Pino goes Solo

Interview: Pino Palladino & Blake Mills

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(Bild: Mike Piscitelli)

Pino Palladino genießt in der Bass-Community einen legendären Ruf. Seine markanten Fretless-Lines prägten Paul Youngs Hits, The Who, John Mayer, D’Angelo sowie Erykah Badu, und unzählige andere Weltstars vertrauten auf den unglaublichen Groove und die Musikalität des walisischen Hünen. Aber erst jetzt verlässt er seine Rolle als Sideman und legt gemeinsam mit dem genialen Gitarristen und Produzenten Blake Mills seine erste CD als Leader vor. Wir hatten die einmalige Gelegenheit, beide zu interviewen.

INTERVIEW

Das Projekt von eurem gemeinsamen Album nahm offensichtlich seinen Anfang, als ihr 2016 John Legends Album ‚Darkness and Light‘ aufgenommen habt, oder?

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Blake: Ja, das stimmt. Ich als Produzent habe mit Pino Kontakt aufgenommen, um ihn als Bassist für das Album ins Studio zu holen. Für ein modernes R&B-Album waren mir Bass und Schlagzeug wichtiger als alles andere, und die Gelegenheit, mit Pino einen meiner absoluten Lieblingsmusiker aller Zeiten zu buchen, ließ ich mir nicht entgehen.

Seid ihr euch vorher schon einmal begegnet?

Blake: Nein, das war tatsächlich das erste Mal.

Und dann hat dir Pino einige seiner Ideen vorgespielt, und du warst daran interessiert, eine gemeinsame CD zu produzieren?

Blake: Ja! Wir waren zusammen in New York, um gemeinsam John Legends Platte zu promoten, und Pino sagte: „Ich gehe noch in das Studio eines Freundes, um an einem meiner Songs zu arbeiten. Hast du Lust mitzukommen und dir mal anzuhören, was wir da machen?“ Ich ging dann mit und habe gleich ein paar Gitarrentracks eingespielt. Einen oder zwei Monate später traf ich Pino und fragte ihn, was aus dem Track geworden sei.

Blake mit einer Parlor-Gitarre aus der Vorkriegszeit (Bild: Jason Tippett)

Wir gingen dann in mein Haus, öffneten die Aufnahme-Session und hörten uns alles nochmal an. Ich schlug vor, den Song, der bis dahin nur aus ein oder zwei Riffs bestand, auszubauen und verschiedene Songteile hinzuzufügen, um damit einen dynamischen Bogen zu kreieren. Nur als Experiment, um zu sehen was dann passiert. Dieser Song war ‚Ekouté‘. Wir haben uns Schritt für Schritt vorgetastet und abhängig von dem Stadium, in dem der Song war, immer neue Ansätze gewählt und mit der Instrumentierung oder mit Polyrhythmen experimentiert. Das war unsere grundsätzliche Methode, auch für die folgenden Nummern.

‚Notes With Attachments‘ ist dein erstes Soloalbum, Pino. Wenn ich mir sonst Alben von Bassisten anhöre, sind die sich alle irgendwie ähnlich. Meistens spielen berühmte Schlagzeuger ausgefuchste Grooves, über die dann die Bassisten virtuose und spektakuläre Soli abdrücken. Dein Ansatz ist da ein vollkommen anderer.

Pino: Ja, das liegt erstmal daran, dass ich kein Virtuose bin. Wenn ich alles, was ich in dieser virtuosen Richtung kann, spielen würde, wäre ich in drei Minuten fertig. Mich interessiert viel mehr die Komposition und die Art, wie ein Song vorgetragen wird. Als ich anfing, Bass zu spielen, habe ich es natürlich geliebt, die Alben von Jaco Pastorius oder Stanley Clarke anzuhören, die durch unglaubliches instrumentales Können bestechen. Aber das war nicht die Richtung, in die ich mich entwickeln wollte. Vielleicht liegt darin auch der Grund, warum es so lange gedauert hat, bis ich für mich selbst ein Konzept für ein instrumentales Album gefunden habe.

Pino mit einem Kawai-Bass aus den frühen bis mittleren 1960ern (Bild: Jason Tippett)

Im Info zur CD habe ich gelesen, dass ihr nach eurem gemeinsamen musikalischen Vokabular gesucht habt, um dieses dann aber zu verfremden. Das ist euch gelungen. Ich war beim ersten Hören beeindruckt, gleichzeitig fragte ich mich aber: Was zur Hölle ist das, was da gerade mein Gehör überfällt?

