Was bleibt, ist Ton

Coco Schumann

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Coco Schumann
Coco Schumanns Amps: 1962 Gibson Les Paul GA-40 (hinten links), 1977 Fender Vibrolux Reverb (hinten rechts), Session Sessionette 75 mit Fußschalter (vorne links), Polytune Mini Brute IV (vorne rechts) (Bild: Stefan Woldach)

In seiner Autobiografie ‚Der Ghetto-Swinger‘ beschreibt der Berliner Gitarrist sein bewegtes Leben als Mensch und Musiker. Als KZ-Häftling war er Opfer und Zeitzeuge des Nazi-Regimes, im Nachkriegsdeutschland einer der wichtigsten Jazz-Gitarristen. Am 28. Januar 2018 verstarb Coco Schumann. Sein Equipment ist derzeit in Berlin ausgestellt. Wir durften vorab einen Blick darauf werfen.

Berlin war Heimat und Lebensmittelpunkt von Heinz Jakob „Coco“ Schumann. Folglich ist hier derzeit sein musikalischer Nachlass ausgestellt: Gitarren, Verstärker, Effektgeräte, Notenblätter. Fast alles steht auch zum Verkauf, um den sich Cocos 18 Jahre jüngerer Bruder Jürgen kümmert, in Zusammenarbeit mit Torsten Uhlmann, Inhaber des American Guitar Shops in Berlin-Charlottenburg.

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Fans und Kenner werden Cocos Instrumente natürlich wiedererkennen und können sie nun aus nächster Nähe begutachten und sogar anspielen, darunter seine berühmte Gibson L-7 (1955), seine ES-125 (1966) und seine ES-350 (1966).

Coco Schumann
Inhaber des American Guitar Shop Torsten Uhlmann (Bild: Stefan Woldach)

„entartete musik“ und judenstern

1924 wird Heinz Jakob Schumann im Berliner Scheunenviertel als Sohn einer jüdischen Friseurin und eines vom Christentum zum Judentum konvertierten Tapezierers geboren. Ein Song kann bekanntlich ein Leben verändern. Beim dreizehnjährigen Schumann ist das bei Ella Fitzgeralds ‚A-Tisket, A-Tasket‘ der Fall, der bei ihm den Wunsch auslöst, Musiker zu werden. Zunächst lernt er Schlagzeug, dann bringt er sich das Gitarrespielen selbst bei, später erhält er Unterricht bei Lokalmatador Hans Korseck.

Schumann, der seinen Spitznamen „Coco“ einer französischen Freundin verdankt, tritt in Berliner Lokalen wie dem Groschenkeller, Arnds Bierbar und der Rosita-Bar auf, wo er Mitglied in der Band des Saxophonisten Tullio Mobiglia ist. Schumanns Musikertätigkeit ist illegal, weil er als „Halbjude“ keine Lizenz der Reichsmusikkammer besitzt. Genauso schlimm: er spielt Jazz, der von den Nazis als „entartet“ kategorisiert ist. Da er keinen „Judenstern“ trägt, wird er im März 1943 denunziert und durch die Gestapo verhaftet. Die Anklage: Spielen verbotener Musik, die Weigerung den „Judenstern“ zu tragen, und die Verführung „arischer“ Frauen.

deportation und todesmarsch

Schuman bekommt den Rassenwahn des nationalsozialistischen Regimes zu spüren. Er wird ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Dort rettet ihm ausgerechnet die Musik das Leben. Er wird Teil der „Lagerkombo“ unter der Leitung von Martin Roman und des tschechischen Trompeters Eric Vogel.

Ein Jahr später wird er nach Auschwitz verlegt. In der dortigen Lagerkombo erhält er die Gitarre eines ermordeten Mitgefangenen, eines Sinti-Musikers und spielt zur Unterhaltung der Wachmannschaften. Kurz vor Kriegsende 1945 wird Schumann auf den „Todesmarsch“ nach Innsbruck geschickt, auf dem er jedoch in der Nähe von Wolfratshausen von amerikanischen Truppen befreit wird.

Coco Schumann
Coco Schumanns Equipment: Dynachord Echocord Super 75
und Dynachord Box (links), Klemt Echolette Röhren-Bandecho
NG-51 S, Dynachord Eminent II Röhrenverstärker mit Box
(Bild: Stefan Woldach)

heimkehr und karriere

Nach Kriegsende kehrt Schumann zurück nach Berlin, wo er befreundete Musiker wie Bully Buhlan und Helmut Zacharias wiedertrifft. Drei Tage nach seiner Rückkehr tritt er bereits in amerikanischen Clubs auf.

