Bonamassa sind wie die vier Jahreszeiten: Man kann sich darauf verlassen, dass sie regelmäßig kommen. Bonamassas neuester Soloentwurf nennt sich ‚Breakthrough‘ und mischt wie gewohnt traditionelle Blues-Anleihen mit Classic Rock und wohltemperierten Mainstream-Einflüssen. Ein Stil-Hybrid, der den 48-Jährigen zum absoluten Superstar gemacht hat.
Und auch wenn manche Dauernörgler bei ihm die reine Blueslehre vermissen und ihm – ähnlich wie seinerzeit Gary Moore – eine fehlende Authentizität zu dieser Musikgattung vorwerfen, hat Bonamassa ohne Zweifel einen riesigen Anteil am Bluesrock-Revival der zurückliegenden 15 Jahre. Oder etwa nicht? Wie sieht dies der Ausnahmemusiker selbst? Und wie verhält sich sein Künstlerdasein zu seiner Rolle als Gitarreninvestor, der mittlerweile zahllose legendäre Schmuckstücke besitzt. Aber darf man den Meister überhaupt danach fragen? Wir haben uns getraut, und siehe da: Über derartige Themen zu sprechen macht ihm offensichtlich mehr Spaß als Fragen zu seiner neuen Scheibe zu beantworten. Also dann …
Anzeige
INTERVIEW
Joe, seit vielen Jahren schwimmst du auf einer scheinbar endlosen Erfolgswelle. Hast du eigentlich den Eindruck, dass du ab 2009 ein ähnliches Blues-Revival ausgelöst hast wie Stevie Ray Vaughan in den Achtzigern?
Hm, schwer zu sagen. Damals sind einige bemerkenswerte Dinge passiert: Stevie kam wie aus dem Nichts, und für ein echtes Blues-Revival braucht es Musiker, die aus dem Nichts kommen und dann das ganze Genre neu aufrollen. Man braucht jemanden, der etwas völlig anderes macht, und so etwas geschieht höchstens alle zehn Jahre. Vielleicht habe ich seinerzeit tatsächlich mit dazu beigetragen, ebenso wie vor vier oder fünf Jahren auch Gary Clark Jr., Christone Kingfish Ingram oder DK Harrell.
Viele deiner Gitarren sind Teil der amerikanischen Musikgeschichte. Fühlst du dich manchmal wie ein Kurator oder Bewahrer eines schwindenden kulturellen Erbes?
Der richtige Ausdruck dafür ist, so glaube ich, Hüter dieses Erbes. Ich besitze etwa 700 Gitarren, sie alle gehören zu mir, solange ich sie besitze, bis sie dann irgendwann jemand anderem gehören. Und das ist gut so!
Einen Teil deiner riesigen Gitarrensammlung hättest du um ein Haar bei den Bränden in Los Angeles verloren. Hat dies deine Einstellung zu Instrumenten als Investitionsobjekte verändert?
Nein, aber es hat meine Einstellung dazu verändert, wo meine Investitionen aufbewahrt werden sollten. Das Problem mit den Bränden in Los Angeles war, dass niemandem vorher bewusst war, wie schlimm das Inferno werden würde. Ich kenne mehrere Menschen, die wirklich alles verloren haben. Es ist absolut tragisch. Das Schlimme daran ist, dass die meisten Feuer von Menschenhand gelegt wurden. Diese Information ist in den Medien ein wenig untergegangen. Deshalb waren viele Leute wütend. Nicht wegen des Windes. Der Wind weht jeden Tag. Es sind die Idioten, die diese Feuer gelegt haben. Sie sind es, auf die man wütend sein sollte. Durch sie sind sogar Menschen gestorben. Innerhalb von zwei Tagen haben zehntausende Menschen ihre Häuser verloren.
Welche deiner Gitarren hättest du um jeden Preis versucht, vor dem Feuer zu retten?
Mein Manager war wegen der Grammy-Verleihung zwei Wochen nach dem Feuer in L.A. und hat sich in meinem Haus umgesehen. Anschließend rief er mich an und sagte: „Du hast ja schon eine ganze Menge Sachen zurückgebracht.“ Ich erklärte ihm, dass das die Sachen sind, die ich dort zurücklassen musste. In meinem Haus lagern 250 bis 300 Amps und circa 400 Gitarren. Es war unmöglich, sie alle mitzunehmen, also musste ich mich entscheiden. Ich habe 50 Gitarren, einen Dumble und einen Trainwreck gerettet, mehr Platz hatte ich nicht, und mehr konnte ich nicht rausholen. Aber ich habe noch immer fast alles, die Pearl Martins, die Strats, die Broadcasters, die Blonde Dots.
