Im Interview

Crowded House & Neil Finn: Der Träumer

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(Bild: Universal)

Neil Finn ist immer gut für Überraschungen – selbst mit inzwischen 63 Jahren. Nach diversen Familien- und Solo-Projekten ist er im April 2018 bei Fleetwood Mac eingestiegen. Nur, um jetzt den mittlerweile dritten Anlauf mit Crowded House zu wagen: ‚Dreamers Are Waiting‘ ist das Comeback der neuseeländischen Ausnahme-Band nach elf Jahren Auszeit. Wie der medienscheue Workaholic tickt, was er spielt und wovon er träumt, erfuhr GITARRE & BASS beim Zoom-Gespräch aus Auckland.

Wenn in Deutschland die morgendliche Dämmerung den ersten Sonnenstrahlen des Tages weicht, setzt in „down under“ – am sprichwörtlichen Ende der Welt – bereits die Nacht ein. Sprich: Der Verfasser dieser Zeilen quält sich mühevoll aus dem Bett, macht sich schnell einen Kaffee und sitzt dann Neil Finn am Bildschirm gegenüber.

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Ein kauziger, kleiner Typ, der neben Bassist Nick Seymour die einzige Konstante im ständig wechselnden Line-up von Crowded House darstellt, und der inzwischen komplett ergraut ist, eine klobige, schwarze Hornbrille trägt und einen wunderbaren Kiwi-Dialekt spricht. Der aber – zumindest in Australien und im heimischen Neuseeland – als echter Superstar verehrt wird, der Stadien und Arenen füllt, regelmäßig Nr.-1-Alben hat und mit Songs wie ‚Don’t Dream It’s Over‘, ‚It’s Only Natural‘, ‚Weather With You‘ und ‚Distant Sun‘ auch große internationale Erfolge gefeiert hat.

Doch trotz zehn Millionen verkaufter Tonträger weltweit, ist Finn nie abgedreht und residiert immer noch im beschaulichen Auckland. Genauer: In einem geräumigen Haus am Stadtrand, das nur ein paar wenige Autominuten von seinen legendären Roundhead Studios entfernt liegt – ein State-Of-The-Art-Klangtempel, den der Gitarrist und Sänger gegen Ende der 90er erschaffen hat, und in dem inzwischen auch Kollegen wie The Who, Joan Jett, Judas Priest, Motörhead, R.E.M. und Alice Cooper aufgenommen haben. Doch momentan sitzt Finn im heimischen Arbeitszimmer, bastelt an neuen Band-Videos und gewährt eines seiner raren Interviews.

Neil, du hast Crowded House 2019 reformiert, als du gerade mit Fleetwood Mac unterwegs warst. Wie kannst du mit einer solchen Legende touren und gleichzeitig deine alte Band wiederbeleben? Oder warst du so unterbeschäftigt bzw. so unbefriedigt?

(lacht) Na ja, auf der Mac-Tour hatten wir so viele freie Tage im Terminplan, dass ich nicht umhin kam, mir Gedanken darüber zu machen, was ich als nächstes tun könnte. Ganz abgesehen davon, dass es eine wahnsinnig stimulierende Sache für mich war, in einer solchen Band zu spielen. Im Ernst: Das hatte etwas wahnsinnig Romantisches und auch Inspirierendes, das mich viel über meine eigene Vergangenheit hat nachdenken lassen – und wie ich sie vielleicht wiederbeleben könnte. Eben, weil Fleetwood Mac so ein gutes Vorbild war.

Was war das für ein Gefühl, der neue Lindsey Buckingham zu sein?

(lacht) Zum Glück war das nicht meine Aufgabe, und es wäre auch unmöglich gewesen, wie er sein zu wollen. Ich denke, es war eine clevere Sache, dass die Band Mike Campbell und mich für die Tournee engagiert hat – gerade, um solchen Vergleichen entgegenzuwirken. Ganz abgesehen davon, war es für mich eine wunderbare Überraschung, dass ich überhaupt gefragt wurde. Gerade an einem Punkt meines Lebens, als ich gedacht habe, ich hätte das Spannendste eigentlich schon hinter mir: Ich hatte eine abwechslungsreiche Karriere, habe mit vielen verschiedenen Leuten gespielt und tollen Bands angehört. Ich hätte nie damit gerechnet, dass da noch etwas in dieser Art passiert. Insofern war es eine freudige Überraschung, und ich habe jeden Augenblick davon genossen. Also jeden Abend mit Stevie und Christine zu singen, vor Micks Schlagzeug zu stehen und sein Zusammenspiel mit John zu erleben – eine der besten Rhythmusgruppen der Welt. Ich hatte eine großartige Zeit.

