Der Firmengründer im Interview

Electro Harmonix – Ein Tag bei Mike Matthews

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Mike Matthews (Bild: Thomas Berg)

Hinter der Effektschmiede Electro-Harmonix steht Firmengründer Mike Matthews, Jahrgang 1941, Universaltalent, Business-Legende und geschäftstüchtig wie ein junger Turnschuh. Das ständig wachsende EHX-Sortiment mit über 160 Pedalen demonstriert anschaulich, wie Matthews seit einem halben Jahrhundert Geräte entwickelt, die die Effektwelt tat­sächlich bereichern – mit sehr viel Ton fürs Geld.

Als ich morgens um 8 Uhr bei Electro-Harmonix in Long Island City, einem Stadtteil von New York, aufkreuze, ist von der ersten Minute an Rock’n’Roll in der Luft. Das unschein­bare, nahe am East River gelegene Gebäude weist außer einer Hausnummer keinerlei Identifizierung auf. Ich gehe durch die Eingangstür in einen leeren, dunklen Flur, steige in den Aufzug, und drücke irgendeine Etage auf der Suche nach einem Empfang oder ähnlichem. Als ich aussteige, schallt mir lauter, Gitarrensolo-lastiger 70er-Rock entgegen. Magnetisch angezogen folge ich der Musik zu einem offenen Büro, in dem links hinter dem Schreibtisch der Chef persönlich sitzt.

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Mit einer nicht angezündeten Zigarre im Mund tippt Mike Matthews gerade vertieft auf seiner Computertas­tatur, als ich an die offene Tür klopfe. Nach einem Blick auf seinen Wandkalender kann er mich glücklicherweise schnell einordnen, so dass ich nicht gleich wieder rausgeschmissen werde. Es folgt eine beeindruckende Führung durch die großen Fabrikhallen mit Marketing-Mitarbeiter Kevin Jolly, sowie ein spannendes Interview mit dem Boss.

In der großen Arbeitshalle gibt es verschiedenste Arbeitsplätze für Lötarbeiten, Zusammenbau, Kalibrierung usw. Hinten links in der weißen Kabine durchlaufen alle Pedale den finalen Funktionstest …
… bei Tom Burda. Vor ihm eine Palette brandneuer Ram's Head Big Muffs Pi, Reissues des gesuchten Originals von 1973, die er alle einzeln auf ihre Funktion überprüft.

Mike, kannst du uns ein wenig zu deiner frühen musikalischen Sozialisation erzählen? Was muss man machen, um, so wie du, mit Mitte 20 solch eine Firma gründen zu können.

Eigentlich war ich schon als Kind im Business. Meine Mutter gab mir Klavierunterricht als ich sechs Jahre alt war. Nach ein paar Jahren brachte sie mich zu einem professionellen, klassischen Klavierlehrer. In der Schule gab es dann diese jährlichen Konzerte, bei denen ich von der 1. bis zur 3. Klasse vorspielte. In der 4. Klasse war ich dann aber ein sehr wildes Kind, ich kletterte die Wände hoch, deshalb schlossen die Lehrer mich zur Strafe vom Konzert aus. Ich sagte mir „die kön­nen mich mal“ und hörte auf zu spielen. In den späten 50ern kam der Rock’n’Roll auf, und ich fing wieder an zu spielen, diesmal Keyboard. Ich war an der Cornell University, Ithaka, NY, wo ich später meinen Abschluss als Elektroingenieur und meinen Master in Wirtschaft machte.

Mit diesem im eigenen Haus gebauten Unikat werden die Röhren aus Mikes russischer Röhrenproduktion als Duos, Quartetts oder Sextetts gematched ...
… nachdem sie 24h im Dauertest absolviert haben. Mike erkannte schon in den 80ern, dass trotz Transistortechnik und der Verdrängung der Röhre immer ein Markt für Röhren für Gitarrenverstärker bleiben würde, und kaufte sich eine Röhrenfabrik in der damaligen Sowjetunion.

Während der Uni-Zeit sah ich eine schwarze Band namens The Sawyer Boys. Sie hatten keinen Bass, aber sie stimmten von E nach C runter, und sie waren richtig funky. Von da an entwickelte ich meinen Stil in diese Richtung und wurde ein richtig guter Spieler. Ich gründete schließlich eine eigene Band namens The Dynamos, eine tighte R&B-Band, ähnlich wie Wilson Pickett oder Rufus Thomas, und wir spielten an allen Colleges.

 

Rosa ist für den Parallel Mixer zuständig: Sie verlötet Komponenten und baut dann das Gerät zusammen. (Bild: Thomas Berg)

Abgesehen von deinem musikalischen Talent warst du aber auch noch anderweitig in die hiesige Musik-Szene involviert, oder?

