Im Interview

Die Ärzte: Jukebox? Nein danke!

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(Bild: Jörg Steinmetz)

Geschlagene acht Jahre sind vergangen, seit Die Ärzte ihr letztes Studioalbum unter das dürstende Fan-Volk gebracht haben. Mit ‚Hell‘ steht nun endlich Nachschub im Plattenregal. Rodrigo González, im Hauptberuf Bassist des Trios, ließ uns im Interview an der nicht unkomplizierten Entstehung des neuen Werks teilhaben.


interview

Rod, nach langer Pause bringen Die Ärzte eine neue Platte auf den Markt, die von vielen Fans befürchtete Trennung ist ausgeblieben. Überspringen wir die ersten Jahre der Pause und starten mit den Gigs der ‚Miles & More‘­ Tour 2019, die euch zwei Wochen quer durch Europa führte – und den Grundstein für ‚Hell‘ legte.

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Das hat riesigen Spaß gemacht. Wir haben gemerkt: Wenn sich alle zusammenreißen und kollegial denken, ist das eine super Sache. Aus dieser Euphorie heraus kam die Idee für eine Tour Ende 2020. Doch bevor wir das machen, sollte es neue Songs geben. Einfach nur auf Tour zu gehen und das alte Repertoire zu verwalten, quasi wie eine Jukebox nur die Hits abzuspulen, das war uns zu dröge und würde auch dem Mythos Ärzte nicht gerecht.

Hat das eure Kreativität beflügelt?

Farin hatte da schon 24 Lieder geschrieben. Bela und ich standen also ganz schön unter Zugzwang. Am Ende hatten wir rund 45 Songs. Der Studiotermin war für Oktober 2019 angepeilt, damit wir relativ unbeschwert und ohne Zeitdruck arbeiten können. Für die Aufnahmen sind wir einen ganzen Monat lang ins Clouds Hill Studio in Hamburg gegangen. Da wir jedoch wissen, wie sehr uns dieses Studio/ Promo/Tour-Hamsterrad stresst, haben wir die Produktion in zwei Hälften geteilt. Wir wollten zunächst schauen, wie weit wir kommen und dann ein halbes Jahr später noch mal für einen Monat ins Studio gehen und die Sachen fertigmachen. Das hatten wir vorher noch nie gemacht, sondern haben eigentlich immer nur durchgearbeitet.

Doch dann kam Corona dazwischen.

So ist es. Direkt in der zweiten Lockdown-Woche war klar: Okay, so geht das erst mal nicht. Wie machen wir das jetzt? Wie stehen wir dazu? Können wir unter Lockdown-Bedingungen arbeiten? Ursprünglich war geplant, den zweiten Teil der Produktion in Berlin zu machen, aber da hatte keiner so richtig Bock drauf. Keiner von uns wusste, wie sich die Situation entwickeln würde und ob man sich dann überhaupt noch in der Stadt bewegen kann. Wir brauchten also einen Ort, wo wir uns einschließen und völlig autark arbeiten und leben konnten, ohne dass man sich großartig hin- und herbewegen muss.

Daher haben wir beschlossen, die zweite Rutsche ebenfalls im Clouds Hill zu machen. Das Studio liegt relativ abgelegen und es hat Musikerwohnungen. Oben ist die Produktion. Man muss das Haus theoretisch nicht mal verlassen und kann dort unter Quarantäne-Bedingungen arbeiten. Deswegen haben wir alles noch mal um vier Wochen verschoben und die zweite Hälfte der Sessions dann Ende April/Anfang Mai gemacht.

Abgesehen von der Lage und den Räumlichkeiten – was ist am Clouds Hill besonders?

Der Betreiber Johann Scheerer hat unglaublich viel Geld in die Hand genommen und jede Menge Vintage-Kram dort zusammengetragen. Neben einer Neve-Konsole findest du dort Fairchild-Kompressoren, alte Band-Delays, Preamps, jede Menge Mikrofone und alles Mögliche mehr. Das ist quasi eine riesige Sammlung von altem, funktionierendem Sperrmüll – eine Spielwiese für Leute, die alten Scheiß benutzen wollen. Diese Auswahl ist so over the top, dass sie dich eigentlich fast wieder blockiert – und man am Ende dann doch sagt: Ich benutze lieber mein Mikrofon, denn das kenne ich.

