05/2021

Die Platten des Monats: Rock & Metal

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CATAPULTS: I’LL BE HONEST

Während sich der Großteil ihrer Genre-Kollegen weiterhin mit persönlicher Selbstreflexion und zwischenmenschlichen Komplikationen rumschlägt, wagen die Emo-Punks Catapults eine radikale thematische Neuerfindung ihres Stils, indem sie ihr Narrativ in Richtung Nachhaltigkeit und Upcycling umschreiben.

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So ist ,I’ll Be Honest‘ nicht nur ein absolut mitreißendes Gitarren-Album mit wunderbar frischem Skate-Einschlag. Ihre durchaus aufpeitschenden Songs zwischen der Eingängigkeit von Spanish Love Songs und dem unbändigen Optimismus von The Wonder Years spielen die Oldenburger dazu noch auf aus alten Skateboards gebauten Gitarren – so zu sehen und zu hören im Musikvideo zur Leadsingle ,If You Don’t Matter, Nothing Does‘.

Der an Volbeat erinnernde, manchmal leicht pathetische Gesang bereichert Catapults angenehm unkonformistische Herangehensweise an ihren Stil. ,I’ll Be Honest‘ bietet natürlich dennoch gut gelaunten und perfekt produzierten College-Rock sowie genau die Pop-Punk-Melancholie und deren sonniges Lebensgefühl, die man sonst von US-amerikanischen Bands kennt – nur diesmal in der niedersächsischen Version. jk

 


Die Musik aus den Rezensionen sowie unseren Stories findet ihr in unserer Spotify-Playlist. Die Playlist wird jeden Monat aktualisiert, mit den Inhalten der neuesten Ausgabe. Ihr könnt dieser Playlist gerne folgen, um regelmäßig neue Musik zu entdecken. Viel Spaß beim Anhören!

www.gitarrebass.de/spotify


STEVE CROPPER: FIRE IT UP

US-Gitarrist Steve Cropper spielte in den 60ern mit den Mar-Keys und Booker T. & the M.G.‘s, die mit ,Green Onions‘ einen dicken Hit hatten und schließlich als Haus-Band des Labels Stax an großen Soul-Aufnahmen beteiligt waren. Cropper selbst war als Co-Songwriter an Klassikern wie ,(Sittin’ On) The Dock Of The Bay‘, ,Knock On Wood‘ und ,In The Midnight Hour‘ beteiligt. In den 70ern produzierte und spielte er u.a. für Jeff Beck, José Feliciano und Tower Of Power. Schließlich stieg er bei der originalen Blues Brothers Band ein, der gleichnamige Film ist heute Kult.

Kult ist unter Musikern auch Croppers knackiger Anschlag, der beim Hören des neuen Albums sofort präsent ist. Mit ihm befeuert er klassische Soul-Grooves von Drums, Bass, Hammond-Orgel, Piano und Bläsern. Der satte Gesang kommt von Roger C. Reale. Steve würzt die Songs mit tollen Fills und Soli, wobei sein Sound im Vergleich zu den 60ern heute insgesamt fetter ist, was wohl den zwei Humbuckern seiner Peavey Cropper Signature zu verdanken ist. Diese zeitlose Musik pendelt zwischen Funk-Instrumentals, Blues und schönen Balladen. Das passt zum sonnigen Frühlingswetter. am

 

THE DUST CODA: MOJO SKYLINE

Sie kommen aus London, zelebrieren traditionellen Rock und gelten als Englands next big hope: The Dust Coda sind quasi das europäische Pendant zu den Amerikanern Goodbye June und werden zu Recht als überzeugende Nachfolger von Led Zeppelin oder Guns N’Roses gehandelt. Auf ‚Mojo Skyline‘ zeigen sich bereits zum zweiten Mal die größten Trümpfe dieser leidenschaftlich rockenden Band: Gitarrist Adam Mackie schreibt die wohl aufregendsten Songs seit Thunder, und Sänger John Dreake hat wahres Gold in der Kehle.

Eine unschlagbare Kombination, mit der The Dust Coda auch ihr neues Album zum Leuchten bringen. Dabei scheinen die Zutaten dieses Erfolgsrezeptes nur allzu offensichtlich und kein Hexenwerk zu sein: Eine einprägsame Hook zu Beginn, eine bewusst simpel gehaltene Strophe und ein Refrain, der sich bereits beim zweiten Durchlauf mühelos mitträllern lässt. Was soll ich sagen? Ich bin begeistert, wie schon vor wenigen Monaten auch von Goodbye Junes zweitem Album ‚Community Inn‘. Beide Alben sollte/muss man als Rockfan gehört haben! mm

 

TIGERS JAW: I WON’T CARE HOW YOU REMEMBER ME

Nachdem sich die US-Amerikaner Ende der 2000er mit kratzigem Emo-Charme direkt einen Platz in den Herzen der modernen Pop-Punk-Hörerschaft erspielen konnten, folgte ein Phase, in der die Band nur noch aus Ben Walsh und Brianna Collins bestand. Das neue Album enstand mit zwei neuen Mitgliedern als Kollektiv, kehrt jedoch stilistisch oft zu ihrer so geliebten Rohheit zwischen Indie, Emo und Garage zurück.

