Auszeit

Interview: Ian Crichton von SAGA

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(Bild: Edel)

Werden es etwa Geburtstags- und Trauerfeiern zugleich? Die bereits seit 40 Jahren existierende kanadische Rockband Saga hat das (vorläufige?) Ende ihrer Laufbahn angekündigt. Zwischen dem 20. Oktober und 27. November 2017 geht die Gruppe auf Abschiedstournee, präsentiert von GITARRE & BASS. Es sollen die vorerst letzten Saga-Shows in Europa sein.

Dem historischen Anlass entsprechend wird ein zweiteiliges Set geboten: die ersten 45 Minuten rein akustisch, die nächsten 90 Minuten mit einem Best-Of-Programm ihrer bislang 21 Studioalben, darunter Hits und Klassiker wie ,Don‘t Be Late‘, ,On The Loose‘, ,The Flyer‘, ,Wind Him Up‘, ,Humble Stance‘ oder ,Scratching The Surface‘. Wir trafen uns bereits Ende April mit ihrem Gitarristen Ian Crichton bei einer Saga-Show in Worpswede und ließen uns seine Sicht der Dinge erklären.

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Ian, sind die Saga-Shows im Herbst wirklich endgültige Abschiedskonzerte?

Ian Crichton: So genau weiß man das nie, aber wir werden auf alle Fälle eine längere Pause machen. Wer permanent unterwegs ist, braucht zwischendurch auch mal Auszeiten. Aber zum Abschluss werden wir noch einmal etwas ganz Besonderes bieten: Shows mit mehr Songs, längerer Spielzeit und einigen Überraschungen.

Ist dir der Spaß an Tourneen vergangen?

Ian Crichton: Nein, überhaupt nicht, denn wir haben ständig die Setlist verändert und immer wieder Songs gespielt, die lange nicht zum Programm gehörten.

Wehmut?

Ian Crichton: Ja, ein bisschen. Saga ist und war für mich eine ganz besondere Band, weil ich zwischendurch zwar kurze Solospots bekomme, die Show aber insgesamt auf Songs und nicht auf Ego-Trips basiert. Ic mag das, ich muss nicht permanent im Rampenlicht stehen, sondern ordne mich gerne den Songs unter.

Haben sich deine musikalischen Vorlieben in den zurückliegenden 40 Jahren verändert? 

Ian Crichton: Ich stand immer schon auf unterschiedliche Genres und mag die Vielseitigkeit von Musik generell. Davon profitieren die Saga-Songs, denn Jim Gilmour, mein Bruder Jim Crichton und ich liefern permanent Ideen an, die wir dann zusammen im gleichen Raum miteinander zum typischen Saga-Sound verschmelzen. Ich habe in den zurückliegenden Jahren sehr viel irische Volkstänze mit Violinen und Banjos gehört. Früher stand ich vor allem auf den Progressive Rock der Siebziger, Jim Gilmour dagegen mag Jazz. In den Siebzigern kamen viele große Bands auf, die einen eigenständigen Stil hatten. Der wurde natürlich sofort kopiert, sodass es heute mehr Imitate als Originale gibt.

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Saga beim Soundcheck (Bild: Matthias Mineur)

Hast du eine Idee, weshalb die Siebziger so ungewöhnlich bunt und vielseitig waren? Man spricht ja heutzutage vom goldenen Jahrzehnt der Rockmusik.

Ian Crichton: Ich denke, dass es in den späten Sechzigern und Siebzigern keine festen Formate gab, an denen sich Bands orientieren mussten. In den Sechzigern kam die psychedelische Musik auf, alles war erlaubt, jede Gruppe konnte tun und lassen, was sie wollte. Das führte auf der ganzen Welt zu einer riesigen künstlerischen Vielfalt. Jede Band, jeder Künstler hatte etwas ganz Eigenes, Led Zeppelin, Queen, Jimi Hendrix, Jeff Beck, King Crimson, Yes, Gentle Giant, Emerson, Lake & Palmer.