Das Erstaunliche dabei ist, dass alles funktioniert. Es gibt einige Studios, die viel Zeug haben. Davon läuft dann aber nur die Hälfte, weil die Wartung so teuer ist. Im Clouds Hill funktioniert alles. Das ist wie bei einem Kind im Süßwarenladen. Du bist so erschlagen von der Auswahl, dass du dich dann doch wieder für die Gummibärchen entscheidest – obwohl du 300.000 Schokoladensorten hättest probieren können. (lacht)

(Bild: Jörg Steinmetz)

Wie viele von den 45 Songs habt ihr aufgenommen?

Auf dem Album sind, wenn ich das richtig auf dem Schirm habe, 18 Nummern. Aufgenommen und fertig gemacht haben wir jedoch weit über 30. Wir hätten also genug Material für B-Seiten oder um einfach so noch Lieder rauszuhauen. Aufgrund der ausgefallenen Tour, verschiebt sich ja alles noch mal um ein Jahr. Wir haben also theoretisch genug Material, um das nächste Jahr mit Releases zu überbrücken.

Wie schwer ist es für dich nach so vielen Jahren mit den Ärzten, wenn es deine Songs nicht auf das Album schaffen?

Ich bin da relativ egofrei. Grundsätzlich muss ein Song aufs Album passen. Da müssen Egos einfach zurückstehen. Die Lieder müssen der Platte eine bestimmte Farbe geben, einen bestimmten Touch. Das ist ein Balanceakt, man muss das Gesamtpaket immer gut in der Waage halten. Wenn wir nur 1,2,3,4-Trümmersongs hätten, nur so einen Aggro-Sound mit verzerrten Gitarren wie bei unserer ersten Single ‚Morgens Pauken‘, dann würde das ganz schön langweilen.

Wir stehen ja noch auf das Format Album, wir denken uns eine Reihenfolge aus, ein Cover … Der ganze Schwanz, der da dranhängt, das arbeiten wir alles komplett aus. Das macht wahnsinnig viel Arbeit. Und am Ende des Tages wird man sehen, ob die Leute das würdigen. Oder ob die sagen: „Ist mir scheißegal, ich streame mir sowieso nur die drei Hits, in den Rest habe ich noch nie reingehört.“ Das kann natürlich passieren.

Diese Vielfalt ist eines eurer Markenzeichen. Auch bei ‚Morgens Pauken‘ seid ihr alle drei involviert – was im Video sehr unterhaltsam umgesetzt ist. Kannst du uns ein bisschen was dazu erzählen?

Die Musik stammt von mir, Bela hat den Text geschrieben. Ursprünglich sollte ich das Lied alleine singen. Allerdings hatte Bela das Demo gesungen. Das wollte ich erst mal so belassen und es so Farin vorspielen, damit er uns sagen kann, was er davon hält. Irgendwann kam der Gedanke auf: Wie geil wäre es denn, wenn wir alle drei auf der ersten Single zu hören sind? Jeder hat seinen Part und singt mit, Bela und ich teilen uns die Strophen, Farin macht die Chöre, den Mittelteil, die Nicht-Shouter-Stimmen.

Wie kam es zu der Vocoder­-Passage im Refrain?

Irgendwie hat uns der Refrain anfangs noch nicht richtig gefallen. Wir fanden, das muss irgendwie verfremdet sein. Und dann kam der Gedanke an Kraftwerk. Was ist, wenn den Satz „Alles ist Punk“ eine Maschine spricht? Und daraus assoziierte der Regisseur des Videos: „Ihr seid Maschinen, Roboter aus einer anderen Galaxie, die die Welt vernichten.“ Solche Sachen entstehen aus einem Brainstorming und sind teilweise total improvisiert. Man probiert etwas aus, lässt es einen Tag liegen und entscheidet sich dann spontan: Okay, so machen wir das.

Natürlich haben wir auch Songs, bei denen vom Demo bis zur fertigen Produktion nicht wirklich viel wesentlich Neues dazu gekommen ist, aber ich liebe es, wenn die Stücke im Studio ein eigenes Leben entwickeln, wo alle dran arbeiten und sich einbringen. Das sind, finde ich, immer die Stärken dieser Band – und meistens auch die stärksten Stücke.

