Im Interview

Andy Timmons: Freundschaft & Weiterentwicklung

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(Bild: Teresa Jolie)

Für Andy Timmons ist ein Traum wahrgeworden. Zwar nicht unbedingt ein Kindheitstraum, denn Josh Smith wäre in den späten Sechzigern darin garantiert noch nicht vorgekommen. Doch da die unterschiedlich alten Ausnahmemusiker eng miteinander befreundet sind, kommt es nun zu einer faszinierenden Kollaboration: ‚Electric Truth‘, das neue Timmons-Soloalbum. Wie das aufsehenerregende Projekt des 59-jährigen Timmons und seines 16 Jahre jüngeren Freundes und Kollegen zustande gekommen ist, und was es über das hörenswerte Werk zu berichten gibt, hat uns der freundliche Amerikaner in einem ausführlichen Gespräch erzählt.

 

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interview

Andy, hat ‚Electric Truth‘ eine besondere Bedeutung für dich?

Ja, denn das Album basiert auf meiner Freundschaft mit Josh Smith. Ich bin schon lange Fan von ihm, schaue seit 2018/2019 regelmäßig seine Videos und bin total begeistert von dem, was er macht. Eigentlich wollte ich ihm dies nur mal mitteilen und kontaktierte ihn deshalb. Doch daraus entwickelte sich eine Freundschaft. Eines Tages rief Josh an und lud mich in sein Studio ein. Er hatte die Idee, gemeinsam ein paar Songs zu schreiben und eine kleine Band zusammenzustellen, um das Material aufzunehmen. Ich fand den Vorschlag sehr reizvoll, zumal ich mir davon erhoffte, dass ich dadurch ein wenig in seine musikalische Welt, zu seinen künstlerischen Ideen vordringen und sie mit meinen Ideen kombinieren kann. Wir beide lieben Blues und Jazz, wir hören Stevie Ray Vaughan und Robben Ford, und ich mochte immer schon dieses sehr organische Feeling, das Josh in seinen Bands hat. Deshalb schrieb ich ein paar Nummern, wir komponierten einige weitere Songs gemeinsam und starteten dann das Experiment, diese Stücke mit einer frisch zusammengestellten Band aufzunehmen. Eine hochspannende Angelegenheit, bei der ich anfangs natürlich nicht wusste, wohin sie mich führen würde.

Und eine Produktion mit einem gewissen Risikofaktor, denn mit der im Studio neu zusammengestellten Band hast du zum allerersten Mal gespielt, nicht wahr?

Ja, das stimmt. Travis Carlton kannte ich, er ist der Sohn von Larry Carlton. Ihn hatte ich in Videos bereits ein paar Mal Bass spielen gesehen. Unseren Drummer Lemar Carter hatte ich schon zusammen mit Josh auf der Bühne gesehen. Er war für mich persönlich zwar neu, doch als wir zusammen musizierten, hatte man sofort den Eindruck, als ob wir uns schon seit vielen Jahren kennen. Die Vibes zwischen uns waren direkt da. Die gesamte Produktion war für mich eine tolle Erfahrung, denn dass mich ein Gitarrist produziert, den ich so sehr respektiere wie Josh Smith, war ein echter Glücksmoment.

Du hast also einen Teil der Songs zuhause komponiert, bist dann ins Studio gefahren, und hast allen Anwesenden erklärt, was sie zu spielen haben?

Nein, so war es nicht. Ich hatte Stücke wie ‚When Words Fail‘, ‚Grace‘ oder ‚Take Me With You‘ zuhause komponiert, sie als Demos arrangiert, und habe sie dann den anderen vorgestellt. Aber ich habe Niemandem vorgeschrieben, was er zu tun oder zu lassen hat. Natürlich kam es mal vor, dass ich zu dem einen oder anderen sagte: „Klingt toll, aber ich höre da ein etwas anderes Grundgefühl.“ Doch generell ist es besser, wenn ich es meinen Mitmusikern überlasse, was sie dem jeweiligen Song beisteuern wollen. So arbeite ich ja für gewöhnlich auch mit meiner eigenen Band. Ich mag es, wenn man Musiker ihrem eigenen Instinkt folgen lässt. Das macht die Sache einfacher, und es geht deutlich schneller.

Ich vermute, dass große Teile von ‚Electric Truth‘ wieder mit dem 1994er Prototyp deiner Ibanez AT100 Signature eingespielt wurden.

