Super verliebt in Halbleiter

Test: Orange Super Crush 100

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(Bild: Dieter Stork)

Die Briten von Orange Amplification bewerben die neuen Super-Crush-100-Amps als Pendant zu ihrem hauseigenen Flagship-Modell. Klingt der Super Crush wie ein Rockerverb? Wir vergleichen beide Verstärker direkt.

An der Aufgabenstellung, den exakten Klang eines Röhrenverstärkers ausschließlich mit Halbleitern nachzuempfinden, sind bisher alle Hersteller mehr oder weniger gescheitert, und lediglich moderne, digitale Modeling-Verstärker (wie Kemper, Quad Cortex, Axe FX und Helix) oder Hybrid-Amps (wie die BluGuitarAmp1-Produkte) kommen dem Klang der teuren, schweren und teilweise sehr alten Boliden gefährlich nahe. Und selbst das auch nur, wenn man sich sehr viel Zeit nimmt und mit diesen Produkten aktiv daran arbeitet, den Klang des eigenen Vollröhrenverstärkers mitsamt der passenden Box zu kopieren.

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Dennoch hat die Transistortechnik gegenüber der Röhrenbauweise einige Vorteile. Denn Transistor-Amps können günstig und leicht gebaut werden, und die Streuung innerhalb einer Serienproduktion ist wesentlich geringer als bei Röhrenverstärkern. So ist anzunehmen, dass ein Super Crush 100 nahezu wie alle anderen klingen wird, sofern man nicht darauf besteht, dass beide Amps genau gleiche Potieinstellungen haben, sondern nur nach Gehör arbeitet, wenn man sie auch gleich klingen lassen möchte.

Mehr zu den Widrigkeiten eines Vergleichstest gibt es später im Text, aber zunächst wollen wir uns hier auf die Äußerlichkeiten konzentrieren …

(Bild: Dieter Stork)

HARDWARE

Da der Rockerverb MkIII mit seinem zweikanaligen Layout Pate für die Orange Super-Crush-100-Verstärker stand, finden wir eine nahezu gleich aufgebaute Frontblende bei beiden Amps vor. Neben On/Off und Kanalwahlschalter befinden sich Master-Volume und Hall-Mix-Regler. Es folgt der Overdrive-Kanal mit Volume, Treble, Middle, Bass und Gain, danach kommt der Clean-Kanal mit Treble, Bass und Volume. Einzig der Standby-Switch des Rockerverb III wurde in der Super-Crush-100-Serie nicht verbaut, denn dieser ist für einen Transistor-Amp schlichtweg überflüssig.

Die Haptik beim Bedienen der beiden Verstärkerserien, ist hingegen grundsätzlich unterschiedlich, denn der Rockerverb MkIII hat gar keine Potis, sondern Drehschalter, die feingerastert in ihre Position hineinklicken, und der vermeintliche Master-Volume-Poti ist bei diesem Vollröhrenverstärker eine regelbare Powersoak, die per Fußtaster deaktiviert werden kann. Die Super-Crush-100-Amps hingegen, sind mit regulären Potis ausgestattet, und der Master-Volume-Regler funktioniert, wie man es von anderen Verstärkern kennt.

(Bild: Dieter Stork)

Rückseitig unterscheiden sich Super Crush 100 und Rockerverb 100 MkIII ebenfalls wenig. Im Gegensatz zum Rockerverb MkIII, hat Orange den neuen Super-Crush-100-Verstärkern einen Balanced-XLR-DI-Out mit Open- und Closed-Back-Boxensimulation spendiert sowie eine Speaker-Out-Buchse weniger installiert. Alle anderen Anschlüsse sind bei beiden Verstärkerserien ähnlich. Hier gibt es jeweils Send- und Return-Buchsen für den Einschleifweg, Channel- und Reverb-Fußtaster-Anschlüsse und eben zwei Speaker-Out beim Super Crush 100 und drei beim Rockerverb 100 MkIII, der zusätzlich noch den Footswitch-Anschluss für seinen Attenuator aufweist und somit beide Kanäle in zwei Lautstärken fußschaltbar macht.