Textlich beschäftigt ihr euch erneut ironisch mit dem Thema „Was ist Punk?“.

Die Single ist halt ein Statement. Das brettert ganz ordentlich los. Wir haben uns schon gedacht, dass es nicht gerade der Radiohit wird, aber als „Hallo, wir sind wieder da“-Botschaft ist es schon eine ziemliche Ansage. (lacht) Wir haben sehr viel positives Feedback von anderen Musikern bekommen und auch von anderen Leuten, die eher Punk hören. Die haben den Text verstanden und sind fast umgefallen vor Lachen.

Du hast vom Vintage­-Equipment im Studio erzählt. Wie sieht das bei dir persönlich aus? Stehst du auf alte Instrumente, Amps und Effekte?

Jein. Ich hatte eine Phase, in der ich Vintage super fand. Das geht ja mit der Gitarrensammlerei los, dann folgen die Effekte. Aber ich habe vor mehr als zehn Jahren damit aufgehört.

Warum?

Weil ich das Gefühl hatte, dass ich schon genug Gitarren habe. Gerade die alten Instrumente sind immer sehr wartungsintensiv. Und wenn sie funktionieren sollen, dann funktionieren sie meistens gerade nicht. Dann musst du wieder schrauben und basteln. Und dann hier wieder was schleifen, und dann ist da wieder der Hals hochgekommen …

Ich bin mittlerweile dazu übergegangen, gerade beim Bass, nur noch zwei Instrumente einzusetzen: eins, das ich live spiele, und ein weiteres als Reserve. Auch ins Studio nehme ich nur zwei, drei Teile mit. Die funktionieren dafür immer. Und wenn sie mal durch sind, dann werden sie halt repariert. Diese ganze Vintage-Geschichte wurde eher interessant auf unserem letzten Album ‚Auch‘ (2012), das wir im Candy Bomber Studio in Berlin aufgenommen haben. Dort haben wir alte Preamps und Signalketten verwendet, um dem Sound eine gewisse Farbe zu geben und nicht nur sterile Digitalketten am Start zu haben.

Was sind das für Bässe?

Dieses Mal habe ich im Studio fast alles mit Yamaha gemacht, vor allem mit dem aktuellen Billy-Sheehan-Bass. Angefangen habe ich mit der ersten Version, die habe ich früher auch schon immer eingesetzt. Das ist ein Bass, der total gut ausbalanciert ist. Da gibt es keine zu lauten Töne, die sind alle immer relativ klar da.

Außerdem habe ich diesen Halbresonanz-Bass, der einen großen Body hat und mehr nach Klaviersaite klingt (Yamaha BEX BS Billy Sheehan Acoustic Bass, Anm. d. Red.). Der ist auch super. Für die Vintage-Sachen, die „Plop“-Sounds, habe ich einen alten Squier-Shortscale-Bass mit Flatwound-Saiten verwendet. Das war es auch schon.

Yamaha BEX BS Billy Sheehan Acoustic-Bass
Squier-Shortscale-Bass mit Flatwound-Saiten
Im Studio hat Rod hauptsächlich den Yamaha Attitude Limited 2 & 3 Billy-Sheehan-Bass eingesetzt

War es in Sachen Amps ähnlich simpel?

Noch einfacher: Ich habe eigentlich alles mit einem Kemper gemacht. Das ist wirklich praktisch. Ich habe da meine Profiles drin und dazu meine Cabs, die ich hin- und hertauschen kann. Das ist alles einfacher als: Wir müssen jetzt kurz mal umbauen, kleine Pause von 15 bis 20 Minuten. Dann müssen wir das wieder mikrofonieren, dann geht das Kabel nicht, dann brummt es hier … Mit dem Kemper geht es schneller und einfacher. Warum sollte man das also nicht machen? Auch die letzte Tour und die Festivals habe ich komplett mit Kemper gespielt.

