King Strumming

Interview: Pat Metheny

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(Bild: Jimmy Katz)

Der Gitarrenvirtuose nutzt die Corona-Pause, um sich einen Lebenstraum zu erfüllen: Ein Album, auf dem er selbst kaum in Erscheinung tritt, und stattdessen berühmte Kollegen seine komplexen Kompositionen spielen lässt – unter seiner strengen Ägide und mit ein bisschen Strumming. Wieso, weshalb, warum verrät er im Interview.

New York City am Morgen nach der Amtseinführung von Joe Biden: Wie zumindest 74 Millionen US-Amerikaner ist auch Patrick Bruce Metheny hocherfreut über den Machtwechsel in Washington, hat den gesamten letzten Tag mit seiner Familie vor dem Fernseher verbracht, von einer besseren Welt geträumt und ist zu Gesprächsbeginn noch ein bisschen verschlafen.

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Doch zwei Tassen Kaffee, drei herumtollende Kinder im Homeschooling, ein Hund, der unbedingt nach draußen will, sowie ein Anruf aus Deutschland bringen den passionierten Streifen-T-Shirt-Träger schnell auf Touren. Schließlich hat der 66-Jährige einiges zu erzählen – vor allem über sein neues Album ‚Road To The Sun‘, das ein echtes Novum in seiner fünf Dekaden umfassenden Karriere darstellt.

INTERVIEW

Du veröffentlichst mit ‚Road To the Sun‘ ein Album, auf dem du wenig selbst spielst, und stattdessen illustre Kollegen wie das Los Angeles Guitar Quartet oder Jason Vieaux deine Kompositionen interpretieren lässt. Warum veröffentlichst du das unter deinem Namen?

Klar, ich bin bekannt als Gitarrist, und deshalb erwartet man von mir, dass ich auf all meinen Veröffentlichungen Gitarre spiele. Aber so denke ich nicht. Auf fast jedem Album, das ich gemacht habe, sind auch Passagen, die ich für andere Musiker, etwa die Mitglieder meiner Band, geschrieben habe. Das war immer ein wichtiger Teil meines Ansatzes – nämlich Musik als eine Art Lieferdienst für Ideen zu betrachten. Die Umsetzung in Klänge kann auf unterschiedliche Arten erfolgen. Improvisation ist die aktivste davon. Musik zu komponieren, zu arrangieren und auf Papier zu bringen, ist da anders, weil man monatelang darüber nachdenken kann, ob man etwas in B oder A spielen sollte.

Man kann Dinge aus einem anderen Blickwinkel angehen, als bei der Improvisation, und sich fragen: Wie setzt man eine Idee am besten um? Und für dieses Album habe ich eine Menge Musik geschrieben, die etliche Notenblätter füllt und habe sie Musikern gegeben, um die Ideen, die darin stecken, umzusetzen. Die Stücke sind so angelegt, dass sie ihre Idee durch Komponiertes statt Improvisiertes vermitteln. Das ist es, worum es hier geht. Eben, dass fast alles, was ich sonst mache, sogar die komplexen, langen Sachen, im Grunde nur ein Vehikel zur Improvisation ist. Aber das hier ist anders und ich schätze mich glücklich, dass ich fünf der besten Interpreten von komponierter Musik dazu bringen konnte, sie für mich zu vertonen.

Jason Vieaux (Bild: Tara Stuart)

Hast du schon beim Komponieren an Jason Vieaux und das Los Angeles Guitar Quartet gedacht, oder dich erst nach Beendigung des Komponierens an sie gewandt?

Wenn ich Musik schreibe, habe ich dabei immer diejenigen im Kopf, von denen ich hoffe, dass sie es später spielen werden. Das impliziert die großartigen Musiker, die über die Jahre Teil meiner Band waren, oder die mir bei besonderen Projekten wie Film-Soundtracks geholfen haben. Ich versuche immer, für spezielle Leute zu schreiben, und sei es nur, weil das zweckdienlich ist. Und weil ich ja auch ein Bandleader bin. Ein Großteil meines Jobs besteht darin, Leute zusammenzuführen, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie gut zu einem bestimmten Kapitel meiner musikalischen Reise passen.