Pino: Großartig, ich denke, dann haben wir unseren Job richtig gemacht.

Blake: Und was war deine zweite Reaktion? (lacht)

Mir gefällt das Album sehr gut, aber ich habe so eine Art von Musik bisher noch nicht gehört. Eine ähnliche Erfahrung habe ich gemacht, als ich vor vielen Jahren Jacos erstes Soloalbum zum ersten Mal gehört habe. Da gibt es dieses Stück ‚Okonkole Y Trompa‘, wo du E-Bass, Congas und ein French Horn hörst. So eine Komposition gab es vorher nicht, und auch hinterher hat nie wieder jemand etwas Ähnliches versucht. Ich habe den Eindruck, bei einigen eurer Stücke ist das ganz ähnlich.

Blake: Ich glaube, Bassisten hören Arrangements und Harmonik auf ihre ganz eigene Art. Gitarristen, Pianisten oder Arrangeure für Streicher können sich viel mehr erlauben, weil sie in Registern agieren, in denen man straflos Notencluster spielen oder schreiben kann. Also viele Noten setzen kann, zwischen denen nur sehr kleine Intervalle liegen, und so haben sie natürlich eine reiche Farbpalette zur Auswahl.

Das Bassregister hingegen verzeiht fast gar nichts. Das erzwingt Disziplin und prägt die Art und Weise, wie Bassisten Musik auffassen, in rhythmischer wie harmonischer und auch tonaler Hinsicht. Und die basseigene Art, Sounds und Timbres zu kombinieren, ist ein Resultat dieser Disziplin.

Pino: Interessant, dass du das sagst, Blake, weil ich denke, dass dein Ansatz sehr ähnlich ist. Du bist ja nicht als Bassist bekannt, spielst aber tatsächlich großartig Bass. Und wir hören beide auf eine sehr ähnliche Art, nämlich vom Fundament ausgehend, wo die nächste Note folgen muss, welche Voicings in welchem Register am besten passen, wie viele Noten wo hingehören.

Interessant ist es zu hören, dass das Schlagzeug oft nicht in so offensichtlicher Art wie sonst üblich Beat und Subdivisions markiert. Im Intro von ‚Man From Molise‘ zum Beispiel ist es gar nicht so einfach, den Puls zu hören. Nach mehrmaligem Hören habe ich dann entdeckt, dass sie auf dem Click aufbauen.

Blake: Ja, ich denke das Intro von ‚Man From Molise‘ basiert tatsächlich auf dem Click. Die Keimzelle vieler der Songs auf der CD waren Studioaufnahmen, die Pino mit dem Drummer Chris Dave zum Teil schon vor einigen Jahren in seinem Haus eingespielt hat. Von diesen Jams haben wir manchmal Strecken von vielleicht 32 Takten als Basis übernommen und erst einmal geloopt. So ist möglicherweise der Grid entstanden, den du gehört hast.

Großes Kaliber: Pino mit Guitarrón (mexikanisches Bassinstrument) (Bild: Jason Tippett)

Im Intro von ‚Djurkel‘ habe ich mich gefragt, welche Saiteninstrumente da gespielt wurden. Dann habt ihr auf YouTube eine Live-Version veröffentlicht, bei der man sieht, dass Pino an seinem Magnatone-Bass am Anfang einen Capo am 11. Bund montiert. Und Blake spielte eine Bariton-Gitarre, auch mit Capo.

Blake: Pino, hast du bei ‚Djurkel‘ den Magnatone-Bass gespielt?

Pino: Ja, auf der Urversion habe ich die verwendet. Aber du hast die Ngoni (ein- bis siebensaitige Spießlaute aus Mali, Anm. d. Verf.) gespielt.

Blake, du hast auf der Platte ein ganzes Arsenal unterschiedlicher Instrumente gespielt. Was kam da zum Einsatz?

Blake: Da müsstest du mich eigentlich konkret erst nach dem Song und dann nach dem Songteil fragen. Aber ich zähle mal auf: Coral Sitar-Guitar, die Ngoni, ein Gitarren-Synth, eine National-Reso-Phonic-Gitarre, Slide-Gitarre, eine Tres, eine Baritone und E-Gitarren.

