Jazz-Fusion-R&B-Progressive-Rock-Metal-Bass-Master

Anthony Crawford im Interview

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(Bild: Stephanie Cabral)

Anthony Crawford gehört zu den virtuosesten Bassisten auf diesem Planeten und besticht durch eine enorme stilistische Bandbreite. Er spielte mit Chon, Allan Holdsworth, Justin Timberlake, Jeff Lorber, Dave Weckl, Kirk Whalum, Phil Perry, Glen Jones, und Karen Briggs. In der Prog-Metal-Band Witherfall bildet er zusammen mit dem deutschen Wunder-Schlagzeuger Marco Minnemann eine Traum-Rhythm-Section.

Anlässlich ihres aktuellen Albums ‚Curse Of Autumn‘, trafen wir auf einen sympathischen und humorvollen Interviewpartner.

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interview

Anthony, du bist bei deinem Vater Hubert „H-Bomb“ Crawford aufgewachsen, der ein professioneller Drummer ist und mit James Brown, der Eric Gales Band, Mother’s Finest, den Bar-Kays und vielen andern Künstlern gespielt hat.

Mein Vater hat mir so ziemlich alles gezeigt, was ich heute weiß, und er brachte mich dazu, mit dem Bass anzufangen. Als ich zum ersten Mal einen in die Hand nahm, fragte ich ihn, wie man lernt, den zu spielen. Und sein Rat war einfach. Er sagte mir: „Hör anderen Bassisten genau zu! Versuch, herauszukriegen, was sie machen.“ Und immer, wenn ich nicht weiterkam, fragte ich ihn, und er half mir weiter. Und genauso habe ich spielen gelernt.

Du hast mit zwölf angefangen?

Ja, genau!

Am Anfang hat dich vor allem Rock und Metal fasziniert. Was waren deine Lieblingsbands?

In dieser Zeit habe ich Bands wie Tool, King’s X, Living Colour und natürlich Mother’s Finest angehört. Dann Metallica, Van Halen, also ältere Sachen für jemand, der in den 90er-Jahren groß geworden ist. Später kamen dann Jazz, Gospel und R&B dazu, aber Rock und Metal standen am Anfang.

Als ich dich zum ersten Mal mit Witherfall gehört habe, war ich schon sehr überrascht, denn ich kannte dich eigentlich als Jazz-, Fusion-, Funk- und R&B-Musiker. Du hast aber mit Rock angefangen. Was waren deine ersten Schritte beim Bass-Spielen? Hast du nur übers Gehör gelernt?

Ja, genau! Ich bekam CDs und Tapes, habe mir die angehört und herausgefunden, was die Bassisten so machten. So habe ich gelernt. (lacht)

Hattest du Unterricht?

Nein, keine Minute. Wie ich schon gesagt habe, half mir mein Vater. Wenn er sah, dass ich am Lernen war und nicht wusste, wie ich etwas spielen sollte oder ich etwas falsch spielte, half er mir weiter. Aber ich bin im Grunde lupenreiner Autodidakt ohne eine einzige Stunde Unterricht.

Das ist erstaunlich, weil ich gelesen habe, dass Victor Wootens erste Solo-CD ‚A Show Of Hands‘ (1996) dein Leben auf den Kopf gestellt hat.

Ja, als ich ungefähr 16 oder 17 Jahre alt war, habe ich buchstäblich die komplette CD auswendig gelernt, und das alles nur über das Gehör. (lacht)

Damals gab es kein YouTube und keine Artikel in Magazinen, und du musstest selbst hinter die Geheimnisse seiner ganzen Spieltechniken kommen.

Ja, das war eine spannende Reise, denn er hat ja die ganze CD ohne Overdubs eingespielt. Das habe ich in den Credits gelesen, und ich wusste, dass er einen Viersaiter spielt. Der Deal war, dass ich wirklich rauskriegen wollte, wie man das alles auf diesem Instrument spielen kann, denn vorher wusste ich ja nicht, dass das möglich war. Das hat mir wirklich die Augen geöffnet und über den Prozess des Lernens habe ich auch meine eigene Stimme am Bass gefunden.

Ich stelle mir das echt schwierig vor, die ganzen Techniken wie etwa das Double Thumbing zu dechiffrieren, ohne sie auch sehen zu können.

Als ich die Musik auf dem Album zum ersten Mal hörte, fragte ich mich, wie er das alles macht. Aber ich benutzte meine Ohren, ließ mich darauf ein und analysierte jedes kleinste Detail seines Spiels. Im Rückblick ist das komplett verrückt, aber für mich war das eine abenteuerliche Reise, und beim Entdecken seiner Geheimnisse lernte ich auch unglaublich viel für mich selbst.