Was Crowded House betrifft, ist es jetzt dein dritter Anlauf. Wie kommt es, dass du die Band nach einer Weile doch vermisst?

Weil es ganz offensichtlich ist, dass uns nach all den Jahren immer noch ein hohes Maß an Wertschätzung entgegengebracht wird. Das leite ich von den Verkaufszahlen des Backkatalogs ab, aber auch von der Tatsache, dass unsere Stücke immer noch eine große Rolle im Leben vieler Menschen spielen – was eine ebenso wunderbare wie seltsame Sache ist. Du kriegst halt mit, wie auch junge Leute jedes einzelne Wort deiner Texte mitsingen – und das ist mir sowohl bei der Mac-Tournee wie bei den Crowded-House-Gigs im März aufgefallen. Eben, dass da scheinbar eine neue Generation an Fans ist, die mit den Stücken aufgewachsen ist. Durch diese Vitalität erhält man ein gemischtes Publikum, das aus gleich drei oder vier Generationen besteht. Insofern fühle ich mich regelrecht gesegnet, und die Tatsache, dass wir neue Songs am Start haben, die wir auch schon live ausprobiert haben und die alle ziemlich gut klingen, ist nicht minder aufregend.

Warum dann so ein experimentelles, schrulliges Album statt einfach ein paar netter, warmer Popsongs?

Wir haben erst ein paar Interviews zu diesem Album gegeben. Und es ist wirklich schwer, Dinge zu beurteilen, wenn man sie ganz alleine für sich – also ohne objektive Einschätzung – erschafft. Mir selbst erscheinen die Songs zum Beispiel als sehr direkt, aber vielleicht sind sie das gar nicht. Das wird sich erst mit der Zeit zeigen. Aber wir haben hier nicht viel Fokus auf ausgefallene Intros oder Enden gelegt. Wir haben die Songs bewusst kurz gehalten und auf den Punkt gebracht. Und: Wir sind alle daran interessiert, da Dinge einfließen zu lassen, die erst beim zweiten oder dritten Hören auffallen. Nach dem Motto: Da sind immer wieder kleine Abweichungen, die dafür sorgen, dass sich ein Song vorwärtsbewegt.

Und wir haben auch kein Interesse daran, die aktuelle Formel für Pop-Musik zu kopieren – ganz abgesehen davon, dass wir gar nicht in der Lage dazu wären. Einfach, weil sie heute ganz anders ist als in den 90ern. Was auch bedeutet, dass es traurig wäre, wenn wir uns daran versuchen würden – weil wir nur scheitern könnten. Insofern tun wir einfach das, was uns als Band nahekommt. Der Sound der meisten Stücke entspricht halt unserem Zusammenspiel im Studio – live und in möglichst wenigen Takes. Ohne Overdubs. Ich würde sagen, die meisten Stücke sind gleich die erste oder zweite Version, die wir eingespielt haben. Und genauso klingen wir 2021. Wenn es ein bisschen arty und schrullig anmutet, tut es das eben.

Dabei deckt ihr alles von White Funk über Psychedelic Pop, Jazz, New Wave, Americana und Lounge ab. Das Ganze ist wie ein Hybrid aus Burt Bacharach, den Beatles und Tom Waits.

Das würde ich so unterschreiben – weil das gute Referenzpunkte sind. Wenn wir privat Musik hören, ist es wirklich alles, was du gerade aufgeführt hast. Das ist alles Teil von unserem musikalischen Kosmos. Und wenn wir uns da auch für unsere eigenen Songs bedienen, ist alles gut. Insofern kann es durchaus sein, dass einige Leute das verwirrend finden, aber wenn wir vielschichtig sind, sind wir das eben. Wir sind verdammt, vielschichtig zu sein. (lacht)

(Bild: Rene Oonk / Shutterstock)

Sind die neuen Songs in deinen Roundhead Studios entstanden – oder wo und wie habt ihr diesmal gearbeitet?

Im Grunde ist der Großteil des Albums bereits vor dem Lockdown entstanden – und zwar in einem Studio in Los Angeles, das Valentine heißt. Ein Laden, der komplett auf Sixties getrimmt ist und gerade erst eröffnet hatte, mit flauschigen Teppichen an der Wand und rein analoger BandAufnahme. Also kein Pro-Tools, keine Computer, kein gar nichts. Da haben wir angefangen und sind anschließend ins United gezogen, dem ehemaligen Ocean Way. Dort haben wir alle Rhythm-Tracks eingespielt. Und zwar größtenteils live – wie man das als Band so macht. Anschließend haben wir die Aufnahmen mit nach Hause genommen und sie uns während des Lockdowns noch einmal in Ruhe angehört. Einige davon haben wir dann komplett zerlegt und in etwas ganz anderes umgemodelt. Dann haben wir es hier in meinem Studio bearbeitet und vervollständigt. Es war ein natürlicher Prozess, bei dem genug Luft war, sich mal zurückzulehnen, nachzudenken, neu anzusetzen und das Ganze dann schnell und spontan zu Ende zu führen.

