Im Interview

Al Di Meola: Saturday Night Fever

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(Bild: Alexander Mertsch)

Was lehrt uns die Menschheitsgeschichte? Auf jeden Freitag folgt immer ein Samstag! So auch im Fall von ‚Friday Night In San Francisco‘, dem Kultalbum der drei Gitarrengenies Al Di Meola, John McLaughlin und Paco De Lucía. Das 1981 veröffentlichte Werk ist mit seinen millionenfachen Verkäufen die erfolgreichste Scheibe in der Geschichte des Akustik-Gitarren-Jazz, ein Opus, das seine Fans auch bis in den Pop- und Mainstream-Bereich hat.

Mehr als 40 Jahre lang wussten nur wenige Beteiligte, dass auch der Auftritt des grandiosen Trios am Folgetag, Samstag, den 6. Dezember 1980, aufgezeichnet wurde. Die Bänder lagerten in den Schubladen von Al Di Meola und wurden fast vergessen. Bis Corona kam und der Ausnahmegitarrist sich seines wertvollen Archivs erinnerte. Also kontaktierte er McLaughlin – Paco De Lucía verstarb im Februar 2014 – und bereitete den Mittschnitt für ein Album auf.

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Und voila, hier ist es: ‚Saturday Night In San Francisco‘, mit einer Setliste, die sich von der ‚Friday Night‘ fundamental unterscheidet. Denn, und das lernen wir gerade, die jeweiligen Shows der beider Abende dauerten deutlich länger als das, was dann auf ‚Friday Night‘ ans Licht der Öffentlichkeit kam. Insofern ist ‚Saturday Night‘ ein wirklicher Gewinn für alle Jazzfreunde und Anhänger des legendären Gespanns. Natürlich haben wir uns sofort mit Al Di Meola in Verbindung gesetzt und ihn zur Geschichte dieses aufsehenerregenden „Scheunenfunds“ befragt.

Al, wie ist 1980 eigentlich die Idee zu ‚Friday Night In San Francisco‘ entstanden?

Ich hatte die Idee eigentlich schon ein paar Jahre früher, als ich Paco 1977 fragte, ob er auf meinem zweiten Soloalbum ‚Elegant Gypsy‘ spielt. Der Song ‚Mediterranean Sundance‘ wurde damals vor allem in Spanien, Frankreich und Deutschland, aber nicht nur dort, sondern rund um den Globus, ein großer Hit, fast wie ein Popsong. Die Scheibe verkaufte sich wie geschnitten Brot, und Paco und ich überlegten, dass wir eigentlich auch mal etwas live zusammen machen sollten. Ein Impresario aus London namens Barry Marshall, der heute mit Paul McCartney und Elton John arbeitet und mittlerweile einer der einflussreichsten Männer im Business ist, fragte mich 1980, ob ich mir ein Akustik-Konzept mit Paco und Leo Kottke vorstellen könnte.

Damals stand Barry noch ganz am Anfang seiner Karriere. Er rief mich in Los Angeles an und unterbreitete mir seine Idee. Ich war natürlich begeistert, gleichzeitig war ich mir aber nicht sicher, ob diese Konstellation wirklich funktionieren würde. Ich bin ein Riesenfan von Leo, aber unsere musikalischen Ansätze sind doch zu unterschiedlich. Ein paar Wochen später rief mich Barry erneut an und fragte: „Ich habe eine noch bessere Idee! Was denkst du darüber, wenn wir John McLaughlin anstelle von Leo hinzuziehen?“ Diese Idee gefiel mir natürlich noch besser, denn ich wusste, dass John, Paco und ich als Trio der absolute Knaller wären. Also organisierte Barry eine zweimonatige Akustiktour mit uns Dreien, die schließlich in San Francisco endete und dort aufgezeichnet wurde.

Welche Erinnerungen hast du nach so vielen Jahren noch an die Freitagnacht in San Francisco?

Es war ein magischer Moment! Oder besser gesagt, wenn man jetzt auch die Aufnahmen von ‚Saturday Night In San Francisco‘ hört: Es waren zwei magische Konzerte!

Es passte musikalisch hervorragend, obwohl euch drei ganz unterschiedliche Stile auszeichnen.