Bild: Matthias Mineur
Gibson ES-335 in Cherry, Baujahr 1962
Bild: Matthias Mineur
Fender Stratocaster von 1955
Bild: Matthias Mineur
Diese 59er Gibson Les Paul trägt den Spitznamen „Snakebite“
Bild: Matthias Mineur
Bonamassas neue große Liebe: die 1961 Gibson SG
Lässt sich eigentlich prognostizieren, wie sich die Preise und Nachfrage bei Vintage-Gitarren entwickeln? Möglicherweise werden in den kommenden Jahren ja auch einige Erben von älteren Sammlern deren umfangreiche Sammlungen auf den Markt bringen.
Wie bei allen anderen Dingen ist das eine Frage von Angebot und Nachfrage. Nehmen wir eine Blackguard Telecaster, also keine sonderlich seltene Gitarre, von der ich allein 14 Exemplare besitze. Man sieht sie jeden Tag irgendwo, dementsprechend spiegelt der Preis die Nachfrage wider. Gleichzeitig spielen aber auch andere Aspekte eine Rolle. Es ist halt nicht wie bei einer Rolex, bei der jeden Tag neue Uhren hergestellt werden und trotzdem immer noch eine riesige Nachfrage besteht. Sammler möchten alte Gitarren, die nicht mehr hergestellt werden. Wenn die Nachfrage hoch bleibt, bleiben auch die Preise hoch. Wenn tausende und abertausende Exemplare eines Produkts auf den Markt kommen, werden die Preise natürlich runtergehen. So ist das halt überall, auch beim Briefmarkensammeln oder bei Autos.
Und gilt dies auch für die vielen Vintage-Gitarren, wenn die großen Ikonen, die damit Geschichte geschrieben haben, nicht mehr am Leben sind?
Wenn man eine Fender Stratocaster mit einem großen Headstock sieht, heißt es noch immer: „Oh Mann, sie ist so cool, genau wie Jimi Hendrix sie gespielt hat.“ Hendrix ist vor 55 Jahren gestorben, aber die Gitarre ist immer noch cool. Das hat also nichts damit zu tun, ob jemand noch lebt oder nicht. Paul Kossoff, einer meiner Helden, hat eine Sunburst Les Paul gespielt, eine bis heute total coole Gitarre, obwohl Kossoff schon 1976 gestorben ist.
Joe über kulturelle Aneignung, Gitarre lernen und mehr auf Seite 2 …
Bild: Matthias Mineur
Das komplette Amp/Cabinet-Set u.a. mit dem Benson Rotary, dem Dumble Overdrive Special, zwei Marshall-Tops und dem Twinkle Land
Bild: Matthias Mineur
Das komplette Amp/Cabinet-Set u.a. mit dem Benson Rotary, dem Dumble Overdrive Special, zwei Marshall-Tops und dem Twinkle Land
Bild: Matthias Mineur
Das komplette Amp/Cabinet-Set u.a. mit dem Benson Rotary, dem Dumble Overdrive Special, zwei Marshall-Tops und dem Twinkle Land
Neulich habe ich in den Sozialen Medien die Diskussion verfolgt, ob heutzutage weiße Bluesmusiker viel mehr Verantwortung für die Geschichte und die Ursprünge des Blues tragen als früher, aber nur die wenigsten dieser Verantwortung gerecht werden. Wie siehst du das?
Das ist eine saublöde Diskussion! Welchen Unterschied macht es, ob ich schwarz oder weiß bin? Null. Was ist verdammt noch mal der Unterschied? Mit solchen Debatten habe ich nichts am Hut. Ich sage dir warum: Es geht einfach nur um Musik. Hör sie dir an oder lass es sein! Wenn man eine kulturelle Bedeutung oder eine Hautfarbenfrage daran aufhängen will, ist das völlig kontraproduktiv gegenüber dem, wozu Musik da ist. Musik ist dazu da, um Menschen aller Rassen, Religionen, Überzeugungen zusammen zu bringen. Wenn man dann wieder abspaltet – du bist ein weißer Bluesmusiker –, welchen Unterschied macht das? Auch wenn ich ein weißer Bluesmusiker bin, welchen Unterschied macht das? Albert King war ein schwarzer Bluesmusiker, der Stevie Ray Vaughan liebte. Das ist meine Antwort.
Welche Unterschiede gibt es deiner Meinung nach, wenn ein junger Musiker heutzutage das Gitarrespielen lernt, im Vergleich zu früher?