Wobei ich mir nicht nur ihre oft unglaublichen Fähigkeiten zunutze mache, sondern sie auch herauszufordern versuche. Und genauso war es in diesem Fall: Das LAGQ steht für alles, was ein großartiges Gitarren-Quartett ausmacht. Ich liebe die Art, wie die Jungs zusammenspielen und ich habe bei ihnen Sachen gehört, die ich so nicht kannte. Deswegen hatte ich zugesagt, als sie mich nach einer Komposition für sie fragten. Aus einem etwa fünfminütigen Stück wurde dann ein fast halbstündiges Werk. Ich wusste sofort: Das ist perfekt für sie.

Pat Metheny (Mitte) und das Los Angeles Guitar Quartet (Bild: Tara Stuart)

Wie haben sie darauf reagiert?

Sie fanden es genauso toll wie ich. Aber es hat Zeit gedauert, es fertigzustellen. Als alles stand und sie anfingen, es bei dieser oder jener Gelegenheit aufzuführen, habe ich mich an das Stück für Jason gemacht. Auch über ihn hatte ich schon länger nachgedacht. Er ist einer meiner absoluten Lieblinge aus der jüngeren Generation an klassischen Gitarren-Jungs. Da habe ich genauso Favoriten wie unter Violinen-, Flöten- oder Klarinettenspielern. Aber was mein eigenes Spiel und meine Technik in diesem Bereich betrifft, bin ich von ihnen meilenweit entfernt. Trotzdem kenne ich natürlich die grundlegenden Dinge, also die allgemeine Geografie der Gitarre, und ich wollte Jasons Talent seit fast zwanzig Jahren herausfordern – seit ich ihn das erste Mal gehört hatte. Was Bach-Interpretationen auf der Gitarre betrifft, ist er eine Koryphäe, dabei gibt es eine Menge Leute, die sich daran versuchen. Doch diese beinahe poetische Art, wie er die Strophen angeht, ist wirklich etwas Besonderes. Ich empfinde ihn als sehr inspirierend – und das hat zu dem Stück auf dem Album geführt.

Warum begnügst du dich mit der Rolle des Gastmusikers, der ein bisschen Strumming hinzufügt?

(lacht) Na ja, das Tolle an der Gitarre ist doch: Wenn du sie fünf verschiedenen Personen gegenüber erwähnst, sorgt sie auch für fünf verschiedene Gedankenblasen über deren Köpfen. Der eine assoziiert mit dem Begriff „Gitarre“ Metallica, der andere Segovia, der nächste Wes Montgomery. Es ist halt ein Instrument, das für eine unglaubliche Vielfalt steht. Aber was all diese Assoziationen gemeinsam haben und was sie verbindet, ist die Tatsache, dass jeder, der sich damit beschäftigt, diese fünf oder sechs offenen Akkorde lernt, die man zum Beispiel am Lagerfeuer spielt. Und dieses Strumming würde ich als das bezeichnen, was die Gitarre eigentlich am besten kann – wozu sie geradezu perfekt ist.

Doch seltsamerweise wird das in meiner Community kaum genutzt. Und ich habe mich über die Jahre mehrfach daran versucht. Auf ‚80/81‘ findet sich mit ‚First Circle‘ zum Beispiel ein Stück, auf dem ich einfach nur strumme. Und das beinhaltet dieselbe Technik in der rechten Hand, die man auch am Lagerfeuer einsetzen würde. Der einzige Unterschied ist, dass es in 22/8 ist und eine Menge cooler Akkorde aufweist. Das sollte viel verbreiteter sein. Was das LAGQ betrifft: Es war nicht so, dass die Jungs das nicht hinbekommen hätten, aber ich musste sie schon ein bisschen kitzeln, um das aus ihnen herauszuholen. Und ich denke, sie haben die Botschaft verstanden. Sie meinten: „Ach, so meinst du das? Willst du wirklich, dass wir es so hart anschlagen?“ Darauf ich: „Ja, bitte.“ Während ich ihnen gezeigt habe, worauf es mir ankommt, ist eine Version des Stücks entstanden, die wir einfach übernommen haben.

Was hat dich veranlasst, dann noch Arvo Pärts ‚Für Alina‘ zu covern – und dafür deine 42-saitige Pikasso einzusetzen?

Im Grunde habe ich das einfach eines Abends für mich selbst gespielt – weil ich das Stück liebe. Ich habe es zum ersten Mal gehört, kurz nachdem ich die 42-saitige Pikasso bekommen hatte. Und die Obertöne, die darin auftauchen, sind genau der Grund, warum ich diese Gitarre entwickelt habe. Es ist ein Gegenpol zu den beiden Stücken von mir, die sehr intensive Anpassungen aufweisen und einfach alles abdecken. Die sich von Note zu Note zu Note bewegen und in alle erdenklichen Richtungen gehen. Das Stück von Arvo ist das exakte Gegenteil: Es ist absolut diatonisch.