Anders als beim gelungenen Vorgänger ,Spin‘ sticht auf diesem Album kein Track besonders heraus – was zum Glück nichts Schlechtes bedeutet. Denn während der Titelsong einfach und melancholisch gehalten ist, zeigen Tigers Jaw mit dem an Shoegaze und Post-Punk erinnernden ,Lemon Mouth‘ die stilistische Bandbreite, auf der sie ihre charakteristischen melodramatischen Stimmungen ausbreiten. ,Cat’s Cradle‘ besticht durch Ohrwurm-Melodien und wunderbar ungestimmte Synthies, während das zurückgelehnte ,Never Wanted To‘ auch von ,Spin‘ stammen könnte. „And I wanted to leave here“, singen sie – das mag Tigers Jaw nicht gelungen sein, eine Bereicherung für das noch junge Pop-Punk-Jahr dafür umso mehr. jk

 

CITIZEN: LIFE IN YOUR GLASS WORLD

Was macht der Emo, wenn sogar der neue und populärere Ableger aus dem US-Rap immer mehr an Interesse einbüßt? Einen großen Schritt Richtung Indie, wenn es nach Citizen geht. Die US-Amerikaner haben mit ihren drei Alben und vor allem dem Debüt ,Youth‘ von 2013 Standardwerke für den Emo der 2010er vorgelegt.

Ihre erste Platte im neuen Jahrzehnt schlägt jedoch in eine andere Kerbe. So könnten die HiHat-Offbeats und das kopfnickende Octaver-Riff des Openers auch als Intro für eine Mando-Diao-Platte herhalten, während das verträumte ,Thin Air‘ den klassischen melancholischen Wohlfühlfaktor ihrer Anfangstage zelebriert. ,Call Your Bluff‘ vereint diese beiden Welten aber gelungen als zurückgelehnten Midtempo-Indie und dem charakteristischen Pop-Punk-Einschlag der Band. Wirkliche Hits gibt es diesmal zwar nicht, ,Life In Your Glass World‘ reiht sich aber in die Reihe der Szene-Alben ein, die ihren hohen Erwartungen standhalten konnten. jk

 

AZIOLA CRY: THE IRONIC DIVIDE

Gut Ding will Weile haben. Oder, wie im Falle von Aziola Cry: fast vierzehn Jahre. So lange liegt das letzte Studioalbum der instrumentalen Prog-Rock-Band zurück. Glücklicherweise bedeutet das keine Stagnation, im Gegenteil: ,The Ironic Divide‘ ist mit seinem auf Jason Blakes Spiel auf der Warr Guitar (ähnlich einem Chapman Stick) basierenden Soundbild, den experimentellen Strukturen und der innovativen Herangehensweise eines der bisher stärksten Instrumental-Alben des Jahres.

,Hollow Reflections‘ etwa nimmt sich viel Zeit, seine mysteriösen Gitarrenlinien auszubauen, nur um in der zweiten Hälfte im polyryhthmischen Lick-Chaos völlig unter dem eigenen kompositorischen Gewicht zusammenzubrechen. Der über 21-minütige Titeltrack mit seinen vier Parts bringt gleich zu Anfang die Essenz von ,The Ironic Divide‘ auf den Punkt: Progressivismus ohne Hang zum Kitsch vereint sich hier mit lupenreinen Headbanger-Riffs im Stile von Motörhead und vereint so das Beste aus beiden Welten.

Das abschließende ,Scars Now Rest Where Once Bore Wings‘ verstört dagegen nicht nur mit seinem eindringlichen Synthesizer-Intro, sondern vor allem dem grimmigen Riff im 11/4-Takt, das wie viele andere Momente des Albums an Tool erinnert. Und obwohl wir auf deren vergangenes Album ‚Fear Inoculum‘ nur läppische 13 Jahre warten mussten, hat es sich bei den in Chicago ansässigen Aziola Cry ganz genauso lohnt. jk

 

MARTY FRIEDMAN: TOKYO JUKEBOX 3

Marty Friedman ist schon lange „Big in Japan“, wie alle wissen. Als Mitglied von Cacophony mit Jason Becker und als Solokünstler galt er schon vor 35 Jahren als Shredder-Meister vor dem Herrn, später als Mitglied der Thrash-Metaller Megadeth als beinharter Riff- und Hook-Lieferant, so wie ihn die Fans besonders in Fernost lieben.

Vor 18 Jahren emigrierte Friedman nach Tokio – wohl auch der Liebe wegen, wird vermutet – und hat das Land der aufgehenden Sonne als seine persönliche und künstlerische Heimat adaptiert, inklusive vollkommener Identifizierung mit deren musikalischen Eigenarten. Das gipfelte in bislang mehr als 700 japanischen Fernsehsendungen, zu denen der 58-Jährige eingeladen wurde, sowie in der ehrenvollen Ernennung zum Botschafter des japanischen Kulturerbes durch die Regierung des Landes.

Logisch also, dass sein neues Soloalbum ‚Tokyo Jukebox 3‘ starke Züge der dortigen Musikgeschichte trägt und nach 2009 bzw. 2011 bereits das dritte Friedman-Werk mit Cover-Versionen von ausschließlich japanischen Musikstücken ist. Grundlage der Songs sind asiatische Melodiebögen, aber natürlich bürstet Friedman sie gen Shredder-Metal, mit virtuosen Soli und rhythmischer Wucht. Elf Tracks lang lässt der Meister bevorzugt seine Axt sprechen, bei einer weiteren Nummer (‚The Perfect World‘) gibt es ausnahmsweise auch Gesang, und zwar von der J-Pop-Sängerin Alfakyun. Fazit: eigenwillig, mitunter ein wenig anstrengend, aber handwerklich tadellos gespielt! mm

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