Ja, das stimmt, und genau deshalb wurde das Konzert so gut. Es wäre nicht so spannend gewesen, wenn wir drei ähnlich spielende Flamenco-Gitarristen gewesen wären. Ein reiner Flamenco-Spieler war nämlich nur Paco, auch wenn er die Grenzen dieses Genres noch deutlich weiter ausgedehnt hat. John dagegen kommt von Jazz, Blues und Rock, gleichzeitig ist sein technisch sehr anspruchsvolles Spiel auch von indischer Musik beeinflusst. Deshalb war sein rhythmisches Verständnis völlig anders als das von Paco und von mir. Bei mir war es eine Mischung aus all diesen Elementen, mit einem starken Latin-Background. Das passte in rhythmischer Hinsicht natürlich hervorragend zu Pacos Stil.

Wenn also John solierte, hatte er mit Paco und mir eine perfekt-tighte Rhythmusgruppe hinter sich. Das war ja auch der Grund, weshalb ‚Elegant Gypsy‘ und ‚Mediterranean Sundance‘ so große Erfolge feierten, weil Paco und ich ideal zusammenpassten. John dagegen kommt aus einer anderen Hemisphäre, er spielt häufig vor dem Beat, sehr schnell, sehr fordernd. Es waren drei unterschiedliche Einflüsse, die gemeinsam perfekt harmonierten. Ein prima Dialog zwischen uns, aber in gewisser Hinsicht auch ein kleiner Wettkampf. Wenn einer von uns ein inspirierendes Solo hingelegt hatte, wollte der Nächste das natürlich noch übertreffen. In seiner eigenen Band erlebt man als Musiker so etwas nur sehr selten, dort befindet man sich zumeist in einer comfort zone. Bei Paco, John und mir gab es die nicht.

(Bild: Alexander Mertsch)

Was kaum jemand wusste: Damals wurde auch die Samstagnacht in San Francisco mitgeschnitten. Hattest du das vergessen?

Ja, tatsächlich war es mir über die Jahre entfallen. Natürlich wusste ich damals, dass beide Shows aufgezeichnet wurden, aber im Laufe der Jahre hatte ich es völlig vergessen. Irgendwann fiel es mir wieder ein. Eines Tages, Anfang der Neunziger, fragte ich Johns französischen Manager, ob wir uns um die Aufnahmen des Samstags nicht mal kümmern sollten. Aber er war nicht interessiert. Stattdessen investierte ich eigenes Geld, um in einem Tonstudio die Aufnahmen von Band auf DAT-Recorder überspielen zu lassen und sie damit vor dem Verfall zu schützen. Doch in den darauffolgenden 20 Jahren vergaß ich die Existenz dieser DAT-Bänder.

Dann kam 2020 der Lockdown, die Situation wurde von Woche zu Woche schlimmer, und ich rief John an, eigentlich nur um zu hören, wie es ihm geht. Dabei spürte ich zum ersten Mal seit vielen Jahren seine menschliche Seite, wir empfanden plötzlich viel Empathie füreinander. Wir wünschten uns nur das Beste und dass es dem jeweils anderen gutgehen möge. Bei dieser Gelegenheit sagte ich: „John, ich würde gerne noch einmal mit dir über die Samstagnacht in San Francisco sprechen.“ Er antwortete: „Ich kann mich daran überhaupt nicht erinnern.“ Darauf ich: „Wir haben auch die zweite Show aufgezeichnet!“ Er: „Glaubst du das nur, oder weißt du es sicher?“ Ich: „Ich weiß es genau, denn ich besitze diese Aufnahmen! Und das Beste daran ist: Es existieren Aufnahmen von Songs, die wir für ‚Friday Night‘ nicht verwendet haben!“

Denn die Shows am Freitag und Samstag waren viel länger als das, was anschließend auf dem Album zu hören war. Als ich diese Songs, die ich hier in New Jersey ein zweites Mal im Studio umformatieren ließ, um die Qualität zu erhalten, und die ich fast 40 Jahre nicht gehört hatte, wiederentdeckte, war ich überrascht. 1980 waren wir hinsichtlich des spielerischen Niveaus dieser Nummern noch sehr, sehr kritisch mit uns. Doch nun, mit dem Abstand von über 40 Jahren, hörte ich, dass sie zu Unrecht aussortiert wurden. John bat mich, ihm einige dieser Aufnahmen zu schicken, was ich natürlich tat. Er flippte völlig aus, war total begeistert. Er sagte: „Bitte lass sie so, wie sie sind, editiere nichts, lass auch die kleinen Fehler drin, die Songs klingen großartig!“ Ich antwortete: „Das ist nicht ganz so einfach, denn wir müssen sie für die unterschiedlichen Vinylfassungen sowieso editieren.“ Diese Aufgabe musste ich übernehmen, es war harte Arbeit und dauerte den halben Sommer.