War es damals für Rockmusiker leichter?

Ian Crichton: Oh ja, absolut. Wie gesagt: Es gab keine vorgeschriebenen Formate, man musste nur gut sein, damit sich Plattenfirmen für einen interessierten. Aber es war auch viel mehr Geld im Umlauf als heute, denn es gab noch keine Downloads. Die Plattenfirmen kamen in die Konzerte unbekannter Bands, und wenn man sie überzeugen konnte, bekam man ein Angebot. Sogar Newcomer erhielten sofort Verträge über mindestens drei Alben. Die Firmen setzten darauf, dass Bands spätestens mit ihrer dritten Scheibe den Durchbruch schaffen und sich die Sache von da an rechnet. Plattenfirmen entwickelten Bands weiter, denn sie konnten sich die Aufbauarbeitleisten, da genügend Geld in der Musikindustrie verdient wurde. Heute haben die Labels kein Geld mehr, weil alles nur noch kostenlos heruntergeladen wird. Woher sollen da Budgets für neue Bands kommen?

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BluGuitar Amp1 (Bild: Matthias Mineur)

Waren auch Saga in ihrer Anfangszeit eine freiere und kreativere Band als heute?

Ian Crichton: Nein, das würde ich nicht sagen. Denn in unseren Anfangsjahren gab es nicht diese unglaublich großen technischen Möglichkeiten, wie man sie heute überall vorfindet. Es gab keine Computer, keine Sequenzer. Wir nahmen unsere ersten Scheiben noch mit einem Metronom auf, das auf dem Klavier stand. Nichts wurde kopiert, alles wurde per Hand eingespielt.

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Diezel Herbert Top + Diezel 4x12er Box (Bild: Matthias Mineur)

Mit teilweise problematischen Übersprechungen der Mikrofone …

Ian Crichton: Ja, stimmt, das gehörte natürlich dazu. Als ich meine Gitarren für ,Worlds Apart‘ aufnahm, musste ich mich im Studio gegen eine Wall of Sound durchsetzen. Aber ich mochte das, denn man hatte immer das Gefühl, Teil einer vitalen Band zu sein, weil nicht jedes Instrument einzeln aufgenommen wurde. Die ersten sechs Saga-Alben wurden auf genau diese Weise produziert.

Kannst du dich noch an dein Equipment in diesen Jahren erinnern?

Ian Crichton: Ich hatte die unterschiedlichsten Dinge am Start. Ich weiß noch, dass ich bei vielen Clean-Sounds direkt ins Pult gespielt habe. Rupert Hine war damals unser Produzent und er kannte sich mit solchen Sound-Fragen extrem gut aus. Darüber hinaus hatte ich Fender Twins, H/H-Amps, einen kleinen Mesa/Boogie und vor allem einen Roland Jazz 120 Chorus, den ich besonders gerne gespielt habe.

Besitzt du ihn noch?

Ian Crichton: Ja, das meiste Zeugs ist noch bei mir zu Hause. Wenn ich ein Gerät besonders gerne gespielt habe, dann bleibt es in meinem Besitz. Ich hatte jahrelang einen Soldano-Head, auch der steht noch bei mir. Ebenso meine 1964er Fender Stratocaster, die ich auf den ersten fünf Saga-Scheiben gespielt habe. Diese Gitarre werde ich nie wieder herausrücken.

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Bassist Jim Crichton (Bild: Matthias Mineur)

Was ist aus deiner schwarzen Gibson Les Paul geworden, mit der man dich auf älteren Fotos sehen kann?

Ian Crichton: Die existiert immer noch. Aber eigentlich war ich nie der Les-Paul-Typ, sondern stand immer auf Strat-Formen. Das gilt auch für meine aktuelle Lado-Gitarre, die in den Neunzigern gebaut wurde. Sie ist an die Stratocaster-Form angeglichen und schmiegt sich wunderbar an den Körper an.