Es dauert allerdings bis in die Neunzigerjahre, bis Schumann sein Schweigen bricht und erstmals über seine schreckliche Vergangenheit spricht. Er will kein „öffentlicher Zeitzeuge“ sein, sagt er. „Ich bin ein Musiker, der im KZ gesessen hat. Kein KZler, der Musik macht.“ Und er bekennt in seinen Interviews: „Ohne die Musik würde ich heute nicht vor ihnen sitzen. Die Bilder, die sich in Auschwitz in mein Gedächtnis gebrannt haben, muss ich aushalten. Nicht nur, wenn ich diese Lieder spiele. Aber was kann die Musik dafür, dass sie von den Nazis vergewaltigt wurde?“

An seiner Nachkriegskarriere hat „Zaubergeiger“ Helmut Zacharias großen Anteil. Er holt Schumann in sein Orchester wo er Unterhaltungsschlager und Jazz-Standards in Berliner Clubs wie der Ronny Bar oder dem Rex Casino spielt. Zacharias’ Frau Hella verkauft sogar ihren Schmuck, um Schumann eine Roger Jazz-Gitarre zu spendieren.

Inspiriert von der Musik seiner Vorbilder Charlie Christian, Django Reinhardt und Herb Ellis wird Schumann in den kommenden Jahrzehnten Karriere mit Rundfunk- und Fernsehaufnahmen sowie Konzerttourneen machen. Er spielt in Galabands, auf Kreuzfahrtschiffen und Tanzveranstaltungen. Zudem bekommt er zwischen 1975-1990 einen Lehrauftrag für klassische Gitarre an der Musikschule in Berlin-Zehlendorf.

Bis ins hohe Alter tritt er in der Ewigen Lampe oder dem Badenschen Hof mit seinem eigenen Quartett auf, bis er am 28. Januar 2018 verstirbt. Neben der ergreifenden Biographie ‚Coco Schumann: Der Ghetto-Swinger – eine Jazzlegende erzählt‘ (Deutscher Taschenbuch Verlag) kann man sein bewegtes Leben auch in Gabriele Denekers TV-Doku ‚Tanz in den Abgrund – das ungewöhnliche Leben des Coco Schumann‘ nachempfinden.

gitarren und ton

Schumann gilt als der erste deutsche Gitarrist, der seine „Schlaggitarre“ elektrifiziert hat. Er ließ sich in seine Archtop von Roger Rossmeisl einen Tonabnehmer einbauen, inspiriert vom Sound seines Vorbilds, der US-Jazz-Legende Charlie Christian. Da es im Nachkriegsdeutschland natürlich keine Pickups gibt, tüftelt Rossmeisl mit Magneten und Spulen entsorgter Kopfhörer aus amerikanischen Armeebeständen und baut daraus für Schumann einen ersten Tonabnehmer. Einen dazu passenden Verstärker baut ihm der Bassist seiner damaligen Band. Jetzt hat Coco Schumann endlich den „amerikanischen Klang“, nach dem er so lange gesucht hat.

Schumann ist vermutlich auch der erste Berliner, der eine originale Gibson Les Paul Custom mit drei Tonabnehmern bestaunen durfte, bestellt aus dem Gibson-Katalog von 1956. Dort ordert er dann selbst seinen heute in der Ausstellung zu sehenden Gibson GA-40 Amp, „geliefert über die Soldatenpost, gut verpackt natürlich.“

discografie

mit Helmut Zacharias:
Nina Costas mit dem Orchester Helmut Zacharias (1947)
Helmut Zacharias mit der Berliner Allstar Band (1948)
Helmut Zacharias Quartett (1948)
Swing Is In (Helmut Zacharias Swingtett, 1976)
Swinging Christmas (Helmut Zacharias Swingtett, 1976)
Solo:
Double – 50 Years in Jazz, (1947–1997)
Rex Casino: Live 1955 (1955-1996)
Coco Now! (1999)

www.trikont.de/category/artists/coco-schumann

(erschienen in Gitarre & Bass 12/2018)

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Kommentare zu diesem Artikel

  1. Ein legendärer Gitarrist und Vollblut Musiker. Sein Buch ist absolut lesenswert, nicht nur für Gitarristen. Erschütternd natürlich die lebensbedrohliche deprimierende Zeit im KZ, aber er scheint trotzdem ein sehr lebensbejahender Mensch geblieben zu sein, wie die zahlreichen oft sehr humorvollen Anekdoten aus seiner Karriere nach 45 im Buch beweisen. Schade, daß ich ihn nicht mehr live erlebt habe, wo er in den letzten 10 Jahren doch hin und wieder in Berliner Clubs auf der Bühne war…

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  2. Bei einem der vorgestellten Amps handelt es sich wahrscheinlich um den Polytone Mini Brute IV (nicht Polytune Mini Brute IV).

    Ich selbst spiele seit vielen Jahren einen Polytone Mini Brute II mit 12 Zoll Lautsprecher und bin sehr zufrieden damit (mit einer der ersten Ibanez AF200 AV).

    Das Coco-Schumann-Buch lohnt sich zu lesen.

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