Das ist richtig. Diese Gitarre ist und bleibt mein Hauptinstrument, und das bereits seit fast 30 Jahren. Allerdings habe ich auch zwei Vintage-Fender zu Josh mitgenommen, nämlich eine 68er Telecaster und eine 69er Stratocaster.

Du spielst also wieder mal keine Les Paul?

Nur ganz vereinzelt, später bei den Overdubs in meinem eigenen Studio, obwohl die Les Paul früher sogar mal mein Lieblingsinstrument war. Ich fing mit fünf Jahren an, zu spielen und kaufte mir mit zwölf oder 13 meine erste Kaufhaus-Gitarre, ein namenloses Modell. Immer wenn ich es mir leisten konnte, legte ich mir das nächstbessere Modell zu, allesamt Kopien. 1980 hatte ich meine erste namhafte Les Paul, eine Kopie von Electra, cremefarben, mit einem angeschraubten Ahorn-Hals, sehr selten für eine Les Paul. Ich glaube, dass die Electra damals aus der gleichen Fabrik wie Ibanez-Gitarren kam, aus der Fujigen-Factory in Japan.

Hast du sie noch?

Nein. Leider wurde sie mir 1981, zu meinen Highschool-Zeiten, vom Rücksitz meines Autos gestohlen. Ich hatte sie nur 30 Minuten lang aus den Augen gelassen. Deswegen habe ich heutzutage immer Blickkontakt zu meiner Ibanez. Damals spielte ich in einer Band mit einer guten Versicherungspolice, deshalb konnte ich mir von dem Geld eine Gibson Les Paul kaufen. Bis 1983 war ich ein Les-Paul-Typ, dann zog ich nach Miami, um zu studieren. Ich bekam einen Gig in einer Top-40-Band, und da musste man natürlich eine Strat mit Single Coils besitzen, denn man brauchte die Sounds von Nile Rogers, Madonna, usw. Seinerzeit war alles irgendwie Funk, Dance und Pop. Meine Les Paul wurde also nicht mehr gebraucht. Ich konnte mir jedoch zunächst nur eine Fender Squier leisten. Ab 1982 baute Fender dann die japanischen Modelle, großartige Instrumente, die noch heute für ihre gute Qualität bekannt sind. Ich kaufte eine schwarze Strat-Kopie mit einem Ahorn-Griffbrett, und da ich unbedingt wie Steve Lukather klingen wollte, baute ich drei EMG-Pickups ein. Für viele Jahre war dies meine Hauptgitarre, die ich übrigens immer noch besitze. Sie gehört neben meiner Ibanez AT100 nach wie vor zu meinen Lieblings-Strats.

Kannst du bitte mal ausführen, mit welchen Instrumenten du die Songs von ‚Electric Truth‘ eingespielt hast?

Gerne. Also: Im Opener ‚EWF‘ war es die erwähnte 68er Fender Tele, in ‚Apocryphal‘ und ‚Shuggie‘ war es dieselbe Tele plus der 94er Prototyp meiner AT100. In ‚Johnnie T.‘ habe ich dann ausnahmsweise eine tiefer gestimmte Gibson Les Paul aus den frühen 1990ern gespielt, plus eine 12-saitige 66er Rickenbacker 330. In ‚When Words Fail‘ und ‚Grace‘ kam eine 65er Strat zum Einsatz, in ‚One Last Time‘ eine 1960er Hardtail-Strat. Bei den zwei übrigen Songs, also ‚Say What You Want‘ und ‚Take Me With You‘ war es ausschließlich mein 94er AT100-Prototyp. Der Haupt-Amp war diesmal erneut mein Lone-Star-Combo von Mesa/Boogie sowie ein Lone-Star-Topteil mit zwei Rectifier 2x12er Cabinets. Darüber hinaus habe ich einen 1968er Marshall Super Lead 100 Watt, einen 65er Fender Twin und einen 64er Fender Deluxe Amp eingesetzt.

1960 Fender Hardtail Stratocaster
1965 Fender Stratocaster Refin
1966 Fender Leather Bound Tele
1966 Rickenbacker 330 12-String
1968 Fender Telecaster
1994 Ibanez AT100 Prototype
2019 Ibanez ATZ100
Early 90s Gibson Les Paul Standard

 

Ist der 94er Prototyp deiner Ibanez AT100 eigentlich noch im Originalzustand?

Nein. Irgendwann haben sich die Seymour-Duncan-Jeff-Beck-Pickups verabschiedet und ich habe sie gegen DiMarzios ausgetauscht. Und die Tuner sind mittlerweile auch neu, ich habe jetzt Gotoh drauf.