Die Form des Korpus ist für dich entscheidend, nicht der Hals?

Ian Crichton: Für mich entscheidet vor allem die Wahl der Materialien und ob ein Instrument hochwertig bestückt ist. Ich meine: Es gibt sowieso nicht die beste Gitarre, sondern nur die, die einem selbst am besten gefällt. Jeder Gitarrist hat da andere Vorstellungen, wie die perfekte Gitarre aussieht. So etwas ist immer auch abhängig von der eigenen physiognomischen Konstellation, wie groß man ist, wie die Hände beschaffen sind.

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Ian mit seiner Musicman Silhouette (Bild: Matthias Mineur)

Tonabnehmer?

Ian Crichton: Natürlich spielen auch die eine große Rolle. Ich habe schon die unterschiedlichsten Pickups gespielt, aber das Persönlichste an meinen Gitarren waren für mich immer der Hals und der Korpus. Es gab Zeiten, da musste ich auf Tour aus organisatorischen Gründen mit geliehenen Gitarren spielen. Das hat mir nicht gefallen, denn man hatte das Gefühl, als wenn man die Hosen eines Fremden trägt.

Was ist an deiner aktuellen Lado-Gitarre das Persönliche?

Ian Crichton: Zunächst einmal ist sie unglaublich schwer, schwerer als eine Les Paul, mit Vogelaugen-Ahorn. Ich habe Joe Lado gebeten, den kompletten Lack vom Hals abzuschmirgeln, damit die Griffigkeit größer wird. Wenn man die Gitarre von der Rückseite sieht, wirkt sie eher etwas schäbig, aber sie spielt sich absolut großartig.

Gitarrist Ian Crichton mit seiner Lado Strat (Bild: Matthias Mineur)

Diese schwere und unglaublich druckvoll klingende Gitarre hat ja deinen Sound und damit auch den von Saga nachhaltig verändert. So rockig wie heutzutage hast du auf euren ersten Scheiben noch nicht geklungen, oder?

Ian Crichton: Das stimmt. Als ich das erste Saga-Album einspielte, war ich gerade 20 und hatte keinerlei Studioerfahrung. Mein älterer Bruder Jim hatte diese Erfahrungen bereits. Ich dagegen war noch total grün hinter den Ohren und hörte auf alles, was der Produzent mir sagte. Wenn man sich heute diese Scheiben anhört, erkennt man, dass der Gitarrensound relativ dünn ist und teilweise von den fetten Keyboards überdeckt wird. Als wir dann ,Worlds Apart‘ aufnahmen, hatte ich schon mehr Selbstbewusstsein. Ich sagte: „Halt, einen Augenblick, denkt dran: Ihr habt auch einen Gitarristen in der Band!“ Ich kaufte mir größere Amps, suchte nach kräftigeren Sounds …

… wovon Saga nachweislich profitiert haben.

Ian Crichton: Das sehe ich genauso. Wir fingen als Band eher mit orchestralen Arrangements an und entwickelten uns dann zur Rockband. Daran hatten mein Sound und mein Spiel natürlich einen erheblichen Anteil. Songs wie ,On The Loose‘ wurden große Hits. Mit jedem Album versuchte ich etwas Neues, manchmal waren es schnelle Licks, aber vor allem wollte ich große Melodien kreieren.

Wobei sich dein großartiger Ruf vor allem auf den superschnellen Stakkato-Licks begründet.

Ian Crichton: Ich kann in der Tat sehr schnell spielen, aber ich mag es nicht, wenn man es damit übertreibt. Denn große Gefühle entstehen meist nur durch große Melodien, nicht durch übertriebenen Technik-Showdown.

So spricht ein erfahrener Musiker!