Welches Equipment hast du für das neue Album verwendet?

Nicht wirklich viel. Meine Hauptgitarren auf dem Album sind eine rote 1958er Gretsch Firebird und eine 72er Gibson Gold Top mit Mini-Humbuckern. Als Verstärker habe ich einen 59er Fender Deluxe Clone und einen kleinen Gibson-Vintage-Amp verwendet. Außerdem einige Sachen, die in den amerikanischen Studios rumstanden, wie ein Vox AC30VR, zu dem ich nie nein sagen würde. Ich liebe den AC30. Ich schätze, was das betrifft, bin ich ein Traditionalist.

Sind Gitarren wie ein Werkzeug für dich, wie ein Komplize oder eher wie eine Geliebte?

(lacht) Sie sind definitiv keine Geliebten. Also ich käme nicht auf die Idee, mit ihnen schlafen zu wollen. Aber ich habe durchaus ein enges Verhältnis zu ihnen. Sprich: Ich liebe meine Lieblingsgitarren und ich bin sehr verärgert, wenn ihnen etwas zustößt. Während der Aufnahmen ist die Gretsch aus irgendeinem unerklärlichen Grund aus ihrem Ständer gefallen, und das hat mir wirklich den ganzen Tag ruiniert. Zum Glück hat sie nicht viel abbekommen, aber ich war einfach wütend, dass es überhaupt passiert ist. Insofern: Ich liebe meine Instrumente, aber ich würde sie nicht als Freundinnen bezeichnen. Dann würde ich zu Recht Ärger mit meiner Frau bekommen.

Wann greifst du zur akustischen, wann zur elektrischen Gitarre? Worauf schreibst du am liebsten?

Immer öfter auf der akustischen als auf der elektrischen. Zu letzterer greife ich wirklich nur selten – und wenn ich etwas Bestimmtes will. Ansonsten ist es die Akustische oder halt das Klavier, auf dem ich schreibe. Und da hängt meine Wahl vor allem von der Stimmung ab, in der ich mich gerade befinde. Meist kreiere ich zuerst eine Atmosphäre und spiele dann dazu. Das gibt mir das Gefühl, als ob ich mit jemandem zusammenspiele. Aus irgendeinem Grund ist mir das wichtig. Musik ist für mich immer eine Interaktion mit anderen. Es ist nie – oder besser gesagt: kaum – etwas, das ich alleine tue. Ich sitze nicht gerne im stillen Kämmerlein und probiere vor mich hin, sondern ich entwickle Ideen lieber im Verbund mit anderen. Was nicht heißt, dass ich nicht auch Momente habe, in denen ich mich hinsetze und eine Idee ausarbeite, die mir zugeflogen ist. Aber das richtige Komponieren ist für mich eine Gemeinschaftssache.

(Bild: Kerry Brown)

Was bringt die Zukunft für Neil Finn? Wirst du deine Zeit zwischen Fleetwood Mac und Crowded House aufteilen? Folgt auf dieses Album wieder eine lange Auszeit? Oder ist das der Auftakt zu einer neuen, produktiven Schaffensphase?

Ich würde sagen: Diesmal wird mehr draus als beim letzten Mal. Das spüre ich allein an der Stimmung in der Band: Wir sind alle ziemlich aufgeregt, möglichst bald noch ein paar mehr Stücke aufzunehmen. Wir können es kaum abwarten, zu zeigen, was in uns steckt – und allein deshalb glaube ich, dass da noch mehr kommt. Das soll jetzt nicht bedeuten, dass ich nichts anderes nebenbei mache, schließlich bin ich ziemlich rastlos, was Musik betrifft. Aber: Ich weiß jetzt endlich, was ich an dieser Band habe. Und das ist ein schönes Gefühl.

(erschienen in Gitarre & Bass 10/2021)

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Kommentare zu diesem Artikel

  1. Großartiger Musiker , tolle Platten , für mich die einzige Band die jemals auf dem Niveau der Beatles komponiert hat . Es freut mich das sie wenigstens down under entsprechend Anerkennung bekommen, hier laufen sie ja weitgehend unter dem Radar.

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