(Bild: Dieter Stork)

Auffällig bei direktem Vergleich ist zudem übrigens, dass das orangene Tolex des aus Fernost stammenden Super-Crush-100-Topteils nicht ganz exakt das gleiche Tolex im gleichen Farbton ist, dass bei dem uns zum Vergleichstest vorliegenden Rockerverb 100 und auch einer uns zum Test vorliegenden Orange-PPC412- Box aus UK. Sollte man also tatsächlich eine UK-Box mit dem Super-Crush-100-Topteil kombinieren wollen, könnte man allerdings über die Option nachdenken, sich beide Produkte in schwarz zu bestellen; das bietet Orange Amplification selbstverständlich ebenfalls an und bei dieser Farbe scheint der Bezug bei beiden Produktserien aus dem gleichen Material zu sein.

SOUNDS

Wer bei Vollröhrenverstärkern einfach mal zwei Vorstufenröhren gleicher Bauart innerhalb des Amps gegeneinander vertauscht und ganz penibel vergleicht, versteht sicherlich eines der größten Probleme bei Direktvergleichen von Röhrenverstärkern mit anderen Technologien oder auch zueinander sofort. Allein die Streuung bei 12AX7-Vorstufenröhren aus aktueller Produktion ist extrem groß, aber auch der Ruhestrom, der für die Endstufenröhren eingestellt wurde, ändert das Wiedergabeverhalten des Verstärkers von einem brillanten und knackigen bis hin zu einem weichen und dunklen Klangcharakter.

Dass einige Gitarristen auf genau diesen einen Röhrenverstärker aus einer Serienproduktion schwören und das „mein Marshall ist geiler als deiner“-Syndrom inbrünstig ausleben, ist vermutlich auch Teil des Erfolges von ganz klassischen Röhren-Amps, hat aber eben oftmals mehr mit dieser Streuung der Qualität der Röhren und der vom Techniker gewählten Bias-Einstellung zu tun als mit den eigentlichen Bauteilen des Verstärkers. Das böse Erwachen kommt dann beim nächsten Röhrenwechsel, wenn der ach so magische Plexi oder Rectifier plötzlich anders klingt als zuvor.

Was das für einen Direktvergleich zwischen Transistorverstärkern und Röhren-Amps bedeutet, sollte klar sein. Eigentlich müssten hier nämlich drei oder vier Rockerverb MkIII stehen, die sehr sicher nicht ganz gleich klingen würden. Der deutsche Orange-Vertrieb sendete uns aber genau einen Rockerverb MkIII und die beiden Super-Crush-100-Amps (Topteil und Combo), und wie sich innerhalb weniger Minuten im Direktvergleich an einer Mesa-Boogie-4×12-Box mit Vintage-30-Lautsprechern herausstellte, klingen die beiden Transistorverstärker tatsächlich extrem ähnlich, sofern man beide Verstärker als Topteil benutzt und den Combo nicht über seinen eingebauten Celestion-G12K-150-Speaker betreibt.

Super Crush 100 (links) und Rockerverb 100 MKIII (rechts) (Bild: Dieter Stork)

Der Rockerverb 100 MkIII hingegen klingt an der gleichen Box signifikant offener als die beiden leichtgewichtigen Transistorverstärker aus Fernost. Ist das nun ein besonders gut klingendes Exemplar unter den Rockerverb 100 MkIII Topteilen? Das ist in diesem Test für uns leider nicht herauszufinden. Im Clean-Kanal unterscheiden sich Super Crush 100 und Rockerverb 100 MkIII zunächst wenig im Timbre, sondern eher in der Kompression und dem damit einhergehenden Spielgefühl bei der Tonbildung. Um den Super Crush 100 ein wirklich knackiges Attack abgewinnen zu können, müsste man den Amp mit einem direkteren Lautsprecher kombinieren, als den Rockerverb.

Im Crunch-Kanal wird der Unterschied zwischen den beiden Serien allerdings sofort klar. Wo der Super Crush 100 tight, trocken, sehr differenziert und feinzeichnend im Gain und dennoch dunkler im Attack und zudem etwas weniger bröselig im Zerrcharakter daherkommt, liefert der Rockerverb 100 MkIII eine größere Frequenzbreite, ein vergleichsweise erheblich helleres, knackiges Attack, mehr Dynamik in den Tiefmitten und eben diese für Orange-Röhrenverstärker sehr typische, knarzige, schon beinahe an ein Fuzz oder einen Germanium-Treble-Booster erinnernde Verzerrung.