Ja, ich promotete Rock’n’Roll-Bands, The Birds, The Young Rascals, The Turtles, The Coasters, The Drifters, The Isley Brothers und Chuck Berry (Anm. d. Red.: bei den meisten, wie auch bei Chuck Berry, half er immer wieder als Live-Keyboarder aus, da viele Bands aus Kostengründen in kleinen Besetzungen tourten. Die Isley Brothers boten ihm sogar einen festen Platz in ihrer Band an, was er aber ablehnte). In den großen Clubs auf Long Island war es damals so: Im Winter waren sie rammelvoll, im Sommer aber leer, weil alle zum Strand gingen. Also machte ich mit den Clubs Deals, dass ich am Eingang Eintritt kassierte und dafür sorgte, dass Gäste kamen und die Bar füllten. Einmal buchte ich Chuck Berry für 1.000 Dollar für zwei Abende.

Eine Woche vor dem ersten Gig rief mich Chucks Agent an: „Mike, du musst mir einen Gefallen tun. Ich muss Chuck Berry leider absagen, aber ich habe da eine groß­artige Band und ich gebe sie dir für drei Abende für 600 Bucks. Die sind wirklich gut, sie haben einen Typen, der spielt mit den Zäh­nen!“. Ich sagte: „Bob, die Leute kommen, um Chuck Berry zu sehen, ich muss dir diese 600 Dollar für nichts zahlen, nicht für eine unbekannte Band.“ Er sagte: „Bitte, Mike, tue mir diesen Gefallen, ich gebe dir die Band für 500 für drei Nächte“. Wie sich herausstellte war der Gitarrist wirklich ein Publikumsmagnet, er nannte sich noch Jimmy James, bevor er dann als Jimi Hendrix bekannt wurde. Mit der Zeit spielte er für immer mehr Bands, und wir trafen uns öfter und begannen uns anzufreunden.

Nach der Uni war mein erster Job 1965 bei IBM, damals die mächtigste Firma der Welt. Alle ein bis zwei Wochen während der Mittagspause trafen Jimi und ich uns in seinem winzigen Hotelzimmer, wo er mit seinen pinken Lockenwicklern saß, und dann machten wir „Band-Talk“, quatschten über Drummer und Bassisten etc. Der Bandleader seiner Haupt-Band war Curtis Knight, ein Gangster, ein Zuhälter, er hatte einige Prostituierte in Manhattan. Das letzte Mal, als ich ihn mit dieser Band spielen sah, saß er in der Pause mit mir zusammen und sagte, er wolle die Band verlassen und der Frontmann seiner eigenen Band sein.

Ich meinte zu ihm „Jimi, wenn du Frontmann sein willst, dann musst du auch singen!“ Er meinte: „Das ist das Problem, ich kann nicht singen!“ Ich sagte: „Du musst einfach üben, aber vor allem, schaue dir Sänger wie Mick Jagger oder Bob Dylan an, die können auch nicht singen, aber sie phrasieren großartig, und die Leute lieben sie.“ Ich glaube, als er dann nach England ging, half ihm das, diese Hürde zu überwinden und zu singen. Und als er in die USA zurück­kehrte und viele verschiedene Aufnahme-Sessions machte, rief er mich immer an und lud mich ein vorbeizukommen.

Der Nano Operation Overlord, einer von knapp 50 Zerrern im Programm.

Und wann kamen dann die Effektgeräte ins Spiel?

Als ich bei IBM war, hatte ich Hummeln im Hintern und wollte unbe­dingt wieder spielen. Aber zu der Zeit war ich verheiratet, und meine Frau war eher konservativ, weshalb ich schnell ein bisschen Geld machen wollte, damit sie sich sicherer fühlte, während ich es mit der Musik versuchte. Und zu dieser Zeit war der Nummer-1-Welt-Hit ,Satisfaction‘, und alle Gitarristen wollten den Fuzz-Tone von Keith Richards, aber Maestro konnte ihn nicht schnell genug bauen.

Bill Berko, ein Freund von mir, der einen Service-Shop auf der 48. Straße hatte – alle Musik-Läden waren damals auf der 48. in Manhattan – baute einzelne Fuzz-Pedale Stück für Stück in Handarbeit. Er fragte mich, ob ich nicht helfen könnte. Aber schon bald tat er gar nichts mehr und ich musste alles alleine machen. Ich fand einen Vertrags­partner in Long Island City, der sie baute, und jede Woche holte ich 200 bis 300 Pedale dort ab. Der Mitgründer von Guild Guitars, Al Dronge, hörte davon und kaufte alle, die ich bauen ließ.

