Handgepäck vom verrückten Professor

Test: One Control BJF-S66 Amp Head

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(Bild: Dieter Stork)

Der Trend zu immer kleinerem, vor allem aber leichterem Equipment scheint sich fortzusetzen. Minipedale, -verstärker, -Wireless-Systeme, winzige Multieffektprozessoren, Lautsprecher mit Neodym-Magneten, Travel Guitars … Man darf gespannt sein, wann Gitarrenlautsprecherboxen die Maße von Bluetooth-HiFi-Speakern erreichen werden.

Der japanische Hersteller One Control stellte kürzlich seinen ersten Gitarren­verstärker, nämlich den BJF-S66 vor, ein Transistor-Mini-Head, das von Björn Juhl ent­wickelt wurde. Der Schwede ist auf diesem Gebiet mit sei­ner Firma BJFE Guitar Effects bzw. Björn Juhl Förstärkar Elektronik kein Unbekannter, hat er doch u.a. alle Effekte für Mad Professor, Barefoot FX und sämtliche Micro-Pedale für One Control designed.

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ANALOG/DIGITAL

Der BJF-S66 kommt mit analogem 2-Kanal-Preamp und Class-D-Endstufe, die je nach Impedanz der angeschlossenen Lautsprecherbox 100, 66 oder 30 Watt leistet. Betrieben wird der Amp mit einem exter­nen 24-Volt-Schaltnetzteil. Die Vorstufe besitzt Regler für Master Rhythm, Master Lead, Lead Boost, Gain, 3-Band-EQ, Tremolo Depth und Speed sowie je Kanal Potis für Reverb Decay und Reverb Level.

Des Weiteren finden wir auf der Front die Schalter Channel, Tremolo und Bright, den Instrumenteneingang und die Betriebsanzeige. Zusätzliche LEDs signalisieren den jeweiligen Sta­tus von FX Loop, Channel, Reverb und Tremolo. Auf der Rückseite gibt es den Power-Schalter, den Netzteilanschluss, drei Klinken­buchsen für separate Fußschalter (Tremolo, Channel und FX Loop), die RJ12-Netzwerkbuchse für den optionalen 3-fach-Fußschalter FS-P3, Speaker Out, Preamp Out, FX Send und Return.

(Bild: Dieter Stork)

Um dem Gehäuse hohe Stabilität zu verleihen, hat man die Rück­seite aus 5 mm, die Front aus 10 mm Aluminium gefräst und diese auf den zweiteiligen Alurahmen geschoben und verschraubt. Die Alu-Achsen der hochwertigen Potis, auf denen die Reglerknöpfe verschraubt sind, werden von den Bohrungen der Front geführt.

Im Innern treffen wir auf eine kleine und zwei große Platinen. Erstere trägt u.a. ein Kühlprofil für die Endstufe. Sämtliche Kabel­verbindungen sind gesteckt, die des Netzschalters mit isolierten Schuhen. Die Endstufenplatine wird von den rückseitigen Klinken­buchsen gehalten, die Vorstufenplatine von fünf Distanzstücken, die mit der massiven Frontplatte verbunden sind.

(Bild: Dieter Stork)

Vier kleine Gum­mifüße und ein stabiler, gegen Vibrationen gesicherter Klappgriff komplettieren die Gehäuseausstattung. Mechanik, Bauteile und Verarbeitung also alles vorbildlich, wenngleich die vorstehenden Reglerknöpfe in keiner Weise geschützt sind. Allerdings kann man eventuelle Brüche der stabilen Poti-Achsen völlig ausschließen.

Der Stabilität und der Road-Tauglichkeit von Netzwerkanschlüssen und der üblichen Flachkabel – zumindest in der hier verwenden Version – stehe ich dagegen eher skeptisch gegenüber. Längst sind robustere RJ12-Stecker, -Buchsen (z.B. Neutrik) und Rundkabel erhältlich.

FS-P3 FOOTSWITCH

Mit seinen 480 Gramm macht der Dreifachfußschalter ordentlich Eindruck. Robuster geht es wohl kaum, denn das Gehäuse wurde aus einem massiven Alublock gefräst, das Bodenblech präzise in den Rand eingelassen und verschraubt. Vier Klebe-Pads liegen als Füße bei. Drei hochwertige Fußschalter aktivieren den FX Loop und den Tremolo-Effekt, der Mittlere wählt den Amp-Kanal, drei LEDs geben Auskunft über den jeweiligen Status. Wird bei freiem FX Loop selbiger eingeschaltet, verstummt der Amp völlig.

Die Verbindung zum BJF-S66 stellt ein drei Meter langes RJ12-Netz­werkkabel her. Während der serielle FX Loop ausschließlich über den FS-P3 oder einen Einzelfußschalter aktiviert werden kann, lassen sich Channel und Tremolo auch manuell an der Frontplatte wählen bzw. in Betrieb nehmen. Der Hall kann indes lediglich über die Level-Regler (de)aktiviert werden. Ist der Fußschalter mit dem Amp verbunden, sind dessen Kippschalter inaktiv, nicht jedoch die Status-LEDs.

(Bild: Dieter Stork)

STROM AN

Als klangliches Vorbild für den BJF-S66 diente Björn Juhl ein Mid-60s-Fender-Blackface inklusive der bordeigenen Reverb- und Tremolo-Effekte. Nach dem Einschalten stelle ich fest, dass der Amp bei aktivem Rhythm Channel, Regler auf Mittelstellung, inakti­ven Effekten und FX Loop etwas stärker rauscht als andere Transis­torverstärker. Positiv fällt jedoch auf, dass der Lead-Kanal trotz Vollaussteuerung von Gain und Lead Boost keinen Deut mehr rauscht.

