Im Interview

Jeff Waters & Annihilator: Metal-Gitarren-Macht

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(Bild: Kai Swillus)

Auf dem Album ‚Metal‘ arbeiteten Annihilator 2007 mit einer Vielzahl prominenter Gäste aus der internationalen Metal-Szene zusammen, doch das Ergebnis stellte Mastermind Jeff Waters nie richtig zufrieden. Zum 15. Jahrestag der Erstveröffentlichung erschien nun ein Update mit dem Titel ‚Metal II‘, das der gebürtige Kanadier tiefstapelnd als „rohen Jam“ bezeichnet, obwohl es das Original auf mehreren Ebenen aussticht.

Auch ansonsten übt sich der redselige Gitarrist bei seiner Rückkehr vors G&B-Mikro in Understatement und beharrt weiterhin auf seiner eigenwilligen Philosophie, nicht der Gitarrenton mache die Musik, sondern der Verstärker.

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Jeff, ist ‚Metal II‘ dem Umstand geschuldet, dass es gerade nichts bringt, neue Musik zu veröffentlichen, weil man sie sowieso nicht mit Konzerten bewerben kann?

Wir als Band hatten in den letzten beiden Jahren insofern Glück, als unser jüngstes, siebzehntes Studio-Album Anfang 2020 kurz vor dem Ausbruch der Pandemie veröffentlicht wurde. Unsere letzte Tour fand schon im Herbst 2019 statt, und da anschließend keine Konzerte mehr anstanden, mussten wir auch nichts absagen. Danach stand bekanntlich die ganze Welt still, und obendrein steckte sich meine ganze Familie mit dem Virus an, wobei es mich als ehemaligen Raucher und Sportmuffel besonders übel erwischte. Ich hatte 14 Tage lang das Gefühl, jemand würde auf meiner Brust sitzen – bis meine Lunge wieder mit voller Leistung funktionierte, vergingen Monate.

TURBULENTE ZEITEN

Ihr habt es nie außerordentlich lange bei ein und derselben Plattenfirma ausgehalten, oder?

Nein, und das hatte verschiedene Gründe, nicht zuletzt den Wandel der gesamten Musikindustrie und die Tatsache, dass Annihilator stets mehr oder weniger bei ihren Leisten geblieben sind. Ein Großteil unserer Musik war lange Zeit nicht digital erhältlich, und kein Label legte die betreffenden Alben neu auf, also musste man horrende Summen auf eBay dafür zahlen. Ich habe mir die Rechte an all meinen Werken zurückgeholt und an Edel verkauft, was das Beste ist, was mir passieren konnte.

Eines Morgens wachte ich dann auf und fragte mich: Falls du ein Album generalüberholen dürftest, welches würdest du wählen? Es war mit weitem Abstand ‚Metal‘, weil wir damals nur zu dritt waren – Dave Padden, mein bis dahin langjähriger Sänger und ein großartiger Typ, und Drummer Mike Mangini, der ja jetzt bei Dream Theater spielt. Wir haben das perfekte Chaos-Trio abgegeben, sind das Ganze überhastet angegangen und suchten uns die falschen Leute für die Produktion aus.

Darüber hinaus spekulierte ich darauf, Mike würde ein paar richtig irre Sachen trommeln, doch er legte letzten Endes nur eine sehr einfache Performance hin, und Dave hatte private Probleme. Seit der ursprünglichen Veröffentlichung ist ja viel passiert, nicht nur der zu frühe Tod von Alexi Laiho, der in ‚Downright Dominate‘ Leadgitarre spielte. Er war ein wirkliches Genie, im Geist von Eddie Van Halen oder Randy Rhoads, und weil ich sein Solo für diesen Song noch in voller Länge auf Festplatte hatte, fand ich es schön, ihm nachträglich zu danken und meinen Hut vor ihm zu ziehen, indem ich es in die neue Fassung einbaute.

Eddie selbst habe ich dann mit einem Cover von ‚Romeo Delight‘ gewürdigt. Darauf kam ich, nachdem ich Van Halens ‚Jump‘ in einer irren Version des britischen Akustikvirtuosen Mike Dawes gehört hatte. Er klingt da, als würden drei Musiker auf einmal spielen.

Das neue Line-up auf ‚Metal II‘: Dave Lombardo, Jeff Waters und Stu Block (v.l.n.r.) (Bild: Kai Swillus)

Warum sind diesmal der ehemalige Iced-Earth-Sänger Stu Block und Ex-Slayer-Drummer Dave Lombardo mit von der Partie?