Die Sache beim Gitarrespielen ist, dass man nicht sofort belohnt wird. Man muss richtig hart dafür arbeiten. Und wir leben in einer Zeit, in der die Menschen alles sofort wollen. Sie wollen schon heute den Erfolg sehen. Das ist eine große Herausforderung. Die Musiker, die heute Gitarrenmusik machen, sind richtig, richtig gut. Viel besser, als wir es waren, damals, in den 1980ern, als wir noch Vinylplatten und Kassetten gehört haben, um Licks zu lernen. Und ich glaube, einer der Gründe ist, dass man heute Zugang zu viel mehr Informationen hat. Musiker können online gehen, wo man sehr gute Gitarrenlehrer findet, und ihnen einfach zuschauen. Ein solches Lern-Tool hatten wir nicht. Wir mussten nach dem Gehör lernen. Beides hat Vor- und Nachteile.
Und denkst du, dass es Auswirkungen darauf hat, wie Musiker lernen und spielen?
Natürlich hat es Auswirkungen, das spürt man schon heute. Weil Musiker von Alben lernen, die mit Pro Tools manipuliert wurden. Sie lernen also nur die Manipulation kennen, nicht den ursprünglichen Gedanken. Moderne Sänger kopieren die Manipulation, weil sie die auf der Platte zu hören bekommen. Das ist nicht so, als ob man Aretha Franklin hört und wie sie klingen möchte, oder Jimi Hendrix hört und versucht, wie er zu klingen. Es ist anders. Es ist nicht falsch, aber es ist anders.
Passt zu diesem Thema auch dein neues Album, das dein Produzent Kevin Shirley als das am meisten songorientierte deiner Karriere bezeichnet? Bist du auch von neuen Medien beeinflusst?
Das müssen andere beurteilen. Zumindest ist ‚Breakthrough‘ weniger auf lange Gitarrensoli fokussiert, sondern mehr auf straffe Arrangements und Songs. Aber das ist gut so, denn wenn ich live spiele, kann ich die Gitarrensoli ja ausdehnen. Wir werden sehen, ob und wie sich das umsetzen lässt, wenn wir ein paar der neuen Songs live spielen. Doch so weit ist es noch nicht, das wird nicht vor dem Herbst passieren.
Du hast für ‚Breakthrough‘ an vier verschiedenen Orten gearbeitet, nämlich in Griechenland, in Ägypten, in Nashville und in Los Angeles. Hatte dies künstlerische Gründe?
Nein, nur organisatorische. Kevin und ich haben vor zweieinhalb Jahren in Santorini die ursprünglichen Demos aufgenommen. Zuvor waren wir in Ägypten, aber nur um uns erste Gedanken zu machen. Letztlich aufgenommen wurde die Scheibe dann in Los Angeles und in Nashville.
Leider ohne deinen ehemaligen Bassisten, den großartigen Michael Rhodes, der im März 2023 verstorben ist.
In der Tat eine sehr traurige Angelegenheit. Es wird immer nur einen Michael Rhodes geben, und er wird immer einer der größten Bassisten aller Zeiten bleiben. Er konnte alles, er spielte Rock, er konnte Country spielen. Was immer man brauchte, er wusste genau, wie man es spielt.
Kannst du dich noch an den letzten Gig mit ihm erinnern? Wusstest du zu diesem Zeitpunkt bereits, dass es seine letzte Show sein könnte?
Nein. Ich glaube, unser letztes gemeinsames Konzert war im Herbst 2021, aber wir ahnten nicht, dass es das letzte sein würde, denn Michael hat uns nichts gesagt.
Ich habe gesehen, dass du zurzeit erstaunlich häufig mit einer Gibson SG spielst. Für mich als Außenstehender ist deine SG-Vorliebe neu.
Um ehrlich zu sein: Ich habe die SG erst kürzlich so richtig kennengelernt. Über viele Jahre habe ich sie nicht verstanden, umso mehr mag ich sie jetzt.
Weil sich dein Geschmack verändert hat, oder weil sich deine Fähigkeiten verändert haben?
Der persönliche Geschmack verändert sich doch ständig, oder nicht? Manchmal wird man morgens wach und einem ist klargeworden, dass man etwas verstanden hat.
Gilt das auch für dein Way-Huge-Conspiracy-Theory-Pedal?
Genau genommen ist das Conspiracy Theory älter als das Deep State, an dem Jeorge Tripps und ich gearbeitet haben. Im Grunde ist es der Vorläufer und ein unfassbar exakt arbeitendes Effektgerät, das ich schon seit ein paar Jahren verwende.
Und das während eines Gigs permanent eingeschaltet ist?
Nein, in meinem Pedalboard ist gar nichts dauerhaft eingeschaltet, sondern alles wird immer nur bei Bedarf aktiviert. ●
Das Pedalboard mit Way Huge Conspiracy Theory, Fulltone Supa-Trem, Boss DD-2, MXR Micro Flanger, Ibanez TS 808, EHX Micro POG, Dunlop FFM1 Fuzz Face, Lehle 1AT3 SGOS Switcher & Dunlop Joe Bonamassa Wah (Bild: Matthias Mineur)