Aber später hast du auch Notenlesen gelernt.

Ja, das Notenlesen habe ich mir selbst beigebracht. Ich bin jetzt zwar nicht der allerbeste Notenleser (lacht), aber ich lese gut genug, um meinen Job zu erledigen. Ich habe mir Bücher besorgt, die einen ins Blattspiel einführen.

Du bist auch bekannt geworden als Tour-Bassist in der Band von Allan Holdsworth. Wie kam es dazu?

Das lief über den Schlagzeuger Virgil Donati, in dessen Band ich spielte. Er empfahl mich für Allan, weil der einen Nachfolger für Jimmy Haslip suchte. Ich habe Jimmy Haslip vor vielen Jahren kennengelernt, er ist ein sehr netter Kerl, und ich war immer ein Fan von ihm, schon damals, als er mit den Yellowjackets spielte. Die habe ich rauf und runter gehört. Bevor ich den Job bekam, habe ich schon einmal bei Allan auf einer Tour in Indien ausgeholfen.

In Allans Bands spielten unglaubliche Bassisten wie Jeff Berlin, Jimmy Johnson, Skúli Sverrisson, Dave Carpenter oder Evan Marien. Hast du einen Favoriten?

Einer meiner absoluten Lieblingsbassisten ist Gary Willis, und die wenigsten Leute wissen, dass er auch ein wenig mit Allan gespielt hat. Jimmy Johnson ist natürlich der „O.G.“ (Original Gangster) aller Holdsworth-Bassisten. Jimmy ist ein unglaublicher Bassist, ich habe ihn ein paar Mal getroffen und mit ihm gearbeitet, er ist sehr nett und immer super entspannt und cool.

Allan-Holdworth-Kompositionen sind ja nun nicht die allereinfachsten Stücke … wie hast du dir diese zu Eigen gemacht. Sheets gab es ja bestimmt nicht.

Allans Musik fiel mir ziemlich leicht, ich habe dir ja schon vorher gesagt, dass ich mich immer auf mein Gehör verlasse. Und ich war verrückt genug, einige seiner Soli zu transkribieren und zu lernen, lange, bevor ich dann mit ihm gespielt habe. So war ich also gut vorbereitet.

Wenn du etwas transkribierst, notierst du, was du herausgehört hast?

Nein, Transkriptionen spielen sich nur in meinem Kopf ab, und dann spiele ich, was ich gelernt habe. (lacht)

In einem Interview hast du gesagt, dass du an deinen Schwächen arbeitest, wenn du übst. Und Harmonik und Improvisation sind der Bereich, in den du die meiste Übezeit investierst. Hast du Methoden, die du anwendest, wenn es zum Beispiel darum geht, über Coltranes ‚Giant Steps‘ zu improvisieren?

Es mag verrückt klingen, viele Leute sagen, mein Umgang mit Harmonik und Changes sei gut, ihnen gefällt, dass ich melodisch spiele. Für mich ist das aber immer noch eine große Herausforderung. Manche fühlen sich wohl, wenn sie sich in bestimmten Fingersätzen und Patterns bewegen. Für mich ist das Resultat dann aber nicht so melodisch. Wenn ich improvisiere, versuche ich eher, wie ein Sänger zu denken. Aber dann geht es weniger um einstudierte Bewegungsabläufe und viel mehr darum, zu hören, wie ein Ton über einem Akkord klingt.

Du musst im Voraus hören, wo deine Melodie hinwill. Jeff Berlin und Gary Willis, die ich bewundere, sind Meister in dieser Disziplin. Mein Rat hier ist: Lerne ein Harmonieinstrument wie das Piano, höre Gitarristen und Sängern zu. Höre zu, wie sie ihre Akkord-Voicings gestalten, wie sie sich melodisch in bestimmten Akkord-Folgen bewegen.

Witherfall (Bild: Stephanie Cabral)

Kommen wir zu deiner Band Witherfall. Du hast ja schon die Debüt-CD ‚Nocturnes and Requiems‘ (2017) eingespielt. Da hast du die Songs noch ohne Vocals, nur mit Gitarren und Schlagzeug bekommen und dann dazu deine Bass-Parts entwickelt und eingespielt.

Ja, das stimmt! Ich habe mich wieder auf mein Gehör verlassen, wie immer, und auch hier kamen mir all die Erfahrungen zugute, die ich in meinem musikalischen Leben schon gemacht habe.

Du hast alle Bass-Parts bei dir zuhause eingespielt?