Stu war früher Frontmann der kanadischen Band Into Eternity und ist wieder bei ihr eingestiegen, glaube ich. Nachdem Iced Earth ihn ins Boot geholt hatten, durfte er sonst nirgendwo singen, denn Jon Schaffer, der Kopf der Band, wusste genau, wie besonders Stu ist. Ich bewunderte ihn schon lange und ließ ihn das über die Jahre hinweg wiederholt wissen, wenn unsere beiden Bands beispielsweise beim selben Festival auftraten. Er war für mich der perfekte Mann für Annihilator, und als Stu Iced Earth schließlich verließ, nahm ich wieder Kontakt zu ihm auf.

Was Dave Lombardo angeht … Muss man noch Worte über ihn verlieren? In meinen Augen steht er von seiner Bedeutung für zeitgenössisches Schlagzeugspiel auf einer Stufe mit Neil Peart von Rush. Er nahm meine Einladung überraschenderweise an und bekam für seine Parts nur drei Versuche pro Song, das war meine Leitlinie für die Aufnahmen zu ‚Metal II‘ – aber was soll ich sagen? Seine Leistung ist atemberaubend, ich habe selten jemanden so hochkonzentriert mit so viel Energie spielen hören.

Stu war hingegen nervös, weil er nicht wusste, welche Stimme er verwenden sollte. Denn im Grunde ist er ja so etwas wie George Michael, Michael Jackson, Bruce Dickinson und Rob Halford in Personalunion. Da er sein Potenzial mit den drei Takes nicht vollständig ausschöpfen konnte, hoffe ich, dass wir das bei der nächsten Gelegenheit zum Aufnehmen nachholen können. Stu wird mir in Zukunft den Leadgesang abnehmen.

Du hast mir vor ein paar Jahren in einem Interview erzählt, dass du unter einer Hyperaktivitätsstörung leidest. Wie schlägt sich das im Musikmachen nieder?

Ich wusste lange nichts über meinen leiblichen Vater, weil er nur wenige Monate nach meiner Geburt verschwand, doch auch er hatte dieses Aufmerksamkeitsdefizit, wie ich später erfuhr. Ich habe es meinem Sohn weitervererbt, aber dankenswerterweise in einer milden Form. Musik ist in diesem Zusammenhang extrem wichtig für mich und das Einzige, worauf ich mich für längere Zeit ununterbrochen konzentrieren kann. Obwohl ich ein feines Gehör habe, wollte ich nie Toningenieur oder so werden, bin aber irgendwann für alles zuständig gewesen – Komponieren, Aufnehmen, Mix und Mastering, Management und Konzert-Booking.

Mir ist klar geworden, dass ich gut mit dieser Belastung umgehen kann und sie sogar auf mich nehmen muss, andernfalls fühle ich mich nicht erfüllt. Meine Frau weiß, wie sie mit mir kommunizieren muss, aber für Außenstehende ist das oft schwierig, und sie tun gut daran, mehrmals nachzuhaken, weil ich höchstwahrscheinlich nicht richtig zuhöre oder schnell vergesse, was sie sagen.

Wenn du mich fragst, ist dieses Leiden unter Künstlern weit verbreitet. Denk bloß an Dave Grohl mit seinen tausend Projekten oder an Musiker, die sich mit Drogen zugrunde richten; das ist ein fehlgeleiteter Versuch, all die Energie in geordnete Bahnen zu lenken. Gäbe es keine Musik, hätte ich mich wohl zu Tode getrunken. Heute weiß ich aber auch, wann ich entspannen muss, was dann auch funktioniert, und wie man sich ordentlich und ausgewogen ernährt, nachdem ich früher jeden Mist in mich hineingestopft habe.

BESTENS GERÜSTET

Hast du derzeit noch ein Endorsement für deine Instrumente?

Nein, seit meiner Zusammenarbeit mit Epiphone vor einigen Jahren nicht mehr. Damals gab es zwei für Kids erschwingliche Signatures. Kurz nach der Jahrtausendwende war ich mit ESP zugange, doch dieser Deal belief sich auf Rabatte für ihre Gitarren, ich bekam nichts für lau. In letzter Zeit lege ich mir einfach die Gitarren zu, auf die ich Lust habe, darunter mehrere von Jackson und Dean. Das war das erste Mal seit langer Zeit, dass ich spielte, was mir wirklich gefiel. Ich bewarb mich sogar förmlich mit einem Anschreiben um ein Endorsement bei Jackson, doch sie interessierten sich nicht für mich. Es ist schon ein bisschen ironisch, dass ich mein Trauminstrument gefunden habe und mich seine Entwickler als Firmenbotschafter ablehnen.