Pinos 1961er Fender Precision
Music Man Fretless
Ein weiteres Guitarrón aus Pinos Sammlung mit dem Namen „Fatty“

Die Produktion ist sehr vielschichtig, wir hören Drums, Perkussion, Saxofon-Sections, Saiteninstrumente … Wie organisiert man solche Komplexität?

Blake: Es ist recht schwer, diesen Prozess zu rekonstruieren. Das wäre, wie wenn du mit Freunden beim Abendessen zusammensitzt, eine Flasche Wein trinkst und dich stundenlang unterhältst, und danach sagen müsstest, zu welchem Zeitpunkt du welches Thema angeschnitten hast. Aber die Tatsache, dass all das mit den jetzt vorliegenden Aufnahmen passiert ist, war das natürliche Resultat der Kombination von uns beiden. Die Basis waren einige von Pinos zum Teil älteren Recording-Sessions. Von diesen behielten wir einige Tracks oder ließen uns von ihnen inspirieren. Darauf bauten wir in unseren gemeinsamen Recording-Sessions auf.

Als wir Ideen und Songs entwickelten, holten wir uns andere Musiker ins Studio. Nehmen wir als Beispiel ‚Man From Molise‘. Als mir Pino seine erste Version vorspielte, war da nur die Akkordfolge mit Gitarren-Chords und die Bass-Linie, es gab noch keine Melodie. Wir spielten also noch einmal ein, was wir hatten, und zu diesem Zeitpunkt hatten wir das Gefühl, dass nichts fehlte. Beim mehrmaligen Anhören keimte in uns das Gefühl, dass da vielleicht doch Platz wäre für eine Melodie.

Später hatten wir den Keyboarder Larry Goldings im Studio. Der sollte zu den Songs das beitragen, was er hörte. Da sagte Pino plötzlich: Ich höre in meinem Kopf eine Melodie, die passen könnte. Pino sang diese Melodie über der Akkordfolge, und Larry übernahm diese Idee und spielte sie ein. Und zum ersten Mal hatten wir eine vollständige Vorstellung von dem Song.

Pinos Pedale: Analog Alien Bass Station, Snark Pedal Tuner & Boss Octaver OC-2
Pinos Pedale: Analog Alien Bass Station, Snark Pedal Tuner & Boss Octaver OC-2

Pino: Wolfgang, jetzt kommen wir deiner Frage näher. Es gibt ja zwei Ansätze: Du kannst ins Studio gehen mit einem fertig ausgearbeiteten Song, die Strukturen und Melodien stehen fest, und du musst nur noch einspielen. Oder du beginnst mit einer sehr guten Idee, und du gibst dieser Idee die Zeit, zu wachsen und sich zu entwickeln. Du bist offen für alles Neue, und diesem Prozess geben Blake und ich klar den Vorzug. So kommen wir zu neuen Melodien, neuen Sounds.

Pino, auf ‚Just Wrong‘ hast du Kontrabass gespielt, oder? Das machst du doch sonst verhältnismäßig selten.

Pino: Das ist tatsächlich kein Kontrabass, auch wenn es ein wenig danach klingt. Wir haben solche Instrumente früher als semiakustischen Bass bezeichnet. Das ist ein bundloser Hollowbody-Bass mit einem Piezo-Pickup, gebaut von Rob Allen in Los Angeles, der wirklich unglaublich gute Instrumente macht. Wir haben einige verschiedene Techniken benutzt, um diesen Kontrabass-Sound zu erzeugen.

Wie nimmst du deine Bass-Tracks auf?

Pino: Da habe ich keine standardisierte Methode. Es kommt immer auf den jeweiligen Song an. Ich benutze verschiedene DI-Boxen, die ich manchmal auch mit mikrofonierten Signalen kombiniere.

(erschienen in Gitarre & Bass 05/2021)

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Es ist ja total lustig,ich besitze zwar keine einzige betagte Parlor-Gitarre aus der Vorkriegszeit,sondern „nur“ eine absolut hervorragend klingende,relativ neue Eastman Acoustic Parlor aus der bekannten Handmade Beijing/China-Guitar Manufaktur,jedoch kann ich generell die faktischen Vorzüge einer solchen kleinen Parlor-Akustikgitarre bestätigen! Kleiner,sehr ergonomischer Korpus mit massiver Fichtendecke,absolut penibler Verarbeitungsqualität und einem top Handling.Und ein stabiles Hardshellcase war bereits inklusive.Ach,mein Gitarrenherz,was brauchst du mehr?!

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