Weil Hendrix gerade so groß war, entschied er sich, sie Foxey Lady zu nennen. Das war 1967/68, und so brachte ich neben meiner Arbeit bei IBM alle paar Wochen eine große Ladung zu ihrem Lagerhaus nach Hoboken, New Jersey, und sie stellten mir einen Scheck aus.

Und bald hattest du dann genügend Startkapital, um Electro-Harmonix zu gründen …

Ja. Jeder wollte so klingen wie Hendrix mit dem langen Sustain, und ich wollte schließlich mit einer eigenen Firma mein eigenes Pedal für diesen Sound bauen. Ich schloss mich mit einem brillanten Erfinder von Bell Laboratories namens Bob Myer zusammen, der für mich einen Sustainer designen wollte. Wenn ein Ton aus­klingt, ist es einfach das Sustain zu verlängern, so dass der Ton bleibt und bleibt. Das Problem ist, wenn du dann einen neuen Ton anschlägst, kriegst du diese Klicks und Pops, und das loszuwerden war die Herausforderung an der Sache.

Ich kam zu ihm um einen Sustainer-Prototypen zu testen, und da war eine kleine Kiste vor den Prototypen gestöpselt. Ich fragte „Bob, was ist das?“ Und er meinte: „Ich wusste nicht, dass eine Gitarre so einen niedrigen Output hat, darum habe ich diese Box gebaut um das Signal zu verstärken.“ Damals, 1968, waren alle Amps überdimensioniert, du konntest sie auf 10 drehen, und sie würden nicht verzerren. Aber das Gerät von Bob machte den Amp viel lauter und er wurde zum Zerren gebracht. Das war schließlich der erste Booster für Distortion-Sound, ich nannte ihn LPB-1 (Linear Power Booster). Das war mein erstes Electro-Harmonix-Produkt, das ich ab Oktober 1968 verkaufte. Der Big Muff kam dann Ende 1969.

Der seit 50 Jahren fast unveränderte LPB1 Booster zwischen einigen Verzögerungseffekte. Heute eines der simpleren EHX-Pedale, damals ein Game-Changer für den ersten richtigen Overdrive/Distortion-Sound.

Und beide kann man heute, 50 Jahre später, immer noch kaufen!

Ja, vom LPB-1 verkaufen wir immer noch einige Hundert pro Monat, vom Big Muff in allen unterschiedlichen Varianten rund 4000 pro Monat. Gerade gestern (15. Oktober 2019) haben wir den Ram‘s Head Big Muff als Reissue herausgebracht, die Variante, die auch David Gilmour spielt.

 

Die Kopie eines Schecks von Santana für ein Big Muff von 1971.

Aber abgesehen vom Big Muff, sind wir, denke ich, eine der innovativsten Effektfirmen. Wir machen manche Effekte, die niemand sonst hat. Wie z.B. unsere 9er-Serie. Damit kann man eine Gitarre polyphon spielen. Mit einem B9 klingt die Gitarre wie eine Orgel, oder mit dem Mel9 wie ein Melotron. Neu ist der Bass9, welcher dir mit der Gitarre verschiedene Bass-Sounds ermöglicht, Precision Bass, Synth Bass usw. Viele junge Bands haben gute Gitarristen, aber können keinen vernünftigen Bassisten finden, und so kann man sich mit einem Bass9 als Gitarrist in einen Bass-Amp stöpseln und die Band komplettieren. Auch interessant ist unser POG (Polyphone Octave Generator). Bis jetzt ist keiner in der Lage unsere speziellen Algorithmen zu kopieren.

Eine Firma hat es ja wohl mal versucht…

Ja, eine Firma in China namens Mooer kam mit einem Pedal raus, das angeblich so klang wie unser Micro POG und noch ein anderes unserer Pedale. Wir kauften eins und es klang tatsächlich identisch. Wir schauten in die Software, und sie hatten unsere Software einfach kopiert. Wenn man ein digitales Pedal designt, schreibt man in einer höheren Programmiersprache, und wenn es im Pedal gespeichert wird, nimmt man eine kompilierte Version.

Mooer hatten unsere kompilierte Version 1:1 kopiert, aber ihre Dummheit war, dass sie die von uns eingebaute Copyright-Info mit kopiert hatten. Wir verklagten sie in China vor einem chinesischen Gericht, und das ist schon etwas Besonderes, da Kopieren sozusagen ein Teil ihrer Kultur ist. Wir gewannen, und sie mussten uns eine fast sechsstellige Strafzahlung zahlen.

Schön, dass ihr diesen digitalen Diebstahl aufdecken konntet. Eine erfreuliche Warnung an alle, die es immer wieder wagen geistiges Eigentum zu missbrauchen. Mike, vielen Dank für dieses Gespräch und deine genialen Effekte!

(erschienen in Gitarre & Bass 05/2020)

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