Wie schon in den Jahren zuvor, hat Jeff auch nach der 2019er-Europa-Tour seine Tour-Gitarren öffentlich zum Kauf angeboten. In diesem Fall handelte es sich um zwei ESP/E-II-Arrow-Modelle sowie um zwei identische Jackson King Vs – alle Gitarren wurden mit Evertune-Brücken ausgestattet. (Bild: Karr)

Wie sieht es mit Verstärkern aus?

Ich habe jahrelang das Helix von Line 6 mit auf Tour genommen, verwende aber auch Modelle von Kemper und Fractal Audio, die mir allerdings keinen so rauen Sound geben, wie ihn Metallica in ihrer Frühphase hatten, vor allem auf ‚Ride the Lightning‘. Irgendwann nahm ich Abstand von Line 6, weil sich ihr Zeug, nüchtern betrachtet, immer noch digital simuliert anhörte, und fand eine Einstellung für die Kemper-Teile, die mich stark an – so ein Zufall aber auch – alte Van Halen erinnert. Die mag ich momentan sehr.

Das Line 6 Helix schätze ich weiterhin für seine Effekte. In meinem Heimstudio verwende ich ein Dutzend Amps in unterschiedlichen Kombinationen mit acht Boxentypen und zum Ausrichten der Mikrofone die Handy-App von DynaMount. Zu den Verstärkern gehören auch zwei für Angus und Malcolm Young von AC/DC gebaute Wizards, die aber für mich modifiziert wurden, dazu ein Marshall Randy Rhoads sowie sage und schreiben sieben wahnsinnig gute EVH-Modelle.

Einige davon sind rar, speziell einer der letzten Prototypen von 2010, den Eddie Van Halen persönlich im Studio benutzte. Er ließ mir den Amp zukommen, nachdem er unser Cover von ‚Romeo Delight‘ gehört hatte. Sehr gut ist darüber hinaus der polnische Hersteller Laboga, und natürlich dürfen auch Mesa/Boogie nicht fehlen. Für’s Komponieren greife ich nur auf das Helix und den Kemper zurück.

Du müsstest hinsichtlich deines Alters noch analoge Aufnahmetechniken kennengelernt haben.

Richtig, ich kann noch mit traditionellen Bandmaschinen umgehen. Selbst als ich anfing, mit den ersten Cubase-Versionen auf PC und Mac zu arbeiten, behielt ich meine alte SSL-Konsole, deren 24 oder 48 Spuren ich dann über Interfaces von RME Audio auf den Computer übertrug.

Jeff mit seinem alten Epiphone-Signature-Modell (Bild: Karr)

Was dürfen wir in Zukunft von dir und Annihilator erwarten?

Gestern Abend habe ich ein einmonatiges Projekt fertiggestellt, das aber gar nichts mit Annihilator zu tun hat, und abgesehen von Konzerten im Laufe des Jahres 2022 wird ein Album erscheinen, das mich von einer völlig anderen Seite zeigt. Ich wurde nämlich schon oft gefragt, warum ich noch nichts Bluesmäßiges, Poppiges oder Klassisches gemacht habe, und diese Leute bekommen ihre Wünsche nun erfüllt.

Die wenigsten wissen, dass ich schon seit Jahren für Künstlerinnen und Künstler aus den Bereichen Pop und Country komponiere. Dafür verwende ich ein Pseudonym, und die meisten Acts sind US-amerikanisch, wofür ich in den goldenen Jahren des Heavy Metal wahrscheinlich gesteinigt worden wäre. Ich verstehe dieses Nebending aber auch als richtige Band, es wird keine reine Soloplatte sein, so wie ich es anfangs vorgesehen hatte.

Mein Stiefsohn meinte dann aber, das Material sei stilistisch zu vielfältig, und der rote Faden würde fehlen. Darum entschied ich mich für etwas, das ungefähr in Richtung 80sHardrock geht, bloß mit verschiedenen anderen Einflüssen. Immerhin bin ich mit solchem Kram aufgewachsen, also The Guess Who, Styx oder Bachman-Turner Overdrive und selbst Kiss’ ‚I Was Made for Lovin’ You‘, weil ich in der Hochphase der Disco-Welle aufwuchs. Etwa zeitgleich kamen Black Sabbath, Judas Priests ‚Delivering The Goods‘ und ‚Hell Bent For Leather‘ sowie die Scorpions, Loudness aus Japan und selbstverständlich auch Iron Maiden hinzu.

Das klingt nach einem spannenden Projekt, viel Erfolg!

(erschienen in Gitarre & Bass 06/2022)

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