Ja, bei der ersten CD lief das genauso.

Wie läuft dein Signal in den Computer?

Meine Signal-Kette ist ziemlich einfach. Ich achte darauf, dass mein Signal sauber ist, bevor ich es über das Universal-Audio-Apollo-Twin-Audio-Interface in den Mac schicke. An Plug-Ins benutze ich z. B. die Neve 1073 Preamp and EQ Collection. Ich halte alles so einfach wie möglich.

Auf dem neuen Witherfall-Album ‚Curse of Autumn‘ ist auch eine akustische Coverversion des Boston-Hits ‚Long Time‘ zu hören. Kanntest du vorher das Original aus dem Jahr 1976?

Ja, bevor wir den Song eingespielt haben, hatte ich ihn schon mal gehört.

Anthony Crawford beim Konzert mit Witherfall (Bild: Hans Schoo)

Wenn es um das Arrangieren der Witherfall-Songs geht, bist du in diesen Prozess involviert? Bei ‚Long Time‘ z. B. wurde aus einem straighten Rocksong eine Ballade im Half Time Feel.

Jake (Dreyer, Gitarre) und Joseph (Michael, Gesang, Keyboards) arrangieren meistens die Songs. Ich habe ein Mitspracherecht, was den Bass angeht und bringe kleine Ideen ein. Aber wenn wir ins Studio gehen, liebt es Jake, wenn ich seine Riffs unisono mitspiele. Ich achte aber darauf, dass trotzdem das Fundament der Songs nicht vernachlässigt wird.

Dafür sorgt auch dein Tuning!

Ja, seit ich 16 war, stimme ich all meine Bässe auf A, das Tuning für meine Sechssaiter ist also: A D G C F Bb.

Dann lass uns über dein Hauptinstrument reden, einen wunderschönen Roscoe-Sechssaiter, den du fast immer spielst. Wurde der extra für dich gebaut?

Nein, zu dem Bass gibt es eine lustige Geschichte: Vor vielen Jahren brachte ein Freund das Instrument zu mir nach Hause, er hatte es gekauft und wollte es mir zeigen. Ich habe den Bass gespielt und wollte ihn ihm sofort abkaufen, aber er wollte ihn nicht hergeben. Das war 2008. Ich habe ihn dann zwei Stunden am Stück gespielt, und am Ende willigte er ein und verkaufte mir das Teil. Seither ist der Roscoe mein Hauptinstrument, das wertvollste, was ich besitze.

Wie stellst du deine Saitenlage ein?

Superflach! Ich bekam meinen Roscoe-Bass 2008, und seither wurde noch nie ein neues Setup gemacht. (lacht) Das muss ich dringend machen lassen.

In einem älteren Video mit Allan Holdsworth hast du Ibanez-Promethean-Amps gespielt.

Ja, aber die werden nicht mehr hergestellt, heute spiele ich Trickfish-Amps und -Cabinets.

Du benutzt Fret-Wraps. Sag doch mal, warum?

Ich habe die Dinger schon benutzt, bevor es Fret Wraps überhaupt zu kaufen gab. Victor Wooten hat mich darauf gebracht. Der benutzte früher Haarbänder. Und weil er so viel Tapping und Thumping einsetzt, fangen da oft ungewollt Saiten an zu schwingen, die gar nicht gespielt werden, und das lässt sich mit den Fret Wraps unterbinden.

Viele junge Bassisten werden heute schier erschlagen von einer Flut von YouTube-Videos, in denen unzählige Anbieter die ultimative Methode anbieten, auf kürzestem Weg ein Super-Profi zu werden. Weißt du einen Ausweg aus diesem Chaos?

Du hast recht, das ist wirklich ein Labyrinth. Es kommt immer darauf an, wo du hinwillst als Bassist. Mein Rat ist: Wenn du am Anfang stehst, halte es einfach! Lerne zuerst das Griffbrett, die Notennamen auf jedem Bund jeder Saite. Lerne dann die Tonleitern und Modes und Arpeggien, wirklich nur die Basics. Höre dann deinen Lieblingsbassisten zu und studiere sie bis ins kleinste Detail. Höre ihre Platten und schau die Videos an. So werden deine Favoriten zu deinen ganz persönlichen Lehrern. Stürze dich nicht gleich auf die ultraschnellen Sachen, denn dann würden dir die Basics fehlen. Viele Videos sind spektakulär und unterhaltend, lenken dich aber ab vom Wesentlichen. Also, lerne die Basics und steige dann Sprosse für Sprosse die Leiter nach oben.

(erschienen in Gitarre & Bass 09/2021)

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