Ian Crichton: Mag sein, aber auch die Naivität der Jugend hat eine wichtige Komponente, um sich weiterzuentwickeln. Als junger Musiker steckst du voller Adrenalin und Visionen, alles ist wie ein Rausch. Wenn man älter wird, verändert man sich, bekommt andere musikalische Vorlieben und profitiert von seinen Erfahrungen. Für uns war es natürlich gar nicht so einfach, sich als Band weiterzuentwickeln, nach all den großen Hits auf den ersten vier, fünf Alben. Aber eine andere Chance hat man als Künstler nicht, wenn man sich nicht permanent wiederholen will. Wenn ich komponiere, mache ich das ohne irgendwelche Schranken im Kopf. Ich schreibe einfach das, was mir selbst gefällt, ohne an die Vergangenheit zu denken, denn sie hat für mich keine Bedeutung mehr.

Das überrascht mich.

Ian Crichton: Es gibt Saga schon so lange, da verliert man irgendwann den Bezug zu den Anfängen. Ich komponiere ohne einen Blick in den Rückspiegel, sondern nur für mich selbst und für diesen Moment. Wenn der Song etwas taugt, okay, dann nehmen wir ihn, wenn nicht, landet er im Mülleimer.

Woran machst du den Unterschied fest?

Ian Crichton: An der Melodie, denn damit erreichst du die Menschen. Hörer brauchen keinen wildgewordenen Gitarristen, der eine Million Töne spielt.

Obwohl du dies könntest.

Ian Crichton: Und es manchmal in meinem Solo-Spot ja auch mache. (grinst) Aber dann ist es der Aufregung geschuldet. Meine Liebe gehört den großen Melodien.

Vielleicht mal auf einem neuen Soloalbum? Aufgrund der Saga-Pause hättest du jetzt ja sogar Zeit dafür.

Ian Crichton: Ich stehe Soloalben relativ skeptisch gegenüber, denn die meisten sind nur eitle, selbstverliebte Projekte, bei denen man ein oder zwei gute Songs findet und der Rest nichts taugt. Jeder Gitarrist scheint so etwas unbedingt machen zu wollen, aber nicht jeder ist so gut wie Jeff Beck, der mit Killer-Melodien nur so um sich wirft. Ich weiß, ich habe selbst bereits ein Soloalbum veröffentlicht, aber meine Meinung dazu hat sich geändert.

Dann vielleicht eine eigene neue Band?

Ian Crichton: Du scheinst Gedanken lesen zu können! In der Tat denke ich darüber nach und schreibe dafür bereits erste Songs. Aber ich brauche einen guten Sänger, denn ich liebe Melodien, kann aber selbst nicht singen.

Das heißt: Du nimmst noch einmal ein großes neues Projekt in Angriff?

Ian Crichton: Ich kann nicht aufhören Musik zu machen, nur weil Saga eine Pause einlegt. Es gab in früheren Zeiten ja auch schon mal Überlegungen, ob ich in einer anderen Band gut aufgehoben wäre. Aber das hat nie funktioniert, weil ich es einfach gewohnt bin, mein eigenes Ding zu machen. Wenn ich beispielsweise bei den Scorpions eingestiegen wäre, hätte ich sicherlich gutes Geld verdient. Aber mit ausgestrecktem Arm nur die fetten Akkorde zu schrammeln hätte mich auf Dauer vermutlich ermüdet. Ich möchte etwas ganz Spezielles kreieren, und dafür braucht man Zeit, Muße und den besonderen Moment. Wenn ich 50 Songs geschrieben habe, ist nur einer darunter, der wirklich ungewöhnliche Qualitäten besitzt. Zu Hause schalte ich mein Studioequipment nie aus, um auch nachts, wenn ich beim Fernsehgucken eine gute Idee habe, sie sofort aufnehmen zu können. Denn außergewöhnliche Ideen brauchen einen ganz besonderen Moment, und den kann man nicht erzwingen.

Danke Ian, für das nette Gespräch, wir freuen uns auf die Saga-Tour im Herbst!

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(erschienen in Gitarre & Bass 09/2017)

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