Stimmt es, dass es in Kürze eine nagelneue Ibanez ATZ10 geben wird?

Ja, das stimmt. Es ist sogar möglich, dass sie in manchen Ländern bereits auf dem Markt ist. Ich spiele schon seit einiger Zeit den Prototyp der neuen ATZ10, ein wirklich tolles Modell.

Dein neues Album klingt gleichermaßen routiniert und inspiriert. Würdest du sagen, dass du eine so reife Scheibe in deinen jungen Jahren nicht hättest machen können?

So etwas ist immer schwer zu beurteilen, denn man selbst steckt einfach zu tief in der Materie, um Dinge objektiv einschätzen zu können. Was aber stimmt: In meinen jungen Jahren habe ich musikalisch vor allem von meiner Energie gelebt. Ich wollte vor allem ein toller Performer sein, wild, ungestüm, wohingegen ich mich um meinen Ton nicht allzu sehr gekümmert habe. Ich hoffe trotzdem, dass mein Spiel auch zu Beginn meiner Karriere melodisch und ausdrucksstark war. Denn eigentlich war ich diesbezüglich etwas faul und konzentrierte mich lieber auf Tempo und Technik. Heute sieht die Sache völlig anders aus, heute ist der Ton mein wichtigstes Anliegen.

Wenn ich mich zurückerinnere, dann fing es mit meinem 2006er Album ‚Resolution‘ an, dass ich mich stärker um meinen Ton gekümmert habe, weil ich unbedingt meinen Sound verbessern wollte. Ob dies funktioniert hat, müssen andere beurteilen. Ich selbst sehe mich als Student der Musik, als jemand, der sich permanent weiterentwickeln möchte. In mancher Hinsicht bin ich sogar immer noch absoluter Anfänger. Heute im Internet entdecke ich unfassbar viele Virtuosen, einer schneller und trickreicher als der andere. Und wie reagiere ich auf diese Entdeckung? Ich könnte beunruhigt sein und mich fragen, wo meine Rolle heutzutage ist. Oder aber ich lasse mich von diesen jungen Künstlern inspirieren. Und genau das tue ich. Ich versuche einfach, die beste Version von mir selbst zu sein. Meine Stärke ist meine Leidenschaft für die Gitarre, für alles andere braucht man sowieso Zeit, Muße, Geduld und Fleiß.

Zum Ende unseres Gesprächs möchte ich dich auf deine Wünsche für die Zukunft ansprechen. Eine weitere Signature-Gitarre?

Derzeit gibt es da keine konkreten Planungen, aber völlig ausschließen kann man so etwas nie. Jedenfalls nicht, wenn man ein solcher Gitarren-Nerd ist, wie ich es bin. Ich liebe alle Gitarren, denn jede von ihnen verändert mein Spiel ein wenig. Es gibt große Unterschiede, ob ich mit meiner Ibanez-Signature-Gitarre oder mit einer Gibson ES-335 spiele, aber beide Modelle inspirieren mich. Dennoch denke ich, dass meine AT100 immer noch eine gute Grundlage ist, zumal diese Gitarre im Laufe der Jahre wie ein Teil von mir selbst geworden ist.

Die Amps auf ‚Electric Truth‘: Hauptamp war der Mesa/Boogie Lone Star, hinzu kamen ein 1968er Marshall Super Lead 100 Watt sowie ein 1965er Fender Twin Reverb-Amp und ein 1964er Fender Deluxe Amp (Bild: Andy Timmons)

Und wie sieht es hinsichtlich der Verstärker aus, die du spielst? Wirst du irgendwann einen Modelling-Amp designen?

Ach, ich weiß nicht. Kemper und all die technisch ähnlichen Modelle sind zweifelsohne sehr sinnvoll. Für mich sind sie jedoch nicht notwendig, zumal ich Röhren und richtige Lautsprecher liebe. Natürlich haben diese neueren Geräte ihre Vorteile, allein schon deshalb, weil man sie auch mit deutlich geringerer Lautstärke fahren kann. Aber für mich, der keine Nachbarn hat, die sich über den Lärm in meinem kleinen Studio beschweren, gibt es da derzeit keinen Handlungsbedarf. Doch wer weiß, die neue Generation von Lautsprechersimulationen könnte für mich möglicherweise noch mal interessant werden, zumal es bereits einige sehr vielversprechende Modelle gibt, unter anderem auch von Mesa/Boogie mit der CabClone IR+.

Vielen Dank, Andy, und viel Erfolg mit deinem großartigen neuen Album!

(erschienen in Gitarre & Bass 08/2022)

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