Entwickelst du noch neue Gitarren oder verfügst du längst über alles, was du auf diesem Gebiet benötigst?

Das Coole an Gitarren ist, dass sie nicht exakt definiert sind, sondern alles sein können, was du willst. Und du kannst damit anstellen, was du willst. Aber momentan bin ich nicht sonderlich interessiert, noch mehr auszuprobieren, was nicht heißt, dass ich das nicht irgendwann wieder tue. Aber halt nicht in absehbarer Zeit.

Weil deine Gitarrensammlung ohnehin sehr umfangreich ist?

In der Tat. In den ersten 35 Jahren meiner Karriere als Profi-Musiker war das eine ganz pragmatische Sache: Für mich waren Gitarren wie Schraubenzieher. Wenn ich diesen oder jenen Klang erzielen will, benötige ich ein bestimmtes Werkzeug dazu. Aber mal abgesehen von meiner allerersten Gitarre hatte ich keinerlei emotionale Beziehung zu diesem Instrument. Mein Interesse zielte nur darauf ab, welches Instrument ich für welchen Sound brauche. Und wenn es das in dieser Form nicht gibt, muss ich mir jemanden suchen, der es für mich baut. Aber vor acht oder neun Jahren hat bei mir irgendetwas Klick gemacht – und plötzlich fand ich Gitarren extrem cool. (lacht)

Keine Ahnung, warum. Ich habe eigentlich nie viel über sie nachgedacht, doch seitdem interessiere ich mich vor allem für Modelle aus der Anfangszeit von Gibson. Also Gitarren mit einem Charlie-Christian-Pickup. Charlie war der erste Gitarrist, der sich auf die E-Gitarre verlegt hatte. Und sie haben damals wirklich alles richtig gemacht. Ich habe da inzwischen eine regelrechte Obsession entwickelt, was zur Folge hat, dass ich anfing, Gitarren aus dieser Ära zu sammeln. Und das betreibe ich schon seit einer ganzen Weile ziemlich exzessiv.

Wobei du den Großteil deiner Signature-Modelle in Kooperation mit Ibanez entwickelst – wie kommt’s?

Sie sind cool zu mir. Sie wissen, dass ich an allen möglichen Sachen interessiert bin und haben immer wieder starke Ideen. Und sie sind sehr engagiert. Sie boten mir an, zu untersuchen, was den markanten Sound von alten Pickups, die mir gefallen, ausmacht. Und davon haben sie dann eine Art retro/modern-Version angefertigt.

Das letzte Jahr dürfte das erste deiner Karriere gewesen sein, in dem du nicht live aufgetreten bist. Was ist das für ein Gefühl?

So viel Privatleben hatte ich schon seit der Mittelschule nicht mehr. Seit ich 14 oder 15 war, habe ich nicht mehr so viel Zeit an einem einzigen Ort verbracht, wie in den letzten zwölf Monaten. Und ich verstehe jetzt, warum es vielen Leuten wichtig ist, ein Privatleben zu haben. (lacht) Wahrscheinlich ist es ganz gut, dass ich das nicht früher erlebt habe – es hätte mir zu gut gefallen, als dass ich mein Arbeitstempo der letzten Jahrzehnte freiwillig aufrechterhalten hätte. Ich war wirklich das gesamte letzte Jahr hier in New York, selbst in der Zeit als es richtig übel war.

Und meine Meinung, was diese Pandemie betrifft, ist ganz klar: Sie ist schrecklich. Mich hat sie allein dahingehend beeinträchtigt, dass ich 110 Konzerte absagen musste. Dafür sind aber alle in meiner direkten Umgebung gesund geblieben: Meine Familie und die Musiker in meiner Band. Ganz im Gegensatz zur Jazz-Community, die ein paar wichtige Leute durch das Virus verloren hat, und die Welt der Künste hat es ja besonders hart getroffen. Von daher schätze ich mich glücklich, dass ich genug Rücklagen habe, um mir finanziell keine Gedanken machen zu müssen. Aber da draußen sind eine Menge Kollegen, die wirklich unter dieser Situation leiden. Und ich fühle mit ihnen. Ihr Schicksal lässt mich keineswegs kalt.

(erschienen in Gitarre & Bass 04/2021)

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