Während des Tests stehen 4×10″- und 1×12″-Boxen mit jeweils 8 Ohm Impedanz zur Verfügung. Die damit erzielte Endstufenleistung von 66 Watt kann sich auch im Kontext einer lauteren Band hören lassen; der One Control BJF-S66 ist also absolut Gig-tauglich. Klanglich wird die Anlehnung an den besagten Blackface deutlich, denn der Rhythm-Kanal hat reichlich Clean-Reserven.

Allerdings empfinde ich es als Einschränkung, dass der Gain-Regler in beiden Kanälen wirksam ist. Um einen wirklich glasklaren Sound zu erzielen, sollte man z.B. bei Vintage-Humbuckern oder Pickups mit ähnlichem Output ein Gain-Setting von 5 nicht überschreiten.

Der Lead Channel liefert bei voll aufgedrehten Gain- und Lead-Boost-Potis maximal satten Crunch. Dieser klingt homogen und natürlich nach Röhrenverzerrung, zeigt sehr gute Dynamik, exzellentes Durchsetzungsvermögen und eignet sich bestens für bluesige bzw. blues-rockige Rhythmus- und Leadsounds.

Spätestens jetzt ist nicht mehr zu überhören, welcher Amp-Klassiker hier als klangliches Vorbild gedient hat. Da der 3-Band-EQ vom Hersteller mit Cut/Boost-Arbeitsweise angegeben wird, hätte ich mir für die Potis eine Mittelrasterung gewünscht, um lineare Einstellungen zu erleichtern. Na ja, an den Wert 5 kann man sich jedoch auch gewöhnen. Der EQ agiert ausreichend effizient, die Frequenzbereiche wurden praxisorientiert gewählt.

Lead Boost verstärkt einen Mittenbereich, der in etwa dem des Mid-Reglers entspricht und erhöht damit gleichzeitig die Verzerrung. Einen geschmackvollen 10dB@4kHz-Boost erzeugt der Bright-Schalter in beiden Kanälen und verleiht dem Sound mehr Glanz und Biss. Wie der EQ zeigt er auch bei höheren Gain-Settings nahezu uneingeschränkte Wirkung.

Preamp Out wird hinter dem/den Master Volume(s) abgegriffen und kann an Effektgeräte, Endstufen oder Mischpult angeschlossen werden, wobei die Funktionen aller Regler und Schalter er halten bleiben. Eine Speaker- oder Cabinet-Simulation bietet der Verstärker indes nicht. Der FX Loop arbeitet klangneutral und bereitet keinerlei Pegelprobleme.

Der bordeigene Digitalhall simuliert keinen Federhall, sondern klingt wunderbar dicht und homogen und bietet Decay-Zeiten von Raum bis Kathedrale. Bei Bedarf lassen sich Rhythm und Lead Reverb identisch einstellen. Auch den analogen Tremolo-Effekt hat Björn Juhl ein wenig modernisiert, indem er ihm erweiterte Speed- und Depth-Bereiche spendiert hat. Auf diese Weise stehen Modulationen von weich und subtil bis zu hartem An/Aus/An zur Verfügung.

Da der One Control BJF-S66 zerrtechnisch primär Clean- bis satte Crunchsounds liefert, ist bei Bedarf die Verwendung von zusätzlichen Overdrive/Distortion-Pedalen erforderlich. Mit solchen versteht sich der Amp vorzüglich, und bei adäquater Qualität der Verzerrer vergisst man spätestens jetzt vollends, das man es hier mit einem Transistorverstärker zu tun hat.

RESÜMEE

Mit dem BJF-S66 ist One Control bzw. Björn Juhl ein kompaktes, leichtes, robustes und leistungsstarkes Prachtkerlchen mit luxuriöser Ausstattung gelungen, welches pegelstarken Bandkollegen locker Paroli bieten kann. Seine 66 Watt an 8-Ohm-Lautsprecherboxen machen ordentlich Alarm und Druck.

Klanglich überzeugt er mit warmen, glasklaren Clean- bis zu fetten, homogenen, durchsetzungsstarken Crunchsounds und geschmackvollen Tremolound Reverb-Effekten, letzterer sogar quasi in doppelter Ausführung. Darüber hinaus kooperiert er mit Zerrpedalen par excellence. 3-Band-EQ, Bright Switch und Lead Boost zeigen unabhängig vom gewählten Verzerrungsgrad hohe Effizienz.

Lediglich der auf beide Kanäle einwirkende Gain-Regler schränkt die Flexibilität etwas ein. Das schicke Design und die hochwertige Verarbeitung von Head und Fußschalter runden den insgesamt positiven Gesamteindruck ab.

PLUS

● Sounds
● Ansprache & Dynamik
● Verzerrerfreundlich
● Ausgangsleistung
● Maße & Gewicht
● Ausstattung & Effekte
● Qualität des Fußschalters
● Verarbeitung
● Bedienung
● Preis/Leistung

MINUS

● Stabilität RJ12-Anschluss

 

(erschienen in Gitarre & Bass 05/2020)

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. “Der chinesische Hersteller One Control” – sind die nicht aus Japan? Oder ist die Company aus Japan, hergestellt aber in China? Bitte um Aufklärung.

    Auf diesen Kommentar antworten
    1. Hallo Simon,

      danke für den Hinweis – da hast du natürlich vollkommen recht! Wir haben den Fehler bereits korrigiert.

      Grüße aus der Redaktion!

      Auf diesen Kommentar antworten

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