Bleiben die Gitarren …

Meine Gitarren habe ich ebenfalls komplett mit dem Kemper eingespielt. Farin hingegen hat sehr viel Amp-Recording gemacht. Er hat dafür häufig Silverface-Fenders eingesetzt, außerdem den Marshall JCM 2000 sowie einen Mesa Boogie, Standard-Sachen also. In Sachen Gitarren war das breiter gestreut. Von einer Tokai-Love-Rock-Les-Paul über …

… ich dachte, Farin hasst Les Pauls.

Das tut er auch immer noch. Ich habe meine mitgebracht. Dazu kam viel Zeug aus dem Studio, etwa italienische Eko-Gitarren, die wirklich gut in Schuss waren. Wir haben uns einfach ein Instrument aus dem Fundus gegriffen und geschaut, wie das Ding klingt. Wenn es gut klang, haben wir es behalten. Wir haben uns nicht stundenlang damit aufgehalten.

Die geplante Tour ist zwar abgesagt, aber du hast sicher ein Live­-Setup im Kopf. Was würdest du aktuell mitnehmen? Die erwähnten Yamaha-­Bässe?

Nein, da würde ich meine Live-Bässe mitnehmen. Die Yamaha-Sachen klingen super, sehen aber echt scheiße aus. Diese bonbonartige Farbe, ich weiß nicht … Ich finde die Sachen einfach nicht schön. Auf der Bühne spiele ich lieber meine SG-Bässe. Die klingen okay, funktionieren und haben viele Jahre durchgehalten. Das werden sie noch weitere Jahre tun. Die nehme ich mit. Und dazu meine Orange-Stacks, damit ich ein bisschen Sound auf der Bühne habe. Mehr brauche ich nicht.

Womit würdest du deine Gitarrenparts spielen?

Mit meiner Hagstrom Viking. Mit der komme ich super klar, mit ihr spiele ich auch sämtliche Gitarrensachen bei meinen anderen Bands Abwärts und ¡Más Shake!. Im Studio habe ich sie auch eingesetzt. Fertig. Alles andere hat man im Finger oder dreht sich ein bisschen den Sound hin. Dann passt das schon.

Tokai Love Rock
Hagstrom Viking Deluxe

Die Viking ist eher eine Economy­-Gitarre. Ist das wirklich Stock, was du da spielst? Oder ist die so gepimpt, dass sie mit einem Serienmodell nichts mehr zu tun hat?

Das sind ganz normale Serienmodelle. Ich habe lediglich die Plastik-Potiknöpfe gegen die Metallversionen der Custom-Serie getauscht, weil die Plastikdinger relativ leicht zerbrachen. Aber sonst ist es absolut eine Gitarre aus dem Regal.

Auch mit den ganz normalen Pickups?

So ist es. Im Studio hatte ich noch eine Deluxe-Custom-Ausführung dabei, bei der kann man die Pickups splitten. Die klingt auch super. Ich habe sie eingesetzt, wenn ich einen drahtigeren Sound wollte. Normalerweise sind meine Gitarren mit .010er-Saiten bestückt, bei anderen Tunings kommen auch mal .011er oder .013er zum Einsatz.

Wir haben mit einer Konzertreise als Auslöser für das neue Album begonnen. Was bedeutet es für euch, dass die Tour zu ‚Hell‘ nicht wie geplant stattfinden kann?

Das hat natürlich einiges über den Haufen geworfen. Das Album trotzdem zu releasen ist schon ein Wagnis, wenn man es mit der Tour nicht bewerben kann. Früher hat die Tour das Album beworben, heute bewirbt das Album die Tour. Was uns am meisten Sorgen macht, ist unsere Crew. Sind die in einem Jahr noch da? Oder fahren die dann Taxi oder haben einen anderen Job, damit sie überleben können?

Und es geht noch weiter. Gibt es die Clubs dann noch? Ich spreche dabei jetzt nicht aus Ärzte-Sicht. Wir spielen ja eh diese Arenen, die wird es auch in 100 Jahren noch geben. Aber was ist mit den 200eroder 400er-Läden? Das Logo Hamburg z. B. streckt wahrscheinlich die Füße. Was ist mit all den Kultläden, in denen viele Bands angefangen haben und die ihnen als Sprungbretter gedient haben? Wie soll da was nachwachsen?

(erschienen in Gitarre & Bass 10/2020)

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