Sonic Midlife Crisis

Interview: Thurston Moore von Sonic Youth

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Trennung von Dauerpartnerin Kim Gordon. Neue, deutsche, junge Freundin. Auflösung von Sonic Youth. Umzug nach England. Solo-Künstler mit eigener Band. Und den Kopf voller Pläne. Thurston Moore erlebt seine Midlife Crisis mit Ende 50 – dafür aber um so geballter. Sein ,Rock’n’Roll Conciousness‘, zugleich der Titel seines neuen Albums, ist dennoch in Takt. Und wie.Sonic Youth Frontman

Über 30 Jahre lang war Thurston Moore die Stimme und das ohrenbetäubende Feedback von Sonic Youth, einem Quartett, das neben ihm aus Ehefrau Kim Gordon (Bass), Lee Ranaldo (Gitarre) und Steve Shelley (Schlagzeug) bestand. Gleichzeitig galt er als Pate der New Yorker NoiseRock-Szene, hat Nirvana und Dinosaur Jr. entdeckt und ganze Generationen von Musikern geprägt. Jetzt, mit 58 Jahren, ist Moore solo unterwegs, veröffentlicht seinen mittlerweile fünften Alleingang ,Rock’n’Roll Consciousness‘ und wohnt nicht mehr am Hudson, sondern an der Themse. Kein Alterswohnsitz, wie er betont, sondern ein neuer Lebensabschnitt mit viel Musik, aber auch Büchern und zig Nebenprojekten. Gemeinsam mit Freundin Eva Prinz alias Radio Radieux leitet er Ecstatic Peace!, ein Hybrid aus Label und Verlag, lässt seiner Passion für Black Metal und Horrorfilme Freilauf und erweist sich als unerwartet lockerer Gesprächspartner.

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Thurston, wie ist der aktuelle Stand bei Sonic Youth? Liegt die Band nur auf Eis oder habt ihr euch endgültig getrennt?

Schwierige Frage. Ich würde sagen, momentan herrscht so etwas wie eine Waffenruhe, in der Kim und ich unsere Wunden lecken und schauen, wie es weitergeht. Also ob wir langfristig Frieden schließen und zumindest versuchen, Freunde zu bleiben – oder ob wir weiter Krieg führen. Davon hängt auch die Existenz der Band ab. Denn wenn wir uns nichts mehr zu sagen haben, können wir auch keine Musik miteinander machen. Gut, es gibt einige Beispiele, wo das trotzdem funktioniert hat – etwa bei Fleetwood Mac – aber in unserem Falle sehe ich das nicht. Wobei ich durchaus verstehen kann, warum sie sauer auf mich ist. Nur: Solche Dinge, und das mag sich jetzt schlimm anhören, passieren halt. Man lebt sich auseinander, man verliebt sich in jemand anderen, man versucht aus seiner Routine auszubrechen. Da bin ich nicht der Erste, dem es so geht. Und Steve und Lee sind so etwas wie die Kinder, die darunter leiden, die ihre Familie und ihr Zuhause verlieren. Für sie tut es mir besonders leid.

Also: Hat die Band – mit etwas Abstand – noch eine Zukunft?

Sonic Youth haben durchaus eine Zukunft. Schließlich habe ich den Namen auf meinem Arm tätowiert. Was bedeutet, dass ich die Band mit ins Grab nehmen werde. Nur: Momentan denke ich nicht darüber nach. Es reicht, wenn das andere Leute tun. Aber es bedeutet mir viel, wenn sie mich auf der Straße ansprechen und sagen: „Hey, Mann, vielen Dank für all die coolen Alben, die ihr gemacht habt.“ Und das ist das Größte – es gibt nichts Besseres … Von daher mache ich mir keine großen Sorgen um die Zukunft – ich lasse sie einfach auf mich zukommen.