Grundsätzlich verlangt der Rockerverb 100 MkIII aufgrund dieser klanglichen Attribute, nach einer sehr genauen Spieltechnik, wohingegen beide Super Crush 100 eher schmeicheln und spielerische Unzulänglichkeiten stärker kaschieren. Das Nebengeräuschverhalten der Super-Crush-100-Amps ist bei hohen Gain-Einstellungen etwas schlechter als beim Rockerverb. Wer hier sensibel ist, kann sich mit einem Noisegate im sehr gut funktionierenden Einschleifweg behelfen und so für Ruhe in den Spielpausen sorgen.

Der digitale Hall in den Super-Crush-Amps liefert eine signifikant andere und dabei objektiv gar nicht schlechtere Klangfarbe als der traditionell gebaute, sehr hell klingende Federhall im Rockerverb. Für einen Digitalhall liefert er einen unverschämt musikalischen, dichten Klang und erinnert mich an Produkte von Strymon. Post-Rock-Fans wie auch Surf-Musik-Liebhaber kommen hier voll auf ihre Kosten.

Vergleicht man die beiden Super-Crush-100-Varianten zueinander, stellt sich schnell heraus, dass der im Combo verbaute CelestionG12K-150-Lautsprecher eine durchaus adäquate Alternative zu den allseits bekannten Vintage-30-Zwölfzöllern sein kann. Etwas schlank in den Bässen ertönt der Combo mit seinem gar nicht mal wirklich kleinen Gehäuse für mein Ohr dennoch, aber zumindest der Clean-Kanal profitiert bei dieser Bauform enorm von der luftigen Höhenwiedergabe im Vergleich zum Topteil mit 4x12er-Box.

Der XLR DI Out der Orange-Super-Crush-100-Verstärker liefert leider für meine Ohren keine wirklich überzeugenden Ergebnisse für’s Homerecording. Das hier anliegende Signal ist sehr direkt, mittig und erinnert nicht sonderlich an eine mit Mikrofonen abgenommene Box. Dennoch könnte man sich mit dieser analogen Frequenzgangkorrektur am DI-Out, zumindest auf kleinen ClubBühnen, eine Mikrofonierung sparen.

ALTERNATIVEN

In ähnlichen Preisklassen findet man derzeit kaum Transistorverstärker, die ähnlich musikalisch klingen wie die Orange-SuperCrush-100-Amps. Laney Amplification bediente bis vor kurzer Zeit mit dem GH50R und dem GH100R ein ähnliches Preissegment mit Vollröhrenverstärkern, und sofern man britische Sounds abseits von Marshall oder Vox sucht, sind auch diese Verstärker, die nach wie vor bei einigen Händlern verfügbar sind, eine tolle Alternative zu den Super Crush 100.

Auch der BluGuitar Amp 1 Mercury Edition könnte als moderner Hybridverstärker im Stile des Marshall JTM45 eine Alternative zu den Super Crush sein. Der digitale Hall im Amp1 klingt allerdings wesentlich unspektakulärer und weniger offensiv als der wirklich bemerkenswert dichte Reverb in den Orange-Verstärkern.

RESÜMEE

Natürlich klingen die Orange-Super-Crush100-Amps – sowohl als Combo, als auch als Topteil – aufgrund ihrer völlig anderen Technologie nicht haargenau so wie der teure und auch vergleichsweise schwere Rockerverb-100-MkIII-Röhrenverstärker aus eigenem Hause. Das sollte man in der Preisklasse, in der die Super-Crush-Amps angeboten werden, auch nicht ernsthaft erwarten. Allerdings kann man den beiden Orange Super Crush 100 attestieren, dass sie zu den am besten klingenden Transistorverstärkern gehören, die aktuell produziert werden. Das Preis-Leistungs-Verhältnis dieser Produkte ist somit bemerkenswert gut.

PLUS

● differenzierte Sounds
● spektakulärer Hall
● hoher Schalldruck
● geringer Preis
● geringes Gewicht

MINUS

● leicht erhöhtes Rauschen

(erschienen in Gitarre & Bass 03/2022)

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