Hast du eine Idee, was John zum Umdenken bewegt haben könnte?

Ich denke, er ist ruhiger und gelassener geworden, auch durch den Lockdown. Wir hatten seit vielen Jahren nicht miteinander gesprochen. John und ich waren nicht immer auf der gleichen Wellenlänge, um es mal so zu formulieren. Es war ein wenig wie das Verhältnis zwischen zwei unterschiedlich alten Brüdern. Wir waren damals bei der gleichen Plattenfirma. Als er dort seinen ersten Vertrag unterschrieb, war ich noch an der Highschool. Mit seinem Mahavishnu Orchestra war er der große Star. Doch dann bekam auch ich einen Vertrag und verkaufte plötzlich mehr Alben als er, was ihm nicht gefallen haben dürfte. Er war zwölf Jahre älter als ich, und als wir das Trio mit Paco zusammenstellten, betrachtete er sich als den Chef dieser Konstellation, obwohl Paco und ich als erste gesetzt waren.

Am Anfang harmonierte es noch einigermaßen zwischen uns, aber über die Jahre wurde das Verhältnis zunehmend schlechter, sodass man nicht mehr von echter Freundschaft sprechen konnte. Doch durch Corona hat sich vieles verändert, für kindische Rivalitäten gibt es keinen Platz mehr. Der Lockdown hat uns alle demütiger und toleranter werden lassen. Als ich ihn erstmals seit langem wieder kontaktierte, sagte ich: „John, es wird Zeit, die negativen Seiten der Vergangenheit ruhen zu lassen und sich daran zu erinnern, welch großen Einfluss wir beide zusammen auf dieses Musikbusiness hatten. Und was auch immer ich dazu beigetragen haben könnte, dass wir uns so lange aus dem Weg gegangen sind, ich entschuldige mich dafür! Und ich hoffe, du kannst mir vergeben.“

Diese Worte haben offensichtlich das Verhältnis zwischen uns bereinigt, so dass wir über diese wunderbaren Aufnahmen, die seit 40 Jahren in meiner Schublade lagen, sprechen konnten. Natürlich hätte ich John auch gerne im Studio dabeigehabt, als ich den alten Mitschnitt bearbeitet habe, in Gedenken an Paco und als Würdigung unserer vielen Fans. Doch aufgrund des Lockdowns ging das leider nicht. Die Aufnahmen waren seit 40 Jahren in meinem Besitz, und durch Covid war ich nun einmal der alleinige Produzent der neuen Scheibe. Ansonsten hätte es das Album nicht gegeben.

Der Meister mit seiner PRS Al Di Meola Prisma Signature (Bild: Matthias Mineur)

Letzte Frage: Wird es ein großes Happy End geben, mit dir und John McLaughlin noch einmal gemeinsam auf einer Bühne?

Ich glaube, dass dies viele Menschen sehr glücklich machen würde. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob John da mitmacht.

Du würdest es?

Ja, ich würde mitmachen. Es war eine ähnliche Situation, als wir 2008 mit Chick Corea eine Reunion-Tour machten. Alle Differenzen, die es irgendwann einmal gegeben hatte, sollten in den Hintergrund treten. Denn so etwas sollte man für die Fans machen, für die Freude, die du ihnen damit bescherst. Denn es erinnert sie an eine glückliche Zeit als junge Menschen, als man an der Highschool war oder mit Freunden um die Häuser zog. In etwa so, als wenn die Leute noch einmal Paul McCartney sehen wollen. Natürlich können wir nicht mehr so unfassbar schnell spielen wie in unseren 20er-Jahren. Aber dafür sind wir weiser und intelligenter als damals. Und unsere Fans könnten sehen, dass wir wieder Freunde sind. Aber ich weiß nicht, ob solch eine Tour stattfindet.

Ich treffe John bald in Madrid anlässlich eines großen Paco-De-Lucía-Tribute-Konzerts. Es steht noch nicht fest, ob wir dort spielen, aber wir werden uns auf jeden Fall treffen. Ich würde in Madrid zu gerne ‚Mediterranean Sundance‘ mit Pacos Neffen spielen, der ähnlich gut wie Paco ist, einen fast identischen Stil hat und Paco wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Ich habe mit ihm vor einiger Zeit in El Salvador ‚Mediterranean Sundance‘ gespielt und es war fast wie ein Deja-Vu, sehr surreal. Das könnte sich jetzt in Madrid wiederholen.

Danke Al, für das nette und sehr interessante Gespräch!

(erschienen in Gitarre & Bass 09/2022)

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