Wobei neue Solo-Stücke wie ,Aphrodite‘ immer noch nach Sonic Youth klingen – richtig lösen kannst du dich davon also nicht…

Nein, natürlich nicht. Schließlich singe ich da, ich spiele Gitarre und ich habe den Song geschrieben. Dabei bin ich nicht anders vorgegangen, als wenn ich ein Stück für Sonic Youth komponiere. Der einzige Unterschied besteht darin, dass ich von anderen Musikern unterstützt werde. Das ist alles. Aber: Ich habe nicht vor, Sonic Youth nachzuahmen. Denn das wäre nicht fair gegenüber der Band. Das würde ihr nicht gerecht. Schließlich haben Lee und Kim ihren eigenen Stil, den nur sie beherrschen. Die Band, die ich jetzt habe, ist etwas Eigenständiges.

Nach welchen Kriterien hast du sie zusammengestellt – und warum ist Sonic Youth-Drummer Steve Shelley immer noch dabei?

(lacht) Weil Steve ein bisschen wie ein lieber, treuer Dackel ist. Er schaut dich mit seinen großen, traurigen Augen an, und du kannst einfach nicht nein sagen. „Na, komm schon her, mein Kleiner.“ (lacht) Nein, das war nur Spaß! Er ist einfach mein Drummer. Wir arbeiten seit über 30 Jahren zusammen und verstehen uns blind. Warum sollte ich da, also mit dem Wissen, dass wir so gut harmonieren, auf ihn verzichten? Zumal er mich gefragt hat, ob wir auch weiter zusammen Musik machen können.

Ist die Thurston Moore Group eine Hommage an die legendäre Patti Smith Group?

Keine Frage. Zuerst waren wir die Thurston Moore Band. Aber für meinen Geschmack klang das zu sehr nach der Allman Brothers Band. Insofern hielt ich die Patti Smith Group für den besseren Referenzpunkt.

Du lebst mittlerweile in London, einer Stadt, mit deren Szene du dich immer eng verbunden gefühlt hast. Ist das die Erfüllung eines Kindheitstraums?

(lacht) Im Grunde bin ich einfach meinem Herzen gefolgt, denn meine Freundin lebt hier. Deshalb der Umzug. Aber es ist natürlich etwas, von dem ich immer geträumt habe. Und das war jetzt ein willkommener Anlass, es einfach mal zu wagen und das Leben in England besser kennenzulernen. Denn dazu hatte ich nie Gelegenheit. Ich war hier so oft auf Tour, hatte aber nie die Zeit, mir alles in Ruhe anzuschauen und da richtig einzutauchen. Das kann ich erst, seitdem ich hier lebe.

Aufgenommen hast du in einer alten Kirche, den Church-Studios von Paul Epworth.

Ganz genau. Das war eine Empfehlung von Mark Stewart von der Pop Group. Er meinte: „Paul kommt aus Bristol und es ist toll, mit ihm zu arbeiten. Du solltest ihn unbedingt mal anrufen.“ Dabei rangieren er und sein Studio nicht in meiner Liga. Also ich konnte mir beides eigentlich nicht erlauben. Denn Paul arbeitet normaler Weise mit Adele und Florence And The Machine. Aber als wir über die Kosten sprachen, war er sehr entgegenkommend und schien sehr erpicht darauf, das irgendwie möglich zu machen. Was mir sehr gefiel. Er kannte Sonic Youth und er sah darin ein großes musikalisches Abenteuer. Was es auch war – für uns beide. Ich meine, es war wahrscheinlich das beste Studio, in dem ich je gearbeitet habe. Und auch Pauls Techniker, die bei jeder Session dabei waren, waren großartig. Eben unglaublich aufmerksam und voll konzentriert. Man bekommt wirklich eine Leistung für sein Geld. Da ist eine unglaublich professionelle Belegschaft am Werk. Ich war völlig hin und weg, wie gut der Laden organisiert ist und wie smooth da alles abläuft. Insofern finde ich es seltsam, dass mir jetzt Fragen gestellt werden wie: „Hast du dasselbe Mikrofon benutzt wie Adele – wie fühlt sich das an?“ Da kann ich nur sagen: Das war mir in dem Moment gar nicht bewusst, und es war auch nicht der Grund, warum ich dort aufgenommen habe. Mir ging es um das Studio an sich – und um Paul, der wirklich klasse war.

Hat dich diese ehemalige Kirche, in eine meditative Stimmung versetzt oder wie erklärst du den Vibe von Stücken wie ,Turn On‘, die sehr hypnotisch und monoton anmuten?

Stimmt, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.

Hat was von Santana trifft Krautrock …

(lacht) Richtig – und er ist definitiv sehr meditativ. Weshalb ich auch erst darüber nachgedacht habe, das Album ,Meditations‘ zu nennen, aber das hat ja schon John Coltrane getan. (kichert) Aber Mann, was für eine wunderbare Kirche. Sie befindet sich in Crouch End und gehörte mal Dave Stewart, der dort mit Bob Dylan und den Eurythmics gearbeitet hat. Paul Epworth hat sie irgendwann übernommen.

Als Gitarrist hattest du Anfang der 80er wesentlichen Anteil am Comeback der Fender Jazzmaster…

Das kann man so sagen…

Dabei hast du mit billigen No-NameGitarren angefangen, die du mit einem Schraubenzieher bearbeitet hast, um interessantere Klänge aus ihnen hervorzuholen. War das dein individueller künstlerischer Ansatz – oder das Einzige, was du dir finanziell leisten konntest?

Letzteres. Wobei ich aber auch nur zur Jazzmaster gegriffen habe, weil ich sie mir finanziell leisten konnte. Als ich anfing, mich nach Gitarren umzuschauen, bin ich durch die ganzen Gebraucht-Läden, und da waren die Jazzmasters meist so billig, dass sie meine erste Wahl waren. Also: Es gab sie durchaus günstig, während die Stratocasters und Telecasters unglaublich teuer erschienen. Und seien wir ehrlich: Die Jazzmaster hat man nicht häufig im Rock’n‘Roll-Kontext erlebt. Tom Verlaine hat eine gespielt. Und obwohl ich ihn geliebt habe, war das nicht der Grund, warum ich mich auch daran versucht habe. Sondern es waren die billigsten Gitarren, die in den Läden zu finden waren. Also was halbwegs vernünftige Gitarren betrifft. Lee und ich haben immer gleich zwei oder drei davon erworben. Wir mochten sie – genau wie die Jaguars, die einen kürzeren Hals haben. Das erlaubte uns, etwas andere Sounds zu kreieren als die traditionellen Klänge. Du konntest mit dem Plektrum hinter dem Steg anschlagen und mit den Kippschaltern zwischen den Pickups spielen. Wir hielten sie für wirklich dehnbare Gitarren. Jahre später wurden die Teile dann zu echten Sammlerstücken.

Lee und du, ihr hattet bis zu 50 verschiedene Modelle auf der Bühne …

Ja, wir hatten all diese Jazzmasters. Das war einfach unser Ding. Sprich: Es hat sich so entwickelt. Und ich erinnere mich noch, als wir J. Mascis von Dinosaur Jr. kennengelernt haben – also damals, als er gerade erst anfing. Da hat J. auch eine Jazzmaster gespielt, weshalb wir uns gleich verbunden fühlten. So, als wären wir Brüder im Geiste. Als wir dann nach Europa kamen, haben wir Kevin Shields von My Bloody Valentine, die Jungs von Teenage Fanclub und viele andere erlebt, die ebenfalls Jazzmasters verwendet haben. Das schien eine Generationssache oder eine Szene-Sache zu sein. Alle standen drauf, alle fanden sie toll, weil sie so wenig gekostet haben und alle haben – jeder für sich – etwas Besonderes damit angestellt. Aber dann wurde der Markt von Spekulanten leergekauft, die in der Jazzmaster eine Gitarre erkannten, die sich prima als Wertobjekt aufbauen ließ. Das ist zumindest meine Sichtweise. Ich kenne mich da aber nicht wirklich aus, weil ich kein Gitarrenfreak bin.

Bist du nicht?

Nein, ich bin eher ein Musikfreak. Ich habe nichts mit Technik am Hut – weder mit technischen Dingen noch mit Spieltechnik.

Lustigerweise bist du immer mit so viel Gear aufgetreten, dass man dich für den absoluten Ober-Nerd gehalten hat. Ein Missverständnis?

Irgendwie schon. Wobei ich das wahrscheinlich selbst schuld bin, weil es halt immer so rüberkam, als hätte ich wer weiß was angestellt. Dabei war es eher so, dass ich diese Gitarren regelrecht entwertet habe, indem ich die gesamte Elektronik herausgerissen und die Scheiße aus ihnen herausgeprügelt habe. Deshalb waren viele Gitarristen auch sehr aufgebracht. Nach dem Motto: „Wie kannst du nur?“ Aber das war mir egal. Genau wie der Marktwert dieser Gitarren. Für mich waren es reine Werkzeuge oder Mittel, um einen bestimmten Klang zu erzielen. Ich selbst war nie ein Gitarren-Freak. Wenn wir als Sonic Youth auf Tour waren und einige von uns unbedingt die Musikgeschäfte abgrasen wollten, habe ich mich immer ausgeklinkt … Aber ich ticke halt anders. Und an einem Punkt in den 90ern, als Sonic Youth jede Menge Interviews gegeben haben, musste ich ständig Gespräche mit Gitarrenmagazinen führen. Das hat mich vor riesige Probleme gestellt, weil ich die Fragen nicht beantworten konnte. Im Ernst! Sie wollten wissen, welchen Amp ich bei den Aufnahmen verwendet habe. Und da konnte ich nur sagen: „Naja, er war schwarz und hat gut funktioniert.“ (lacht)

Weil du nicht wolltest?

Weil ich keine Ahnung davon habe. Alles, was Verstärker und Effekte betrifft, habe ich im Grunde immer Lee überlassen. Er war der Technik-Beauftragte von Sonic Youth und hat mich mit allem versorgt, was ich gebraucht habe. Deswegen habe ich kurz darauf gesagt: „Hört mal, ich will keine Interviews mit Gitarrenmagazinen mehr führen. Das ist nicht arrogant oder böse gemeint, sondern einfach besser für alle Beteiligten.“ So hat Lee sie übernommen – und meinte später, dass er regelmäßig gefragt würde, was ich denn für ein Problem damit hätte, über mein Spiel und meinen Sound zu reden. Die einfache Antwort ist: Weil ich keine Ahnung hatte und mich diese Fragen komplett überfordert haben.

Dabei hattest du sogar eine SignatureGitarre, was demnach wie pure Ironie anmutet…

Es war pure Ironie! Und ich war sogar auf dem Titelbild des Guitar Player Magazine, was der komplette Irrsinn war – ein riesiges Missverständnis … Ich meinte zu den Redakteuren: „Ihr hättet einen echten Gitarristen aufs Cover setzen sollen. Ich bin eher ein Krach-Typ. Ich verwende alles, so lange es genug Krach macht.“ Aber ich sage das ein bisschen scherzhaft, denn gleichzeitig spiele ich sehr gerne Gitarre. Das tue ich wirklich, auch wenn das jetzt nicht so überkommt.

Mittlerweile verwendest du meist diese zehnsaitige Drone Premier Gitarre, die für dich gebaut wurde. Meine absolute Lieblingsgitarre. Und es gibt noch eine Signature-Jazzmaster, die aber nicht mehr produziert wird. Lee und du, ihr hattet doch eigene Modelle, oder? Richtig, und die werden beide nicht mehr gebaut. Dabei stehe ich prinzipiell auf Signature-Modelle. Ich habe zum Beispiel die Signature Flying V von Ron Ashton von den Stooges. Und das nächste, was ich mir in der Art leisten werde, ist der Mike-WattSignature-Bass, der gerade in Produktion gegangen ist. Einfach, weil er einer meiner großen Helden ist. Ich hätte gerne auch eine J.-Mascis-Gitarre. Wobei er etliche Modelle hatte, die seinen Namen tragen. Er ist ein Super-Gitarrist. Einer der ganz großen seiner Generation. Vielen Dank für das Gespräch! Sehr gerne… (lacht)

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